Bibliotheken sind aus der Geschichte der Kirche nicht wegzudenken. Und umgekehrt wäre auch die europäische (Geistes-)Geschichte ohne die kirchlichen und insbesondere klösterlichen Bibliotheken in dieser Weise gar nicht möglich gewesen – selbst die Universitäten mit ihren Bibliotheken waren im Mittelalter ja engstens mit dem kirchlichen Umfeld verwoben. Als im 19. Jahrhundert die Idee von „Volksbibliotheken“ großen Zulauf bekam, fiel diese Vorstellung darum durchaus konsequenterweise auch in den Kirchen auf fruchtbaren Boden, zahlreiche Vereinsoder Pfarrbüchereien entstanden, die sich der Volksbildung und der Verbreitung christlicher Literatur verpflichtet sahen. Waren Pfarrbüchereien jedoch bis zum Konzil in aller Regel Büchereien von der Pfarrei für die Pfarrei (was natürlich auch schon nicht ohne Wert war), sind die Katholischen öffentlichen Büchereien heute Büchereien von der Pfarrei für alle Menschen – und erfüllen gerade so den vom Konzil festgestellten Auftrag, am „rechten Aufbau der menschlichen Gesellschaft“ mitzuwirken und sich „an den kollektiven Veranstaltungen und Aktionen im kulturellen Bereich“ zu beteiligen, „damit sie mit humanem und christlichem Geist durchdrungen werden“ (Gaudium et spes 3; 61).
Lesen als dialogischer Prozess
Büchereien können somit in hervorragender Weise pastorale Aufgaben erfüllen, die gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig sind, da bei großen Teilen der Bevölkerung das Vertrauen in die Kirchen schwindet. Während es für die Kirche als Institution immer schwieriger wird, selbst sogenannte „niederschwellige Angebote“ überhaupt noch an die Frau oder den Mann zu bringen, sind die Katholischen öffentlichen Büchereien – und das sind in Deutschland immerhin über viertausend! – mit ihren Nutzerinnen und Nutzern, die sich nicht auf Kirchgänger/-innen beschränken, ja bereits in einem permanenten Austausch verbunden. Und das geschieht sogar in einer zweifachen Weise. Zunächst natürlich über die Bücher (und andere Medien), welche die Bücherei ihren Nutzerinnen und Nutzern anbietet und so mit diesen in eine Art von „Gespräch“ kommt. Denn das Lesen ist an sich schon eine Form der Kommunikation, da das Gelesene ja von den Lesenden nicht allein rezipiert, sondern immer zugleich auch reflektiert wird und darin bereits eine Form von „Antwort“ findet. Das Lesen bringt die Lesenden obendrein notwendigerweise in die Position, zumindest vorübergehend auch einmal die Sichtweise anderer Personen einzunehmen. Das Lesen ist also weit entfernt davon, ein rein passiver Vorgang zu sein und den Einzelnen alleine auf sich selbst zurückzuwerfen, es ist immer bereits ein dialogischer Prozess. Im Wesenskern definiert sich eine Bücherei deshalb natürlich immer zuerst einmal über ihr Angebot an Büchern (und anderen Medien). Auch das spezifisch katholische Profil der Katholischen öffentlichen Büchereien wird sich darum gegenüber rein kommunalen öffentlichen Büchereien nicht zuletzt auch in der Buchauswahl zeigen – wobei man das jedoch keineswegs in einem einschränkenden oder gar abgrenzenden Sinne missverstehen darf.
Durch Bücher im Gespräch mit der Welt
Im Rahmen ihres Gesamtangebots muss eine Bücherei nämlich einem doppelten Auftrag entsprechen, der gemäß der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ (GS) an die Christen gestellt ist, um „mit allen Menschen“ im „Dialog“ (GS 92) zu sein. Zum einen geht es eben gerade auch darum, dass Christen bereit sein müssen, die Erfahrungen aller Menschen anzuhören, und diese finden nicht zuletzt im kulturellen Bereich ihren Ausdruck. „Die Gläubigen sollen also in engster Verbindung mit den anderen Menschen ihrer Zeit leben und sich bemühen, ihre Denk- und Urteilsweisen, die in der Geisteskultur zur Erscheinung kommen, vollkommen zu verste hen.“ (GS 62) Eine Bücherei spiegelt deshalb zunächst einmal ganz zu Recht vor allem auch das jeweils aktuelle Angebot des Buchmarkts wider, sowohl was den Sachbuchbereich wie die erzählende Literatur betrifft – und eine grundsätzliche Offenheit und Weite, was Themen, Inhalte und Standpunkte betrifft, ist dabei nicht nur tolerabel, sondern tatsächlich ganz im Sinne des katholischen Trägers. Dass dabei dennoch auch gewisse Grenzen einzuhalten sind, widerspricht dieser Forderung nach einem im Prinzip offenen Dialog übrigens keineswegs, sondern schützt diesen vielmehr: Alles, was dazu beiträgt, andere Menschen auszugrenzen (z. B. politische Agitation) oder herabzuwürdigen (z. B. Pornographie), darf natürlich in einer katholischen Bücherei keinen Platz haben.
Freilich besteht das Gespräch der Christen mit der Welt, wenn es denn ein echtes Gespräch sein soll, aber auch nicht ausschließlich darin, die Erfahrungen der Welt anzuhören – die Christen haben schließlich auch selbst etwas in dieses Gespräch einzubringen. Und das beschränkt sich durchaus nicht auf religiöse Bücher im engeren Sinne, denn auch andere Sachbücher, die dem Leser aktuelle und fundierte Kenntnisse vermitteln über die Welt und die Stellung des Menschen in der Welt, oder literarische Werke, die „die Situation des Menschen in Geschichte und Universum […] erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not und seine Kraft […] schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen […] lassen“ (GS 62), können schließlich dazu beitragen, „den Geist des Menschen sanft zur Suche und Liebe des Wahren und Guten“ und damit „vom Sichtbaren zum Unsichtbaren“ (GS 15) zu führen. Eine recht verstandene katholische Büchereiarbeit vermag darum nicht nur den Bildungsauftrag der Kirche wahrzunehmen, sondern in unaufdringlicher Weise sogar auch den Verkündigungsauftrag der Kirche zu unterstützen. Letztlich geht es bei der Auswahl aller Bücher darum, in einer wohlausgewogenen Art und Weise das Gespräch der Christen mit der Welt zu befördern und dadurch beizutragen, „eine bessere Welt in Wahrheit und Gerechtigkeit aufzubauen“ (GS 55).
Ein fruchtbares Miteinander von Hauptund Ehrenamtlichen
Katholische öffentliche Büchereien leben in einem hohen Maße vom Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter/- innen. Das gibt einerseits engagierten und kompetenten Laien eine schöne und von sehr vielen als außerordentlich bereichernd erfahrene Möglichkeit, am pastoralen Handeln teilzuhaben, macht andererseits aber auch eine professionelle Unterstützung durch diözesane Bücherei-Fachstellen und die katholischen Bücherei-Fachverbände unabdingbar. Die beiden großen Büchereifachverbände Sankt Michaelsbund (für Bayern) und Borromäusverein (für alle übrigen Bundesländer) sind im Bereich der Aus- und Weiterbildung der Ehrenamtlichen tätig, geben Unterstützung in allen büchereipraktischen Fragen und vielfache Hilfen beim Bestandsaufbau. Dazu haben beide Verbände unter anderem eigene Lektorate, die gemeinsam den Buchmarkt sichten und – unter Mithilfe von zahlreichen ehrenamtlichen Rezensentinnen und Rezensenten – gemäß den Zielsetzungen der katholischen Büchereiarbeit Buchbesprechungen erstellen und Buchempfehlungen (online und in gedruckter Form) geben, aus denen die einzelnen Büchereien je nach Größe und Nutzerprofil die für sie geeigneten Titel auswählen können. Der Sankt Michaelsbund unterhält darüber hinaus eine Büchereizentrale, in der Büchereien beim Buch- und Medieneinkauf mit fachlicher Beratung in vielfacher Hinsicht unterstützt werden. Auch bei regelmäßigen Fortbildungsveranstaltungen 35 ist die Vorstellung geeigneter Novitäten neben büchereipraktischen Fragen immer ein besonderer Schwerpunkt.
Büchereien als Ort des Gesprächs und der Begegnung
Doch Büchereien ermöglichen ihren Nutzerinnen und Nutzern natürlich nicht nur das Gespräch mit Büchern und Medien, sondern darüber hinaus auch das Gespräch miteinander – über die gelesene Literatur, über aktuelle Themen oder grundsätzliche Lebensfragen. Büchereien fungieren so als Orte des Gesprächs und der Begegnung in der Gemeinde, hier können Leser/- innen untereinander und in Beratungsgesprächen mit den Mitarbeiter/- innen fast wie von selbst ins Gespräch kommen. Unabhängig von Alter und Beruf, Herkunft und sozialer Stellung können in der Bücherei Gottesdienstbesucher/-innen wie Fernstehende aufeinandertreffen und ihre Meinungen und Erfahrungen austauschen. Besondere Lebendigkeit erhalten die Büchereien aber auch durch vielfältige Veranstaltungsangebote: von klassischen Autorenlesungen und Vorträgen über thematische Buchvorstellungen oder Buchausstellungen bis hin zu Lesenächten, Literaturgesprächskreisen etc.
Gerade hier ergeben sich natürlich auch viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Bücherei und Seelsorger/-innen: besonders naheliegend bei Veranstaltungsangeboten zu religiösen Themen oder auch zu den „geprägten Zeiten“, bei Autorenlesungen oder Buchvorstellungen aus dem Bereich religiöser oder sinnsuchender Bücher. Ganz oft könnten sich übrigens Anknüpfungspunkte auch bei der belletristischen Literatur ergeben, dafür muss man sich allerdings schon ein wenig mit der Materie vertraut gemacht haben, um Berührungsflächen auch zu erkennen. In jedem Fall sollten pastorale Mitarbeiter/-innen auch die Möglichkeiten zum Gespräch und zur Begegnung nutzen, indem sie selbst als Nutzer/-innen der Bücherei in Erscheinung treten. Neben spontanen Gesprächen sind aber auch institutionalisierte Gesprächsrunden sinn- und wertvoll, z. B. bei Literaturgesprächskreisen, die in einer katholischen Bücherei mit ihrem Angebot an spiritueller Literatur durchaus auch zu Glaubensgesprächen werden können. Umgekehrt ist es natürlich ebenso richtig und wichtig, wenn die Pfarrgemeinde durch die Seelsorger/-innen immer wieder auf die Angebote der Bücherei aufmerksam gemacht wird.
Kinder in den Büchereien als besondere Chance
Eine ganz besondere Chance liegt übrigens auch in der Tatsache, dass Büchereien in einem – gemessen am Bevölkerungsanteil – überproportionalen Maße von Kindern (aller Altersstufen) genutzt werden. Denn hier lassen sich gleich mehrere positive Aspekte vereinbaren: Büchereien sind so in jedem Fall ganz wichtige Orte der Leseförderung, was einerseits nicht weniger bedeutet als die Herstellung von Chancengleichheit in der Anwendung einer grundlegenden Kulturtechnik, welche Voraussetzung ist, Zugang zu finden zu den „Wohltaten der Kultur“ – vom Konzil als eine „höchst zeitgemäße Pflicht“ bezeichnet (GS 60). Die Vermittlung der Lesefertigkeit geschieht andererseits ja auch immer bereits mit bestimmten Inhalten verbunden – eine enorme Chance, Kindern nicht nur Sachwissen über die Welt beizubringen, sondern ihnen – gerade auch über erzählende Literatur – eine lebensbejahende, vom christlichen Glauben geprägte Weltsicht zu vermitteln, ihnen für alle möglichen Lebensprobleme tragfähige Lösungen aufzuzeigen und ihnen so wertvolle Lebenshilfe zu bieten. Klug ausgewählte Kinder- und Jugendbücher können so gleichzeitig die Lesefertigkeit verbessern und auf unterhaltsam empfundene Weise positive Inhalte und Werte vermitteln – und damit nachhaltige Begeisterung für das Lesen und die Welt der Bücher wecken. Und nicht zuletzt können durch die Begeisterung der Kinder für das Lesen und die Bücherei auch die Eltern und die ganze Familie vom Sinn und Wert der Bücherei überzeugt (und so unter Umständen auch Fernstehende ein wenig in den Wirkungskreis von Kirche gebracht) werden.
Das pastorale Wirken der Büchereien ( an-)erkennen
Dass Katholische öffentliche Büchereien einen ganz entscheidenden Beitrag zum pastoralen Wirken der Kirche in der Welt und für die Welt erfüllen, wird leider noch immer oft übersehen bzw. unterschätzt – übrigens nicht selten auch von den Büchereimitarbeiterinnen und -mitarbeitern selbst. Es ist darum in jeder Hinsicht sehr wünschenswert, wenn alle pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Seelsorgeeinheit, aber natürlich auch Pfarrgemeindeund Pfarrverbandsräte mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bücherei in Kontakt kommen und diesen Austausch regelmäßig und dauerhaft fortführen. Dabei soll und darf es keineswegs darum gehen, Büchereien für alle möglichen pastorale Zwecke zu vereinnahmen – denn die Büchereien erfüllen bereits einen pastoralen Auftrag. Es geht vielmehr darum, diesen originären pastoralen Zweck der katholischen Büchereiarbeit in den Blick zu bekommen und zu erkennen, dass darin auch eine enorme Chance liegt: In der Katholischen öffentlichen Bücherei mit ihrem Buch- und Medienangebot sowie mit ihren Veranstaltungen können christliche Religion und katholische Kirche als offen und einladend, ohne zu missionieren, und damit in positiver Weise als erreichbarer und annehmbarer Dialogpartner erfahren werden.