Die Renovabis-Pfingstaktion zeigt, dass Lernen lebendig macht....

Kaltrina, das Mädchen aus Prizren im Kosovo, ist wirklich imponierend. Die Zehnjährige, die uns in diesem Jahr vom Renovabis-Aktionsplakat anlächelt, sei wissbegierig und lerneifrig, so hat es Pater Axel Bödefeld SJ, der Schulleiter des renommierten Loyola-Gymnasiums am Stadtrand von Prizren, erzählt. Kaltrina stammt aus der Romasiedlung auf der anderen Straßenseite. Dort sind die Bedingungen zum Lernen und zum Planen von Zukunftsperspektiven nicht gerade einfach. Dennoch: Im „Loyola Tranzit“ kümmern sich Kollegstufenschüler aus dem Loyola-Gymnasium in einem Sozialprojekt regelmäßig um ihre Nachbarn. Wenn die Großen mit den blauen Schuluniformen kommen, dann ist immer etwas los. Und beide Seiten lernen etwas!

Mit der Thematik „Lernen ist Leben“ will die Solidaritätsaktion Renovabis in diesem Jahr die Menschen in Deutschland informieren, sie betroffen machen und vielleicht sogar dafür gewinnen, sich auf die Lebenswirklichkeit der Menschen im Osten Europas einzulassen und ihnen bei uns eine Stimme zu geben. Die strukturschwachen Länder im Südosten und Osten Europas finden in unserer breiten Öffentlichkeit wenig Beachtung. Dabei gibt es Regionen auf unserem europäischen Kontinent, in denen Menschen ihr Dasein ganz ähnlich zu fristen haben, wie es uns nur von sogenannten Entwicklungsländern bekannt ist. Deswegen ist vor mehr als 25 Jahren Renovabis gegründet worden: Dieses Osteuropa-Hilfswerk soll mit seiner Pfingstaktion und der Kollekte den Projektpartnern vor Ort helfen, ihre sozialen und pastoralen Projekte im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe zu verwirklichen. Kirchen und Gesellschaften in 29 Ländern Mittel-, Südost- und Osteuropas sollen sich von den gottlosen kommunistischen Regimen erholen, sich stabilisieren und Teil eines zusammenwachsenden Europas, einer Wertegesellschaft, werden.

Den Kirchen und den Zivilgesellschaften wird seit 1993 diese Unterstützung von deutschen Spenderinnen und Spendern zuteil, eben auch damit Menschen ihre Begabungen entfalten können, also durch 31 Bildung. Weil Lernen das Leben bereichert – bei uns wie im Osten Europas – ist das Jahresthema von Renovabis, das auch in den Pfarrgemeinden auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, eigentlich ein selbstverständliches Anliegen. Die Renovabis-Aktionszeit ist gleichzusetzen mit der Osterzeit: Nach dem Weißen Sonntag, wenn in den meisten Bundesländern die Osterferien enden, könnte in den Pfarrgemeinderäten, Sachausschüssen für „Eine Welt-Mission, Entwicklung, Frieden“, in der Firmvorbereitung, in Verbandsgruppen etwa von Kolping und anderen, überlegt und angesetzt werden, was die übrigen Pfarrangehörigen für die keineswegs triste Thematik vom gar nicht grauen Osten einnehmen könnte. Offiziell eröffnet Erzbischof Hans-Josef Becker am 19. Mai in Paderborn die Pfingstaktion. Bis zum Pfingstfest könnten dann Informationsstände, moderne Schnitzeljagden als Geo-Caches „auf der Suche nach dem Heiligen Geist“, Filmabende, Fahnen-Mal-Aktionen und kulinarische wie informative Osteuropa- Abende veranstaltet werden – gerne auch mit denjenigen Nachbarn, die familiäre Wurzeln in östlichen Ländern haben. Übrigens lässt sich auch das Novenengebet in die Gottesdienstordnung auf das Pfingstfest hin einbringen, besonders weil es dabei in diesem Jahr um „Herzensbildung“ geht und das Neun- Tage-Gebet ein ungarischer Priester verfasst hat.

Ein Projektbeispiel: Schüler helfen im Armenviertel

An einer Jesuitenschule in Prizren werden gesellschaftliche Grenzen durchbrochen und Kindern der Zugang zu Bildung ermöglicht.
Herzensbildung im Gebet ist Eines: Genauso wichtig ist aber die Informationsweitergabe in den deutschen Pfarrgemeinden, katholischen Vereinen und Verbänden und natürlich auch im Religionsund fächerverbindenden Schulunterricht. Dazu stellt Renovabis eine ganze Reihe von konkreten Projekten seiner Partner in den Ländern im Osten Europas vor:
Das Loyola-Gymnasium in Prizren gilt als die beste Schule des Kosovo. Jeden Morgen strömen hunderte Jungen und Mädchen in Schuluniformen – alle mit strahlend weißem Hemd und gelber Krawatte – in den ausgedehnten Komplex am Stadtrand von Prizren. Die allermeisten von ihnen stammen aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Direkt daneben liegt die Roma-Siedlung „Tranzit“, die ihren Namen von der vorbeiführenden Schnellstraße erhielt. Dort herrschen Armut und Perspektivlosigkeit; es scheint kaum vorstellbar, dass sich diese komplett verschiedenen Welten an einem Punkt berühren. Doch eine junge Ashkali – so nennen sich die Roma im Kosovo selbst – hegt einen Traum: Unbeirrbar bereitet sich die zehnjährige Izmirka auf die schwere Aufnahmeprüfung des Loyola-Gymnasiums vor. Sie sitzt auf dem Boden vor dem unverputzten Ziegelhaus, einen Schreibtisch hat sie nicht; umgeben ist sie von ihren lärmenden Geschwistern. Stolz zeigt Izmirka ihr letztes Zeugnis mit ausnahmslos guten Noten.

Izmirka wäre damit das erste Mädchen aus dem Armenviertel auf der Elite-Schule. Aber es gibt viel mehr Beziehungen zwischen den beiden Welten: Freiwilliges soziales Engagement wird am Loyola- Gymnasium großgeschrieben und die Spiritualität der Jesuiten ganz praktisch gelebt. Nach Schulschluss beteiligen sich viele Schüler der Oberstufe am Projekt „Loyola Tranzit“, bei dem sie sich als Nachhilfelehrer um Roma-Kinder kümmern. Eine von ihnen ist die 17-jährige Andita. Mit den Kindergartenkindern sitzt sie auf dem Boden und liest eine volkstümliche Geschichte vor. Nachher erklärt sie in geschliffenem Englisch: „Um ehrlich zu sein, hatte ich vorher gar keinen Kontakt zu Roma. Beim Vorbeifahren konnte ich Kinder sehen, die bettelten, manche suchten sogar im Müll nach Essbarem – alles ganz in der Nähe unserer Schule! Als ich das erste Mal im Projekt war, liefen die Kinder direkt auf mich zu und umarmten mich. Für manche bin ich mittlerweile eine Art Familienmitglied. Die Arbeit hier hat mein Denken und meinen Blick auf die Gesellschaft verändert.“

Mittlerweile steht auch ihr Berufswunsch fest: Andita möchte Lehrerin werden und das Land voranbringen. Das ist nicht selbstverständlich in einem Land, in dem die junge Generation wenig Chancen hat und ein Viertel der knapp zwei Millionen Einwohner ihr Glück in Westeuropa sucht. Kosovo hat die jüngste Bevölkerung Europas und gleichzeitig die höchste Jugendarbeitslosigkeit. Das Projekt ist dank der Spendenmittel von Renovabis mittlerweile in einem schönen Neubau mit Spielplatz und hellen Räumen untergebracht.

Wie Ordensfrauen in Zsámbék an der Zukunft arbeiten

Ein weiteres Beispiel: Schwester Katalin, die Priorin der Prämonstratenser im ungarischen Zsámbék unweit von Budapest, hat einen langen Tag hinter sich: Sie und ihre zwei Mitschwestern leiten eine Berufsschule für 500 Jugendliche, eine Seifenmanufaktur, ein Altenheim sowie eine Behinderteneinrichtung. Überall muss sie nach dem Rechten sehen, tröstende oder ermahnende Worte finden und Entscheidungen treffen. Am Abend ist sie mit ihrem Kleinwagen noch unterwegs ins Nachbardorf, wo ein Drittel der Bevölkerung Roma sind und oft in desolaten Verhältnissen leben. Auf dem Weg hält sie bei der Familie Rolan. Krisztina, alleinerziehende Mutter von vier Kindern, begrüßt die Schwester herzlich am Eingang ihres Holzhäuschens am Rand der Straße. Krisztina arbeitet als Pflegerin im Altenheim, ihr 17-jähriger Sohn Gáspár macht eine Ausbildung zur Gastronomie-Fachkraft. „Es ist eine Herausforderung, gemeinsam neue Wege für eine bessere Zukunft zu finden“, erklärt Schwester Katalin: „Viele leben von einem zum anderen Tag und planen nicht für die Zukunft. Krisztina musste lernen, mit Geld umzugehen, zwischendurch lebte sie mit ihren Kindern in einer Obdachlosenunterkunft.“
In dem Dorf besucht Schwester Katalin die 78-jährige Lászlóné und bringt ihr Medikamente gegen ihre Diabetes. Außer ihrer Tochter, die sie gelegentlich besucht, kümmert sich niemand um sie. Umso mehr freut sie sich über den Besuch der Schwester. Eine junge Mutter, kaum 20 Jahre alt, kommt vorbei und begrüßt Schwester Katalin mit einem Wangenkuss. „Petra hat bei uns eine Ausbildung zur Köchin gemacht, aber seit sie das Kind hat, arbeitet sie nicht mehr“, erklärt die Ordensfrau.

Die Arbeit der Prämonstratenser- Schwestern trägt viele Früchte, unterstützt von Renovabis: Am nächsten Tag besucht Schwester Katalin den jungen Ádám, ebenfalls ein Roma. In der Schlosserei der Schwestern steht er kurz vor dem Ende seiner Ausbildung und hat feste Pläne. „Ich liebe es, mit meinen Händen etwas zu schaffen“, erklärt Ádám selbstbewusst. „Vielleicht mache ich nach der Ausbildung noch das Abitur. Auf jeden Fall möchte ich in Zsámbék bleiben, als Handwerker habe ich hier gute Chancen.“ Chancen geben die Schwestern in Zsámbék eine Menge: Neben der Schlosserei betreiben sie eine Schreinerwerkstatt, Ausbildungen zum Sozialhelfer und in der Gastronomie stehen ebenfalls auf dem Programm. Eine Berufsschule nach deutschem Vorbild ist angegliedert. Weiterhin haben die Schwestern ein Tagesheim für sechs- bis 16-jährige Kinder gegründet, wo es ein warmes Mittagessen für 80 Kinder gibt und daneben Hausaufgabenbetreuung und Spiel und Spaß – das alles erfahren viele Kinder in Zsámbék hier zum ersten Mal in ihrem Leben.

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