Die Geschichte des Sternsingens beginnt im Mittelalter. Gewandet als die Heiligen Drei Könige wanderten einzelne Gruppen von Haus zu Haus, sangen Lieder, sprachen Gebete und überbrachten den Weihnachtssegen von der Krippe.
Die Tradition hat ohne Zweifel biblische Wurzeln. Die Überlieferung des Evangelisten Matthäus (Mt 2,2–15) berichtet davon, dass Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem kamen, um dem neu geborenen König zu huldigen, ihm die Gaben von Gold, Weihrauch und Myrrhe zu bringen und mit der Kunde der Geburt Jesu in ihre Heimat zurückzukehren. Die kunsthistorische Rezeption betont ein wichtiges Merkmal, indem sie die drei Sterndeuter aus den drei damals bekannten Kontinenten Europa, Asien und Afrika kommen lässt. Sei es durch die Darstellung mit der als typisch empfundenen Gewandung, sei es auch durch unterschiedliche Hautfarben – die Aussage sollte sein: Die Botschaft von der Geburt Jesu geht alle an. Die Verheißung der Erlösung gilt nicht nur einem kleinen Kreis, sondern der ganzen Welt. Niemand ist ausgeschlossen!
Alle diese Aspekte nahm das Sternsingen auf, indem es die Verkündigung des Weihnachtsereignisses in den Mittelpunkt rückte. Hinzu kam noch der solidarische Anteil, indem man auch um Gaben bat. Diese dienten in früheren Jahren der persönlichen Verwendung der Sternsinger. Heute hingegen sind die Gaben an die Sternsinger ausschließlich Spenden für Not leidende Kinder weltweit. Diese Spenden verwaltet das Kindermissionswerk
‚Die Sternsinger‘ und leitet sie in geprüfte und nachhaltig arbeiten de Projekte in Lateinamerika, Asien, Afrika und Osteuropa weiter. Es trägt die Sternsingeraktion seit dem Jahr 1958 gemeinsam mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Inzwischen ist das Sternsingen als „Aktion Dreikönigssingen“ eine rechtlich klar definierte und geschützte Spendenaktion. Der Erfolg spricht für sich: Das Sternsingen ist die weltweit größte Solidaritätsaktion von Kindern für Kinder.
In den rund 60 Jahren des Bestehens der Aktion Dreikönigssingen haben sich große Veränderungen in Gesellschaft und Kirche ereignet. Die volkskirchlichen Strukturen lösen sich allmählich auf. Das katholische Verbandsleben – einst eine der wichtigsten Stützen des kirchlichen Lebens – muss sich auf stark sinkendes Engagement und Überalterung einstellen. Viele Kirchengemeinden werden zu pastoralen Räumen, Großpfarreien oder Gemeindeverbünden zusammengefasst. Und nicht zuletzt hat die Zahl der Sonntagsmessbesucher stark nachgelassen. Die Gemeindepastoral müht sich darum, der neuen Herausforderung angemessen zu begegnen. Dass dies keine leichte Aufgabe ist, liegt auf der Hand. Auch die Zahl der Kinder, die an der Sternsingeraktion teilnehmen, und der Erwachsenen, die die Aktion organisieren und begleiten, hat abgenommen. Mit rund 300.000 Sternsingern und 90.000 Begleiterinnen und Begleitern kann sich die Sternsingeraktion aber immer noch auf eine breite Basis verlassen, auch wenn es vor zwanzig Jahren noch etwa 500.000 Sternsinger waren. Für die sinkenden Zahlen gibt es sicherlich viele Gründe; der wichtigste darunter ist gewiss die demographische Entwicklung. Dennoch ist die Tendenz bei den Spenden, die die Sternsinger Jahr für Jahr sammeln, steigend. Auch zeigen Erhebungen, dass die Motivation der Kinder und Jugendlichen für das Sternsingen groß ist. Sich für andere Kinder wirksam einzusetzen, ist, so hat eine wissenschaftliche Studie ergeben, die hauptsächliche Motivation. Offensichtlich sind es also die Merkmale Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit, die hierzu maßgeblich beitragen.
Sternsingen als SegenSein und Segen-Bringen
Sternsinger erfahren in den weitaus meisten Fällen Wohlwollen und Freude, wenn sie an den Wohnungstüren schellen. Es ist ja auch schön, wenn Besuch kommt und Lieder singt. Weiterhin ist die Bedeutung des Segens Christus mansionem benedicat (C+M+B) nicht gering einzuschätzen. Für die besuchten Familien und Einzelpersonen ist er ein Zeichen der Wertschätzung: Da sind Menschen gekommen, die mir etwas Gutes wünschen. Und dieses Gute ist der Segen Christi; dieser Segen kommt von der Kirchengemeinde, in der an Weihnachten das Fest der Geburt Jesu gefeiert wurde. Die Sternsinger werden in einer Segensfeier in der Gemeinde zu den Menschen in ihrem Ort entsandt – dieser bereits im Wortsinn missionarische Akt ist für die besuchten Menschen wie auch die lokale Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Begegnung mit der Gemeinde, und dies in einem positiven, wertschätzenden Sinnzusammenhang. Das Sternsingen ist daher nicht ausschließlich eine Spendensammelaktion, sondern eine Lebensäußerung der Kirche, deren große Chance es ist, in weiten Bevölkerungsteilen positiv aufgenommen zu werden.
Ein großer Teil der Sternsinger ist in der Kirchengemeinde engagiert, sei es als Ministrantin oder Ministrant, sei es in einem Jugendverband. In vielen Gemeinden sind auch Kinder und Jugendliche als Sternsinger engagiert, die nicht zu diesen Kerngruppen zählen. Manchmal sind dies Freunde langjähriger Sternsinger; manchmal lassen sich Kinder und Jugendliche für das Sternsingen begeistern, wenn Engagierte aus der Gemeinde ihre Schulklassen besuchen. Manchmal sind es sogar Kontakte zu lokalen Sportoder Musikvereinen, aus deren Reihen sich junge Menschen zum Sternsingen bereitfinden. Ob ein Kind oder Jugendlicher katholisch ist, einer anderen Konfession oder Religion angehört oder auch nicht, ist dann selten eine Frage, an der sich entscheidet, ob man mitmacht oder nicht. Sternsingen ist für viele Teile der Bevölkerung und unterschiedliche Milieus anschlussfähig. Es ist, so wird deutlich, etwas außerordentlich Kommunikatives und Verständliches, Aktives, Sichtbares.
Kinder und Jugendliche können
beim Sternsingen erfahren, wie es ist, ausgesandt zu sein und den Segen zu bringen. Sie haben, ohne viele Schwellen überwinden zu müssen, Anteil am Sendungsauftrag der Kirche, indem sie die Weihnachtsbotschaft weitersagen. Sie setzen sich ein für Not leidende und benachteiligte Kinder in anderen Ländern. Sie können mitwirken und mitgestalten. Ohne es weit herzuholen – die Grundvollzüge des kirchlichen Sendungsauftrags liturgia, martyria und diakonia sind beim Sternsingen erlebbar. Sternsingen ist missionarisch ad intra, indem es jungen Menschen beim Sternsingen Teilhabe ermöglicht und ein Erfahrungsfeld gelebten christlichen Lebens eröffnet. Und Sternsingen ist missionarisch ad extra, indem junge Menschen die Weihnachtsbotschaft in die Welt hineintragen und zu solidarischem Handeln aufrufen.
Chancen für die Gemeindeund Sakramentenpastoral
Die Gemeindeund Sakramentenpastoral befindet sich zur Zeit in einer Phase der Neuorientierung. Immer weniger ist es selbstverständlich, dass Kinder katholischer Eltern die Sakramente empfangen. Schon seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist die Tendenz erkennbar, dass nicht alle katholischen Eltern ihre Kinder taufen lassen. In manchen Gegenden Deutschlands betrifft dies ein Drittel der Kinder katholischer Eltern. Analog ist zu beobachten, dass nicht
„automatisch“ alle getauften Kinder an der Erstkommunion teilnehmen. Die Gründe hierfür sind vielfältig, und sie sind aus unterschiedlicher Perspektive diskutiert worden. Offensichtlich ist aber, dass es selbst in katholischen Familien kein unangefochtener Bestandteil der Erziehung mehr ist, das Hineinwachsen des Kindes in die Gemeinde aktiv zu fördern.
Am tradierten Leben der volkskirchlichen Pfarrei wurde oft kritisiert, dass Glauben zu wenig reflektiert und aktiv angeeignet wurde. Diese Kritik ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Indes bleibt die Frage bestehen, ob die Kirchengemeinden nach dem Schwinden volkskirchlichen Traditionsguts genügend Möglichkeiten einer Begegnung mit dem Glauben eröffnen und damit erst den Grundstein für eine reflektierte Aneignung ermöglichen. Christian Hennecke konstatierte vor einigen Jahren eine gewisse Ratlosigkeit in der Sakramentenpastoral und verglich die vielerorts anzutreffende Vorgehensweise mit dem Film Dinner for one: Es wird weitergemacht wie bisher, aber die Menschen, die eingeladen sind, sind längst nicht mehr da. Die Feier, die der Film zeigt, ist eine Feier mit Phantomen. Die Handlung geht vom Vergangenen aus – die Feier selbst wird zur Farce. Die Kritik mag als beißend empfunden werden; sie möchte aber mit starken Worten die Aufmerksamkeit darauf richten, wo das pastorale Handeln der Kirche nicht mehr auf Resonanz stößt, sondern sich einem indifferenten Desinteresse an den Inhalten und ganz besonders der Form der Gemeindeund Sakramentenkatechese gegenübersieht. Nimmt man die Kritik ernst, so käme es darauf an, religiöse Erfahrungsräume zu eröffnen, die sowohl auf Interesse stoßen als auch eine reflektierte Auseinandersetzung möglich machen.
Das Sternsingen bietet die Möglichkeit dieser Erfahrungsräume. Wer mitmachen möchte, muss keine großen Hürden nehmen. Während beispielsweise ein Engagement als Ministrantin oder Ministrant einen hohen Grad der Liturgiefähigkeit voraussetzt, sind die Aussagen und Formen des Sternsingens leicht verständlich. Die Sternsingerlieder können gemeinsam erlernt werden. Sie zusammen zu singen, schafft Gemeinschaft, denn ihre Aussage ist programmatisch für das, was Sternsinger tun. In der Aussendungsfeier werden die Sternsinger gesegnet.
Die Kreide, mit der der Segen später an die Wohnungstüren geschrieben wird, und der Weihrauch, dessen Duft die Sternsingergruppen später begleiten wird, wird gesegnet. Die Sternsinger erfahren, dass ihr Dienst gesegnet ist und dass sie selbst den Segen weitergeben – und dazu beauftragt sind. Sie erfahren, dass sie die Gemeinde und den Segen selbst repräsentieren. Nicht zu vergessen ist, dass die Bitte um Spenden für Not leidende Kinder einerseits freilich dazu dient, wirksame Hilfe für Projekte im Süden möglich zu machen. Andererseits erhalten die Sternsinger wichtige Impulse, die sie über die Situation von Kindern in anderen Ländern informieren und sie beispielhaft erkennen lassen, was christliche Solidarität bedeutet und erreichen kann. Sternsingen ist also auch ein wichtiges Beispiel für christliche globale Bildung.
Es kann eine Chance sein, das Sternsingen in die Erstkommunionvorbereitung einzubinden; die Begleitmaterialien zur Aktion Dreikönigssingen können für die Vorund Nachbereitung hilfreich sein.
Es lohnt sich auch, ganz neue Wege auszuprobieren. Einige Gemeinden besuchen Schulen oder die den Schulen angegliederte Ganztagsbetreuung und laden zum Mitmachen beim Sternsingen ein. Dabei kann es kreativ zugehen: Die Sternsingergewänder können anprobiert werden, Weihrauch kann einmal aus der Nähe betrachtet und gerochen werden, man kann schon einmal Kronen basteln usw. Der Film, der jährlich zur Aktion Dreikönigssingen zur Verfügung gestellt wird, lässt einen Einblick in das Thema der Aktion zu. Auf der Internetseite www.sternsinger.de finden sich zahlreiche Ideen und Praxisvorschläge.
Das Sternsingen kann mit Recht als ein Beispiel gelebten Christseins gewertet werden. Es kann einen Beitrag zur Gemeindeund Sakramentenkatechese leisten, insofern diese als ein Lernort des Glaubens und des christlichen Lebens verstanden wird. Um auf den Vergleich von Christian Hennecke zurückzukommen: Sternsingen ist kein Dinner for one, denn es ist quicklebendig!