Zahlreiche Ehrenamtliche bringen in der Kirche ihre Charismen in unterschiedliche Ehrenämter ein. Ohne diese Menschen wäre die pastorale Arbeit in weiten Teilen der Kirche gar nicht möglich. Das ist gut so und entspricht dem Selbstverständnis der Kirche. Einer dieser ehrenamtlichen Dienste ist die seelsorgerliche Begleitung kranker, alter und behinderter Menschen. In den Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen und Seniorenheimen ist der Bedarf an Seelsorge groß. Dort gibt es viele Menschen, die darauf warten, dass Augen sie ansehen und jemand bereit ist, ihre Not zu hören.
„Dein Ort ist …“
Allerdings existiert in diesen Einrichtungen mehr Bedarf an seelsorgerlicher Betreuung, als in den meisten Fällen gewährleistet werden kann. In den Krankenhäusern sieht die Situation zumeist besser aus als in den Einrichtungen der Behinderten- und der Altenhilfe. Denn während in den Krankenhäusern eine kategoriale und professionalisierte Seelsorge zuständig ist, verfügen Seniorenheime und Behinderteneinrichtungen mittlerweile nur noch selten über eigene hauptamtliche Seelsorger, sondern die Bewohner, alte und behinderte Menschen, werden in der Regel von den hauptberuflichen Pastoralteams der Pfarreien beziehungsweise der Pastoralverbünde aufgrund deren territorialer Zuständigkeit mitversorgt.
Dabei sind gerade in diesen Einrichtungen die Übergänge zwischen einer Mitversorgung und einem aus dem Blick Verlieren fließend. Nicht selten herrscht hier eine seelsorgliche Unterversorgung. Das ist keine Nachlässigkeit oder gar böse Absicht, sondern zumeist die Folge einer Überlastung aufgrund anderer Verpflichtungen. Aus einer internen Perspektive mag dies verständlich, aber den kranken, behinderten und alten Menschen kann dies kein Trost sein. Und im Blick auf die zunehmend begrenzten personellen Ressourcen der Bistümer und Landeskirchen wird die bereits bestehende Situation sich nicht abmildern, sondern verschärfen.
„Es gibt dich …“
Es gibt viele Menschen, die bereit sind, ihre Zeit, ihre Talente sowie ihre Berufs- und Lebenserfahrung in die ehrenamtliche Seelsorge einzubringen. Das ist jedenfalls unsere Erfahrung, die wir in den letzten Jahren in der Ausbildung und im Einsatz Ehrenamtlicher in der Seelsorge gesammelt haben. Ausgehend vom hohen Bedarf an Seelsorge und der Bereitschaft vieler Menschen, sich hier zu engagieren, haben das Bistum Münster in Kooperation mit der St. Franziskus- Stiftung Münster Ausbildungsgänge für ehrenamtliche Seelsorger in Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen und Seniorenheimen entwickelt und den seelsorgerlichen Einsatz der ausgebildeten Ehrenamtlichen intensiv begleitet. Für diese Aufgabe haben wir die Ehrenamtlichen natürlich entsprechend zugerüstet. Die Ausbildungsgänge erstrecken sich jeweils über ein Jahr mit insgesamt sechs Modulen, nach einem halben Jahr beginnen die Dienste im Krankenhaus. Die Ausbildung besteht aus Teilen zur Wissensvermittlung (Theoriekompetenz), aus Anteilen zu Persönlichkeitsbildung (Personenkompetenz) und anwendungsbezogenen Ausbildungselementen (Handlungskompetenz). Vermittelt und gemeinsam erarbeitet werden theologische, seelsorgliche und fachspezifische (Krankheit, Alter, Behinderung) Themenfelder. Begleitet und gestützt werden die Ehrenamtlichen durch hauptamtliche Mentoren und Supervisoren. Im Rückblick auf unsere Erfahrungen können wir nur sagen: Gut, dass es die Ehrenamtlichen gibt!
„Weil Augen dich wollen …“
Ehrenamtliche, die sich für eine Sache engagieren, haben dafür Gründe. Uns hat in besonderer Weise interessiert, warum die Ehrenamtlichen diesen Dienst tun. Es ist die Fragen nach den Motiven. Ebenso hat uns interessiert, ob nach Abschluss der Ausbildung und den ersten Praxiseinsätzen diese Motive auch erfüllt wurden. Sollte dies der Fall sein, ist die Annahme berechtigt, dass die Ehrenamtlichen ihren Dienst nicht nur gerne tun, sondern auch weiterhin dabeibleiben werden.
Im folgenden Schaubild sind Motive jener Ehrenamtlichen aufgelistet, die in Einrichtungen der Altenhilfe ihren Dienst tun. Gefragt wurde nach Abschluss der Ausbildung und nach den deren ersten Erfahrungen in der Praxis.
Von den aufgelisteten Motiven wurden vier voll erfüllt: ‚Mehr christliches Engagement zeigen‘, ‚Nächstenliebe in diesem Feld konkret praktizieren‘, ‚Meine Zeitressourcen sinnvoll bzw. sinnstiftend ausfüllen‘ und ‚ Neue Erfahrungen machen und etwas lernen‘. Offensichtlich sind die Ehrenamtlichen am richtigen Einsatzort. Diese vier Motive sind eine Mischung aus altruistischen und egoistischen Motiven, die kennzeichnend für heutiges Ehrenamt ist. Nicht verwunderlich ist auch die starke religiöse Grundierung der ersten beiden Motive. Auch die Erfüllung der weiteren Motive ist zu einem hohen Grad gegeben. Die Kirche und ihre Einrichtungen im Gesundheitswesen können sich glücklich schätzen, dass es Menschen gibt, die hoch motiviert sich in die Seelsorge einbringen möchten. Der hohe Grad der Erfüllung der Motive lässt vermuten, dass die Ehrenamtlichen weiterhin engagiert ihren Dienst tun werden.
„Es scheint nur eine zu geben …“
Menschen in schwierigen Lebenssituationen brauchen Menschen, die ihnen zur Seite stehen. Zweitrangig dabei ist, ob diese Hauptberufliche oder Ehrenamtliche sind. Es zählt der Dienst am Menschen. Daher sind die Ehrenamtlichkeit und das Hauptamt aufeinander verwiesen. Freilich wird oft die Sorge geäußert, dass der Einsatz von Ehrenamtlichen im Seelsorgebereich für die Kürzung hauptamtlicher Stellen instrumentalisiert würde. Die Ehrenamtlichen würden dann nach und nach die Hauptamtlichen ersetzen. Wer diese Perspektive mit der Ausbildung Ehrenamtlicher verfolgt, sollte noch einmal die gegenseitige Verwiesenheit beider Dienste in den Blick nehmen.
Unseren Erfahrungen nach ist die Zusammenarbeit ein gemeinsamer Lernprozess. Werden neue Rollen in angestammten Berufsfeldern geschaffen, besteht Klärungsbedarf, denn nicht alle können in gleicher Weise das Gleiche tun. Obgleich alle an einem gemeinsamen Ziel, nämlich der bestmöglichen seelsorglichen Betreuung der bedürftigen Menschen arbeiten, haben Hauptamtliche und Ehrenamtliche eine unterschiedliche Verantwortungstiefe und verschiedene Rollen. Aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung und Bezahlung tragen die hauptamtlichen Seelsorger die organisationsbezogene Gesamtverantwortung für die Seelsorge. Sie tun das in Regel entsprechend ihren Neigungen und Fähigkeiten, aber sie können nicht wie die Ehrenamtlichen sowohl Einsatzzeiten als auch Aufgabenschwerpunkte unabhängig von ihrer Gesamtverantwortung festlegen.
Zur professionellen Rolle der Hauptamtlichen gehört konstitutiv die Begleitung Ehrenamtlicher. Aufgrund des Studiums der Hauptamtlichen, ihrer möglicherweise absolvierten Zusatzqualifikationen und aufgrund ihres breiteren und tieferen Erfahrungsschatzes durch ihre hauptberufliche Rolle besteht eine Erfahrungs- und Wissensasymmetrie zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. In der Rolle als Mentoren der Ehrenamtlichen sind diese Asymmetrien notwendig, weil die Ehrenamtlichen in der Regel eine kompetente Begleitung nicht nur gerne in Anspruch nehmen, sondern diese auch einfordern und diese für die weitere Entwicklung der Ehrenamtlichen unentbehrlich ist.
„Entstehst du …“
Abschließend kann es hilfreich sein, noch einmal eine grundlegende Zielperspektive in Erinnerung zu rufen: „Es geht in der Kirche nicht darum, dass einer Jesus nachmacht. Die Kirche lebt vielmehr daraus, dass alle aneinander handeln, wie er es getan hat.“ (Bernhard Spielberg) Wendet man diese Erkenntnisse auf die vielfältigen Bereiche seelsorglicher Praxis sowohl in der territorialen als auch in der kategorialen Seelsorge an, dann stellen sich in der Tat grundlegende Fragen: Hat sich das Selbstverständliche zum Außergewöhnlichen entwickelt und stattdessen das Außergewöhnliche als gewohnheitsmäßiger Standard etabliert? Haben wir uns nicht schon lange zu sehr daran gewöhnt, dass professionelle Seelsorger für die Seelsorge zuständig sind, obgleich doch das gesamte Volk Gottes den Auftrag hat, füreinander in Sorge da zu sein?