Gibt es einen solchen?Der allmächtige Gott

Ein 15-jähriger Schüler meinte, Gott könne auch Böses tun und dem Menschen Schaden zufügen; deshalb müsse man ihn fürchten. Wenn er nämlich allmächtig sei, müsse er ja alles können. Damit hat der Schüler aufgedeckt, was die allermeisten Christen unter der Allmacht Gottes verstehen. Was aber ist mit der Allmacht Gottes gemeint? Heißt allmächtig, dass Gott alles kann, was denkbar oder möglich ist, oder heißt es, dass Gott alles kann, was er will? Eine entscheidende Frage, der im Folgenden nachgegangen werden soll.

Es klingt überraschend, aber die Bibel spricht an keiner Stelle von einem „allmächtigen Gott“.
Wie kommt er dann in den kirchlichen Sprachgebrauch? Das muss nun überprüft werden. Für das alte Israel und die Juden war es seit jeher und immer selbstverständlich, dass Jahwe Macht hat. Aber als Allmächtiger wird Gott im gesamten Alten Testament niemals bezeichnet. Dennoch ist in unseren Bibelübersetzungen „der Allmächtige“ das wohl häufigste Gottesattribut im Alten Testament. Wir hören das in Gottesdiensten und lesen es in der Bibel. Da sagt Gott schon in Gen 17,1 zu Abram: „Ich bin der allmächtige Gott (schaddaj el) …“ In Gen 28,3 sagt Isaak zu Jakob: „Gott, der Allmächtige (el schaddaj), wird dich segnen …“ In Gen 32,14 sagt Israel zu seinen Söhnen: „Gott, der Allmächtige (el schaddaj), gewähre euch Erbarmen …“
In Gen 48,3 sagt Jakob zu Josef: „Gott, der Allmächtige, ist mir in Lus erschienen …“
In Ex 6,3 sagt Gott zu Mose: „Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als Gott, der Allmächtige, erschienen, aber meinen Namen Jahwe habe ich ihnen nicht kundgetan.“
Das hebräische Wort „schaddaj“ wird als „allmächtig“ übersetzt. Der bekannte Hebraist und Bibeltheologe Meinrad Limbeck erklärt, (el) schaddaj ist ein sehr alter Gottesname, dessen ursprüngliche Bedeutung in Israel schon sehr früh nicht mehr verstanden wurde und den auch wir heute nicht mehr wirklich erklären können. Deshalb suchten die frühen Übersetzer des Alten Testaments ins Griechische nach einem neuen Wort für den alten Gottesnamen. Sie wählten dafür das Wort Pantokrator (Allherrscher, Allerhalter), nicht also Allmächtiger. Erst bei der Übersetzung der griechischen Bibel ins Lateinische wurde aus dem Pantokrator der deus omnipotens (der allmächtige Gott). Die Bezeichnung „der Allmächtige“ für Gott stammt nicht aus der Bibel, sondern aus der Gedankenwelt des Heidentums.

Der allmächtige Gott im Neuen Testament

Auch im Neuen Testament wird Gott an keiner Stelle als Allmächtiger bezeichnet oder angesprochen. Weder Jesus selbst noch die verschiedenen Autoren des Neuen Testaments haben Gott als allmächtig bezeichnet. Dies sollte uns nachdenklich machen, da es möglicherweise nicht grundlos geschah.
Jesus spricht von Gott als seinem und unserem Vater, als Barmherzigem, als Liebendem und Vergebendem, aber niemals als Allmächtigem. Nun könnte man darauf hinweisen, dass Paulus in 2 Kor 6,18 und das Buch Offenbarung in mehreren Versen vom Pantokrator sprechen. Aber Pantokrator heißt nicht „Allmächtiger“, sondern „Allherrscher“, was dem Wortsinn nach nicht gleichzusetzen ist. Deshalb schreiben auch Einheitsübersetzung und alle anderen Bibelübersetzer in diesen neutestamentlichen Texten „Allherrscher“, nicht aber „Allmächtiger“.
Fazit: Die Heilige Schrift kennt keinen allmächtigen Gott.

Der allmächtige Gott in der katholischen Liturgie

Da das Lateinische in der Kirche sehr bald und durch die Jahrhunderte eine vorrangige Stellung einnahm und alle Bibelübersetzer jeweils vom lateinischen Text ausgingen – griechisch und hebräisch konnten die wenigsten –, wurde in der Kirche entsprechend den ältesten lateinischen Bibelübersetzungen der deus omnipotens, also der allmächtige Gott, zu einem Standardbegriff.
So ist in der Liturgie bis heute häufig vom „allmächtigen Gott“ die Rede. In den Amtsgebeten des Priesters wird Gott immer wieder als „Allmächtiger“ angesprochen, z. B. beim Schlussgebet am 26. Sonntag im JK, beim Tagesgebet am 27. Sonntag im JK oder beim Gabengebet am 27. Sonntag im JK.
Im Schlusswort des Confiteor heißt es: „Der allmächtige Gott erbarme sich unser …“ bzw. „Nachlass, Vergebung und Verzeihung unserer Sünden gewähre uns der allmächtige und barmherzige Herr.“
Im Credo beten wir: „Ich glaube an Gott, den Allmächtigen …“.
In der Einladung zum Gabengebet sprechen wir bei Form A „Lasst uns beten zu Gott, dem allmächtigen Vater …“ und in Form B „Betet, Brüder und Schwestern, dass mein und euer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle.“ Dabei wäre es sprachlich logischer, den barmherzigen Gott um Vergebung zu bitten.
Auch in den meisten Präfationen finden wir die Rede von Gott, dem Allmächtigen, ebenso in vielen Formulierungen des feierlichen Schlusssegens und in Segensgebeten über das Volk sowie im Stundenbuch der Kleriker.
Neben diesen kirchenamtlichen Gebeten stoßen wir auch bei zahlreichen Andachten auf den allmächtigen Gott.

Macht und Liebe

Macht kommt von machen. Je mehr einer machen kann, desto mächtiger ist er. Wer alles machen kann, ist allmächtig. Macht ist gefährlich, sie kann zum Schaden anderer ausgeübt werden. Die Geschichte der Staaten und der Kirche zeigt es uns. Je mehr Macht einzelne Personen oder Gruppen – kraft ihres Amtes und der Gesetzgebung – hatten, desto mehr Menschen mussten unter ihnen leiden, desto schlimmer wurde der Machtmissbrauch. Macht verbündet sich mit Machtgier.
Die Liebe ist Gegenpol zur Macht. Sie schützt vor Machtmissbrauch. Liebe und Macht gepaart sorgen dafür, dass ein Macht Habender seine Macht nur zu solchen Zielen und Zwecken einsetzt, die der Liebe dienen. So verhindert Liebe die Ausübung von Allmacht.

Liebe und Gerechtigkeit

Gerechtigkeit soll dem Ausgleich zwischen den Menschen dienen; zwischen denen, die viel Macht haben, und denen, die wenig Macht haben; zwischen denen, die viel Geld haben, und denen, die wenig Geld haben; zwischen denen, die Unrecht getan haben, und jenen, denen Unrecht widerfahren ist. Ziel der Gerechtigkeit ist das Bewirken des Ausgleichs, so dass jener, der seine Macht missbraucht hat, dies anerkennt, angerichtetes Unrecht wiedergutmacht und sein Verhalten ändert, infolge der Liebe auf Machtmissbrauch verzichtet. Ziel der Gerechtigkeit ist aber nicht blanke Bestrafung. Denn solche Zielsetzung kann dem Streben nach Rache, der Rachsucht Tür und Tor öffnen, was ebenso verwerflich ist wie das un gerechte Ausüben von Macht. Auch der schuldig Gewordene bedarf weiterhin der Liebe und ist als Mensch der Liebe wert. Nur die Liebe kann bewirken, dass sowohl Machtgier als auch Rachsucht überwunden werden. Dann kann Rache der Vergebung weichen. Wahre Gerechtigkeit wird also immer unter dem Vorzeichen der Liebe stehen.

Gott ist ein Liebender

Im Neuen Testament ist das zentrale Attribut Gottes die Liebe. Jesus bringt das in vielen Beispielen und Reden zum Ausdruck.
Gott ist ein Heilender. Die Evangelien erzählen uns über zwanzig Beispiele von Krankenheilungen Jesu, Parallelerzählungen nicht mitgerechnet. Darunter finden wir unter anderem Blinde, Taube, Stumme, Gelähmte, Menschen, die an Neurosen und Psychosen leiden.
Jesus erweckt Verstorbene zum Leben wie die Tochter des Jairus bei Markus, den jungen Mann in Nain bei Lukas oder Lazarus bei Johannes. Wie bei den Krankenheilungen zeigt sich Gott auch hier als einer, der Mitleid hat und aus Liebe agiert.
Gottes Liebe wirkt sich in der Vergebung menschlicher Schuld aus. Wir sehen das an den Beispielen des verlorenen Schafes und des scheinbar verlorenen Sohnes in Lukas 15, am Beispiel des betenden Zöllners im Tempel (Lk 18,9– 14) oder des Gelähmten (Mk 2,9 par.) bis hin zur Vergebung des Schächers am Kreuz (Lk 23,39–42).
Gott schenkt Erbarmen und Gemeinschaft. Jesus zeigt das in seinem Verhalten gegenüber dem Zöllner Zachäus in Lk 19,1–10, am Beispiel des Zöllners Matthäus in Mt 9,9–13, bei seiner Begegnung mit der Sünderin in Lk 7,36–50.
Alle diese Beispiele erzählen die Evangelisten als Zeichen dafür, wie sich Gottes Liebe am Menschen auswirkt und dass es keine Macht gibt, die der Liebe Gottes und seinem Heilswillen widerstehen könnte. Das krönende Beispiel dafür ist die Auferstehung Jesu.

Gott ist Liebe

Gott liebt, vergibt, geht den Verlorenen nach und schenkt Leben über den Tod hinaus. Diese Eigenschaften Gottes bildet Jesus in seinem eigenen Leben ab, indem er Liebe, Erbarmen, Vergebung praktiziert, Kranke heilt, Tote auferweckt.
Der erste Johannesbrief geht noch einen markanten Schritt darüber hinaus. Denn dort ist Gott nicht nur einer, der liebt, sondern er selbst ist Liebe.
In 1 Joh 4,8b und in 1 Joh 4,16b lesen wir: „Gott ist Liebe“. Gott liebt also nicht, vielmehr ist er Liebe. Auch wir Menschen lieben, aber nicht umfassend, nicht alle gleich, nicht immer mit gleicher Intensität, ja wir sind auch zu Worten und Taten fähig, die im Widerspruch zur Liebe stehen. Gott dagegen, sagt 1 Joh, ist Liebe. Die Liebe ist sein Wesensmerkmal, Gott und Liebe sind identisch. In 1 Joh 4,16b lesen wir auch: „Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott.“ Gott und Liebe bilden eine Einheit. In 1 Joh 4,7b heißt es: „Jeder, der liebt, ist aus Gott gezeugt.“ Dieselbe Formulierung, welche die Kirche für Jesus verwendet: „von Gott gezeugt“. Hier verwässert die Einheitsübersetzung, indem sie schreibt: „Jeder, der liebt, stammt von Gott.“
Wir müssen also von einer Einheit zwischen Gott und der Liebe sprechen.

Wie wirkt sich Gottes Liebe aus?

Während Menschen auf Gerechtigkeit und Bestrafung aus sind, vergibt Gott dem Menschen, der seine Schuld anerkennt und bereut. Von Bestrafung ist da niemals die Rede. Vielmehr bekommt der Schuldige immer die Chance zu Umkehr und Neuanfang. Im Gegenteil: Jesus warnt uns sogar davor, über den Mitmenschen zu richten: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Die Ehebrecherin ermahnt Jesus, künftig nicht mehr zu sündigen, Bestrafung durch Menschen lehnt er dagegen ab. Kein Mensch ist selber ohne Sünde. Das Richten ist Sache Gottes, des Liebenden.
Um die Auswirkungen menschlicher Gerichtsbarkeit und alles darin geschehende Unrecht in Staat und Kirche zu erkennen, brauchen wir nur einen Blick in die Geschichte zu werfen.

Ist also Gott allmächtig?

Im Lexikon von Brockhaus steht diese Definition: „Allmacht ist die dem höchsten Wesen eigene unbegrenzte Macht.“ In diesem Sinn wird Gottes Allmacht tatsächlich von den allermeisten Menschen verstanden: Gott kann alles, was denkbar oder möglich ist. Er ist eben allmächtig. Dies ist aus christlicher Perspektive eine oberflächliche Definition. Dagegen müssen wir sagen:
In diesem Sinn ist der Gott des Christentums nicht allmächtig. Er kann nicht alles, was denkbar oder möglich ist, aber er kann alles, was er will. Entsprechend heißt es in Ps 115,3: „Unser Gott ist im Himmel, was immer er will, vollbringt er.“ Wenn Gott Liebe ist, also identisch mit Liebe ist, kann er per definitionem nichts wollen oder tun, was der Liebe widerspricht. Er kann keinem Menschen Böses wollen oder tun.
Er kann kein Unrecht begehen, kann niemanden ins Verderben führen, niemandem Unheil zufügen, weil dies seinem Wesen, seinem Selbst widersprechen würde. Er kann nur Gutes, d. h. der Liebe entsprechendes, wollen oder tun. Ähnlich definiert der Jesuit Walter Brugger in seinem Philosophischen Wörterbuch: „Allmacht ist jene Ei- 31 genschaft Gottes, vermöge deren er alles verwirklichen kann, was nicht einen inneren Widerspruch in sich schließt“. Böses wollen oder tun würde der Liebe widersprechen. Eine Einschränkung der göttlichen Macht kann aber auch der Mensch noch vollziehen. Soweit der Mensch mit Willensfreiheit ausgestattet ist, kann auch er der Allmacht Gottes Grenzen setzen, indem er sich dem guten Wollen Gottes nicht öffnet, sondern entgegenstellt.

Schlussüberlegungen

Diese Überlegungen, dass Gott alles kann, was er will, führen uns über die reine Frage nach seiner Allmacht hinaus. Sie öffnen den Weg zum Theodizeeproblem. Dieser Begriff geht auf Gottfried Leibniz zurück und bezeichnet die Frage nach der Rechtfertigung Gottes, wie nämlich ein allmächtiger Gott, wenn er zugleich ein Liebender ist, das Böse in der Welt zulassen kann, anstatt es auszumerzen. In diesem Zusammenhang soll hier nur eine Antwort aus christlicher Voraussetzung angedeutet werden.
Gott, der Liebe ist, kann kein Übel als Ziel wollen. Gott kann physische Übel zulassen, notfalls sogar beabsichtigen, um dadurch höhere Ziele zu erreichen. Das Böse (moralische Übel) kann er allerdings nie wollen. Es ist aber denkbar, dass er das Böse zulässt. Ansonsten müsste er die von ihm dem Menschen gewährte Freiheit einschränken oder aufheben und anderseits würde auch seine eigene Freiheit eingeschränkt. Für den Christen bleibt Gottes Liebe auch im moralisch Bösen des Menschen dadurch siegreich, dass Gott auch die schlimmsten Übel, zu denen der Mensch in seiner Freiheit fähig ist, zum Guten zu wenden weiß, indem die Liebe und das Gute für den Menschen im ewigen Heil Vollendung erfahren.

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