Untertitel dieses Aufsatzes macht bereits deutlich, dass es hier – genauso wie bei der Bischofssynode in Rom – in erster Linie um pastorale Antworten und weniger um moraltheologische Wertungen geht. Dass homosexuelle Handlungen nach kirchlicher Lehre „in sich nicht in Ordnung“ sind und moralische Fragen aufwerfen, ist die eine Seite der Medaille. Vielfach vergessen wird allerdings die andere, viel wichtigere Seite der Medaille: Wie gehen wir als Kirche auf homosexuell veranlagte Menschen zu und begleiten sie pastoral? Wie können wir gleichsam die Pastoral Jesu adaptieren, der uns zuruft: „Auch ich verurteile Dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8, 11)
Es ist atemberaubend, wie manche kirchliche Milieus Homosexualität immer noch „heilen“ mochten. Die Forschung ist sich mit Blick auf die genaue Entstehung von Homosexualität zwar noch immer nicht ganz einig. Konsensfähig ist aber zumindest folgende Feststellung: Eine homosexuelle Neigung ist eine sich früh im Verlauf des Lebens ausbildende Struktur, die eine relative Stabilität besitzt und nicht wesentlich veränderbar ist.
Sich selbst annehmen
Dass eine Haltung der Achtung, des Respekts und der Toleranz im Umgang mit homosexuell empfindenden Personen in einigen Teilen unserer Gesellschaft noch immer nicht angekommen ist, zeigt sich etwa darin, dass das Schimpfwort „Du Schwuchtel“ zu den beliebtesten Beleidigungen auf deutschen Schulhöfen gehört. Nicht jeder vermag Homosexualität richtig einzuordnen, so dass noch immer so mancher seine Probleme damit hat, wenn sich Schwule oder Lesben in der Öffentlichkeit küssen oder Händchen haltend über die Straße laufen. Aber auch eine nicht ausgelebte homosexuelle Orientierung kann unser gesamtes Bild von einer Person verändern. Zwischen homosexueller Veranlagung und homosexuellen Praktiken zu differenzieren fiel auch so manchem Kirchenvertreter nicht immer einfach.
Das kirchliche Lehramt ist bislang nicht ausdrücklich davon abgewichen, eine homosexuelle Veranlagung als „ungeordnet“ zu bezeichnen. An dieser Wertung kann man durchaus Kritik und Zweifel anmelden – zum einen, weil sie nicht gerade dazu beitragt, dass homosexuell empfindende Personen die ihnen geschenkte Veranlagung annehmen und in ihre Personalität integrieren können, zum anderen, weil ihre sexuelle Neigung als solche nicht verwerflich, veränderbar oder schuldhaft ist. Ob man eine homosexuelle Neigung als natürlich oder unnatürlich bezeichnen mochte, ist letztlich eine Frage des Naturbegriffs. Verwendet man das Prädikat „natürlich“ in einem schöpfungstheologisch- teleologischen Sinne, so musste man konsequenterweise auch den Zölibat als un- oder sogar widernatürlich bezeichnen. Verwendet man diese Bezeichnung allerdings in einem moralisch-wertenden Sinne, so ist sie fehl am Platz.
Auf dem Weg zu einer Pastoral für Homosexuelle
In einem Interview mit Antonio Spadaro SJ hat Papst Franziskus einen Satz geprägt, der den oft moraltheologisch verengten Blickwinkel der Kirche auf Homosexualität pastoral zu weiten vermag: „Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er diese Existenz mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?“ In diesen Kontext passt auch ein Satz, den Papst Franziskus im Flugzeug von Brasilien nach Rom äußerte: „Wenn eine Person homosexuell ist und Gott sucht – wer bin ich, um über sie zu richten?“ Diese rhetorischen Fragen mögen ein wenig dafür sensibilisieren, dass die Annahme homosexuell empfindender Personen schwerer wiegt als der vorschnelle Hinweis auf den möglicherweise, aber ja nicht zwingend problematischen Lebenswandel der betreffenden Person.
Eine Pastoral für Homosexuelle war für viele Diözesen lange ein rotes Tuch. Mittlerweile zeichnet sich hier eine Aufbruchsstimmung ab. So halten etwa das Erzbistum Köln und das Erzbistum Freiburg zwei Ansprechpartner auf diesem Gebiet bereit. An dieser Stelle sei freilich betont, dass eine Pastoral für homosexuelle Menschen niemals in der Errichtung einer innerkirchlichen Parallelkultur bestehen darf. Eine entsprechende Begleitung sollte auch nicht von der allgemeinen Seelsorge isoliert werden. Es geht darum, homosexuelle Menschen vollständig in den kirchlichen Alltag zu integrieren, aber auf ihren besonderen Lebenswandel und ihre besonderen Fragen, Sorgen, Probleme und Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. LGBT-Messen oder „Queergottesdienste“ mit Regenbogen- Messgewändern waren genauso kontraproduktiv wie schwul-lesbische Weihnachtsmärkte, die eine Parallel-, Gegen- oder sogar Protestkultur erwachsen lassen. Homosexuell empfindende Menschen bestehen ja nicht allein aus ihrer sexuellen Neigung und dürfen auch nicht auf diese reduziert werden. So mahnte Joseph Kardinal Ratzinger 1981 in einem Brief an die Münchener Gruppe von „Homosexuelle und Kirche“ völlig zurecht, man dürfe den homosexuellen Menschen nicht nur noch als homosexuell sehen, „als ob sein Sein in seiner Geschlechtlichkeit aufgehe und ihn total bestimmt“.
Moraltheologische Anmerkungen
Die Leiblichkeit des Menschen ist ein großes Geschenk. Sie orientiert den Menschen auf den anderen hin und macht ihn liebes- und beziehungsfähig sowie -bedürftig. Dabei ist unsere Sexualität, die übrigens mehr Facetten kennt als genitale Sexualität, ein Mittel der Kommunikation, in der sich Liebe, Treue und Hingabe ausdrucken. Wir Menschen müssen unsere Sexualität aber auch immer wieder kultivieren und ordnen. Der Mensch kann sowohl eine hetero- als auch eine homosexuelle Orientierung negativ und destruktiv ausleben. Das Lehramt will uns hier einige Hinweise und Tipps geben, um in unserer Geschlechtlichkeit nicht nur auf uns selbst bezogen zu bleiben, sondern dieses kostbare Geschenk in einer treuen und verlässlichen Beziehung – der Ehe – zu verschenken und dabei zugleich offen zu sein für das Leben. Wie wichtig und wegweisend diese „Theologie des Leibes“ sein kann, davon können gerade junge Menschen ein Lied singen, die entsprechend negative Erfahrungen machen mussten. Zugleich sollten wir als Kirche unseren Blick nicht auf eine „Moraltheologie des Schlafzimmers“ oder auf ein detailliertes Sündenregister verengen, das Auskunft darüber gibt, was „im Bett“ nun alles erlaubt ist und was nicht. Das wurde vor allem den Blick davor verstellen, worum es der Kirche eigentlich geht: dass Sexualität ein kostbares Geschenk ist, das wesentlich etwas mit Liebe, Treue, Hingabe und der Weitergabe des Lebens zu tun hat.
Ein ganzheitlicher Blick auf Homosexualität
Oft vergessen wir, dass zwischen homosexueller Neigung, einer homosexuellen Partnerschaft und zwischen genital ausgelebter Homosexualität ein großer Unterschied besteht. Ebenso wie ich nicht jedem heterosexuellen Paar automatisch außerehelichen Geschlechtsverkehr unterstellen muss, muss ich auch bei einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, bei der zwei Partner treu füreinander Verantwortung übernehmen, nicht gleich von schwerer Sunde ausgehen. So gibt es homosexuell empfindende Singles und auch gleichgeschlechtliche Paare, die sich ganz bewusst dafür entschieden haben, ihr Leben aus dem Evangelium zu gestalten und (zumindest) auf genitale Sexualität zu verzichten. Es wäre daher falsch, homosexuelle Paare, die sich lieben, einander die Treue versprechen und füreinander Verantwortung übernehmen, von vorneherein zu verurteilen. Zwar führt eine solche Beziehung niemals dahin, wohin eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau letztlich führen kann und soll. Im Einzelfall kann für einen homosexuell empfindenden Menschen eine gleichgeschlechtliche, wenn auch enthaltsame Partnerschaft jedoch der realistischere und erfüllender Weg sein als ein Leben als Single, das auch seine Gefahren und Anfechtungen mit sich bringt.
Sicherlich wird der Weg einer enthaltsamen Partnerschaft nur eine Option für sehr wenige Menschen sein. Er ist steinig, geht mit Reinigungen, Reifungen und Prüfungen des Eros einher, ist aber letztlich nicht utopisch – zumal dann, wenn wir auf die Gnade Gottes vertrauen, die in der Kirche und ihren Amtsträgern wirkt (Sakrament der Versöhnung, geistliche Leitung, Einzel- und Paargespräche). In ähnlicher Weise geht die Kirche davon aus, dass der Weg der Enthaltsamkeit eine Option für wiederverheiratete Geschiedene sein kann (Johannes Paul II., Familiaris consortio 84). Die Kirche sollte auch gleichgeschlechtliche Paare zu einem solchen Weg der Enthaltsamkeit ermutigen und sie durch die Hohen und Tiefen einer solchen Partnerschaft begleiten. Damit zeigt sie homosexuell veranlagten Personen zumindest einen Weg auf, wie sie ihre sexuelle Neigung in positiver Weise für sich annehmen und in ihre Personalität integrieren können. Wie die Partner mit Sexualität in weiterem Sinne (Zärtlichkeit, körperliche Nähe, Küsse) umgehen, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Objektiv betrachtet handelt es sich hierbei nicht um sündhaftes Verhalten. Freilich lehrt uns die Erfahrung, dass – wie bei heterosexuellen Paaren – der Austausch von Zärtlichkeiten schnell auch in genitale Sexualität übergehen und die körperlich-seelische Nahe sexuelle Aktivitäten fordern kann.
Die Person mit Liebe anschauen
Solange der Aspekt genitaler Sexualität einmal ausgeklammert wird, kann in der Gemeinschaft von zwei Männern oder Frauen, die homosexuell veranlagt sind, also auch ein positiver Aspekt aufleuchten, so sehr die Kirche jede homosexuell empfindende Person zu einem zölibatären Leben ermutigen mochte. Wenn gleichgeschlechtliche Partner täglich ihr gemeinsames Kreuz tragen, füreinander einstehen und etwa auch rechtlich füreinander Verantwortung übernehmen, weist eine solche Beziehung wesentliche Ähnlichkeiten mit einer nicht- bzw. vorehelichen heterosexuellen Partnerschaft auf.
Wer das Leben mit einem gleichgeschlechtlichen Partner enthaltsam teilen mochte, geht einen Weg, auf dem er seine sexuelle Orientierung in geordneter Weise in lebenslanger Treue und Hingabe verwirklichen kann. Ob die Alternative des Single-Daseins in jedem Fälle besser gelingt, lässt sich zumindest in Frage stellen. Jedenfalls weist eine treue und verantwortliche Lebenspartnerschaft ein „moralisches Plus“ im Vergleich zum Lebenswandel vieler Homosexueller auf, die regelmäßig den Partner wechseln. Vorzugswürdig ist es natürlich, wenn homosexuell empfindende Personen gänzlich auf genitale Sexualität verzichten und – wie der Katechismus schreibt – „die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn vereinen“.
Grundlegend für den pastoralen Alltag wird es sein, vom Evangelium Christi auszugehen. Gott bejaht jeden Menschen als Person und nimmt ihn mit seinen Fehlern und Schwächen, aber auch in seiner sexuellen Identität an. Er weiß darum, wie schwer es auch heute noch manchem Menschen fallt, zu seiner sexuellen Identität zu stehen und diese anzunehmen. Die Kirche sollte homosexuell empfindende Personen eigentlich dabei ermutigen, ihre sexuelle Neigung nicht zu verdrängen, sondern in ihre Gesamtpersönlichkeit zu integrieren. Durch den positiven Blick auf die eigene Leiblichkeit wird der Mensch noch stärker dazu fähig werden, sich an andere Menschen zu verschenken und das eigene Leben als sinnvoll anzunehmen. Dann wird der Mensch auch erfahren, mit welcher Liebe Christus seine ganze Person annimmt und anschaut.