Fazit
Das Sakrament der Firmung ist barrierefrei, da die Firmung alle Menschen, die das Sakrament empfangen möchten, zum Glauben ruft und durch den gesendeten Geist selbst immer wieder neu zum Glauben beruft. Nicht nur für sich, sondern auch für andere.
Einen unmittelbaren Zugang zu diesem Thema bietet das Sakrament der Firmung. Als Abschluss der Initiation in die Gemeinschaft der Christen will sie Teilhabe schaffen am Heilswerk Gottes für die Menschen, die ihren Glauben bekennen. Bereits hier kann man erahnen, wo die Herausforderungen für die Firmung liegen. Wenn sie nämlich ein Bekenntnis verlangt, nicht weniger als ein Glaubensbekenntnis, kann sie einem Menschen E mit Behinderung gespendet werden, der vielleicht nicht einmal in der Lage ist zu sprechen? Was kann es auch für diese Menschen heißen, berufen zu sein?
Behinderung und christlicher Glaube
Um aber zu erfahren, wie das Sakrament der Firmung und Menschen mit Behinderung zusammenpassen und welche Bedeutung dies für sie haben kann, ist es gut zu sehen, welche Bedeutung Behinderung im christlichen Glauben allgemein hat. Die Firmung als Ausschnitt aus dem Gesamtglauben zu betrachten, hätte kaum Aussagekraft, wenn nicht das große Ganze damit übereinstimmen würde. Die evangelische Theologin und Pfarrerin Anita Müller-Friese stellte bei einer Lehrerfortbildung die Frage nach der „Ebenbildlichkeit Gottes: Ist Gott behindert?“ In diesem Vortrag stellt sie gegenüber, wie ein Gott, zu dem Attribute wie Allmacht, Größe, Stärke, Herrlichkeit, Vollkommenheit und dergleichen gehören, zusammenpasst mit Menschen, die eine Behinderung, eine Einschränkung oder ein Handicap haben. Zumal doch Genesis 1, 26–27 beschreibt: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild […] Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn.“ Der unvollkommene Mensch als Abbild des vollkommenen Gottes?
„Seht meine Hände und Füße an: Ich bin es selbst“
Diese gegensätzlichen Positionen spiegeln zwar die verbreitete Meinung wider, doch gibt es auch das andere Gottesbild. Die amerikanische Theologin Nancy Eiesland, die selbst mit einer Behinderung lebt, findet andere Gottesbilder, die ihr eher entsprechen und damit auch in keinem Widerspruch zu Genesis stehen. Denn nur, weil der Begriff der Vollkommenheit der vorherrschende ist, muss er weder der einzige noch einzig richtige sein. In Lk 24, 36–39 heißt es: „Während sie noch darüber redeten, trat er selbst in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken und hatten große Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen. Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen solche Zweifel aufkommen? Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst.“ Der in Jesus Christus menschgewordene Gott trägt die Zeichen von Leid, Schmerz und Tod. „Der auferstandene Christus der christlichen Überlieferung ist ein behinderter Gott.“ Christus erscheint mit den Wundmalen, die ihm Schmerz und Tod eingebracht haben. Es ist also nicht der gestorbene Jesus, sondern der auferstandene Christus, der hier unter seine Jünger tritt. Und er tut dies mit dem Makel seiner Wunden und nicht als makellose Gottgestalt. Ein meiner Meinung nach noch deutlicheres Bild wird im vierten Lied vom Gottesknecht bei Jesaja gezeichnet. Hier wird nicht vom ruhm- und glorreichen, vollkommenen Helden gesungen: „Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so dass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.“ Selbstkritisch gesehen ist dies doch oft eine Verhaltensweise von vielen Menschen gegenüber Menschen mit Behinderung.
Jesus als erster Inklusionspädagoge
Ein weiterer Zugang zu dieser Diskrepanz ist das Verständnis von Krankheit und Behinderung als Herausforderung zur Nächstenliebe. Hilfe und Barmherzigkeit sind Grundmotive christlichen Glaubens und Ausdruck caritativen Handelns. In vielen Texten des Neuen Testaments ist Jesus in Kontakt mit Menschen, die aus unserer heutigen Sicht Menschen mit Behinderung waren. Egal ob verkrümmte Frauen, Blinde oder Taube, Jesus nimmt sich dieser Menschen an. Wichtig ist aber auch, dass er sich auch den Leuten in der Umgebung dieser Menschen zuwendet und ihnen sagt, wie Umgang mit ihnen funktionieren kann. „Er ermutigt die gesunden und nichtbehinderten Menschen, sich von ihren gewohnten Denk- und Verhaltensmustern im Umgang mit den Betroffenen zu lösen und diese unbefangen in ihre Gemeinschaft neu zu integrieren.“ (Mt 8,14–15; Lk 19,1–10)
Jesus hat also bereits zu seiner Zeit vorgelebt, was heute für den Umgang mit Menschen mit Behinderung der Normalfall sein sollte. Ein Idealbild der Nächstenliebe. Gott und christlicher Glaube und Menschen mit Behinderung passen also sehr wohl zusammen. Ein Gott, der selbst mit Leid und Schmerz vertraut ist, wendet sich auch und vor allem in seiner menschgewordenen Form den Menschen mit Behinderung zu. Egal ob diese Behinderungen körperlicher oder sozialer Art sind, jeder Mensch ist von Gott gewollt und geliebt. Jesus selbst, der Menschen seiner Zeit, die aufgrund dieser verschiedenen Formen der Behinderung, gesellschaftlich ausgegrenzt sind, durch seinen Zuspruch in die Gemeinschaft zurückholt und Teilhabe schafft, ist somit der erste Inklusionspädagoge überhaupt. Aus dem eben zitierten Wort der Bischöfe zur Situation der Menschen mit Behinderung, ‚unBehindert – Leben und Glauben teilen‘, stammt der Artikel ‚Bereicherung für alle – Menschen mit Behinderung als Lebens- und Glaubenszeugen‘, der mit der Einleitung beginnt: „Menschen mit Behinderungen bereichern Kirche und Gesellschaft. Trotz aller Selbstverständlichkeit ist dieses ausdrücklich festzuhalten.“ Beide Sätze haben eine hohe Aussagekraft. Zum einen, dass Menschen mit Behinderung Gesellschaft und Kirche bereichern. Der Begriff der Bereicherung ist hier ein positiv wertender. Diese Menschen sind nicht etwa Last oder Bürde für Kirche und Gesellschaft, nein, sie sind auch nicht nur einfach Teil derer, sondern sie sind Bereicherung! Zum anderen wird dies im zweiten Satz noch verstärkt durch die Aussage, dass dies für die Kirche und die Christen selbstverständlich ist und immer schon war.
Die Firmvorbereitung als Narthex
Einen Punkt möchte ich noch erwähnen, der zwar am nächstliegenden erscheint, aber bei genauer Betrachtung gar nicht selbstverständlich ist. In der Firmvorbereitung treffen Jugendliche der ganzen Gemeinde zusammen, die sich aufgrund der verschiedenen Schulformen, die sie besuchen, sonst nicht sehen. Die meisten der Firmbewerber, so muss man aus Erfahrung eingestehen, sind der Kirche nach ihrer Erstbeichte ferngeblieben. Zwar handelt es sich um Jugendliche gleichen Alters, doch ist die Heterogenität größer, als man denkt. Jungen und Mädchen aus allen sozialen Schichten, mit großen Unterschieden hinsichtlich ihrer Bildung und auch ihrer religiösen Sozialisation, treffen hier wieder aufeinander. Vor allem Schülerinnen und Schüler von Förderschulen kommen hier zum ersten Mal wieder in Kontakt mit Kirche und Religion, da in vielen Förderschulen der Religionsunterricht einem Ethikunterricht gewichen ist, in dem, im Gespräch über Gott und die Welt, ein Gott immer seltener vorkommt. Die Firmvorbereitung, also die intensive Auseinandersetzung mit dem Glauben, kann also Raum narthikalen Neulernens und Entdeckung des Glaubens sein. Der Narthex, ein Begriff aus der Kirchenarchitektur, beschreibt hier einen Begegnungsraum, einen Übergangsbereich zwischen der Kirchen- und Glaubensinnenwelt und ihrer Außenwelt. Es ist nämlich vermessen zu denken, dass alle Teilnehmer der Firmvorbereitung klassisch katholisch-sozialisierte Jungchristen sind. In diesem Narthex kommen die Firmbewerber wieder in Berührung mit dem, beziehungsweise ihrem Glauben, durch den Austausch mit ihren Katecheten, die selbst oftmals wenig älter als die Firmbewerber sind, in Berührung mit der Gemeinde und miteinander. Dieser narthikale Raum der Firmvorbereitung kann den Firmbewerbern wieder zeigen, was ihren Glauben ausmacht. Dieser oft lebensnah gestaltete Austausch kann der wichtigste Faktor sein, sich wieder als Teil christlicher Gemeinschaft zu verstehen.
Der Berufungscharakter der Firmung
„Firmung ist Zuspruch und Zumutung zugleich. Dem Einzelnen wird die Kompetenz zugesprochen, sich entscheiden zu können und zu dürfen – für junge Menschen möglicherweise wirklich eine Kontrasterfahrung. Sich-entscheiden-Dürfen ist für viele ein Zuspruch, ein Zutrauen, aber auch eine Zumutung, die sie im Elternhaus, in der Schule oder im Ausbildungsbetrieb nicht erleben.“ Diese Aussage stellt ganz klar die Fähigkeit der eigenen Entscheidung in den Fokus. Jeder getaufte Christ darf für sich entscheiden, was er aus seinem Glaubensleben macht. Und diese Entscheidung gilt für jeden und damit implizit auch für Menschen mit Behinderung, die noch viel häufiger von den Bevormundungen Anderer betroffen sind. Es ist in der Tat für diese Menschen eine Ermutigung, diese Entscheidung unabhängig von Eltern, Erziehern oder sonstigen Menschen des Umfeldes treffen zu können. Man kann sich also vorstellen, wie ein Firmand, der eine Behinderung hat, beflügelt sein kann von der Erfahrung, dass die eigene Behinderung in der Gemeinschaft der Gläubigen und im Glauben nicht relevant ist. Die vielleicht sonst alltäglichen Einschränkungen, gerade in der Entscheidungsfreiheit, sind im Glauben und hier in der Entscheidung zu Firmung schlicht nicht existent. Und daher kann man auch von einem Sakrament der Mündigkeit sprechen, wenn man es so versteht, dass die Mündigkeit nicht die Voraussetzung, sondern die Folge ist.
In diesem Licht ist auch dann der Berufungscharakter zu verstehen. Wenn die Firmanden nicht zur Firmung gehen, weil man ihnen zuspricht, dass sie alt und vernünftig genug, also mündig sind, sondern diese Mündigkeit das Ergebnis ihrer bewussten Entscheidung ist, sind sie auch zum weiteren Glauben berufen. Das macht die Firmung dann auch zu etwas nicht ausschließlich Privatem. Karl Rahner erklärt: Der „Sakramentenempfänger nimmt im Sakramentenempfang nicht nur etwas von der Kirche entgegen, um es gewissermaßen von der Kirche weg in seine bloße private Innerlichkeit und in sein individuelles Leben hineinzutragen; in ihm und durch ihn geschieht vielmehr ein Aktuellwerden der Kirche selbst und ein konkretes Inerscheinungtreten dieser Wirklichkeit der Kirche. So erscheint sie […] in der Bereitschaft des Firmlings als bekennende und missionarische.“ Karl- Heinz Menke unterstützt Rahner, indem er sagt: „Sakramente empfängt niemand nur für sich selbst, sondern um für ‚die anderen‘ auf bestimmte Weise wirksames Zeichen (Sakrament) sein zu können.“ Er geht noch weiter, indem er sagt, „dass die Sakramente auf Seiten der Empfänger nicht nur einen tiefen Glauben an Christus, sondern auch den Willen voraussetzen, Kirche – Mittel und Werkzeug ‚für die anderen‘ sein zu wollen. […] Die Sakramente sind Vollzüge, durch die und in denen Kirche entsteht oder sich erneuert.“ Auf den Punkt gebracht heißt dies, dass das Bekenntnis zur Firmung und die Geistgabe den Gefirmten nicht für sich allein lassen, sondern selbst zum Teil der Kirche machen. Natürlich zum einen als oben beschriebenen Teil der Initiation, aber hier nun vielmehr als Werkzeug des Glaubens. Und damit ist der Gefirmte selbst das Zeichen, das Sakrament für die anderen, die darin erkennen, was der Geist wirkt. Auch diese Menschen, die Beeinträchtigungen gleich welcher Art haben und nicht immer als funktionierende Teile der Gesellschaft gesehen werden, sind ebenso zum Glauben berufene Werkzeuge, wie jeder andere auch.
Dies gilt nun auch für Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderungen. Die anfängliche Frage nämlich, ob ein Mensch, der nicht einmal sprechen kann, gefirmt werden kann, muss hier also eindeutig mit Ja beantwortet werden. In der Traditio Apostolica heißt es in Kapitel 21: „… alle, die für sich selbst sprechen können, sollen es tun. Für die jedoch, die nicht für sich sprechen können, sollen die Eltern sprechen oder ein anderes Familienmitglied.“ Diese Stelle sagt deutlich, ‚die nicht‘ und nicht, ‚die noch nicht‘ sprechen können, meint also nicht unbedingt ausschließlich Kleinkinder. Da auch weder der Codex Iuris Canonici (CIC) noch der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) etwas gegen die stellvertretende Aussprache eines Familienmitgliedes, oder in dem Fall eines Paten, sagen, kann man festhalten, dass es auch heute zulässig ist, den Glauben stellvertretend, zustimmend für einen Menschen mit Behinderung zu verbalisieren, wenn es ihm selbst nicht möglich ist. Ich habe mich hier bewusst für das Wort ‚verbalisieren‘ entschieden und nicht für ‚bekennen‘ oder Vergleichbares, da der Glaube ja in erster Linie vom Firmanden ausgeht. Der Pate spricht lediglich die Worte, die für den Ritus des Firmens nötig sind, damit der Spender weiß, bei welchem Namen er den Firmanden rufen muss.
Eine kritische Sicht auf diese Praxis ist durchaus angemessen, da ja nicht eindeutig erkennbar sein muss, ob ein jugendlicher Firmbewerber überhaupt gefirmt werden möchte, wenn er es selbst nicht ausdrücken kann. Diese Frage kann nicht abschließend beantwortet werden, da Glauben in jedem Fall etwas sehr Individuelles und Persönliches ist und nicht jeder, der letztlich gefirmt wird, hat dies vollends aus Glaubensüberzeugung getan. Wenn diese Motive, warum sich Jugendliche ohne Behinderung firmen lassen, schon schwer von außen erkennbar sind, warum muss es dann notwendig sein, die Gründe zu hinterfragen, warum ein Mensch mit vielleicht sogar schwerster Behinderung gefirmt wird? Jugendliche, die sich vor oder während der Firmvorbereitung dazu entschließen, nicht gefirmt werden zu wollen, können dies verschiedentlich äußern, etwa, indem sie die Einladung zur Vorbereitung ignorieren, die Vorbereitung nach den gesammelten Eindrücken abbrechen, oder dergleichen. Diese Möglichkeit besteht freilich auch für Jugendliche, die eine Behinderung haben. Jeder, der Erfahrung mit Menschen mit Behinderung hat, kann bestätigen, dass sie die Möglichkeiten haben, ihr Nichtgefallen über eine Sache oder eine Situation deutlich zu äußern. Davon ausgehend, ist es also richtig, Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen im narthikalen Raum der Firmvorbereitung zu machen und ihnen somit auch zu ermöglichen, das Sakrament der Firmung zu empfangen.