Gottessohn?1700 Jahre Nizäa

Das erste ökumenische Konzil zeigt, dass Streitfragen nicht in Spaltungen einmünden müssen, sondern synodal geklärt werden können. Es kann allerdings Jahrzehnte dauern, bis synodale Klärungen auch in der ganzen Kirche rezipiert werden.

Jesus Christus
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Ist Jesus Christus Gottes Sohn? Oder ist er ein göttlicher Mensch, ein sittliches Vorbild, ein Lehrer der Menschlichkeit? Das Konzil von Nizäa hat diese Frage vor 1700 Jahre beantwortet. Der Sohn ist «aus dem Wesen des Vaters», «wahrer Gott vom wahren Gott», «gezeugt, nicht geschaffen», «eines Wesens mit dem Vater». Hinter diesen für heutige Ohren etwas altmodisch klingenden Vokabeln verbirgt sich nach Joseph Ratzinger nichts weniger als eine «Revolution im Gottesbegriff». Gott ist keine verhältnislose Einheit, kein abstraktes Prinzip, kein metaphysischer Abschlussgedanke, sondern lebendige Wirklichkeit in Beziehung. Vater und Sohn sind gleichermaßen Gott. Die biblische Aussage «Gott ist Liebe» (1 Joh 4,8.16) hat durch die Lehre von Nizäa eine begriffliche Fassung gefunden. Es gibt im Leben der Kirche dogmatische Punktsetzungen, hinter die man nicht mehr zurückgehen kann. Die Entscheidung von Nizäa gehört dazu. Sie hat Eingang gefunden in das Glaubensbekenntnis der Kirche und ist für die liturgische Gedenkkultur von Katholiken, Orthodoxen und Protestanten bis heute gleichermaßen bedeutsam.

Bemerkenswert ist allerdings, dass das Konzil ohne politische Initiative nicht zustande gekommen wäre. Kaiser Konstantin hat es 325 einberufen. Er hatte weniger theologische als politische Interessen. Er wollte den Streit um den Termin des Osterfestes beilegen und die arianische Kontroverse klären. Die Konzilsbeschlüsse wurden Reichsgesetz. Ein Gott, ein Reich, eine Kirche! Bemerkenswert ist weiter, dass das Konzil einen nichtbiblischen Begriff gewählt hat, um das Verhältnis zwischen Vater und Sohn zu kennzeichnen. Dieser Begriff hat nach 325 für kontroverse Debatten gesorgt – und tut es bis heute. Ist der philosophische Terminus der Homoousie nicht Ausdruck einer hellenistischen Verfälschung des Evangeliums, wie seit Adolf von Harnack immer wieder zu hören ist? Blendet er das galiläische Kolorit der Herkunft Jesu nicht ungebührlich ab? Oder handelt es sich um eine Christianisierung des Denkens, da die neutestamentlichen Aussagen über Jesus Christus, den Kyrios und Sohn, angemessen in den griechische Kulturhorizont übersetzt werden, wie die Verteidiger des Konzils geltend machen? Oder reicht es nicht sogar zurück auf das Shema Israel (Dtn 6,4f.) und seine Fortführung durch Paulus (vgl. 1 Kor 8.6)?

Für manche ist das Konzil von Nizäa eine verstaubte Reliquie im Depot der kirchlichen Überlieferung – allenfalls für Archivare der Dogmengeschichte von Interesse. Doch das ist kurzsichtig. Das erste ökumenische Konzil zeigt, dass Streitfragen nicht in Spaltungen einmünden müssen, sondern synodal geklärt werden können. Es kann allerdings Jahrzehnte dauern, bis synodale Klärungen auch in der ganzen Kirche rezipiert werden. Die Lehrentscheidung von Nizäa hält überdies wach, dass über Gott nicht ohne die Person und Geschichte Jesu Christi gesprochen werden kann, weil sich in ihm der göttliche Logos inkarniert hat. Diese christologische Kontur des Gottesglaubens wird heute durch ein «Christentum ohne Christus» aufs Spiel gesetzt, das seine gesellschaftliche Relevanz durch moralische und politische Appelle unter Beweis stellen möchte. In einem gerade veröffentlichten Dokument der Deutschen Bischofskonferenz steht: «Nur 32 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder stimmen der Aussage zu: ‹Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.›» Diese Gottesdämmerung und Christusvergessenheit intra muros ecclesiae ist alarmierend – und stellt der Evangelisierungsmüdigkeit und heimlichen Katecheseverachtung in Theologie und Kirche kein gutes Zeugnis aus. Kontrapunktisch dazu bietet das Jubiläum des Konzils von Nizäa den Anstoß, über die Lebensrelevanz des Glaubens an den einen Gott, der in sich Beziehung von Vater, Sohn und Geist ist, neu nachzudenken. Statt flott im postmodernen Zeitwind dahinzusegeln, könnte die Rückbesinnung auf die christologischen Dogmen zur Erneuerung von Theologie und Kirche beitragen. Erik Peterson schrieb:

Man habe den Mut, wieder in der Sphäre zu leben, in der das Dogma vorkommt, und man kann gewiß sein, daß sich die Menschen für Theologie wieder interessieren werden, so interessieren werden wie sich die Marktweiber in Konstantinopel für den Streit um das ὁμοιoύσιος und ὁμοούσιος interessiert haben. Die Menschen interessieren sich nicht für unsere theologischen Schulmeinungen und privaten Überzeugungen – und sie tun gut daran –, aber sie interessieren sich leidenschaftlich für jedes echte Dogma, und sei es auch nur, daß sie dagegen protestieren und sich darüber entrüsten.

Das ist ein Fanfarenstoß gegen den antidogmatischen Affekt, der auch heute durchaus verbreitet ist. Gott, so lehrt es das Dogma von der Homoousie des Sohnes, ist keine einsame Monade, sondern ein Gott in Beziehung. Die trinitarische Signatur des Credo, die drei Artikel über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, zeigen dies. Gemeinschaft, die zur Gemeinschaft einlädt ... Der Begriff ‹ὁμοούσιος τῷ πατρί – gleichwesentlich dem Vater› wirft die Frage auf, wie verbindlich die hellenistische Formatierung der altkirchlichen Konzilienchristologie ist. Spielarten einer kontextuellen Theologie fordern eine Enthellenisierung des Glaubens und wollen das Evangelium unter Umgehung der altkirchlichen Konzilien inkulturieren. Überdies gibt es neo-arianische Tendenzen in der Pluralistischen Religionstheologie und der Theologie des Judentums, die für eine Depotenzierung der Christologie votieren.

Das vorliegende Communio-Themenheft gilt dem Konzil von Nizäa. Das Verhältnis von Politik und Theologie untersucht der Eröffnungsbeitrag von Matthias Simperl. Näherin geht er der Frage nach, auf welche Weise Kaiser Konstantin dazu beigetragen hat, dass die Synode von Nizäa zum Fundament kirchlicher Einheit und ökumenischer Verständigung werden konnte. Ob das Konzil durch die Definition der Wesensgleichheit von Vater und Sohn zum Monotheismus Israels auf Distanz gegangen ist, ja die Wurzeln zum Judentum abgeschnitten hat, erörtert Jan-Heiner Tück. Die systematisch-theologische Bedeutung der Konzilsentscheidung stellt Karl-Heinz Menke heraus, der in Nominalismus, Moderne und Postmoderne neo-arianische Tendenzen ausmacht, die hinter das Symbolum Nicaenum zurückfallen.Ioan Moga beleuchtet die Rolle des Konzils von Nizäa in der Gedenkkultur, der Hymnologie und Ikonographie der Orthodoxen Kirchen und regt an, über die Einführung eines Festtags in allen Kirchen nachzudenken. Dieser könnte das erste Ökumenische Konzil als gemeinsamen Referenzpunkt ins Zentrum der christlichen Memorialkultur rücken. Unter dem Titel «Christologie ohne Dogma – Dogma ohne Christologie» beleuchtet schließlich Christian Stoll den kontroversen Briefwechsel zwischen Erik Peterson und Adolf von Harnack.

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