Seelsorge statt „Ex-Kommunikation“Wenn Ehen scheitern

Menschen in Beziehungskrisen brauchen eine kompetente und glaubwürdige Seelsorge, die um die Dynamik des Lebens in Beziehung und Entwicklung weiß. Sie vermittelt zwischen den Alltagserfahrungen der Menschen und dem jüdisch-christlichen Deutehorizont. Dazu braucht sie die Communio-Räume der Gemeinde, die niemanden ausschließen.

Fazit

Wenn Ehen und andere Beziehungen „scheitern“, brauchen die Betroffenen eine Seelsorge, die

  • ihre Subjekt- und Personwürde achtet
  • um die Dynamik des Lebens in Beziehung und Entwicklung weiß
  • für eine Pluralität von Beziehungsmodellen offen ist
  • den Communio-Raum der Gemeinde für alle offen hält.

Da spricht mal jemand Klartext. Wolfgang Niedecken, Frontmann von BAP, erzählt im Publik- Forum-Interview von seinem Vater, der geschieden war. Er hat ihn als einen sehr religiösen Mann in Erinnerung, einen der sich an seinem Glauben festgehalten hat und dem die Kirche durchaus was bedeutete. „ … Und dann wurden sie geschieden, er und die Mutter meines Halbbruders, und er hat darunter gelitten wie ein Schwein. Er ist jeden Sonntag in die Kirche gegangen und wäre so gern kommunizieren gegangen – aber er durfte nicht. Das war furchtbar unbarmherzig. Mittlerweile wird das ja Gott sei Dank mal diskutiert; für meinen Vater wäre das ein großer Segen gewesen.“

Scheidung – eine doppelte Ex-Kommunikation

„ … Und dann wurden sie geschieden“. Niedecken beschreibt mit wenigen Worten die ganze Tragik dieses Einschnittes in die Lebens-, Beziehungs-, Glaubensund Kirchengeschichte seines Vaters. Und er hat Recht. Es war schon lange überfällig, dass in der Kirche endlich auf allen Ebenen darüber diskutiert wird. So richten sich derzeit große Hoffnungen auf die Bischofssynode in Rom, die dieses Thema ja aufgreift. Aber dort allein wird das Problem nicht gelöst werden können, denn – dies zeigt das Beispiel von Niedeckens Vater – die Probleme bestehen in der Regel ganz konkret vor Ort und betreffen die Menschen persönlich. In seiner Gemeinde, irgendwo mitten in Köln, hat dieser Mann sich, wie so viele andere in dieser Situation, ausgegrenzt gefühlt. Er hat nicht nur unter seiner Scheidung gelitten, sondern auch unter dem dadurch bedingten Status in seiner Kirche. Hier war er, ohne dies zu wollen, der Erfahrung einer zweifachen „Ex-Kommunikation“ ausgesetzt: Ausschluss vom Empfang der Sakramente und – hiervon ist auszugehen – auch Ausschluss von jeglicher seelsorglichen Begleitung. Nun gut – einzelne Seelsorger mögen in der Sache eigene, durchaus barmherzige Lösungswege praktizieren, dies vor allem in Hinblick auf die Zulassung zum Empfang der Sakramente. Das entbindet uns allerdings nicht von unserer eigenen Verantwortung in dieser Angelegenheit, die wir nicht an ein paar gutwillige Pastoren delegieren dürfen. Wie die Gemeinde mit Menschen in Beziehungskrisen umgeht, geht die ganze Gemeinde an.
Deshalb ist es so wichtig, dass dieses Thema nun in der Kirche, in der Seelsorge, wie auch innerhalb der Theologie, grundlegend diskutiert wird, und da ist derzeit ja einiges im Gange. So zeigen die Auswertungen der im Vorfeld der Bischofssynode durchgeführten Befragungen in den Bistümern wie auch unter den katholischen Verbänden Deutschlands an, dass angesichts des Scheiterns von Ehen und anderen Beziehungen nicht die Ausgrenzung der Betroffenen – Ex- Kommunikation –, sondern allem voran eine glaubwürdige Seelsorge erwartet wird. Auf allen Ebenen gilt es deshalb, Leitmotive und Konzepte einer Seelsorge und Pastoral für Menschen in (jeglicher Form von) Beziehung und Beziehungskrisen zu entwickeln. Das eröffnet allerdings einen nahezu unerschöpflichen Themenkomplex. Ich greife hier einmal drei Fragen auf, die ich in diesem Zusammenhang als grundlegend erachte:

  • Wovon reden wir eigentlich, wenn wir von „gescheiterten Ehen“ sprechen?
  • Warum benötigen Frauen und Männern gerade dann Seelsorge, wenn ihre Ehe „gescheitert“ ist?
  • Welche Bedeutung hat es für sie, den Rückhalt der kirchlichen Gemeinschaft gerade dann zu erfahren, wenn sie eine neue Partnerschaft eingehen möchten?

Wenn Ehen „scheitern“

Die Geschichte von Niedeckens Vater veranschaulicht wie es einem Menschen ergeht, in dessen Leben sich die Trennung langsam einschleicht und dessen Ehe, wie man so sagt, dann letztlich „gescheitert“ ist. Da haben die Betroffenen vieles zu verarbeiten: Die schrittweise Entfremdung voneinander; ihre Konflikte miteinander; die langsam wachsende Entscheidung, das ursprünglich doch ganz anders geplante Zusammenleben eventuell zu beenden und letztlich das Auseinandergehen, den Bruch der Beziehung. Jenseits aller Fragen nach Verschulden und Verantwortung sind dies immer schmerzhafte Prozesse und existentielle Krisen.
Im kirchlichen Kontext wird dies alles häufig unter dem recht fragwürdigen Begriff der „gescheiterten Ehe“ zusammengefasst. Einerseits bringt er das Geschehene treffend zum Ausdruck. Andererseits werden hierdurch die betroffenen Partner sowie deren Konflikte ganz und gar ausgeblendet. Streng genommen muss man sagen: Die handelnden Subjekte kommen in dieser verobjektivierenden Redensart gar nicht vor. Hier steht allein die Ehe im Fokus des Interesses. Sie bildet sogar das grammatische Subjekt dieses Satzes.
Das mag seinen Grund darin haben, dass das Tragisch-Krisenhafte solcher Erfahrungen dadurch abgemildert wird und vielleicht etwas erträglicher erscheint. Für eine wirklich glaubwürdige, evangeliengemäße und menschenfreundliche Seelsorge ist dies allerdings ein denkbar schlechter Ausgangspunkt. Will die Kirche Menschen in Beziehungskrisen wirklich seelsorglich begegnen, so setzt dies als Erstes voraus, im Miteinander den gerade in kirchlicher Sprache und Praxis oft verloren gehenden Subjektstatus und damit die Personwürde der Betroffenen wieder herzustellen. Für die konkrete Praxis heißt das: Nicht das „Scheitern der Ehe“ als ein objektiver Sachverhalt, sondern die Menschen in Krisen und Konflikten müssen im Fokus kirchlich- seelsorglicher Sprache stehen. Nimmt die Seelsorge nun die Betroffenen ernsthaft und ehrlich in den Blick, so wird sie die Augen nicht davor verschließen können, dass Beziehungs- und damit auch Ehekrisen genauso zum Leben der Menschen gehören, wie eine Vielfalt anderer Beziehungsmodelle.

Bindung und Trennung – Grunddynamik des Lebens

Nun steht die Frage im Raum, wie die Seelsorge anlässlich von Beziehungskrisen eigentlich mit ins Boot kommt? Wäre es nicht besser, sie hielte sich da ganz heraus, zumal Kirche und Seelsorge mit ihrer Fixiertheit auf die sakramentale Ehe ein durchaus wünschenswertes, aber sehr oft nur schwer realisierbares Beziehungsmodell favorisieren und dadurch die vielen anderen Modelle des Zusammenlebens zu wenig würdigen? Im Rückgriff auf dieses Ideal greift die Kirche ja – zumindest hinsichtlich wiederverheiratet Geschiedener – zum Regulativ eines Ausschlusses. Sie verfährt hier also selbst nach einem Trennungsmuster, dem in seiner Verabsolutierung allerdings der Charakter einer Spaltung innewohnt. Die Kirche übersieht hier nämlich, dass das Leben aller Menschen durch die Dynamik von Bindung und Trennung geprägt und strukturiert ist. Wenn nun diese regulierende Bindungs-Trennungs-Dynamik in oder durch Krisen aus dem Lot gerät, dann ist neben vielen anderen stützenden und begleitenden Maßnahmen durchaus auch kompetente und qualifizierte Seelsorge gefragt, weil die Betroffenen in ihren Grundfesten erschüttert sind.
Wem an dieser Stelle der eher anthropologisch fundierte Zugang nicht behagt, der sei darauf verwiesen, dass die Dynamik von Bindung und Trennung auch in der biblischen Ur-Kunde immer wieder zum Ausdruck kommt. So dürfen wir die Exodusüberlieferung als eine biblische Tradition verstehen, die in besonderer Weise das Lebensmodell der Trennung beschreibt, während in der Paradieseserzählung zunächst das Modell der Verbundenheit leitend ist. Auch in der neutestamentlichen Überlieferung ist die Dynamik von Bindung und Trennung ein immer wieder neu variiertes Thema. In Bezug auf das Osterereignis, den Ausgangspunkt der christlichen Glaubensüberlieferung, ist diese Dynamik und ein konstruktiver Umgang mit ihr in allen Berichten enthalten: Der Auferstandene erscheint und entzieht sich wieder – Bindung und Trennung. In Rückbindung hieran ist die Kirche geradezu herausgerufen, Menschen in ihren Beziehungs- und Entwicklungskrisen einen Raum für Seelsorge zu eröffnen, der diese Dynamik ernst nimmt und nicht vom Tisch wischt.

Das Leben des Menschen – Beziehung und Entwicklung

Wenn man sich der Dynamik von Bindung und Trennung unter Rückgriff auf die Erkenntnisse der Psychologie (Entwicklungs- und Objektpsychologie) noch etwas mehr annähert, so wird schnell offenkundig, dass jegliche Entwicklung im Leben von Menschen genau in dieser Dynamik ihren Ursprung hat. Dies kommt schon im Ereignis der Geburt zum Ausdruck. Wir nennen sie ja – sehr treffend – auch „Ent-Bindung“. Das neunmonatige Leben im intrauterinen Lebensraum der Verbundenheit mit der Mutter wird durch die „Ent-Bindung“, also durch einen Trennungsakt (!), zu einem jähen Ende gebracht. Von nun an steht das neugeborene Kind für den Rest des vor ihm liegenden Lebens vor der Aufgabe, sich bis ins hohe Alter angesichts der immer wiederkehrenden Grunderfahrungen von Bindung und Trennung weiter zu entwickeln. Menschen, die in ihren Ehen oder anderen Beziehungen „gescheitert“ sind, dürfen von der Kirche erwarten, dass eine kompetente Seelsorge sich gerade angesichts ihrer Situation an diesen relationalen und intersubjektiven Grundkonstanten und ihren Äquivalenten in der biblischen Überlieferung ausrichtet. Das Leben des Menschen in Beziehung und Entwicklung ist von der Geburt bis zum Tod ein spannender Prozess. Ausschluss und Ausgrenzungen auf Grund von Beziehungskonflikten verbieten sich hier geradezu von selbst, zumal sie schnell als „Ex-Kommunikation“ erfahren werden.

Menschen in Beziehungskrisen brauchen Seelsorge …

In Situationen des „Scheiterns“ von Beziehungen brauchen Menschen die Seelsorge. Gerade weil in solchen Krisen wesentliche Teile ihrer Lebens-, Beziehungs-, Entwicklungs-, Glaubens- und Kirchengeschichte erschüttert werden können, haben sie einen Anspruch darauf. Und natürlich dürfen sie von einer Kirche, die sich in ihrer Selbstdefinition mit den Freuden und Hoffnungen, wie auch mit der Trauer, dem Schmerz und den Ängsten der Menschen von heute – auch mit ihrem Scheitern – solidarisiert und identifiziert (GS 1), eine relationale Seelsorge erwarten. Glaubwürdig, im besten Fall auch heilsam und tröstend, wird sie, wenn hier die Tragik von Beziehungskrisen und -konflikten als Einschnitte in den eigenen Lebensplan wahr- und ernst genommen wird, ohne sie schnell vom Tisch zu wischen. Stattdessen gilt es, seelsorgliche Räume zu eröffnen, in denen die Menschen sich über die Dynamik von Bindung und Trennung sowie über den Schmerz, der damit oft verbunden ist, austauschen können. Anstatt die Menschen immer wieder auf das alleinige Modell der sakramentalen Ehe einzuschwören, braucht es Räume, in denen sie angesichts der Vielfalt von Beziehungsmodellen und der immer neuen Herausforderung zur Entwicklung experimentieren und Erfahrungen austauschen können. Seelsorge ist gerade aus dem Grunde erforderlich, um den Betroffenen hier die Möglichkeit anzubieten, sich selbst immer wieder neu als das handelnde Subjekt ihrer eigenen Geschichte zu erfahren – einer Geschichte, die sich in der Dynamik von Beziehung und Entwicklung abspielt.

… statt Ex-Kommunikation

Wo dies gelingt, wird Seelsorge zur Vermittlung. Sie vermittelt zwischen den Alltagserfahrungen der Menschen, zwischen ihren Beziehungskonflikten und Entwicklungskrisen und dem Deutehorizont der jüdisch-christlichen Glaubenstradition. Diese Vermittlung bedarf jedoch des Raumes, in dem sie sich ereignen kann. Damit kommt nun zum Schluss die Gemeinde in all ihren unterschiedlichen Varianten und Vollzügen ins Spiel. Menschen mit und in Beziehungskrisen, auch die Geschiedenen und wiederverheiratet Geschiedenen, haben Anspruch auf die Erfahrung der Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinschaft im Lebens-Raum der Communio. Sie davon auszuschließen wäre verhängnisvoll. Gerade in Lebensphasen, in denen Menschen eine Trennung verarbeiten müssen oder eine neue Partnerschaft eingehen, ist der Rückhalt der kirchlichen Gemeinschaft, der viele Betroffene durch die Taufe ja ein für alle Mal angehören, unverzichtbar. Angesichts der Vielfalt an Lebens- und Beziehungsmodellen steht die Kirche gemeinsam mit den Menschen, die ihr Leben in Beziehung und Entwicklung gestalten, in einem dauerhaften Lernprozess. Es ist der Lernprozess praktizierter Communio, der sich jeder faktischen und juridischen Ex-Kommunikation verweigert. Es wäre ein Segen, wenn hierbei alle miteinander entdeckten, dass im Communio-Raum der Kirche eine Vielfalt von Beziehungsmodellen möglich ist und – dies wäre an anderer Stelle zu vertiefen – dass hierdurch die Sakramentalität „gescheiterter Ehen“ in keiner Weise gefährdet ist. Wie sagte Wolfgang Niedecken im Interview? „… Für meinen Vater wäre das ein großer Segen gewesen“.

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