Sein Leben war extrem. Extrem anders. Extrem hart. Extrem schaffensreich. Wer sich dem Künstler Egino Weinert nähern will, der versucht das zunächst einmal über seine Werke. Sie sind buchstäblich zahllos. Vor allem die von ihm geschaffene sakrale Kunst trägt seine ganz eigene Handschrift und findet sich in zahlreichen Ländern der Erde. Altäre, Kirchenportale, Taufbecken, Ambonen,Tabernakel, Kreuze, Kreuzwege, Fenster, Türgriffe, Bronzeplastiken, Skulpturen, Reliefs, Emaille-Tafeln, Kerzenständer, Ringe, Schmuck. Der Goldschmiedemeister und Juwelier hat so viel an Werken hinterlassen, wie andere mit ganzen Schulen nicht. Dafür wurde und wird er bewundert, andere, die den Kern seiner Verkündigung nicht sehen können oder wollen, belegten ihn mit abfälligen Hinweisen wie Kunst am Fließband und Massenware. Doch gerade dies wird dem Mann, dessen Lebensweg von Kreuzen gezeichnet wurde, alles andere als gerecht. Das weiß nicht nur seine Witwe Waltraud. Das wissen alle, die ihm einmal begegneten und den nicht allzu schweren Versuch wagten, die eigentlichen Botschaften in den Farben und Formen zu entdecken. Eigentliche Botschaften? Plural? Eigentlich war es immer dieselbe Botschaft: Gott ist groß, gut und barmherzig. Es lohnt sich, sich auf diesen himmlischen Vater und seinen göttlichen Sohn einzulassen. Doch der schien es dem sensiblen, in Berlin am 3. März 1920 geborenen Günter Weinert gar nicht so leicht gemacht zu haben. Im Taufregister der Norbertkirche in Berlin-Schöneberg steht er übrigens noch als Franz Stanislaus Günter Przybilski. Der Vater beantragte als städtischer Beamter später, zu Beginn der Nazizeit, eine Namensänderung in Weinert, weil es immer wieder Schwierigkeiten mit der Aussprache des ursprünglichen Namens gab. Zudem wirkte „Weinert“ in den 30er Jahren irgendwie passender. Der Name klang, so Weinert später,
„deutsch“. Aber wer war eigentlich dieser Mann, der als Egino Weinert so bekannt wurde? Was prägte ihn? Wer prägte ihn? Und was hat dieser international bekannt gewordene Künstler mit benediktinischem Geist zu tun? Warum musste er sein geliebtes Kloster Münsterschwarzach 1949, nur zwei Wochen vor den ewigen Gelübden, verlassen?
Begegnung mit großen Künstlern in Berlin
Günter wuchs in Berlin auf. Sein ganzes Leben als junger Mensch spielte sich rund um die Fideliskirche samt dem angrenzenden Friedhof ab, den er und seine Freunde als romantischen „Spielplatz“ entdeckt hatten. Durch seinen Vater, einen städtischen Beamten, bei dem sich die immer wieder mittellosen Künstler meldeten, hatte Egino schon früh wie selbstverständlich Kontakt zur Kunst. Als Achtjähriger besuchte er erstmals eine Kunstausstellung im Schöneberger Rathaus.
Er lernte Emil Nolde und Max Pechstein, die in seinem Elternhaus einund ausgingen, kennen. Aber auch Georg Grosz, Max Liebermann und Otto Dix. Nolde, dem er einmal seine ersten Bilder zeigte, war entsetzt und meinte: „Junge, lass die Finger von diesen frommen Sachen, male lieber die Hühner in eurem Hühnerstall.“
Doch es sollte sich zeigen, dass – wenn man so will – die „frommen Sachen“ exakt die Berufung des Günter Weinert wurden, der später als Benediktiner den Namen Egino annahm – und diesen auch nach seiner Kündigung durch das Kloster nicht mehr ablegte. Nach einer Jugendfreizeit vor Ostern 1934 hatte der junge Günter den Wunsch, Ordensmann zu werden. Und Missionar. So wurde er als 14-Jähriger am 1. Oktober 1934 in Münsterschwarzach als Lehrling aufgenommen, als Bruderzögling, wie man diejenigen nannte, die sich dann mit 18 Jahren fest an die Klostergemeinschaft banden. Die Kombination von Mönchtum und missionarischem Wirken faszinierte die junge Berliner Schnauze. Und wegen der vielen Werkstätten im Kloster hoffte er, seine künstlerischen Neigungen – er zeichnete eigentlich überall und immer wieder – entfalten zu können.
Echte Heimat im Kloster
Es wurden zum Teil harte Jahre für den begeisterten und zähen Günter. Selbstverständlich musste er erst einmal Gehorsam lernen, wurde in ganz und gar nicht künstlerische Aufgaben gesteckt und wegen seiner Fähigkeiten auch beneidet und verleumdet. Spä ter aber wird er sagen, dass diese letztlich dann 15 Jahre im Kloster ihn besonders prägten, ja, dass sie ihn regelrecht frei machten für seinen späteren Auftrag, mit den ihm von Gott geschenkten Fähigkeiten täglich missionarisch tätig sein zu können. Sein Schaffen als Bildhauer, Maler und Goldschmied ist ohne seine Zeit als Mönch nicht erklärbar. Seine theologische Bildung und sein unglaublich reichhaltiges Glaubenswissen ohnehin nicht. Günter wurde als Egino in einem einfachen Leben rundum glücklich.
„Für den Menschen, der Gott sucht, bietet das Kloster einen wunderbaren Weg“, sagte er, der am 27. April 1938 als Novize aufgenommen worden war, später. Egino Weinert blieb ein Leben lang in der gewissen Zuversicht des Gottsuchenden, der sich ihm im Alltag Stück für Stück nähern kann. Viele gute Gespräche, neben den weniger guten, sind ihm dankbar in Erinnerung geblieben. Dass ein Mitbruder ihm einmal riet, sich nicht irre machen zu lassen und das zu tun, was ihm als Talent geschenkt worden war, hat ihn noch im hohen Alter bewegt.
Anpassen war ohnehin nicht sein Ding. Während sein Vater in der braunen Zeit die Parteiuniform geschmückt mit dem Eisernen Kreuz zu tragen wusste, weigerte sich Bruder Egino keck und selbstbewusst, das übliche „Grüß Gott“ gegen ein „Heil Hitler“ auszutauschen. Dass er dafür – und später auch für andere Zeichen der Unabhängigkeit und Gottestreue – ins Gefängnis kam, schockte den jungen Mann nicht. Ebenso wenig wie die Einordnung als politisch Unzuverlässiger. Einmal blickte er gar in den Lauf einer Pistole, mit der ein überzeugter Nazi ihn wegen seiner gelebten und gezeigten Freiheit erschießen wollte. Nur weil sich jemand dazwischenwarf, wurde der Mord verhindert.
Von den Nazis verhaftet
Wegen Wehrkraftzersetzung saß er unter anderem in Würzburg im Knast, bei Wasser und Brot – aber mit Anatomiebuch und Zeichen brett. Typisch für den in der Gegenwart des Schöpfers Gott suchenden Weinert war 1945 während seiner Zeit als Soldat auch die ausgerechnet ihm übertragene Bitte, vor Offizieren einen Vortrag über einen Artikel von Joseph Goebbels im Völkischen Beobachter zu halten. Dieser hatte die Überschrift: Wir können nicht genug hassen. Man ahnte wohl, dass dies dem frommen Burschen nicht leicht fallen würde. Doch dieser drehte unter Berufung auf den heiligen Augustinus das Vortragsthema schlichtweg um und sprach davon, dass wir nicht genug lieben können. Klar, dass er daraufhin wieder festgenommen wurde. Als das Kriegsende für den, der sich noch als „ZumTode-Verurteilter“ fühlte, kam, hat Egino so gejubelt, wie noch nie. Er ging, so wusste er noch Jahrzehnte später, mit tanzendem Schritt in eine neue Welt.
Zwanzig Tage nach Kriegsende kam er als Erster in Münsterschwarzach wieder an, total verlaust, verwanzt und kaputt. Von den Nazis war das Kloster aufgehoben und beschlagnahmt worden. Doch der Krieg ließ ihn buchstäblich nicht los. Ausgerechnet ihn, der endlich als Künstler und Goldschmied – vornehmlich mit der rechten Hand – arbeiten konnte, traf ein grausamer Schlag. Als er seine Eltern im völlig zerstörten Berlin im März 1946 besuchte, bat seine Mutter ihn, die von den Russen erbetene Sicherung einzusetzen, damit die Stromzufuhr wieder klappte. Die Mutter selbst war, nachdem sie ein Russe vom Dachboden gestoßen hatte, zu verletzt, um selbst die Sicherung einzusetzen. Das übernahm nun ihr Sohn, der zuvor noch in einer heiligen Messe eine besonders intensive Kommunion erfahren hatte, und, so erinnerte er sich später, dem Heiland versprochen hatte, sich ganz und gar ihm hinzugeben. Als er aber dann eine halbe Stunde später die Sicherung einsetzte und den entsprechenden Knopf drückte, gab es einen lauten Knall – „und meine rechte Hand war weg; nur mein Daumen war noch da“. Die Sicherung, die Mutter Weinert von den Russen bekommen hatte, war eine als Sicherung getarnte Bombe.
Weitermachen – nach dem Verlust der rechten Hand
Und was macht der Künstler, an dessen Stelle andere sofort in pure Verzweiflung geraten wären? Sein erster Gedanke, nachdem ihm die komplette rechte Hand abgenommen werden musste und nur ein Stumpf übrig blieb: „Lieber Gott, ist schon recht, jetzt muss ich Maler werden.“ Vierzehn Tage lang konnte er dann im Kloster nichts schaffen, wie er bedauernd berichtet. Wie eine Erlösung schien ihm dann eine Bitte von Vater Abt gewesen zu sein, als dieser ihm sagte:
„Machen Sie mal etwas, was Ihnen Freude macht. Sie können machen, was Sie wollen.“ Und was will Egino? Er will eine Paxtafel machen, nicht gerade das einfachste Kunstwerk. Die Bedingung des Abtes: keine fremde Hilfe. Egino musste alles alleine machen.
Nach vier Wochen lieferte er die Paxtafel ab: zwei Hand breit groß, in Metall getrieben, mit aufgelöteten Emaillebildern und einem geschwungenen rückwärtigen Griff. Sein Meisterwerk, das der junge Mann nun mit links machen musste und mit einem eitrigen rechten Stumpf und vielen Schmerzen, wurde und ist wunderschön. Noch heute sind die Mönche in Münsterschwarzach stolz auf diesen Schatz, der die fein ziselierten zwölf Apostel um einen Christus darstellenden Kristall zeigt. In einem Gespräch mit Evamaria Kepper bekennt der Künstler einmal: „Da hat der liebe Gott die Hand geführt. Ich glaube, jeder hat seine Aufgabe. Der, der das Leid zu tragen hat, und der, der die Freude zu tragen hat. Das Leid annehmen, dem Schöpfer vertrauen. Ich glaube, ich hätte heute nicht mehr den Mut, mich dem lieben Gott so wie ein junger Mensch hinzugeben: Er wird alles schon richtig machen.“ Diese Aussage charakterisiert Weinert ebenso wie jene: „Gehorsam ist, auf Gott zu hören, horchen, nicht seinen eigenen Willen ausführen, sondern den Willen Gottes. Aber wo ist der Wille Gottes?“
Intrigen und Missgunst im Kloster
Auch dies erfuhr er mehr als schmerzhaft. Nach einer Zeit der Ausbildung an der christlichen Werkschule in Köln, wo Weinert unter anderem anatomische Zeichnungen einer jungen Frau machen musste, fand jemand in Münsterschwarzach die alles andere als wirklich anstößige Zeichnung einer von hinten gemalten Frau – und es kam vierzehn Tage vor der endgültigen Bindung an sein Kloster, also vierzehn Tage vor den ewigen Gelübden, beim Abt zu einem Showdown. War es nur Neid? Nur Prüderie? Nur Missgunst? War es eine Rache am wortgewandten Berliner Jungen, der nicht duckte und seinen Gehorsam aufrecht lebte? War es seine neue Kunstrichtung, mit der Egino sich von dem damals üblichen Beuroner Stil absetzte, der man endlich ein Ende bereiten wollte?
Die Aktzeichnungen waren wohl der letzte Auslöser. Immerhin wurde Eginos Traum vom Patersein in Münsterschwarzach mit einem Mal ausgelöscht. Er hatte seine als 14-Jähriger mitgebrachten Sachen – eine längst zu kurz gewordene Hose und Socken – zu packen und zu gehen. Die ihm für den weiteren Lebensweg angebotenen 240 Mark Taschengeld lehnte er ab, er nahm nur die 120 Mark, mit denen er gekommen war. Fünfzehn Jahre zuvor. Es begann eine Odyssee für den jungen Mann, der, oh Wunder, den Glauben nicht verlor, sondern sich gehorsam und – man mag es kaum glauben – auch irgendwie dankbar und ohne langes Hadern in sein Schicksal gab. „Sie sind entlassen, Sie werden nicht zum Ewigen Gelübde zugelassen“, hatte der Abt unter Berufung auf Mehrheitsentscheidungen in der Klostergemeinschaft gesagt. Und dann meinte er noch, seine Heiligen sähen aus wie „Idioten“, und ohnehin sei es schwer, mit nur einer Hand im Kloster zu leben. Egino fügte sich, doch die unvorstellbar tiefe Traurigkeit, in die er nun gestürzt wurde, ist in ihm gegenwärtig geblieben wie seine Liebe zum Kloster.
Bettler und Künstler im Rheinland
Der künstlerisch so begnadete und beschenkte ehemalige Benediktinerbruder schlief auf seiner Suche nach Heimat in Kellereingängen, in Bonn und Köln bettelte er, und ermalte und schaffte, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte. Er begann nun, seinen Glauben einfach in seine Werke umzusetzen, wie ein Getriebener, dem man keine Ruhe und Rast zu gönnen schien. Farben und Formen hielten ihn lebendig, weil sie Ausdruck der Farben und Formen des Schöpfers für ihn waren. Wenn er schon nicht als Benediktiner Mönch werden sollte, dann eben als gestaltender Künstler. Der Kohlenkeller, in dem er schließlich für eine wichtige Zeit in der Bonner Kronprinzenstraße einen Ort zum Schlafen und Schaffen fand, wurde zu einem Ort, an dem sich wichtige Persönlichkeiten trafen.
Er musste aus dem Loch zwar erst einmal etwas machen, Wände tünchen und fehlende Fensterscheiben finden, doch selbst ein Bundeskanzler Konrad Adenauer fand 1951 den Weg zu ihm. Zuvor hatte er auf einer Ausstellung einige Werke des jetzt Bonners gesehen. Und selbstverständlich muss seine erste Frau, die Bonner Buchhändlerin Anneliese Leopold genannt werden, die in der Poststraße Stücke von ihm ausstellte. Egino kämpfte sich buchstäblich durch. Er lernte andere Künstler kennen, unter anderem Ewald Mataré, mit dem sich eine feste Freundschaft entwickelte. Mehr oder weniger zufällig bekam er einen Auftrag aus der Schweiz und konnte einige Jahre in der Schweiz arbeiten.
Rosenkranz und Gottvertrauen
Sieben Jahre gab es das Kelleratelier in Bonn. Später zog die Familie nach Köln, konnte preiswert ein Trümmergrundstück in der Nähe des Domes erwerben – und fand hier endlich Heimat. Noch heute ist die Marzellenstraße 42 in bester Lage ein Anziehungspunkt für alle, die sich für eine aus dem Glauben getränkte und zugleich moderne Kunst eines außergewöhnlichen Gottesmannes interessieren. Nach dem Tod der schwerkranken ersten Frau heiratete Egino, der hinter seinem Mönchsnamen stets das G. für Günter führte, seine zweite Frau Waltraud, die als Witwe nach dem Tod ihres 2012 verstorbenen Mannes in großer und geduldiger Treue und mit viel Fachwissen das Erbe des Kunstschaffenden weiterführt, bei dem alleine die Fülle seiner Werke, Zeichnungen, Skizzen, Figuren, Altäre, Leuchter, Heiligenplaketten selbst Kritiker ins Staunen versetzt. Wie kann einer alleine so viel schaffen? Woher nahm dieser Mann seine Ideen, seine Formen und seine Farben?
Waltraud Weinert zeigt bei solchen Frage mit dem Zeigefinger nach oben, wie es Egino selbst in solchen Fällen tat. „Er ist es, der mich beschenkt, ich schreibe und zeichne es ja nur auf “, pflegte er zu sagen und fest zu glauben. Das benediktinische Ora et labora war ihm in die Seele geschrieben. Aus dem täglichen Rosenkranzgebet schöpfte er dankbar Kraft. Er lebte aus einem tiefen kindlichen und zugleich aufgeklärten Glauben. Gleichsam im Angesicht Gottes. Das beschrieb er einmal so, indem er auf das Jesuswort verwies „Wer mich sieht, sieht den Vater“: „Wer den Vater nicht sieht, der sieht gar nichts. Der hat also überhaupt nicht kapiert, worum es geht. Und dieser merkwürdige Satz von Petrus, als die meisten Jünger weggegangen waren und nur noch die Zwölf da standen, und Jesus sie fragte: Wollt auch ihr gehen?, antwortete Petrus: Ja, wo sollen wir denn hingehen? Wir würden ja auch abhauen, wir wüssten aber nicht, was wir tun sollen. Wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist. – Petrus hat etwas Gewaltiges gesagt.“
Abhauen – das wäre einem Egino niemals in den Sinn gekommen. Abhauen? Verzweifeln? Gott vergessen? Nicht für diesen Mann, der mit seinen sensiblen Augen eine schwere und extreme Lebensgeschichte zu erzählen verstand. Vom Kreuz läuft man nicht weg. Er war überzeugt: „Gott offenbart sich durch viele Dinge. Gott gibt uns Hilfen. Das erleben wir immer wieder in der Geschichte, dass der Heiland durch den Menschen wieder neu lebendig wird. Man denke nur an Fatima und viele andere Dinge. Gott ist immer wieder da. Er lässt uns nicht alleine.“ Und weiter: „Der Glaube braucht Formen, der Glaube braucht Mut.“ Und genau den wollte Egino Weinert wecken und weitergeben. Er verstand den Glauben an ein Leben mit und in Gott als Geschenk, das er weitergeben wollte. Er wollte, dass man in der Schönheit und auch der Einfachheit seiner großen Kunst erfahren könnte, dass Gott da ist und dass er barmherzig und gut ist. Erlösung, das war für ihn kein hohles Wort. Es war ihm hautnahe Wirklichkeit.
Ermutigung durch klare Botschaft der Seherin von Konnersreuth
Und dabei spielte das Kreuz, von dem die Christen glauben, dass der Gottessohn die Welt auf Golgatha wirklich und dauerhaft erlöst hat, eine ganz entscheidende Rolle im Leben dieses Künstlers. Niemand hat so viele Kreuzesdarstellungen geschaffen wie Egino Weinert. Vorhergesagt hat ihm das eine stigmatisierte Seherin, die er niemals persönlich traf, die aber einem sie besuchenden Bischof den dezidierten Auftrag gab, dem damals noch Bonner Künstler Egino Weinert etwas auszurichten: Therese von Konnersreuth. Sie hatte 1952 dem zum Teil noch im Blick auf seine Kunstrichtung leicht zweifelnden Künstler ausrichten lassen: „Male so, wie du glaubst.“ Eine für Weinert erlösende Botschaft! Und die Stigmatisierte, die sich wenig später nicht mehr an das erinnern konnte, was sie in der Verzückung präzise gesagt hatte, meinte auch: „Bestellen Sie einen schönen Gruß vom Heiland, Egino soll nicht mehr traurig sein. Der Heiland hat ihn besonders lieb.“
Was nun wirklich verwunderlich war, berichtete der so beauftragte afrikanische Bischof wie folgt: Therese habe detailliert aus dem Leben von Weinert erzählt und erwähnte ein Gespräch, das der Heiland mit dem Teufel über ihn geführt habe. Der Teufel habe das Leben von Egino gewollt, woraufhin der Heiland erklärt habe: „Nix da, er muss noch viel für mich arbeiten.“ Daraufhin habe der Satan die rechte Hand des Künstlers gewollt, und Jesus habe ihm erklärt: „Ich werde dir zeigen, wieviel er für mich auch mit nur einer Hand arbeitet, besonders über mein Kreuz, so viel wie noch nie jemand vor ihm.“ Er werde ein schweres, kreuzlastiges Leben haben, aber ein letztlich glückliches. Die Aufforderung der Therese Neumann (von Konnersreuth) wurde zur wichtigsten Aufforderung für Egino Weinert. Er schuf, was er glaubte. Er gestaltete seinen Glauben an Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist. Erkennbar. Geradezu mitnehmbar aus seinem Atelier. Egino prägte ganze Generationen in ihrer Vorstellung von Schöpfer, Schöpfung und Heiligen.
Missionar mit Kunst und Schönheit
Künstler? Prophet? Missionar? Visionär? Vielleicht alles zusammen. Ein von der Sehnsucht nach Gott Getriebener, der die von ihm gefundene Heimat der Seele weitergeben und teilen wollte. Auf seine Weise war Egino Weinert, lange bevor der Begriff Konjunktur bekam, ein durch und durch pastoraltheologischer Mensch, auf seine Weise ein in Bild und Form wirkender Seelsorger. Was ihn letztlich bewegte, drückte er einmal so aus: „Ich meine, dass das Leid nicht von Gott kommen kann. Das Leid kann nur von einer anderen Welt kommen, die uns nicht mag und uns durcheinanderbringen will. Wenn du an die Liebe Gottes nicht glaubst, nicht glaubst, dass er dich lieb hat, sich um dich bemüht, dass er dich einlädt zum Erlösungswerk, das er uns ja vorgeführt hat, dann fehlt einfach die Lebensund Liebesgrundlage.“
Was haben der Glaube und die Kunst miteinander zu tun? Kann aus dem Glauben Kunst entstehen? Ist es eine Kunst, zu glauben? Und kann die Kunst zum Glauben führen? Ja, sie haben etwas miteinander zu tun, der Glaube und die Kunst. Beide suchen nach dem Schönen und Wahren. Beide begegnen einander im Raum der Faszination und des Staunens. Beide wollen letztlich den Zugang zur wirklichen Heimat. Und beide umgibt eine Aura des Geheimnisvollen. Der Glaube ist auch immer wieder die Kunst zum Leben in Fülle. Es ist die Sehnsucht nach Heimat für Herz und Seele, die mit Hilfe der Symbiose aus Glauben, Vertrauen und Schönheit eine heilende Vorahnung von ewiger Heimat anbietet.
Der Künstler Egino Weinert hat sie gelebt. Ein Leben lang. Er war so etwas wie die lebende Antwort auf die Frage nach dem Miteinander von Glaube und Kunst. Und: Er gab diese Antwort weiter an andere, an uns. In Form seiner Kunst. Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Segen, im Kreuz ist Leben. Ist es nicht eine Kunst, sich auf den Tod und das Leben, das ja erst ohne alle Enttäuschung und Leid, ohne Neid und ohne Krieg und Schmerz, aber in Schönheit und Frieden dann beginnen kann, ist es also nicht eine Kunst, sich im Leben richtig darauf vorzubereiten?
Schätze aus dem himmlischen Bereich des Geistes
„Die Welt, in der wir leben, braucht Schönheit, um nicht in Verzweiflung zu versinken.“ Benedikt XVI. wandte sich mit diesen Worten 2009 (21.11.) an die Künstler, die er als „Treuhänder des Schönen“ bezeichnete, die gerade in Krisenzeiten wie heute neuen Mut und Hoffnung wecken könnten. Der Glaube nehme nichts von der Kunst weg. Im Gegenteil. Einer seiner Vorgänger, Paul VI., ging im Mai 1964 sogar so weit, den Künstlern zu bekennen: „Wir brauchen euch ..., wir brauchen eure Mitarbeit, um unseren Dienst ausüben zu können, ein Dienst, der, wie ihr wißt, darin besteht, die geistlichen Dinge, das Unsichtbare, Unaussprechliche, die Dinge Gottes, zu verkünden, zugänglich und verstehbar zu machen für den Geist und die Herzen der Menschen. In dieser Tätigkeit … seid ihr Meister. Es ist eure Aufgabe, eure Mission, und eure Kunst besteht darin, Schätze aus dem himmlischen Bereich des Geistes zu ergreifen und sie in Worte, Farben, Formen zu kleiden, sie zugänglich zu machen“ (Insegnamenti II, [1964], 313).
Papst Paul VI. fand am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, am 8. Dezember 1965, an die Künstler gerichtet noch einmal starke Worte: „Diese Welt, in der wir leben, braucht Schönheit, um nicht in Verzweiflung zu versinken. Die Schönheit, wie auch die Wahrheit, bringt dem menschlichen Herz Freude, und es ist diese kostbare Frucht, die dem Zahn der Zeit widersteht, die Generationen vereint und sie befähigt, in Bewunderung miteinander zu kommunizieren. Und all dies geschieht durch das Werk eurer Hände … Vergeßt nicht, daß ihr die Hüter des Schönen in der Welt seid.“
Noch einmal Benedikt XVI.:
„Die authentische Schönheit aber öffnete das menschliche Herz für die Sehnsucht, für das tiefe Verlangen zu erkennen, zu lieben, auf den anderen zuzugehen, die Hände nach dem Anderen, dem, was uns übersteigt, auszustrecken. Wenn wir es zulassen, dass die Schönheit uns zuinnerst berührt, dass sie uns verwundet, dass sie unsere Augen öffnet, dann entdecken wir die Freude des Sehens neu und verstehen die tiefe Bedeutung unserer Existenz, das Geheimnis, dessen Teil wir sind. Von diesem Geheimnis können wir die ganze Fülle erwarten, die Freude, die Leidenschaft, sich diesem Geheimnis täglich zuzuwenden.“
Auf der Via pulchritudinis
Und weiter: „Die Schönheit, sowohl die des Kosmos und der Natur als auch die durch Kunstwerke zum Ausdruck gebrachte, kann ein Weg zum Transzendenten werden, zum letzten Geheimnis, zu Gott, weil sie die Horizonte des menschlichen Bewusstseins öffnet und weitet, es auf diese Weise über sich selbst hinaus verweist und es mit dem Abgrund der Ewigkeit konfrontiert. Die Kunst kann in jeder Form eine religiöse Qualität annehmen, wo sie den großen Fragen unserer Existenz begegnet, den fundamentalen Themen, die dem Leben Sinn geben. Dadurch wird sie zu einem Weg tiefer innerer Reflexion und Spiritualität. Diese große Nähe, diese Harmonie zwischen dem Weg des Glaubens und dem Weg des Künstlers wird durch unzählige Kunstwerke bezeugt, die sich auf die Personen, Geschichten und Symbole des immensen Schatzes von Bildern‘ – im weitesten Sinn des Wortes – nämlich die Bibel, die Heilige Schrift, stützen.“
Der frühere Papst spricht im Zusammenhang von Glaube und Kunst von einer „via pulchritudinis“, einem Weg der Schönheit, „der gleichzeitig ein künstlerischer, ästhetischer Weg ist und ein Weg des Glaubens, eine theologische Suche.“ Der Weg der Schönheit führe uns dazu, „das Ganze im Teil zu ergreifen, das Unendliche im Endlichen, Gott in der Geschichte der Menschheit“. In diesen Dienst stellte sich ohne Zweifel Egino G. Weinert.
Hier gibt es auch eine Brücke zu der großen Rede, die Johannes Paul II. 1996 vor dem Brandenburger Tor in Berlin hielt: „Der Mensch ist zur Freiheit berufen.“ Und der freie Mensch sei der Wahrheit verpflichtet. Sonst habe „seine Freiheit keinen festeren Bestand als ein schöner Traum, der beim Erwachen zerbricht. Der Mensch verdankt sich nicht sich selbst, sondern ist Geschöpf Gottes; er ist nicht Herr über sein Leben und über das der anderen; er ist – will er in Wahrheit Mensch sein – ein Hörender und Horchender: Seine freie Schaffenskraft wird sich nur dann wirksam und dauerhaft entfalten, wenn sie auf der Wahrheit, die dem Menschen vorgegeben ist, als unzerbrechlichem Fundament gründet. Dann wird der Mensch sich verwirklichen, ja über sich hinauswachsen können. Es gibt keine Freiheit ohne Wahrheit.“
Im Dienst der Freiheit
Die Fülle und Vollkommenheit der richtigen Freiheit, so sagte der Papst in Berlin, habe einen Namen:
„Jesus Christus. Er ist der, der über sich bezeugt hat: Ich bin die Tür. In ihm ist den Menschen der Zugang geöffnet zur Fülle der Freiheit und des Lebens. Er ist der, der den Menschen wirklich frei macht, indem er die Finsternis aus dem menschlichen Herzen vertreibt und die Wahrheit aufdeckt.“ Wenn sich ein Künstler in den Dienst nehmen lässt, diesen konkreten und wahrhaft lebenden Christus mit seiner Kunst sichtbar und erfahrbar, erkennbar und begreiflich zu machen in schöner Lebensnormalität, dann ist er Diener des Glaubens und macht seine Kunst zum Diener der Freiheit.
2011 fand Benedikt XVI. in Castel Gandolfo die schönen Worte, die passgenau auf Egino Weinert angewandt werden können: „Ein Kunstwerk ist Frucht der schöpferischen Fähigkeit des Menschen, der über die sichtbare Wirklichkeit nachdenkt, der versucht, ihren tieferen Sinn zu erfassen und ihn durch die Sprache der Formen, der Farben, der Töne zu vermitteln. Die Kunst ist fähig, das Bedürfnis des Menschen, über das Sichtbare hinauszugehen, zum Ausdruck zu bringen und sichtbar zu machen; sie offenbart das Verlangen und die Suche nach dem Unendlichen. Ja, sie ist gleichsam eine offene Tür zum Unendlichen, zu einer Schönheit und einer Wahrheit, die über das Alltägliche hinausgehen. Und ein Kunstwerk kann die Augen des Verstandes und des Herzens öffnen und uns nach oben hin ausrichten. Es gibt jedoch Kunstwerke, die wahre Wege zu Gott, der erhabensten Schönheit, sind – ja, die sogar dabei helfen können, in der Beziehung mit ihm, im Gebet zu wachsen. Es handelt sich um die Werke, die aus dem Glauben heraus entstehen und die den Glauben zum Ausdruck bringen.“
Der Glaube ist auch immer wieder die Kunst zum Leben in Fülle. Es ist die Sehnsucht nach Heimat für Herz und Seele, die mit Hilfe der Symbiose aus Glauben, Vertrauen und Schönheit eine heilende Vorahnung von ewiger Heimat anbietet.
„Was soll ich noch anfügen?“, fragte Egino Weinert einmal. „Vielleicht den Satz, der mich in der Nazizeit fast das Leben kostete: Man kann nicht genug lieben!“ Wohl wahr. Und doch so schwer. Aber möglich. Die Kunst kann dabei helfen und es mit dem Schlüssel der Schönheit leichter machen. Es ist zugleich der Schlüssel zum Tiefgang, der in die höchsten Höhen führt. Zur Weite, die den Horizont erschließt. Zum Leben mit dem Vertrauen auf Gott, der uns frei macht. Zur Wahrheit, die uns befreit. Das nennt man Glaube.
„Meine Kunst soll verstanden werden von Jung und Alt, und Kunstkenner soll sie erfreuen“, so Egino. Wer so lebt und schafft, beherrscht die Kunst zum Leben – und erfreut auch seinen Schöpfer.