Nicht die vordergründige Frage des Kommunionempfangs für geschiedene und wiederverheiratete Katholik/innen sei entscheidend, sondern sich diesen grundsätzlicheren Dimensionen der Ehe zu stellen. Zweifelsohne bedarf das innerkatholische Problem der geschiedenen und wiederverheirateten Katholik/innen grundsätzlicher Fragestellungen nach der Idee und Wirklichkeit der Ehe, wie sie dem katholischen Glaubensverständnis entsprechen. Solange diese notwendigen grundsätzlicheren Fragestellungen nicht als Ersatz, sondern als wichtige Ergänzung zur dringend notwendigen Lösung des vordergründigen Problems des Kommunionempfangs zu verstehen sind, ist dem problemlos zuzustimmen.
Ehenichtigkeit hat nichts mit Ehescheidung zu tun
Sollen die grundlegenden Dimensionen der Ehe sachgerecht bedacht werden, so ist zu beachten, dass eine Überprüfung des Ehenichtigkeitsverfahrens auf eine zeitgemäße Anpassung sicherlich sinnvoll ist, aber nichts mit dem Problem der Wiederheirat nach Scheidung zu tun hat. Deshalb sollten die beiden Sachverhalte auch nicht miteinander vermengt werden, da sie dem Missverständnis Vorschub leisten, dass das Ehenichtigkeitsverfahren eine Scheidung auf katholisch sei. Die Fragestellung von Ehenichtigkeit und Scheidung ist jedoch grundverschieden. Im ersten Fall wird geprüft, ob eine Eheschließung überhaupt gültig zustande gekommen ist oder nicht, ob also die Ehepartner im rechtlichen Sinn als verheiratet gelten oder nicht. Im zweiten Fall wird nicht geprüft, sondern vorausgesetzt, dass die Ehe gültig zustande gekommen ist; geprüft wird hier bei einer Ehescheidung – dies gilt auch für eine kirchliche Ehescheidung – vielmehr, ob Gründe vorliegen, diese (gültig zustande gekommene) Ehe wieder lösen, eben scheiden zu können. Für eine kirchliche Ehescheidung sind dabei die Gründe des geschlechtlichen Nichtvollzugs und/oder der Nichtsakramentalität ausschlaggebend, für eine staatliche bzw. bürgerliche Ehescheidung in Deutschland dagegen die Zerrüttung der Ehepartner.
Eheschließung von Getauften als Empfang des Ehesakraments
Die Stichworte mangelnder Glaube, sorgsame Ehevorbereitung und Einführung eines Ehekatechumenats spielen in der Tat für das Gelingen einer Ehe im Sinne der katholischen Kirche und damit für die Frage, wie Ehescheidungen möglichst oft vermieden werden können, eine wichtige Rolle. Wer sie aufgreift, stößt früher oder später auf ein Kernproblem der kirchlichen Ehekonzeption: die Gleichsetzung von kirchlich gültiger Ehe und Sakrament, sofern beide Partner getauft sind – egal in welcher christlichen Konfession. Diese Gleichsetzung ist so strikt, dass zwei Getaufte nach der Lehre der katholischen Kirche entweder nur eine sakramentale Ehe schließen können oder keine Ehe im Sinne der katholischen Kirche. Eine kirchliche, aber nichtsakramentale Ehe gibt es für sie nicht. Denn die katholische Kirche hat in ihrer Einleitungsbestimmung zum Eherecht festgelegt: „Deshalb [sc. weil Christus die Ehe zur Würde eines Sakramentes erhoben hat (c.1055 §1 CIC/1983)] kann es zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben, ohne dass er zugleich Sakrament ist“ (c.1055 §2 CIC/1983).
Die Sakramentalität der Ehe als direkte Folge der Taufe
Nach c.1055 §2 gilt also, dass alle christlichen Ehen – egal, ob zwischen katholischen, nichtkatholischen oder bekenntnisverschiedenen Christ/innen – objektiv, das heißt: auch ohne besondere Intention oder Glaubensmotivation der beiden Partner, sakramental sind. Die Sakramentalität der christlichen Ehe ist hier ausdrücklich „ganz und gar auf die Heilstatsache der Taufe gegründet, aber nicht in der Weise, dass auf der Taufe die sakramentale Ehe aufgebaut werden kann, sondern so, dass aus der Taufe die Ehe sakramentalen Charakter erhält. In der Sprache des ausgeführten Eherechts heißt dies, dass die Sakramentalität der Christenehe von dem aktuellen Glauben der Eheschließenden insoweit unabhängig ist, als ein einfacher Irrtum über den sakramentalen Charakter der Ehe ohne Auswirkung auf deren Zustandekommen und deren besondere Wesensart bleibt“ (Aymans, 323). Nur der ausdrückliche negative Wille, den sakramentalen Charakter auszuschließen, kann nach c.1099 das Zustandekommen des Sakramentes und damit auch einer gültigen Ehe unter Christ/innen verhindern. Also „nicht ein mangelhaftes Glaubensverständnis über die christliche Ehe, sondern der willentliche, bewusste Gegensatz zum Glauben der Kirche macht es unmöglich, dass eine solche Ehe [als sakramentale Ehe und Ehe überhaupt] kirchliche Anerkennung finden kann“ (Aymans, 331).
Konfession statt Glaube und kirchliche Trauung als Maßstab
Die katholische Kirche stellt mit dem Grundsatz des c.1055 §2 jedes christliche Brautpaar vor die Alternative, entweder eine kirchlich gültige und zugleich sakramentale Ehe zu schließen, oder keine sakramentale, aber dann auch keine kirchlich gültige Ehe einzugehen. Lediglich die Ehe eines Christen bzw. einer Christin mit einer ungetauften Partnerin bzw. einem ungetauften Partner unterliegt nicht dieser Koppelung von kirchlich gültiger und zugleich sakramentaler Eheschließung. Stimmt diese Alternative schon nachdenklich, so erst recht die Tatsache, dass die kirchliche Gültigkeit und damit auch die Sakramentalität der Ehe unter Christ/- innen auf recht unterschiedliche Weise zustande kommen kann, je nachdem, ob es sich um ein rein katholisches oder bekenntnisverschiedenes Brautpaar handelt. Denn die katholische Kirche erklärt zwar in c.1108, dass prinzipiell nur jene Ehen kirchlich gültig sind, die kirchlich, also in der kanonischen Eheschließungsform, geschlossen sind, verfügt aber in c.1117, dass diese Grundsatzregelung für etliche Paarkonstellationen nicht zwangsläufig gilt. So können bekenntnisund religionsverschiedene Paare auf Antrag von der Pflicht zur kirchlichen Trauung befreit werden (= Dispens von der Formpflicht). Wer von der kirchlichen Formpflicht befreit ist, schließt mit der standesamtlichen Trauung nicht nur eine zivilrechtlich gültige, sondern zugleich auch eine kirchlich anerkannte Ehe, also eine kirchlich gültige Ehe, die unter bestimmten Gegebenheiten auch noch sakramental sein kann. Mit anderen Worten: in einigen Fällen wird mit der standesamtlichen Trauung zugleich das Sakrament der Ehe begründet!
In Kombination mit c.1055 §2 ergeben sich aus c.1108 i.V.m. c.1117 folgende komplizierten Regelungen über die eherechtliche Bedeutung von standesamtlicher und kirchlicher Trauung:
- Heiraten zwei katholische Partner, dann schließen sie erst und nur durch die kirchliche Trauung eine kirchlich gültige und zugleich sakramentale Ehe (c.1117 i.V.m. cc. 1108; 1055). Der standesamtlichen Trauung wird dagegen keinerlei innerkirchliche Rechtsbedeutung zugeschrieben; einzig und allein die kirchliche Trauung ist rechtserheblich, dafür dann aber mit dieser doppelten Wirkung: Die Ehe gilt als kirchlich gültige und zugleich sakramentale Ehe.
- Ein bekenntnisverschiedenes Brautpaar, also ein katholischer Christ und eine nichtkatholische Christin (vgl. c.1124), ist grundsätzlich auch verpflichtet, sich in der katholischen Kirche trauen zu lassen, um eine kirchlich gültige und zugleich sakramentale Ehe schließen zu können (c.1117 i.V.m. cc. 1108; 1055). Doch aus ökumenischen Gründen kann von dieser Verpflichtung auf Antrag auch befreit werden, dann nämlich, wenn sich die nichtkatholische Partnerin aus Glaubens- bzw. Gewissensgründen weigert, nach katholischem Ritus zu heiraten (c.1127). Liegt nun eine solche Befreiung von der Trauung nach katholischem Ritus vor (= Dispens von der Formpflicht), kann dieses bekenntnisverschiedene Brautpaar in der evangelischen Kirche oder sogar nur auf dem Standesamt kirchlich gültig heiraten und dabei zugleich das Ehesakrament empfangen (vgl. c.1127 i.V.m. c.1055; die Sonderstellung der bekenntnisverschiedenen Ehe zwischen einem katholischen und einem nichtkatholischen Christen des orientalischen Ritus (c.1127 §1) bleibt hier unberücksichtigt).
- Für religionsverschiedene Brautleute, also für eine katholische Christin und einen ungetauften Partner (vgl. c.1086 §1) schreibt die katholische Kirche ebenfalls zunächst die katholische Trauung vor, wenn diese Ehe als kirchlich gültig anerkannt werden soll. Doch kann auch hier wiederum von der Verpflichtung zur katholischen Trauung dispensiert werden; ist dies der Fall, muss das religionsverschiedene Brautpaar seinen Ehewillen nur in einer öffentlich beweisbaren Form erklären, egal, ob weltlich oder religiös, um eine in den Augen der katholischen Kirche gültige Ehe einzugehen (c.1129 i.V.m. c.1055). Auch dieses Paar kann also mit der standesamtlichen Trauung zugleich eine kirchlich gültige Ehe schließen. Hier gilt dann nicht die Koppelung von kirchlich gültig und sakramental, da einer der beiden Partner nicht getauft ist.
Der Empfang des Ehesakraments auf dem Standesamt
Diese Übersicht zeigt die problematische Tatsache auf, dass je nach Bekenntnis des Brautpaares auf dem Standesamt in einem Fall eine zwar bürgerlich (= zivil) gültige, aber kirchlich ungültige (= rein katholisches Paar), im anderen Fall eine bürgerlich und kirchlich gültige (= religionsverschiedenes Paar mit Dispens von der Formpflicht) und im dritten Fall schließlich eine bürgerlich gültige und eine kirchlich nicht nur gültige, sondern auch sakramentale Ehe geschlossen werden kann (= bekenntnisverschiedenes Paar mit Dispens von der Formpflicht). Hieraus ist die nahezu grotesk anmutende Schlussfolgerung zu ziehen, dass die katholische Kirche die standesamtliche Trauung bei einem kirchentreuen katholischen Brautpaar als eine inhaltsleere Rechtsformalie betrachtet, bei einem bekenntnisverschiedenen Brautpaar mit Dispens von der Formpflicht dagegen als sakramentsstiftenden Akt. Letzteres ist mehr als verwunderlich; denn schließlich wird in diesem Fall das Ehesakrament nicht durch eine religiöse Handlung empfangen, sondern durch die standesamtliche Trauung, die von ihrem Selbstverständnis her weltanschaulich neutral sein muss und auch ist. Ebenso paradox ist, dass das Sakrament der Ehe bei dem einen Paar schon durch die standesamtliche (= bekenntnisverschiedenes Brautpaar mit Dispens von der Formpflicht), bei dem anderen erst durch die kirchliche Trauung zustande kommt (= rein katholisches Brautpaar).
Neubewertung der standesamtlichen und kirchlichen Trauung
Auf diese Diskrepanzen erst einmal aufmerksam geworden, taucht eine Vielzahl von Fragen auf: Kann die Zivilehe – kirchenrechtlich gesehen – tatsächlich einmal ein Nichts, ein anderes Mal eine gültige Ehe und wieder ein anderes Mal eine gültige und sakramentale Ehe sein? Ist dann also eine wegen Unglaubens bzw. mangelnden Glaubens bewusst nur zivil eingegangene Ehe von zwei Katholik/innen weniger als eine zivil geschlossene Ehe von Ungetauften? Hat die Kirche überhaupt das Recht, durch die Vorschrift der kirchlichen Trauung das Grundrecht auf Ehe einzuschränken? Und was ist überhaupt die kirchliche Trauung? Wodurch unterscheidet sie sich von der standesamtlichen Trauung?
Angesichts dieser Fragwürdigkeiten ist es naheliegend, neu über die innerkirchliche Bedeutung der Zivilehe nachzudenken. Theologisch und kirchenrechtlich glaubwürdiger scheint hier zu sein, die zivile Trauung innerkirchlich von den unterschiedlichen Rechtsfolgen zu befreien und sie als eine für alle Ehepaare gleichermaßen geltende Größe anzuerkennen. Dies könnte so erfolgen, dass jede zivil gültige Eheschließung auch zugleich als kirchlich gültige (aber niemals zugleich sakramentale) Eheschließung gilt. Als Konsequenz dieser Anerkennung der zivilen Eheschließung könnte dann das Sakrament ausschließlich durch die kirchliche Trauung – jedenfalls nicht mehr zugleich mit der zivilen Trauung – empfangen werden. Eine solche Konzeption würde auf jeden Fall zu etlichen sinnvollen Änderungen für die pastorale Praxis und kirchenrechtliche Beurteilung führen:
- Bei der standesamtlichen Trauung müsste nicht mehr zwischen einem katholischen, bekenntnisverschiedenen und religionsverschiedenen Paar unterschieden werden, sondern jedes Paar würde bei einer zivilrechtlichen Trauung zugleich eine kirchlich gültige Ehe schließen, niemals aber dabei auch das Ehesakrament empfangen können.
- Das einzelne christliche Paar müsste nicht mehr vor der Alternative stehen, entweder eine kirchlich gültige und damit zugleich auch sakramentale Ehe einzugehen oder keine sakramentale Ehe und damit zugleich auch keine kirchlich gültige Ehe zu schließen. Somit müssten z. B. zwei sogenannte „Taufscheinchristen“, „getaufte Heiden“ oder kirchlich abständige Katholik/ innen, die heiraten, aber bewusst keine sakramentale Ehe eingehen möchten, nicht mehr wie bisher entweder – kirchenrechtlich gesehen – unehelich zusammenleben oder gegen ihre Überzeugung das Ehesakrament empfangen. Stattdessen könnte die zivile Eheschließung auch als kirchlich gültige Eheschließung anerkannt werden, ohne dass mit dieser Anerkennung zugleich der Empfang des Sakramentes der Ehe erfolgt. Und für Christ/innen, die sich einerseits schon enger mit Gott und der Kirche verbunden fühlen, andererseits aber noch nicht den notwendigen Mindestglauben für den Empfang des Ehesakramentes haben, könnte die Kirche eine religiöse Segensfeier anbieten, in der die Kirche einerseits zum Ausdruck bringt, dass sie die Entscheidung der Eheleute zu einer christlichen Ehe ernst nimmt und würdigt, andererseits aber deutlich macht, dass es sich hierbei (noch) nicht um die Feier des Ehesakramentes handelt, weshalb auch das Erfragen und das Bekunden des Ehewillens vor Gott fehlt.
- Die Kirche müsste nicht mehr jedes christliche Brautpaar kirchlich trauen, das zwar darum bittet, jedoch den Sinn dieses religiösen Aktes nicht hinreichend versteht. Sie hätte die Möglichkeit, christliche Brautleute dann zu einer kirchlichen Trauung (vorläufig) nicht zuzulassen, wenn jedwede glaubensmäßige Disposition fehlt. Analog zum Taufaufschub (c.868 §1 n.2 CIC/1983) wäre hier ein Trauaufschub denkbar. Wie die Taufe eines Kindes aufzuschieben ist, wenn die Hoffnung auf eine Erziehung in der katholischen Religion gänzlich fehlt, so könnte künftig auch die Trauung eines Brautpaares aufgeschoben werden, wenn dem Brautpaar jegliches religiöse Verständnis für eine kirchliche Trauung fehlt bzw. diese nur aus gesellschaftlichen Gründen erbeten wird. Und wie bei dem Taufaufschub ein Taufkatechumenat zum Hineinwachsen in die Lehre und Praxis des Glaubens angeboten wird, so könnte auch beim Trauaufschub ein Ehekatechumenat angeboten werden.
- Für den Empfang des Ehesakramentes wäre nicht mehr nur das Getauftsein maßgeblich, sondern auch eine entsprechende Glaubensdisposition des/der Einzelnen, die positiv zum Ausdruck gebracht werden muss.
- Das Problem der Wiederheirat nach Scheidung könnte dadurch entschärft werden, dass die kirchlich gültige, aber nicht sakramentale Ehe auflösbar bleibt und das Gebot Christi von der absoluten Unauflöslichkeit der Ehe erst für die sakramentale (und geschlechtlich vollzogene) Ehe gilt.