Fazit
Konflikte sind befruchtend in der gemeinsamen Arbeit. Erst durch sie können sich Fortschritte in allen Lebensbereichen entwickeln. Wichtig ist jedoch die Bereitschaft, sich auf solche Konflikte einzulassen und sie in fairer Weise auszuagieren.
Konflikte waren schon immer eine ganz normale und alltägliche Begleiterscheinung menschlichen Zusammenlebens. „Es gibt keine dauerhaft konfliktfreien Beziehungen.“ (Klaus Doppler) Diese Einsicht des Organisationsberaters und Theologen Klaus Doppler scheint längst nicht in allen kirchlichen Kreisen geteilt zu werden.Beides gibt es:
- Da schwelen Konflikte auf lange Zeit, weil etliches „um des lieben Friedens willen unter den Tisch gekehrt“ wird. Es geht in wichtigen und existentiellen Fragen deshalb nichts voran und es bahnt sich ein Schrecken ohne Ende an.
- Oder es wird mit einem Machtwort „ohne Diskussion“ und „letztverbindlich“ entschieden und nichts anderes bleibt, als diese Entscheidung zu akzeptieren: „Vogel, friss oder stirb!“
Beide Formen, für die sicher jede und jeder seine Fälle nennen könnte, tragen jedoch nicht zu einem guten Miteinander, zur gelingenden „Communio“ der Kirche bei.
So gibt es Klagen über die Gesprächskultur zwischen Laien und Klerikern in den Pfarreien: Die einen setzen sich durch, die anderen leiden oder wandern aus. Es gibt Konkurrenzsituationen zwischen den kirchlichen Berufen und den freiwillig Engagierten. Der klerikale Neid macht manche Konferenzen und Sitzungen unfruchtbar – bis in die Bischofskonferenz. Klare Abgrenzungen unter dem Motto „Du hast mir nichts zu sagen!“ ziehen Konsequenzen nach sich, wie die nicht selten kritisierte Gesprächskultur zwischen Bischöfen und kurialen Behörden.
Es kommt darauf an, dass mehr und mehr gelernt wird, die positive Kraft der Konflikte zu nutzen.
Warum haben Sie unterschrieben? – Rolle öffentlicher Kritik
Schon fast wieder vergessen ist das Memorandum der mehr als 200 Theologinnen und Theologen (www.memorandum-freiheit.de). Am Tag der Veröffentlichung bekam ich einen Anruf einer überregionalen Tageszeitung, ob ich denn wegen meiner Unterschrift nichts zu befürchten habe. Ich gebe zu, dass die Frage gar nicht in meinem Horizont war, wenngleich mir klar war, dass ich – auch kritisch – darauf angesprochen werden würde. Und innerlich war ich mir sicher, mit Argumenten und aufgrund der Art, wie ich darauf eingehe, differenziert und klar, meine eigene Position vertreten zu können. So war es auch. Natürlich waren einige irritiert – das war ja auch Ziel der Aktion – fragten nach und die Differenzen der Bewertung konnten klargelegt werden. Doch gab es keinen Bruch. Vielmehr wurde die jeweilige Zuarbeit transparenter und klarer. Eine kritische Nachfrage war gleich verbunden mit der Zusage: „Ich will aber, dass sie weiter als Berater dabeibleiben …“
Andere gab es auch, für die die Unterschrift nur ein Beweis war für die Richtigkeit ihrer bereits getroffenen Vorverurteilung. Sie wollten jedoch gar keinen Konflikt, sie markierten nur die längst bestehende Verhärtung.
Öffentlich geäußerte Kritik ist vor allem dann wichtig, wenn der Eindruck vorherrscht, dass die im Einzel- und Gruppengespräch geäußerte Position nicht richtig gewichtet und angenommen wird. Man kann den Eindruck haben, dass alles einfach „ausgesessen“ wird, keine Konsequenzen zeitigt. Dann nötigt die öffentlich vorgetragene Position zumindest eine Reaktion der Kritisierten und dies kann einen nächsten Schritt einleiten. Das Memorandum kann hier schon eine Wirkungsgeschichte aufzeigen.
Bewertung und Macht
Auch im wissenschaftlichen Bereich gibt es vielfältige Differenzen und Konflikte. Diese Differenzen können fachlich begründet sein, auch geprägt von Schulbildungen und differierenden Grundentscheidungen. Dann kann es gelingen, sie transparent zu machen. Es kommt geradezu darauf an, Differenzen und deren Hintergründe sichtbar zu machen. So können sie für die weitere Arbeit fruchtbar werden.
Oft spielen aber auch persönliche Kränkungen eine Rolle, die selten untereinander ausgesprochen und geklärt werden. Die Fairness der Kontrahenten wird sich dann vor allem zeigen müssen, wenn mit bestimmten Beratungsaufgaben auch Macht ausgeübt werden kann. Vor allem in Fragen der Besetzung von Lehrstühlen wird das relevant. Viele – nicht öffentliche – Gutachten werden eingeholt. Fair ist, wenn Differenzen darin deutlich werden, aber eben auf die Grundfragen zurückgeführt und nicht in platten Abwertungen der anderen Position. Gutachtertätigkeit dürfte nicht dazu dienen, nur die eigene Position machtvoll durchzusetzen.
Wer hat die Macht?
In den Kirchengemeinden ist es immer noch so, dass wenige, vor allem die Pfarrer die Macht innehaben, eine Macht, die gut genutzt vieles ermöglicht oder umgekehrt auch etliches und etliche blockiert. Pastorale Richtlinien der Diözesen haben für die Kirche vor Ort nur recht untergeordnete Bedeutung. Vielleicht werden sie in Konflikten als Referenztexte herangezogen. Aber was gemacht, entschieden, durchgesetzt wird, folgt anderen Regeln. Vor Ort entstehen Konflikte und werden durch konkrete Personen mit bestimmten Rollen, Positionen und Persönlichkeiten ausagiert. Oft sind es noch die Pfarrer, die hier einen Rollenund Machtvorteil einspielen und in der ein oder anderen Weise nutzen. Erst wenn ein Konflikt in einer Pfarrei oder Seelsorgeeinheit zu sehr hochkocht, wenn er öffentlich wird, werden der Bischof oder seine Behörde vor Ort intervenieren. Wie Konflikte wirken, hängt meistens an den Personen, die einander gegenüberstehen.
Stufen der Konflikte
Konflikt ist nicht gleich Konflikt. Vor allem gibt es unterschiedliche Stufen in der Entwicklung und Eskalation von Konflikten. Der 1989 veröffentlichte US-amerikanische Film „Der Rosenkrieg“ von Danny DeVito nach dem gleichnamigen Roman von Warren Adler ist ein gutes Lehrstück für eine tödliche Konfliktdynamik. Ein Scheidungskrieg sorgt für die stetige Verschärfung der Mittel, die gegeneinander angewandt werden. Schließlich bleibt nur noch ein tödliches Ende, das zugleich in einem Tod der Beziehungen dokumentiert wird. ,Gemeinsam in den Abgrund‘ scheint die einzige „Lösung“ zu sein.
Friedrich Glasl, der bedeutendste Konfliktforscher der Gegenwart, identifiziert dazu 9 Stufen:
Darin wird erkennbar, dass nur in der Anfangsphase der Konflikte, also in den Stufen 1-3, noch eine Situation entsteht, in der die Konfliktpartner wirklich beide gewinnen können. Je mehr sich der Konflikt verschärft, desto deutlicher wird, dass nach der Phase, in der einer gewinnt, nur noch bleibt, dass der Konflikt allen schadet.
In kirchlichen Erneuerungsprozessen wird längst in Kauf genommen, dass sich viele Menschen von der Kirche abwenden. Für die, die bleiben, ist es dann jedoch offen, ob dieser Verlust der Kirche als Ganzer schadet oder doch noch im Sinne des „Gesundschrumpfen“ nutzt. Je nach Bewertung gibt es noch Konfliktregelungen oder eben nicht. So werden Konflikte nicht geregelt, sondern verschleppt. Die Kosten solcher Verschleppung werden nur selten berechnet.
Solche Konfliktregelungen – ich selber spreche ausdrücklich von „Regelung“ nicht von „Lösung“, weil nur selten Lösungen mit gleicher Zustimmung aller Partner auf Dauer gefunden werden können – brauchen ab einer bestimmten Phase Vermittlung von außen, dann auch den Rekurs auf geltende Regeln und erst in der letzten Phase ein autoritätsvolles Machtwort. Ein solches Machtwort wird jedoch nur dann den Konflikt regeln, wenn diese Autorität noch anerkannt wird.
Kultur von Versöhnung in der Organisation
- Der Kirche stünde es gut an, wenn in ihr eine Kultur der Versöhnung bestehen würde. Die Heilige Schrift ist voller Konfliktgeschichten, die längst nicht immer gut ausgehen. Es ist offenbar Teil der Wirklichkeit unserer Glaubensgeschichte, dass es im „Heiligen Land“ kaum jemals Frieden gibt. Im Christentum ist vor allem die Geschichte der konfessionellen Spaltungen Zeugnis nicht gelingenden Umgangs mit Konflikten. So können wir aus vielfachen Erfahrungen lernen. Sie lassen sich auflisten von Kain und Abel bis zu Petrus und Paulus. Der Impuls Jesu zum Frieden in den Abschiedsreden (Joh 14,27) und die paulinische Aufforderung zur Versöhnung (2 Kor 5,20) sind wichtige Herausforderungen, die die Kirche annehmen sollte, damit Konflikte fruchtbar werden. Mehr denn je kann dabei helfen, die Erfahrungen des Konfliktmanagements zu rezipieren.
Die Firma MEDIUS GmbH Kurt Faller hat das Hexagon konstruktiver Konfliktbearbeitung in Organisationen entwickelt. Um in Organisationen eine andere Konfliktbearbeitung einzuführen braucht es für die Konzept-Phase:
1. Interventionen, die neue, ergänzende Formen der Konfliktbearbeitung erschließen,
- Präventionsarbeit zur Vermeidung und Früherkennung von Konflikten und schließlich,
- Kompetenzentwicklung für die Mitarbeterinnen und Mitarbeiter. In der Umsetzungsphase geht es darum,
- Schlüsselpersonen gut zu qualifizieren und auszuwählen,
- Unterstützungssysteme wie Supervision, Coaching und Mediation zu sichern und schließlich
- konkrete Maßnahmen zu implementieren.
Mir scheint, dass wir uns im kirchlichen Kontext hier viel zu sehr auf das Charisma und die Begabung einzelner Konfliktmanager im System verlassen, statt systematisch eine andere Kultur aufzubauen. Gerade auch das Krisenmanagement des vergangenen Jahrzehnts weist auf eine ganz eigene Art von Unbedarftheit. Etliche Krisen sind letztlich verursacht durch fehlende Prävention im Konfliktmanagement.
Annehmen von Konflikten lernen – eine Aufgabe für jeden Einzelnen
Doch neben dieser Organisationsaufgabe kann längst schon der einzelne Mensch lernen, Konflikte besser zu erkennen, anzunehmen und zu gestalten. Auch hier stütze ich mich auf Anregungen von Kurt Faller. Vier Aspekte betont er:
- Menschen: Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln!
- Interessen: Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen!
- Möglichkeiten: Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln!
- Kriterien: Das Ergebnis auf objektive Entscheidungsprinzipien aufbauen!
Es scheint uns im kirchlichen Bereich leichter, vielleicht auch durch die Amtstheologie naheliegender zu sein, diesen Aspekten keinen ausreichenden Raum zu gewähren. Immer wieder sind Konflikte personalisiert. Und wenn es dann gelungen ist, einen Bischof, einen Theologen, einen Funktionär mit einer bestimmten Richtung zu identifizieren, dann spielt es kaum mehr eine Rolle, was er sagt. Er ist als Mensch festgelegt und als solcher in der jeweiligen Form das Problem.
Nur selten gelingt es dann, über die vertretene Position hinaus die Interessen zu identifizieren, die dieser Position zugrunde liegen. Dabei kann ich nur dann zu einer „winwin“-Situation kommen, wenn ich dem nachgehe was das „eigentliche“ Interesse ist. Während Position gegen Position steht, können die Interessen vielleicht auf anderen Wegen gemeinsam erreicht werden.
Insgesamt fehlt es oft an der Kreativität zur Entwicklung von Alternativen. Schließlich können Entscheidungen nur getroffen werden, wenn die Kriterien für eine Entscheidung auf dem Tisch liegen. Als Einzelner kann ich – jenseits aller vielleicht noch zu entwickelnder Organisationskultur – diesen Aspekten Raum verschaffen. Ich kann mich selber entsprechend vorbereiten und durch die ein oder andere Intervention die anderen auffordern und befähigen, in gleicher Weise zu denken und zu handeln. Daraus wird ein Beitrag zum Lernen, wie Konflikte fruchtbar gelebt werden können. Das Memorandum hat nach meiner Bewertung so gewirkt. Konflikte sind befruchtend in der gemeinsamen Arbeit. Erst durch sie können sich Fortschritte in allen Lebensbereichen entwickeln. Wichtig ist jedoch die Bereitschaft, sich auf solche Konflikte einzulassen und sie in fairer Weise auszuagieren.