Man könnte meinen, eine solche Kulturdiskussion sei überflüssig. Schließlich sei das Miteinander von Christen – und das auch noch im Kontext Kirche – doch ganz selbstverständlich geprägt vom Geist des Evangeliums, also unabhängig von Ellenbogendenken, Egoismus, Eitelkeit, Narzissmus, Machtspielen, Eifersucht. Doch weit gefehlt: Fast alles, was es in anderen Bereichen der Gesellschaft an fragwürdigen Einflüssen auf die Kultur des Miteinanders gibt, findet sich auch im Kontext von Kirche. Es sollen hier Wege angedacht werden, diese Lücken zwischen Ideal und Realität zu schließen. Ich diskutiere dazu drei ausgewählte Bereiche an: Personalarbeit, Kommunikations- und Motivationskultur.
Personal
Führungskräfte im kirchlichen Bereich sollten überzeugte Christen sein. Der eigenen Heilsbestimmung zu folgen und Mitarbeiter dazu zu befähigen, ihrer je eigenen gottgegebenen Bestimmung selbst in freier Verantwortung nachzukommen, ist wesentlicher Bestandteil solcher Professionalität. Es ist daneben in der Mitarbeiterschaft von Kirche – je nach Arbeitsbereichen – Raum für Menschen unterschiedlicher Weltanschauung und Religion, vorausgesetzt, sie wertschätzen und unterstützen die christliche Kulturprägung. Christliche Personalität zeichnet sich gerade dadurch aus, dass auch die Fremden und die Anderen selbstverständlich als Gottes Ebenbilder mit voller Würde angesehen werden.
Gerade in Führungspositionen und von theologischen Vordenkern sind neben dem Bekenntnis grundsätzlich auch besondere Charaktereigenschaften zu erwarten. Bei der Besetzung solcher Stellen sollte neben der fachlichen Eignung die menschliche Qualität eine wesentliche Rolle spielen, und nicht das Lager oder Netzwerk, dem man zuzuordnen ist oder wird.
Das herkömmliche Bild, dass Priester, Diakone und alle anderen pastoralen Berufe alles können müssen, sollte ad acta gelegt werden. Das heißt keineswegs, dass jeder im Sinne viel beschworener Charismenorientierung einfach das machen kann, was er gerade will. Das ist Verschwendung an Ressourcen und deshalb ineffizient. Eigennützige Privilegien im Sinne der bloßen Selbstverwirklichung sind abzuschaffen. Stattdessen sind zwei Seiten zu sehen, wenn vom Vorrang der persönlichen Entfaltung geredet wird. Schließlich gibt es Charismen auf der einen Seite, notwendige Einsatzfelder für eine wieder erfolgreich einladende Kirche auf der anderen Seite. Im Idealfall trifft sich beides. Aber einige sogenannte Charismen treffen es eben nicht. Andererseits bleiben so manche Talente zu wichtigen Aufgaben bislang unentdeckt, oder sie gehen unter, weil man den pastoralen Berufsgruppen bisweilen uniforme Schablonen angelegt beziehungsweise übergestülpt hat. Talentsuche und -förderung über Zufall, Zuruf, Abhängigkeiten oder Netzwerke ist meist ein Irrweg. Es könnten sich stattdessen etwa ausgewiesene Experten durch die Gemeinden und kategorialen Bereiche aufmachen auf der Suche nach bislang verborgenen Talenten. Über diesen Weg könnten etwa ausgezeichnete Prediger gefunden werden, die man noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Oder an anderen Stellen gibt es eine Gemeindereferentin, die in ihrem lokalen Bereich exzellente Angebote für Besinnungstage machte. Sie könnte dafür auf die Bistumsebene berufen werden. Diese Form der Talentsuche ist beim Sport abgeschaut. Aber warum nicht? Der Unterschied ist: In der Kirche werden die Talente nicht abgeworben, sondern im eigenen Haus entdeckt und gefördert. Bislang unentdeckte Talente bekämen so eine Chance oder erleben gar einen Durchbruch. Sie werden davon begeistert berichten, abgesehen davon, dass sie in ihren neuen Aufgaben aufblühen und segensreich wirken.
Kommunikation
Im Bereich Kommunikation haben versierte Bildungsprofis und Coaches in den letzten Jahren wichtige Arbeit geleistet. Als große Herausforderung bleibt: Bis in schwierige Personalfragen hinein müssen Konflikte ehrlich angesprochen und ausgefochten werden. Manches Mal wird solche Offenheit gemieden, um aus falsch verstandener Nächstenliebe Verletzungen zu vermeiden. Dahinter steckte sicher bisweilen ein hohes Ethos. Woanders will man vielleicht grundsätzlich vermeiden, unangenehme Konflikte auszutragen. Doch neben dem Ausdruck positiver Wertschätzung müssen wir auch eine Kommunikation wertschätzender Kritik kultivieren, ohne natürlich dabei verletzend zu sein. Das hilft den Betroffenen, auch einmal unerwartete oder enttäuschende Entscheidungen zu verstehen, zielbewusst an sich zu arbeiten und daraus sich ergebende Erfolge in der eigenen Entwicklung klarer zu identifizieren. Vieles hat sich hier schon gebessert.
Nun zum Miteinander verschiedener Meinungen. Im Bereich der Theologie und Kirche darf und soll auch mal inhaltlich kontrovers miteinander gerungen werden. Das Ideal wäre: Vertreter und Anhänger selbst ganz unterschiedlicher Meinungen erkennen an, dass man aus einer ehrlichen Glaubensperspektive eben auch eine Gegenposition begründen und vertreten kann. Sie schätzen sich also auch gegenseitig. Eine solche Gemeinsamkeit auch in der Differenz ist leider nicht immer selbstverständlich. Im theologischen Fachbereich der christlichen Sozialethik habe ich solche Unkultur persönlich schmerzlich erlebt. Wir brauchen eine gute Streitkultur von echter Toleranz, die diesen Namen verdient. Es ist eine Toleranz aus Glauben in Freiheit. Eine solche Kultur bringt wirklich neue Gedanken hervor, bereichert Erkenntnis und Entscheidungsfindung.
Vertrauen heißt: In professionellen kirchlichen Teams trauen sich Kollegen, konstruktive Kritik zu äußern, da wo es der Sache dient, nicht aber zur eigenen Profilierung auf Kosten anderer oder aus dem Bedürfnis, zu einem Thema auch noch seinen Senf dazuzugeben. Der Raum für diese anspruchsvolle sanktionsfreie Diskussionskultur auf allen Hierarchieebenen ist sauber abzustecken. Denn auch die Grenzen einer guten Diskussionskultur müssen im Blick sein. Zu viel davon weckt Frust und verschleudert Ressourcen. Für Behördenmentalität ist kein Platz, wenn bisweilen auch bei nicht so sehr entscheidenden Aufgaben in endlosen Schleifen hin- und herdiskutiert wird mit zahllosen Beteiligten, die unbedingt alle informiert werden müssen, damit sie sich bloß nicht übergangen fühlen. Der Output solchen Arbeitens ist dann doch sehr fragwürdig. Wichtig dagegen sind schlanke Entscheidungsprozesse und klare Zuweisungen von Aufgaben. Das spart Zeit, Geld und Nerven, setzt Ressourcen frei für andere, wichtige Aufgaben und erhöht die Arbeitszufriedenheit. Diese Folgen strahlen nach innen und nach außen aus.
Als Vorbilder solcher Kultur sind letztlich alle im Blick, die in der Kirche Verantwortung tragen. Als christliche Bekenner schaffen sie auf der Grundlage ihres Menschenbildes gemeinsam die Freiheitsräume für eine Verschiedenheit im Geist der Einheit. Eine so breit angelegte und erlebbare Kultur schafft auf dem Fundament des christlichen Glaubens und charakterlicher Stärke Raum für Heterogenität. Die wesentliche theologische Gemeinsamkeit dieser Kultur des Miteinanders ist die christliche Idee sozialer Liebe, die letztlich auch affektiv und in ehrlicher Wertschätzung den Geist des Miteinanders konkret macht.
Motivation
Motivation schließlich setzt bei der Verinnerlichung der gemeinsamen Vision an, also einer Umsetzung der Botschaft Jesu. Was alle kirchlichen Führungskräfte und alle Mitarbeiter in den Bereichen Pastoral, Bildung, Verwaltung, Soziales und Wissenschaft miteinander verbindet, sind das gemeinsame Bekenntnis und die charakterliche Stärke, selbst das Beste zu geben und füreinander einzutreten. Diese Identität ist Grund der Loyalität und auch von Leistungsbereitschaft. Alle auch erwünschte kreativ wirksame Unterschiedlichkeit ist dieser fundamentalen Gemeinsamkeit zugeordnet. Die freie Entfaltung von Talenten und Individualität steht dem dann nicht im Wege, sondern baut gerade darauf auf. Grenzen dafür sind: Wer seinen Glauben an den dreifaltigen Gott ganz fundamental verliert und wer sich charakterlich als gewissenlos, egoistisch, arglistig o. a. entpuppt, der ist letztlich nicht mehr mit im Boot. Das Ziel ist: Man kann sich aufeinander verlassen, wenn es hart auf hart kommt. Man freut sich neidlos und ehrlich miteinander auch über individuelle Erfolge. Jeder soll und kann im Zweifel seinen Fähigkeiten entsprechend Mitverantwortung übernehmen. Die Stärkeren schützen die Schwächeren und treten für sie ein, ohne in das Private einzugreifen, wie es bisweilen bei Sekten geschieht. Dieses Verständnis von Heterogenität auf einer personalen Basis zieht an, gibt Orientierung und Raum für viel kreative Gestaltung. Motivation erwächst einem solchen Gemeinschaftsgefühl, in einem Boot und für dessen visionäre Mission mitverantwortlich zu sein. Die Motivationskultur sollte aber nicht ausschließlich korporativ gedacht sein. Letztlich geht es darum, jedem im Arbeitskontext einen Weg zu seinem Heil vor Gott zu ermöglichen. Dafür trägt letztlich jedes Individuum selbst Verantwortung. So gilt auch hier im Blick auf das persönliche Heil der durchaus liberale Imperativ „Handeln und Haften!“ Glaubwürdige kirchliche Motivationskultur hat also eine individuelle und eine korporative Seite. So verstandene synergetische Motivation lässt Raum für Wettbewerbs- und Team- Motive gleichermaßen. Ergo: Die Motivation soll letztlich vor allem intrinsisch wirksam sein und den Menschen auf dem Weg zu seinem Heil vor Gott voranbringen. Dabei muss der Egoismus gezügelt werden. Wer ganz dem Egoismus verfällt, ist auf dem Holzweg und kann letztlich eben auch nicht mehr Vorbild der neuen Kultur sein. Leistungsbereitschaft durch Konkurrenz ist dabei aber nicht ausgeschlossen.
Ausblick
Das Ziel einer glaubwürdigen kirchlichen Führungskultur ist: Der Geist des Evangeliums prägt das Miteinander kirchlicher Arbeit. Personal, das von dieser Botschaft begeistert ist, schätzt die große Freiheit des Denkens, der Kreativität, der individuellen Entfaltung und des kritischen Disputs, die das gemeinsame Bekenntnis bietet. Paulus würde das Ideal des Kirche-Seins aus dem Korintherbrief in dieser einladend gewinnenden Kultur gut wiederfinden. Es ist eine wertschätzende Toleranz aus einem Glauben in Freiheit, mit der die von ihr begeisterten Christen von heute auch die Welt um sich herum herausfordern. Eine wiedergewinnende Kirche muss die Kultur des eigenen Miteinanders am Wesen der jesuanischen Vision ausrichten. Das wirkt glaubwürdig nach innen und nach außen. Die Kultur des Miteinanders im Arbeitskontext Kirche wirkt nicht allein auf den Glauben der unmittelbar Betroffenen und ihrer Familien, sondern auch in die Gesellschaft hinein. Fragen von Personal, Kommunikation und Motivation sollten konsequent im Geist des Evangeliums umgesetzt werden. Vor allem das gemeinsame Glaubensfundament und charakterliche Redlichkeit sollten Maßstäbe für die Besetzung von Stellen sein. Sie stiften auch eine Kultur der Freiheit im Glauben, die ehrliche konstruktive Diskussionen gerade auch konkurrierender Positionen möglich macht. Korporativer und individueller Gedanke gemeinsam sollten so den Beteiligten in ihrem Arbeitsalltag dazu verhelfen, ihrem Heil vor Gott und der Umsetzung der Vision gleichermaßen einen Dienst zu tun. All diese Aspekte von Personal, Kommunikation und Motivation lassen sich unmittelbar aus unserem Bekenntnis und Menschenbild ableiten. Das macht es für die unmittelbar Betroffenen und auch nach außen hin herausfordernd und gewinnend einladend.