Auch in der kirchlichen Arbeit spielen Konflikte. Sie sind mit ihren Akteuren im Hauptamt, im Ehrenamt, organisiert in Teams, Gruppen, Gremien, Kunden, Mitglieder, Ausgetretene … nicht vermeidbar. Sie erzählen von Sachen und Emotionen. Sie zeigen unterschiedliche Interessen, Wünsche, Überzeugungen, die miteinander in Wettstreit geraten sind. Sie machen auf die Dynamik von Auseinandersetzen und Zusammensetzen aufmerksam. Sie zeigen dementsprechend nicht eine (vielleicht oft gewünschte oder erhoffte) unhinterfragbare Einheitlichkeit, sondern eine mit Gegensätzen aufgeladene Vielfältigkeit an, die im „besten“ Fall zum Gespräch, zum Dialog und zu einem neuen Miteinander mit weitergehenden Lösungen anregt. Im „schlimmsten“ Fall führt das zum Verlust von Glaubwürdigkeit, zur Ausgrenzung und zur Zerstörung, durch die weitergehende Lösungsmöglichkeiten mehr und mehr ausgeschlossen werden.
Immer kann dabei auch noch darüber gestritten werden, was für wen am Zusammensetzen und Auseinandersetzen der „beste“ oder der „schlimmste“ Fall sein mag.
Konflikte, das sind…
Das Substantiv Konflikt geht zurück auf das lateinische Verb „confligere“ „aneinandergeraten, kämpfen“ und setzt sich zusammen aus dem Präfix con„mit, zusam- men“ und dem Verb fligere „schla- gen“. Alltagssprachlich bezeichnet es die Auseinandersetzung, das Ringen, das Kämpfen um eine Entscheidung oder Wegweisung innerhalb einer Person (intrapersonelle Konflikte und psychische Prozesse) oder zwischen Personen, Gruppen oder Organisationen (interpersonelle Konflikte und soziale Prozesse).
Nach Glasl (1980, 2017) zeigen sich Konflikte in Interaktionen, in denen die Beteiligten – in der Regel in irgendeiner Weise voneinander abhängig – unvereinbare Wünsche, Interessen vertreten, die als (emotionale) Beeinträchtigungen von mindestens einem der Beteiligten erlebt werden.
Systemtheoretisch werden mit Konflikt soziale und psychische Prozesse bezeichnet, in denen unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen, wobei die eine die Negation der anderen darstellt. Solange diese Positionen sich wechselseitig negieren, führen sie zum Ergebnis von Unentschiedenheit. Jede Konfliktpartei bleibt also auf ihrer Seite und negiert die andere (Simon 2015, 11f.).
Solche Negationen finden sich natürlich auch in der Pastoral. Beispiele: Der Wortgottesdienst mit Kommunionausteilung am Sonntag verantwortet von erfahrenen Gottesdienstgestaltenden wird untersagt, weil zur gleichen Zeit in der Nachbarpfarrei eine Eucharistiefeier angesetzt ist. Die Untersagenden geben an, sich an geltendes Kirchenrecht zu halten. Sie markieren die besondere Stellung der Eucharistie am Sonntag als Recht und Pflicht der Gläubigen. Die erfahrenen Gottesdienstgestaltenden fühlen sich einerseits in ihrer Bereitschaft, Wortgottesdienste zu ermöglichen, nicht ernstgenommen und wollen zum anderen den theologischen Argumenten nicht folgen, da die Welt doch eine andere geworden sei.
- Die eine Gruppe im Pfarreienrat will den Erlös aus dem Pfarrfest zur Förderung der solidaritätsstiftenden Partnerschaftsarbeit geben und argumentiert weltkirchlich, die andere Gruppe will die Orgelrenovierung unterstützen und argumentiert mit der Zukunft der eigenen Pfarrei.
- In der Pfarreiengemeinschaft ist ein neuer Gottesdienstplan aufgestellt. In jeder Pfarrgemeinde gibt es Gruppierungen, die mit der neuen Gottesdienstordnung nicht einverstanden sind. Sie argumentieren mit ihrer bisherigen Praxis, dass die Gottesdienste in ihrer jeweiligen Pfarrei stattfinden sollen.
- In einem Kirchengemeindeverband mit wohlhabenden und verschuldeten Kirchengemeinden, mit einem negativen Jahresabschluss, soll eine Kirche im Besitz einer Kirchengemeinde verkauft werden. Der Verwaltungsrat der betroffenen Kirchengemeinde verweigert die Zustimmung. Die Verbandsvertretung argumentiert wirtschaftlich und will einen nachhaltig sanierten Haushalt, die betroffene Pfarrei argumentiert pastoral und weist auf die Identität der vor Ort lebenden Christen hin.
- Der Pfarrer lässt die Eheschließung in einer zur Pfarrei gehörenden Kapelle nicht zu, weil die Brautleute nicht mehr in der Pfarrei wohnen. Die Brautleute argumentieren mit ihrem früheren Engagement in der Jugendarbeit und den Eltern des Bräutigams, der lange Zeit im Verwaltungsrat war.
- Das pastorale Team streitet sich um die Gestaltung der Diakonie in der Pfarrei. Streit entbrennt in den Fragen, welche personellen Kapazitäten dafür freigesetzt und aus anderen Aufgabenfeldern abgezogen werden sollen. Die Entscheidung des Pfarrers wird nicht respektiert und eine innere Emigration findet statt.
- Und viele weitere Beispiele können folgen …
Produktiv werden Konflikte dann, wenn… – von der Sach-, Sozial- und Zeitdimension von Konflikten
Zunächst eine theoretische Vergewisserung: In die vorhin benannte systemtheoretische Beobachtung von Konflikten ist der Begriff der Entscheidung einzuführen. Entscheidungen sind selbst Teil von Konflikten. Sie dienen dazu, die zuvor wie in den Beispielen angedeuteten vorhandenen Alternativen (es kann so und auch anders sein, man kann es so und auch anders machen …) in eine eindeutige (gemeinsam zu tragende/ getragene) Richtung zu bringen. In dieser Phase spielen Konflikte schon mit, da sie die Triebfeder für das Hin und Her in der Entscheidungssuche sind. Die oben dargestellten Konflikte in der Pastoral treten immer noch auf, obwohl Entscheidungen getroffen worden sind. Es beginnt das oszillierende Spiel im Anschluss an Entscheidungen, ein Ringen um neue Entscheidungen aufgrund weiterer Negationen. Die beteiligten Akteure waren/sind entweder selbst in der Entscheidung involviert (die Entscheidung mit guten Gründen rechtfertigend / die Entscheidung aus guten Gründen in Frage stellend) und / oder sie werden davon getroffen und reagieren betroffen (etwa „wer hat das denn entschieden?“, „wer so etwas entscheidet, hat den Kontakt zu den Bedürfnissen der Gläubigen verloren“, „wenn die Kirche wirklich verkauft werden soll, dann arbeite ich nicht mehr mit …“).
In Entscheidungssituationen von Konflikten bieten sich vier Optionen an (nach Simon 2015, 21ff.):
- Erstens man wechselt die Seite und geht mit.
- Zweitens man wechselt nicht und geht auf seiner Seite weiter.
Hier ist das Gehen auf der einen Seite die Negierung des Gehens auf der anderen Seite. Diese beiden Optionen, auf seiner Seite bleiben oder die Seite wechseln, erfordern Mühen und können nur aktiv betrieben werden (aktive Negation).
- Drittens man geht keinen der Wege mehr mit.
- Viertens man kehrt um. Simon nennt die beiden letzten Möglichkeiten „passive Negation“ (21). Dieses „Tetralemma“ hilft Konflikte in starke und schwache zu differenzieren: „Wenn der Konflikt aus Operationen (Denken und Fühlen [intrapsychische Konflikte] bzw. Kommunikationen [interpsychische Konflikte in Gruppen und Organisationen]) besteht, die sich gegenseitig passiv negieren, so soll von einem schwachen Konflikt die Rede sein, wenn sie sich aktiv negieren von einem starken Konflikt“(Simon, 22f.). Passives Negieren erscheint weniger folgenreich für den produktiven Umgang mit Konflikten zu sein. Es läuft auf Duldung, auf „noch geradeso akzeptabel“ hinaus. Es verzichtet manchmal sogar darauf, den Weg in die eigene Richtung fortzusetzen, ohne in die andere Richtung zu gehen. So kann ein kalter Konflikt entstehen, der entweder zu einer schwachen wechselseitigen Akzeptanz der jeweils anderen Seite führen kann. Oder er kann aufgrund der schwachen wechselseitigen Akzeptanz in den folgen den Auseinandersetzungen wieder heiß und mit neuen Themen aufgeladen werden, so dass eine aktive wechselseitige Negierung eintritt und sich dabei die Dynamik in Richtung eines starken Konfliktes freisetzt. Es geht dann nicht um Beendigung des Konfliktes, sondern um seinen Erhalt. Daran haben die beteiligten psychischen und sozialen Systeme ein Interesse und schließlich auch daran, den Konflikt zu jeweils eigenen Gunsten zu entscheiden. Zu bedenken ist, dass ohne Kompromissbereitschaft der jeweils Handelnden das Ende der Kommunikation drohen kann. Und, so fragt Simon (29), muss es nicht in der Konfliktbearbeitung um das Ende der Konfliktkommunikation gehen, damit der Konflikt tatsächlich beendet sein kann?
Hilfreiche Differenzierung
Um diese Dynamiken sichtbar zu machen, sind drei grundlegende Dimensionen von Bedeutung. Es handelt sich um die von Luhmann (1984) beschriebenen Sach-, Sozialund Zeitdimensionen.
In Konflikten streitet man um „Sachen“, um Gegenstände: die Auslegung des Kirchenrechtes bezüglich der Unterscheidung Wortgottesdienste/Eucharistiefeiern, die Nutzung der Kapelle für Einheimische versus Weggezogene, die adressatenorientierte versus deduktiv ansetzende Katechese! Es geht immer um die Unterscheidung in „dies“ und „anderes“ und damit um Alternativen. Und immer muss entschieden werden und das ist konfliktträchtig. Jede Entscheidung steht für die Wahl einer sachlichen Orientierung gegen eine sachlich anders begründete Alternative, es sei denn, die Sache ist alternativlos plausibel. Auch dieses alternativlos Plausible kann strittig werden, wenn erklärt werden muss, in welcher Hinsicht etwas alternativlos ist: wirtschaftlich, pastoral, adressatenorientiert, dogmatisch, wahr, falsch … Und unter welcher Hinsicht ist dann einer Entscheidung zu folgen? „Und da mit Sachentscheidungen oft auch individuelle Interessen oder prinzipielle ideologische Fragen verbunden sind, kann es auch hier zu heißen persönlichen Konflikten kommen.“ (Simon 2015, 41) Allerdings können Konflikte in der Sache drei produktive Dynamiken in Gang setzen: Sie unterscheiden sachlich begründete Alternativen. Sie klären die dahinterliegenden Interessen und Ideologien auf machen auf nach der Entscheidung anstehende Nachentscheidungsdissonanzen aufmerksam. In der Entscheidungssituation wird so, vorausgesetzt, die Akteure sind an Reflexion interessiert, ein erhebliches Wissen zur Verfügung gestellt, die Folgen der Entscheidung für weitere anschließende Auseinandersetzungen (präventiv) abzuschätzen.
In jeder Sachauseinandersetzung geht es nicht nur um die Inhalte, sondern auch um die Beziehungen, die systemtheoretisch als Sozialdimension beschreibbar sind. Hier kommen die Beziehungen und ihre Rahmenbedingungen der Akteure in den Blick. Es geht um die formalen (organisationalen, kulturell und moralisch festgelegten) und um die informalen (persönlichen, intimen …) grundierten Beziehungen. Organisationen bieten formale auf Rollen und Stellen fixierte Beziehungen an: Leitende, Mitarbeitende, Kunden …, die aufgrund strukturell abgesicherter und damit Unsicherheit reduzierender Handlungserwartungen miteinander kommunizieren und Entscheidungen umsetzen. Private Beziehungen haben diese Erwartungsklarheiten nicht automatisch, können sich allerdings auf kulturelle und moralische Muster beziehen und ihre jeweilige Beziehungsgeschichte mit Erwartungssicherheiten (Treue, Transparenz, Ehrlichkeit …) wechselseitig ausstatten. Konflikte in der Sozialdimension entstehen, wenn sicher geglaubte oder erwartete Reaktionen in Sachauseinandersetzungen sowie Beziehungsklärungen nicht eintreten, also das Erwartungsschema negiert wird. Wenn in der Organisation eine Entscheidung getroffen wird, erwartet sie deren Befolgung. Wenn jetzt mikropolitische Bewegungen beginnen, dieser Entscheidung nicht zu folgen, dann hat das gehöriges Irritationspotential, z. B.: Die kirchenrechtlich begründete Rechtmäßigkeit bischöflichen Handelns zur Neugründung von Kirchengemeinden wird angezweifelt und neue rechtliche Gutachten beauftragt in Verbindung mit dem Vorwurf, langjährige Traditionen aufs Spiel zu setzen, weshalb ein grundlegendes Misstrauen entsteht … Oder wenn einflussreiche Personen im Verwaltungsrat der Kirchengemeinde mit darüber entscheiden, welche Mitarbeitenden in der katholischen Kindertagesstätte einzustellen sind, und nicht nach Sach- und Faktenlage, sondern aufgrund des familiären Beziehungsnetzes eingestellt wird und demgegenüber Einspruch erhoben wird, was zu Rücktrittsforderungen führt, die Glaubwürdigkeit des Gremiums beschädigt…
In diesen sozial aufgeladenen Konflikten kann es so weit gehen, dass das Abtreten von Personen erwartet oder gar erzwungen wird.
Produktiv werden solche Konflikte, wenn miteinander um Akzeptanz in der Sache gerungen wird. Gelingt das, entsteht Einsicht, entsteht (vorsichtiges) Vertrauen, weil Negationen abgebaut werden können und Personen nicht beschädigt werden. Gelingt das nicht und Verhärtungen treten ein, zeigen sich prekäre Dynamiken nämlich dann, wenn Personen in ihren formalen oder informalen Kontexten negiert werden (vgl. die Eskalationsdynamik, die Glasl 1980 zur Analyse von Konflikten erarbeitet hat). Erst im Kontext geschichtlicher Betrachtung mag dann über den „besten“ bzw. „schlimmsten“ eingetretenen Fall entschieden werden. In der Aktualität geht es immer dann um die Existenz von Personen, wenn nicht erlaubt wird, dass zwei Akteure (Personen, Gruppen, Organisationen) nebeneinander existieren. Der extremste Fall davon ist Krieg. Die zeitliche Dimension zeigt sich in der Verbindung von Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart. Mit Konflikten kann produktiv in der Gegenwart um die Zukunft gerungen werden. Dabei spielen aktualisierte vergangene „Traditionsstücke“, Szenen, Geschichten, Erlebnisse eine bedeutsame Rolle. Nicht selten verstärken sich die Konflikte, weil die Akteure wechselseitig die aus der Vergangenheit hergeleitete Erklärung des Konfliktes negieren: „Es war aber anders“, „Und das wurde vergessen, was aber heute so wichtig ist“ … Die Bedeutungszuschreibung der Vergangenheit ist die Plausibilitätsquelle für das jetzige Handeln. Hier können Beziehungs- und Sachgeschichten unterschiedlich erzählt werden. Gelingt hier keine gemeinsame Orientierung, besteht die Gefahr, dass der Konflikt hinsichtlich seiner Zukunftslösungen kaum noch produktiv wird, weil die Energie in der Klärung der vergangenen Szenen und Themen des Konfliktes stecken bleibt.
Anders verhält es sich mit der Zukunftsorientierung. Es kann noch niemand wissen, in welchem Maße Entscheidungen die erwünschten Wirkungen in der zukünftigen Gegenwart erzielen. Doch sachlich gut aufgestellt, sozial gut ausgehandelt, kann das Erreichen der Ziele erwartet werden. Dies zeigen z. B. Konflikte um pastorale Konzepte, die in sich Zielkonflikte in Verbindung mit der Bereitstellung von finanziellen, zeitlichen und personalen Kapazitäten entscheiden. Hier können Auseinandersetzungen in der Sozialdimension die sachliche Diskussion um die Chancen für die Zukunft torpedieren. Dann wird es kaum Fortschritte geben, wenn damit indirekt das Bewahren des Status quo aufgrund der Verweigerung zukunftsorientierter Wirklichkeitskonstruktionen die Lösung des Zielkonfliktes darstellt. Wenn, wie am Beispiel der Synode im Bistum Trier, zukunftsweisende Perspektivwechsel Maßgabe gegenwärtiger zukunftssichernder Entscheidungen sein sollen und viele Akteure davon sprechen, dass sie schon immer diese Perspektivwechsel angewendet haben, dann wird damit das Ergebnis der Synode als Orientierung für das Bistum relativiert. Nicht selten lassen sich dabei Konflikte in der Sozialsowie der Sachdimension identifizieren:
„Ich war nicht dabei, die dreihundert Synodalen können mir nicht vorscheiben, wie ich pastoral zu wirken habe“, „die Hinweise der Synode zur Vielfalt der Familienbilder stimmen nicht mit meiner theologischen Überzeugung überein“, „die Umsetzung der Synode entspricht nicht den Prinzipien der Synodalität, wir werden nicht mitgenommen und Partizipation ist eine Farce“ … Dieses auf Zukunft hin ausgerichtete Konfliktpotential ist gegenwärtig zu bearbeiten und verlangt ganz besondere kommunikative Anstrengungen. Produktiv werden die Konflikte um die Umsetzung der Synode, wenn sie zu sachlichen Auseinandersetzungen führen, neue handlungs- und entscheidungsleitende Bilder entwickeln und die Wertschätzung dessen, was war, nicht ausspielen gegenüber dem, was werden soll.