1.
Erster Dezember
Wer mehr ahnt als er weiß, weiß mehr als er ahnt
Propheten
sind es
aus allen Berufen und Altersstufen
die mit ihrem Tief- und Weitblick
durch die adventliche Gegenwart
schaun
und sie auf Neues hin durchschaun
sie leben mitten unter uns
– unerkannt, verkannt, aberkannt
Neues
sie zeigen mitten unter uns
– störend, empörend, unerhört heilsam
Neues
sie wagen es mitten unter uns
– durch ihre Tat, mit ihrem Leben,
in ihrem Wort
wie einst Jesaja (43,19):
„Seht her, ich mache … Neues“
2.
Zweiter Dezember
Täglich neu
Sich selbst
einmal loslassen
wie bei einem Fallschirmsprung
aus den Wolken fallen
mit Wagnis – ohne Waghalsigkeit
mit Mut – ohne Übermut
mit Leichtigkeit – ohne Leichtfertigkeit
sich trauen
sich etwas zutrauen
sich dem Himmel und der Erde
anvertrauen
täglich neu
3.
Dritter Dezember
Ich bin nicht allein
Manchmal
hätte ich gern eine Leiter
die mich nach oben bringt
Sprosse für Sprosse, Schritt für
Schritt eine Hilfe
mit der ich über Mauern schauen kann
die mir einen neuen Horizont
erschließt
Weitwinkel – die Perspektive des
Himmels
manchmal wäre ich gern eine Leiter
damit ich anderen eine Hilfe sein kann
herauszukommen aus Engen und
Ängsten
Not und Bedrängnis
Sprosse für Sprosse, Schritt für Schritt
hinauf und hinaus in die freie
Weite – Ebene des Himmels
manchmal spüre ich eine Leiter
die mich hebt und hält
und immer wieder neu bereitsteht
Sprosse für Sprosse, Schritt für Schritt
mich zu führen zu mir selbst
und über mich hinaus zum Anderen
und zum GanzAnderen
– in der Gemeinschaft des Himmels
bin ich nicht allein
4.
Vierter Dezember
Sprichwort: Ehrlich währt am längsten
Ähren-Worte
kommen ohne Buchstaben aus
ohne Silben und Sätze sind sie da
wenn im späten Sommer die Getreidehalme
reif und reich an Körnern sich neigen
und wiegen
vom Winde bewegt und mit ihm spielend
Ähren ihre Worte finden
und mit leisen Lauten Dank sagen
für den Wind und für den Regen
für die Sonne und für die Erde
Dank in den offenen Himmel hinein
Ähren-Worte
5. 25
Fünfter Dezember
Zeitlebens frage ich mich
Wozu bist du?
da antwortet eine Lampe
ich bin von Menschen gebaut
– damit ich leuchte, wenn es dunkel ist
da antwortet ein Kirchturm
ich bin von Menschen errichtet
– damit ich zum Himmel zeige
auch wenn es hell ist
da antwortet ein Baum
ich bin von Menschen geliebt
– derweil ich das Leben lebe
ohne Warum und ohne Wozu
6.
Sechster Dezember
Warum nicht?
Heiliger St. Nikolaus, komm auch mal in unser
Haus!
Bitte! warum, das wissen wir nicht,
nur, dass du mit den Gaben, die du
gibst
uns liebst – ohne Warum und ohne
Wozu
drehst unser „Höher, schneller,
weiter!“
die verzweckte Leistungs-Leiter
einfach um, wie schön!
so nimm auch unsern DankApplaus!
und komme wieder, lieber Nikolaus
7.
Siebter Dezember
Online is only one line – zum Glück
Netze
nutzt der Mensch
um etwas einzufangen, aufzufangen
oder sich auffangen zu lassen
Netze sucht der Mensch
er findet und erfindet
spinnt und spannt Netzwerke
in denen er lebt, sich bewegt und ist
vernetzt in der Gemeinschaft der
Eiligen
durch weltumspannende Telekommunikation
– Werk der Erde und der menschlichen
Arbeit
www-immanent
vernetzt in der Gemeinschaft der
Heiligen
durch Religionen und Konfessionen
weltumspannend und darüber
hinaus
– Werk des Himmels und des
menschlichen Lebens
www-transzendent
Netz der Netze
8.
Achter Dezember
Gelassen sein
Was fällt mir dazu ganz persönlich ein?
in Ruhe abwarten – na ja – schaun
mer mal
– stets bereit Neues zu erleben –
und Anderes,
vielleicht sogar GanzAnderes – dafür
offen sein
– frisch und froh und frei – so wie
ich bin – im
Ja zu mir selber – leben in und mit
der Welt wie
über sie hinaus – zugleich – ist das
denn möglich?
– bin gespannt entspannt optimistisch
und ohne
Stress geduldig – komme, was
kommt – auch
Schweres, Hartes, Unbegreifliches –
Geheimnis
des Lebens – sich auch mal überraschen
lassen
– den Hauch von Liebe, Glück,
Mut, Freude mir
wie anderen gönnen – aber auch
dann und wann
einfach mal nur da sein – ohne
Warum
und ohne
Wozu – schon und noch unterwegs
– gelassen
sein – und …
9.
Neunter Dezember
Was führt schneller, höher und weiter als …?
Ein Tele- oder Smartphone
nehme ich gern zur Hand
wenn ich über große oder kleine
Entfernungen
jemand anrufen, mit ihm sprechen,
zuhören
oder etwas mitteilen will
ein Tele- oder Smartphone
lässt mich immer wieder staunen,
wie viel Kontakte
Gespräche und Verbindungen mir
damit möglich sind
sekundenschnell rund um die Uhr
rund um die Welt
ein Tele- oder Smartphone
kommt mir vor Augen, wenn ich
mit der Bibel den
Psalmvers bete: „Aus der Tiefe rufe
ich, Herr, zu dir …“
und dabei eine Verbindung aufnehme,
die schneller,
höher und weiter führt als …
10.
Zehnter Dezember
Oft und immer wieder
Unterbrochen
war
meine Verbindung
zu dir, Gott
abgelegt wie ein Telefonhörer
auf einem falschen Adressbuch
da ich dich suchte
weit weg von mir
vielerorts und vielfach
mich versuchte
warst du doch bei mir
in allem mich suchend
heimsuchend zu dir
– ununterbrochen
11.
Elfter Dezember
Wer ist es nicht?
Behindert
bin ich
in euren Augen fall ich auf und falle
durch die Raster des Normalen
überall und immer wieder bin ich mir
und anderen zur Last
Torso, Bruch, Teil meiner selbst
nein, ich funktioniere nicht
nach Maß und Plan und Soll
ich lebe unten
aus der Tiefe kann ich höher schaun
da bin ich ganz ich selber ungehindert
behindert
12. 27
Zwölfter Dezember
Warum lässt Gott das zu?
Not und Tod
Gott, wo bist du
in all dem Dunkel unseres Lebens?
fragen und klagen wir Menschen
seit Urzeiten
in dieses Dunkel lässt Gott sich ein
durch und mit und in Jesus geht
und führt er durch das KarfreitagsTal
des Todes in den AuferstehungsMorgen
des Ostersonntags
als der Auferstandene
sich seinen Jüngern zeigt
fragt Thomas der Zweifler:
Und wo sind die Wunden?
Taste und teste, sagt Jesus
– hier, in und an meinem Leib
da sind sie, die Wunden, meine,
deine und all das Dunkel
das die Welt umspannt und
in den Herzen der Menschen
noch wuchert – das Datum
seiner Haltbarkeit aber
ist bereits überschritten
seit Ostern
13.
Dreizehnter Dezember
Fritzchen sagt und fragt: Jesus ist doch auferstanden, nicht mehr am Kreuz. Warum lassen wir ihn hängen?
Nach Vorbildern
lebt die Kirche
oft im Strom der Zeit
sie passt sich an
und passt zugleich
sich windend und wandelnd
auf ihrem Weg
von einer festen Burg
mit Heilsherrschaft
hin zu Gottes Volk
auf Wanderschaft
vom einsam spitzen WächterTower
hin zur breiten BasisPower
kann sie mit den Armen Christi
selbst nach Krisen und Skandalen
mit Lücken und Krücken
verbeult und verheult
immer wie neu sich sehen
und wirken lassen
nach SEINEM Vorbild
auch in Sandalen
14.
Vierzehnter Dezember
Zusammenklappt, wenn’s nicht zusammen klappt
Erschöpft
verletzt
verseucht
beschädigt
schindet und schandelt
windet und wandelt die Erde
sich
ist es Entfaltung oder Endfaltung?
Sucht oder Suche? nach dem
Paradies
„Erdling, wo bist du?“
betroffen offen bleibt es, ob sich die
Erde
im Menschen erschöpft
oder in ihm, durch ihn und mit ihm
neuschöpft
15.
Fünfzehnter Dezember
Der Glaube lebt ohne Zweifel – vom Zweifel
Glauben nennt ihr’s
von mir aus – das, was mich als
Mensch
mit Herz und Hand gelassen locker
auch
mit dem Verstand mehr nüchtern
als schüchtern
im Gegenüber ohne Gegen und
ohne Über
mit DEM verbindet, der mich stark
macht, sich
verbündet uns zum Leben miteinander
hilft
im Alltag unserer Welt und darüber
hinaus
Glauben nennt ihr’s – von mir aus
16.
Sechzehnter Dezember
Sinn ersinnen mit Kopf und Fuß und Herz und Hand – aber auch mit dem Bauch
Auf allen Kanälen
zwischen
Himmel und Erde
suchen und fragen
prüfen und wagen
die Menschen heute
digital wie analog
spürend und spurend
tastend und testend
nach dem Geheimnis des Menschen
in dem Gott selbst heimisch ist
und weiter werden will
mit allen Sinnen
irdisch gefährdet
himmlisch geerdet
auf allen Kanälen
17.
Siebzehnter Dezember
Herbstblätter lösen sich von ihren Zweigen, fallen, schweben, spielen mit dem Wind und geben sich zurück zur Erde
Flügel
müsste man haben
denke ich oft
unsichtbare EinwegFlügel
stelle ich mir vor
und wie ich glaube
habe ich sie,
wenn es soweit ist
die Erdenschwere aufzuheben
hinauf und hinaus
in die weite
grenzenlose Freiheit
über den Wolken
und weiter
ohne Flügel
18.
Achtzehnter Dezember
In der tiefsten Tiefe meiner Mitte
Meditieren
dabei lasse ich mich gehen
suchen und finden
tief im Grunde meines Selbst
in meiner Mitte
dort, wo mein Wort zum Schweigen
und mein Schweigen zu Wort kommt
wo alles leer ist und still
ich nichts mehr weiß und will
ahne, spüre und erfahr’ ich mich
im Heim und Keim des Lebens ganz
als seins und meins in eins
beim Meditieren
19. 29
Neunzehnter Dezember
Krippe und Kreuz. Zwei Zugänge zu Weihnachten. Ein zarter und ein harter.
Das Kreuz
zu jener Zeit
ein Werkzeug des Todes
bis hin zum Kreuz von Golgota
das sich offenbart als
Zeichen des Sieges in der Niederlage
Neubeginn im Abschied
Leben im Tod
schon von der Krippe her
und auf sie hin
Symbol der Liebe Gottes
20.
Zwanzigster Dezember
„Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott …“ (Ps 8,5/8,6)
Gott
der dem Menschen
sein Geheimnis mitteilt
und es mit ihm teilt
auf dass er
im Geheimnis seines Selbst
selbst heimisch werde
– im Win-win-Spiel der Liebe
21.
Einund- zwanzigster Dezember
„… denn Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8)
Ja, die Liebe
das schönste und schwerste Rätsel
des Lebens
zwischen Himmel und Erde
für jeden erfahrbar, nicht zu erraten
– ein heilsamer Ausnahmezustand?
– hormonales Irrsein, das vorübergeht?
– List der Lust auf mehr und neues
Leben?
Gabe, die sich selber gibt
auf all ihren Wegen
aus den höchsten Höhn bis in die
tiefsten Tiefen
ihr Geheimnis
von uns nicht auszudenken, nur zu
hoffen
selbst die Opfer und Missbrauchstäter
durch†kreuzt und heilt
letztendlich
die Liebe
Nun die Seite von unten nach oben
lesen!
22.
Zweiundzwanzigster Dezember
Uns zum Zeichen: Ein Kind in einer Krippe liegt. Den Menschen anvertraut.
Dazwischen sein
will Gott zu jeder Zeit und überall
besonders dort, wo und wie heute
Weihnachten gefeiert oder erinnert
wird
auch
zwischen Kitsch und Kommerz
zwischen Kult und Konsum
zwischen Krippe und Kreuz
heimsuchend und -findend
da zwischen
23.
Dreiundzwanzigster Dezember
„Einmal werden wir noch wach, heißa, dann …“, so singen wir mit den wartenden Kindern, denn …
In jener Nacht
teilt Gott
im Krippenkind von Betlehem
dem Menschen sein Geheimnis mit
und teilt es mit ihm
auf dass er im Geheimnis dieses
Kindes
selbst heimisch werde
dank jener Nacht
24.
Vierundzwanzigster Dezember
Der Säugling Jesus die neue Selbsterfahrung Gottes als neue Gotteserfahrung des Menschen in ihm
… der aus der Reihe
tanzt
ein großer Stern
ein helles Licht geht auf am
Sternenhimmel
Israels
ein Stern
vom Volk ersehnt, erhofft, erwartet
durch die Jahrhunderte
geschaut von Sehern und Propheten
verkündet und verheißen
als wunderbarer Ratgeber, Retter,
Friedensfürst
König in Ewigkeit, mächtig und
prächtig
gesandt, gesalbt, gesegnet
– von Gott selbst
ein Stern
der sich einfügt in die Ahnenreihe
der Väter wie einst
König David, Abraham, Isaak,
Jakob
– und aus der Reihe tanzt
ein Stern
der aufblüht wie eine Rose aus der
Wurzel Jesse
aufglüht wie eine Supersonne Licht
und Leben ausstrahlt
in alle Richtungen des Himmels und
der Erde kreuzförmig
und zur Welt kommt
wörtlich und örtlich zu jener Zeit in
Betlehem
– aber auch in mir
und mit mir
… aus der Reihe tanzt