Was der Sonntag für die Woche bedeutet, ist Ostern für das ganze Jahr“ (Grundordnung des Kirchenjahres 18). Diese Aussage umreißt zutreffend die Entwicklung und den Gehalt der jährlichen Osterfeier. Denn schon früh trat neben dem sonntäglichen Gedächtnis von Tod und Auferstehung Christi eine jährliche, entfaltete Feier dieses Pascha-Mysteriums. Deshalb verständigte man sich auf dem Konzil von Nizäa (325) darauf, Ostern nicht am überlieferten Todesdatum Jesu (14. Nisan), sondern am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond zu feiern.
Die jüdischen Wurzeln prägen das christliche Ostern
Wie allerdings die frühe Christenheit das Jahresgedächtnis des Pascha des Herrn gefeiert hat, wissen wir nicht genau. Als gesichert gelten kann aber, dass von Anfang an das alttestamentlich-jüdische Pesachfest mit seinem Gedächtnis der Befreiung und dem Auszug Israels aus Ägypten, des Bundesschlusses am Sinai und der Erwartung des Messias für das christliche Ostern von zentraler Bedeutung war (vgl. Ex 12-24). Denn die frühen Christen haben als Teil des jüdischen Volkes zunächst nicht nur weiterhin Pesach (griech. Pascha) gefeiert, sie haben das Fest im Licht des Christusgeschehens auch neu gedeutet. So sahen sie im Tod Jesu am Kreuz zur Zeit der Schlachtung der Pesachlämmer (vgl. Joh 19,14) das Wirken Gottes an seinem Volk erfüllt: Jesus ist das wahre, endgültige Paschalamm, das die endzeitliche Befreiung bringt (vgl. 1 Kor 5,7).
In typologischer Sicht verband man das Pascha Israels mit dem Pascha Christi: Wie die Lämmer geschlachtet wurden, so hat Christus den Tod am Kreuz auf sich genommen; wie das Blut des Paschalammes den Todesengel abwies und zum Leben bewahrte, so hat Christi Blut den Tod besiegt und das ewige Leben erworben; wie die Israeliten durch das Rote Meer in die Freiheit zogen, so ging Christus durch den Tod ins Leben, wie auch die Christen durch das Wasser der Taufe in die Freiheit der Kinder Gottes ziehen; und wie Israel das Kommen des Messias in der Pesachnacht erwartete, so wachen und warten die Christen in der Paschanacht auf die zweite und endgültige Ankunft ihres himmlischen Bräutigams (vgl. Mt 25,1-13), des Erlösers Jesus Christus.
Von dieser christlichen Neuinterpretation bestimmt, bestand die frühchristliche Paschafeier wohl aus einem zweitägigen Trauerfasten über den Tod des Herrn (vgl. Mk 2,20) und einer Nachtwache (Vigil) mit Lesungen, Gesängen und Gebeten bis zum Morgengrauen. So erwartete man die tatsächliche Wiederkunft des Herrn. Blieb sie aus, feierte die Versammlung die rettende Ankunft Christi in der österlichen Eucharistie. Damit war die ganze Feier von der Bewegung des Übergangs geprägt: Vom Fasten zum Fest, von der Trauer zur Freude, vom Dunkel zum Licht. Wie Israel von der Gefangenschaft in das verheißene Land zog, und wie Christus durch Leiden und Sterben in das Leben Gottes hinüberging, so vollzogen die Christen selbst einen solchen Übergang. „In dieser Nacht“ wussten sie sich hineingenommen in das Pascha des Herrn. Das Wachen mit dem Leidenden ist zugleich Warten auf den Verherrlichten. Die Vigil vereinte also Passion und Parusie in einem: „mit Christus leiden, um so mit ihm verherrlicht zu werden“ (vgl. Röm 8,17). Bis heute ist unsere Feier der Osternacht von dieser inneren Bewegung bestimmt, und darin haben sich zwei zentrale Elemente der frühchristlichen Osterfeier erhalten: die alttestamentlichen Lesungen mit Antwortpsalmen und Gebeten und die eucharistische Liturgie als Höhepunkt und Abschluss der Osternacht.
Nachhaltige Eingriffe im vierten Jahrhundert
Über drei Jahrhunderte feierten die Christen das Pascha des Herrn in einer einzigen großen Nachtfeier. Aber mit dem Verblassen des Parusiegedankens und mit dem wachsenden zeitlichen Abstand zum Christusereignis veränderte sich die Osterfeier tief greifend.
Das betraf zunächst die Ostervigil selbst. Ihrem Grundbestand wachsen im 4. Jahrhundert ein die Nacht eröffnendes Luzernar mit einer Lichtdanksagung sowie die Riten der Initiation zu. Die Osternacht gilt nun als die große Taufnacht der Kirche, in der die Taufbewerber nach langjähriger Vorbereitung das Pascha Christi in Taufbad, Salbung und eucharistischem Mahl sakramental nachvollzogen (vgl. die Epistellesung Röm 6,3-11). Aus der Nachtwache mit ihrem eschatologischen Ausblick wurde nun eine Mysteriennacht, die mit ihren aneinandergereihten Feierelementen die Einheit von Kreuz und Auferstehung allerdings kaum mehr erfahrbar machte.
Als noch einschneidender erwies sich die Entwicklung in Jerusalem am Ende des 4. Jahrhunderts. Hier zeigte man den vielen Pilgern, die mit eigenen Augen die Orte sehen wollten, an denen der Sohn Gottes als Mensch gelebt hatte und gestorben und auferstanden war, nicht nur die heiligen Stätten, hier konnte man auch die einzelnen Geschehnisse um Tod und Auferstehung gemäß den biblischen Passionsberichten liturgisch nachvollziehen, immer genau passend zu den Zeiten und an den Orten, die in der Schrift bezeugt sind. So bewegt sich am Sonntag vor Ostern eine Prozession vom Ölberg zur Grabeskirche, um des Einzugs Jesu in Jerusalem zu gedenken; am folgenden Donnerstag feiert man die Eucharistie an der Stätte des Abendmahls und zieht anschließend zur Nachtwache nach Getsemani. Am Freitag verehrt man die Kreuzreliquie auf Golgotha und versammelt sich am Abend des Samstags zur Ostervigil am Heiligen Grab. Indem sich so die einst einzige Osternachtfeier in verschiedene Feiern an unterschiedlichen Tagen auffächert, entsteht die Österliche Dreitagefeier (Triduum paschale) und die Heilige Woche.
Auch wenn die einheitliche Sicht des Pascha-Mysteriums Christi zunächst erhalten bleibt, ist doch eine folgenreiche Tendenz unübersehbar. Das eine Geschehen von Tod und Auferstehung, einst gefeiert in der Paschanacht, zergliedert sich in eine über drei Tage, ja eine ganze Woche vollzogene Liturgie: Der Palmsonntag gedenkt des Einzugs Jesu in Jerusalem, am Gründonnerstag geht es um das Abendmahlsgedächtnis, am Karfreitag erinnert man sich des Todes Jesu und in der Osternacht feiert man seine Auferstehung. Damit aber zerfällt die Einheit des Erlösungsgeschehens in verschiedene Gedenkanlässe, auf die sich die gottesdienstliche Feier jeweils konzentriert.
Einseitige Konsequenzen in der mittelalterlichen Liturgie
Diese spätantiken Entwicklungen verstärkten sich im Mittelalter. Weil die Ostervigil nun Teil eines umfangreichen gottesdienstlichen Programms war, kürzte man sie zu einer Abendliturgie. Im Mittelalter schrumpfte die Vigil noch mehr zusammen, und man verlegte sie immer weiter nach vorn. Schließlich musste sie sogar bereits am Morgen des Karsamstags vollzogen werden. Daran nahmen außer dem Klerus kaum noch Gläubige teil, so dass die einst zentrale Osterfeier letztlich ein trostloses Schattendasein führte.
Entsprechend gehörte die Vigil zum Karsamstag, während der Ostersonntag, längst als der eigentliche Tag des Osterfestes aufgefasst, mit einer eigenen Festmesse ausgezeichnet wurde. Diese völlig sinnwidrige Entwicklung förderte bedauerlicherweise die Sicht, Passion und Auferstehung als voneinander unabhängige Einzelereignisse zu verstehen und nebeneinander zu betrachten. Bis heute gilt die Karwoche (ahdt. kara = Trauer, Klage) mit Karfreitag und Karsamstag als eine von Trauer geprägte Leidenswoche, wogegen der Ostersonntag (und die Osterwoche) schon sprachlich eine Zäsur darstellt und suggeriert, nun beginne etwas völlig Neues. Das Auseinanderfallen von Kreuzestod und Auferstehung spiegelte sich schließlich wider in der einseitigen Spiritualität des Hochmittelalters, die zwar eine reiche Passionsfrömmigkeit entwickelte, aber kaum zu einer Osterfrömmigkeit beitrug.
Diese Aufspaltung des einen Pascha-Mysteriums Christi hat die Osterfeier nachhaltig beeinflusst. Denn nun traten die historischen Einzelereignisse in den Vordergrund, die möglichst realistisch nachgeahmt wurden. Jetzt begleitet ein Palmeselchristus die Prozession am Palmsonntag, am Karfreitag wird ein Kruzifix mit beweglichen Armen vom Kreuz genommen und im Heiligen Grab bestattet, am Ostermorgen erhebt man die Eucharistie aus dem Grab und zieht um die Kirche, um so die Auferstehung darzustellen. An Christi Himmelfahrt wird eine Christusfigur in das Kirchengewölbe hochgezogen, und an Pfingsten lässt man aus der Gewölbeöffnung eine hölzerne Taube in den Kirchenraum herab. An diesen bildhaften Darstellungen und spielfreudigen Nachahmungen wird sichtbar: Das symbolische Handeln der Liturgie selbst war längst in den Hintergrund getreten, nun ging es darum, sich affektiv in die Ereignisse von damals hineinzuversetzen und so Leiden, Kreuz und Auferstehung als Gegenstände des Glaubens fromm zu betrachten.
So war es nur folgerichtig, als 1951/55 unter Papst Pius XII. die Osterfeier einer ersten liturgietheologischen und -praktischen Neuordnung unterzogen wurde, die die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils nochmals vertiefte.
Die Einheit des Pascha- Mysteriums Christi wiedergewinnen
Wie die Liturgiegeschichte zeigt, hat sich die Osterfeier im Laufe der Jahrhunderte massiv verändert. Zudem entwickelten sich im Zuge des Mittelalters höchst problematische Vorstellungen und Formen, die auf Theologie und Liturgie von Ostern zum Teil bis heute einwirkten. Entsprechende theologische Desiderate und pastoralliturgische Herausforderungen bestehen darum weiterhin.
So ist vor allem die Einheit des Pascha-Mysteriums in Theologie und Praxis des Triduums (wieder) zu gewinnen. Wenn wir von Ostern und Osterfeier sprechen, darf dabei nicht allein die Auferstehung gemeint sein. Vielmehr muss der unauflösliche Zusammenhang des einen Paschageschehens sichtbar werden, das Leiden und Sterben, Auferstehung und Erhöhung umfasst. Dies zeigen schon die liturgischen Texte der einzelnen Stationen der Österlichen Dreitagefeier an. Nicht ohne Grund wird sie bei der Abendmahlsmesse des Gründonnerstags mit einem Introitusvers eröffnet, der das Ganze der beginnenden Osterfeier zur Sprache bringt: „Wir rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. In ihm ist uns Heil geworden und Auferstehung und Leben. Durch ihn sind wir erlöst und befreit.“ Auch die Karfreitagsliturgie stellt das Kreuz nicht als Zeichen des Todes in den Mittelpunkt, sondern als Zeichen des Heils: „Dein Kreuz, o Herr, verehren wir, und deine heilige Auferstehung preisen und rühmen wir: Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt.“ Und schließlich geht es bei der den Höhepunkt der Osterfeier bildenden Osternacht keineswegs nur um die Auferstehung. Auch sie feiert das ganze Pascha-Mysterium, wenn etwa schon gleich das Exsultet die Befreiungstat Gottes an Israel preist und mit dem Christusereignis von Tod und Auferstehung verknüpft, an dem die Gläubigen durch ihre Taufe und Eucharistie Anteil erlangen, die ja ebenfalls zu dieser Nachtliturgie gehören.
Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, man kann aus ihr lernen. Eine Rückbesinnung auf die Liturgiegeschichte mag helfen, die heutige gemeindliche Praxis zu reflektieren und neue Perspektiven zu gewinnen.