Der Fall des slowenischen Jesuiten Marko Ivan Rupnik zeigt einmal mehr, auf welche Weise geistliche Begleitung und Seelenführerschaft missbraucht werden können. Vor Weihnachten wurden Berichte öffentlich, denen zufolge der Ordensmann in der Vergangenheit junge Frauen aus einer geistlichen Gemeinschaft psychisch manipuliert und sie dazu gebracht haben soll, mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben.
Rupnik wirkt seit vielen Jahren in Rom als Mosaikkünstler und hat überall auf der Welt Kirchen und Kapellen gestaltet. Auch das Logo für das von Papst Franziskus ausgerufene Jahr der Barmherzigkeit 2016 geht auf ihn zurück.
Wegen eines besonders krassen Vergehens hatte die Glaubenskongregation im Mai 2020 sogar die Exkommunikation von Rupnik festgestellt. Er hatte 2015 eine der Frauen, die er verführt hatte, selbst in der Beichte von der Sünde gegen die Keuschheit losgesprochen – eine der schlimmsten Tatbestände, die das Kirchenrecht kennt. Die Exkommunikation war allerdings noch im gleichen Monat wieder aufgehoben worden, da der Jesuit bereut und Besserung gelobt hatte.
Als 2021 weitere Beschwerden gegen Rupnik bei der Glaubenskongregation landen, stellt die Behörde das Verfahren gegen ihn wegen Verjährung ein – obwohl es in einem solchen Fall durchaus die Möglichkeit besteht, die Verjährungsfrist aufzuheben.
Die Öffentlichkeit erfährt von all dem nichts. Im Gegenteil! Der Ordensmann ist weiterhin Konsultor mehrerer Dikasterien, hält Exerzitien, veröffentlicht Vorträge auf Youtube. Noch im November 2022 nimmt er in Brasilien eine Ehrendoktorwürde entgegen. Dabei hatte ihm sein Orden im Mai 2020 zur Auflage gemacht, keine Beichte mehr zu hören, nicht mehr als geistlicher Begleiter und Exerzitienmeister tätig zu sein und nicht ohne Genehmigung seiner Vorgesetzen öffentlich aufzutreten. Als im März 2020 die Ergebnisse der Ermittlung bereits vorliegen, die kurz darauf zur Feststellung seiner Exkommunikation führen, hält Rupnik noch die Fastenexerzitien für die hochrangigen Kurienmitarbeiter – darunter der Präfekt der Glaubenskongregation sowie Papst Franziskus persönlich.
Der Fall, der in Italien für weitaus mehr Aufmerksamkeit gesorgt hat als hierzulande, beweist: Die angeblich Null-Toleranz-Politik von Papst Franziskus in Sachen Missbrauch ist eine Farce. Statt den Mann aus dem Verkehr zu ziehen, haben Papst, Kurie und Ordensleitung der Jesuiten ihm eine Bühne geboten, zugelassen, dass er weiter öffentlich auftritt und sogar Ehrungen entgegennimmt. Dabei weiß die Kirche seit Jahrhunderten um die Risiken und Gefahren bei der Seelenführung und stellt entsprechende Verfehlungen seit jeher unter härteste Strafen - in der Theorie jedenfalls. Bei einem prominenten Künstler und Theologen drückt die Kirchenführung offenbar bis heute ein Auge zu.
Dass die Vorwürfe gegen ihn Anfang Dezember auf mehreren italienischen Plattformen öffentlich wurden, zeigt aber auch: Die Loyalität des Apparats gegenüber dem Pontifex schwindet immer mehr. Die Unzufriedenheit bei manchen Mitarbeitern des Papstes ist groß - so groß, dass sie sich auch nicht mehr an irgendwelche Dienstgeheimnisse oder Verschwiegenheitspflichten gebunden fühlen. Dem Papst entgleitet die Kontrolle.