Damit Seelsorger ein Segen sein könnenAuszeit

Seit 28 Jahren begleite ich Priester und Ordensleute, Seelsorger und Seelsorgerinnen, die sich eine Auszeit gönnen. Für viele ist es nicht so leicht, sich einzugestehen: Ich brauche eine Auszeit. Ich muss einmal etwas für mich tun.

Doch wenn sich ein Priester oder eine Seelsorgerin entschieden hat, sich die Auszeit zu gönnen, hören sie oft von ihren Kollegen und Kolleginnen: „Ich kann mir das nicht leisten. Ich habe so viel zu tun.“ Oder aber: „Ich habe das nicht nötig. Ich arbeite gerne.“ Aber zugleich merkt man an diesen Bemerkungen, dass es diesen kritisierenden Seelsorgern selbst gar nicht gut geht. Sie haben gesundheitliche Probleme, aber sie wollen nicht genau hinschauen, was die Ursache ist. Sie definieren sich nur vom Gebrauchtwerden und übersehen die eigene Person.
Die Auszeiten im Recollectiohaus dauern entweder vier oder neun Wochen. Das ist natürlich nicht so einfach, sich diese Zeit zu nehmen, es mit der Diözese und der Pfarrei zu organisieren, dass das möglich ist. Doch in manchen katholischen Diözesen und evangelischen Landeskirchen gibt es Regeln für die Auszeit. Da dürfen die Priester und Seelsorger alle zehn Jahre ein Auszeit von vier bis sechs Wochen nehmen, manchmal auch länger. Aber ganz gleich, ob es von oben her geregelt ist, gut ist es auf jeden Fall, für sich selbst eine Auszeit zu nehmen. Eine Auszeit ist allerdings etwas anderes als Urlaub. Es ist dann auch gut, sich über die Gestaltung der Auszeit Gedanken zu machen.
Doch bevor ich über die längere Auszeit schreibe, möchte ich erst einmal die kleinen Auszeiten in den Blick nehmen, die wir alle im Alltag nehmen können, die täglichen und wöchentlichen Auszeiten und den Urlaub, der uns ja jedes Jahr zusteht.

Die alltäglichen Auszeiten

Auch der Alltag braucht einen guten Rhythmus von Zeiten, in denen ich für andere da bin, in denen ich arbeite, und Zeiten für mich selbst. In der spirituellen Tradition ist gerade der Morgen die Zeit, die ich bewusst für mich reserviere. Ich kann mir Zeit nehmen für die Meditation, für das Lesen der Bibel oder spiritueller Bücher, oder für das Breviergebet. Dabei geht es nicht um eine Leistung, sondern dass ich mir bewusst diese Zeit gönne. Es ist eine heilige Zeit. Heilig ist das, was der Welt entzogen ist, worüber die Welt keine Macht hat. Es ist also eine Zeit, die mir gehört, in der ich das Gefühl habe: Ich lebe selber, anstatt gelebt zu werden. Wenn ich jeden Tag am Abend und am Morgen eine heilige Zeit habe, die mir gehört, dann wird die andere Zeit nicht zu einem Hamsterrad werden. Ich weiß, dass ich jeden Tag auch eine Zeit finde, die ganz allein mir gehört. Es ist meine Verantwortung, wie ich diese Zeit so gestalte, dass ich mich darauf freuen kann. Es ist gut, zuerst einmal auszuprobieren, was für mich stimmig ist. Und dann sollte ich einen regelmäßigen Rhythmus haben, dass ich den Morgen genauso gestalte, wie ich es mir ausgedacht habe. Das wird meinem Tag einen anderen Geschmack verleihen, nicht den Geschmack von Pflichterfüllung, sondern den Geschmack von Segen, von Dankbarkeit und Freude.
Aber es gibt auch mitten im Tag kleine Gelegenheiten zur Auszeit. Wenn ich müde von einem Gespräch oder einer Sitzung komme, dann mache ich nicht gleich weiter, Denn meine Erfahrung ist, dass ich das, was ich dann tue, nicht mit voller Kraft tue. Es kommt dann nichts dabei heraus. Ich gönne mir dann, mich 15 Minuten aufs Bett zu legen und mir vorzustellen: Jetzt muss ich gerade gar nichts tun. Ich gönne mir das Faulsein. Dann stehe ich auf und habe wieder Lust, mit Kraft und Kreativität das zu tun, was jetzt ansteht. Aber es kommt nicht das Gefühl auf: Ich habe noch so viel zu tun. Ich gestalte mein Tun und präge ihm meinen persönlichen Stempel auf.
Solche kleinen Auszeiten entstehen immer wieder, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind. Dann sind wir ja auch für uns allein. Wir können möglichst schnell von einem Ort zum andern fahren. Dann sind wir ständig in Spannung. Oder wir gönnen uns, bewusst langsam zu fahren und bei uns selbst zu sein. Dann ist die Autofahrt unsere persönliche Zeit, die uns gehört. Und wir haben dann wieder Lust, uns auf das einzulassen, was uns erwartet.

Die wöchentliche Auszeit

Für die meisten Priester ist der Montag ein freier Tag. Manche nutzen diesen Tag, um mit Freunden zu wandern oder um allein in ein Kloster zu fahren und sich einen stillen Tag zu gönnen. Andere besuchen gerne ein Museum. Andere wiederum lassen sich diesen freien Tag allzu schnell wieder mit Terminen zupflastern. Manche haben den Eindruck, dass sie an diesem freien Tag all das nacharbeiten müssen, was liegen geblieben ist. Doch damit schaden sie sich nur selbst. Es gibt in einer Pfarrei immer etwas zu tun, genauso wie im Haushalt. Wenn ich von der Arbeit her meine Zeit bestimmen lasse, werde ich nie zu einer freien Zeit kommen. Doch irgendwann wird mir dann die Arbeit zur Last. Und ich brauche irgendwelche Ersatzbefriedigungen, um meine Frustration auszugleichen.
Daher ist es die erste Aufgabe, über den freien Tag zu wachen, ihn zu schützen. Dann aber geht es darum, wie ich diese kurze Auszeit gestalte. Ich sollte sie auf keinen Fall wieder mit Aktivitäten zustopfen. Es ist gut, auf seine eigene Seele zu achten: Was sagt mir meine Seele? Was brauche ich jetzt? Was täte mir gut? Das kann durchaus ein längeres Ausschlafen sein. Oder ich gönne mir einmal, nichts Besonderes zu tun, sondern einfach nur da zu sein. Aber ich sollte mich dann gut beobachten, ob es nur ein Rumsitzen ist, oder ob ich das Nichtstun wirklich genießen kann.
Eine andere Möglichkeit ist, den freien Tag bewusst zu gestalten. Ich rufe einen Mitbruder oder Bekannte an und frage, ob sie Zeit haben, gemeinsam mir mir wandern zu gehen. Oder ich gehe in das Kloster, das für mich geistliche Heimat geworden ist. Dort habe ich Gelegenheit, am Chorgebet der Mönche teilzunehmen, in meiner Zelle zu sitzen, zu lesen oder einfach still zu werden, mit meiner inneren Quelle in Berührung zu kommen.
An der Sorgfalt, wie ein Seelsorger seinen freien Tag gestaltet, kann man erkennen, ob er allgemein gut für sich sorgt oder ob er sich selbst vernachlässigt. Und diese Vernachlässigung seiner selbst wird irgendwann dazu führen, dass sein Dienst kein Segen mehr wird für die Menschen. Er wird gar nicht merken, wie er die innere Freude langsam verliert, und wie sein Tun zur Routine verkommt.

Der Urlaub als Auszeit

Jeder Seelsorger und jede Seelsorgerin hat einen jährlichen Urlaub. Urlaub kommt von „erlauben“. Ich erlaube mir, das zu tun, was ich mir das ganze Jahr über nicht erlaube. Urlaub hat daher mit Freiheit zu tun. Aber auch da ist es meine Verantwortung, wie ich den Urlaub gestalte. Manche Priester beklagen sich, dass sie immer alleine in den Urlaub fahren oder dass die Initiative, mit andern in Urlaub zu fahren, immer von ihnen ausgehen muss. Natürlich ist das nicht schön, immer dafür sorgen zu müssen, dass mein Urlaub angenehm wird. Aber das ist ja auch eine Herausforderung, bewusst meinen Urlaub zu planen, mich zu fragen: Was ist jetzt dran? Soll ich alleine etwas unternehmen? Es kann ja sein, dass ich nach der vielen Kommunikation, die ich als Seelsorger hatte, auch das Bedürfnis habe, mal allein zu sein, mal nicht in Kommunikation sein zu müssen. Oder aber ich freue mich, mit Freunden oder auch mit einer fremden Gruppe gemeinsam etwas zu erleben.
Wir sollen über unseren Urlaub wachen. Für mich ist es wichtig, dass ich keinen Laptop mitnehme. Ich bin im Urlaub nicht erreichbar, nur ganz wenige kennen meine Handynummer. Wir brauchen da wirklich die Zeit für uns. Wenn wir ständig gestört werden können, tut es unserer Seele nicht gut. Und wir sollten darüber wachen, dass wir den Urlaub an einem Stück machen, damit wir wirklich abschalten und ganz für uns und bei uns sein können. Es ist gut, im Urlaub in eine andere Welt einzutauchen. Manche haben ihre festen Urlaubsorte, an denen sie sich daheim fühlen. Andere sind neugierig, etwas Neues zu erleben. Jeder soll da auf seine eigene Seele hören, was sie ihm sagt.
Ich erlebe immer wieder Priester, die sich damit rühmen, dass sie schon jahrelang keinen richtigen Urlaub machen konnten. Ich bewundere diese Priester nicht. Sie nehmen sich zu wichtig. Und ich habe den Eindruck, dass sie sich als Opfer fühlen, als Opfer der seelsorglichen Strukturen, als Opfer der zu vielen Arbeit. Doch von einem Opfer geht eine aggressive Energie aus. Diese Priester merken gar nicht, wie sie die Atmosphäre in der Pfarrei vergiften. Neben einem Opfer kann man nicht gut leben. Da hat man ständig ein schlechtes Gewissen. Doch das lähmt. Und ein schlechtes Gewissen den Leuten zu vermitteln, ist gerade das Gegenteil von dem, was Jesus von uns Seelsorgern fordert: dass wir die Menschen aufrichten und ermutigen.
Im Urlaub erlaube ich mir, nicht im Dienst für andere zu sein, sondern mir eigene Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn ich mir im Urlaub selbst eine gute Auszeit gönne, werde ich auch wieder mit neuer Kraft und neuer Lust in meinen Alltag zurückkehren und mich wieder in den Dienst der Menschen stellen.

Längere Auszeiten

Wenn wir das Gefühl haben, dass wir auch aus einem Urlaub nicht wirklich erholt zurückkommen oder dass die Erholung nur kurz anhält, dann sollten wir darüber nachdenken, ob nicht mal eine längere Auszeit sinnvoll wäre. Manche gehen dann auf dem Pilgerweg nach Santiago. Das ist sicher eine gute Form der Auszeit. Denn das Pilgern reinigt uns von den vielen Gedanken und Sorgen, die wir uns ständig machen. Im Pilgern gehen wir uns frei von dem, was uns belastet.
Normalerweise ist es gut, die Auszeit zu gestalten und sie nicht ganz allein für sich zu verbringen. Eine sinnvolle Auszeit braucht immer auch die Begleitung durch andere. Das kann die Begleitung durch einen Exerzitienleiter sein oder die Begleitung durch einen Therapeuten oder einen geistlichen Begleiter. Manche machen eine längere Auszeit, indem sie vierwöchige Exerzitien machen. Wir im Recollectiohaus machen die Erfahrung, dass es gut ist, die Auszeit nicht nur spirituell zu gestalten und sich vermehrt Stille und Gebet zu verordnen, sondern sich und seine Situation auch psychologisch anzuschauen. Es geht um eine ganzheitliche Sicht auf das eigene Leben: Was habe ich bisher verdrängt? Woher kommt meine Lustlosigkeit, meine Erschöpfung? Wo hat sich Routine eingeschlichen? Was habe ich bisher übersehen? Welche Bedürfnisse habe ich übersprungen? Gehe ich gut mit meinen Gefühlen um oder verdränge ich sie? Wie gehe ich mit meinen Zweifeln um? Nehme ich sie zum Anlass, neu über meinen Glauben zu reflektieren und neu zu überlegen, wie ich meinen Glauben den Menschen vermitteln kann?
Zum ganzheitlichen Ansatz im Recollectiohaus gehört auch, dass wir kreatives Gestalten im Programm haben. Gerade wenn die Teilnehmer etwas malen oder mit Ton etwas gestalten, kommen sie mit neuen Aspekten ihrer Seele in Berührung. P. Meinrad, unser Künstler sagt immer: „Die Hand weiß alles. Die Hand deckt das auf, was in uns ist. Und sie zeigt uns einen Weg, den wir gehen sollen.“ Und zum ganzheitlichen Ansatz gehört das Achten auf den Leib, Entspannungsübungen, moderate Bewegung und ein Gesundheitscheck beim Arzt.
Jeder von uns braucht Auszeiten, ob klein oder groß, das muss jeder selbst entscheiden. Aber wir können nicht immer funktionieren. Schon die Gehirnforschung sagt, dass wir Pausen brauchen, damit unser Gehirn sich regenerieren kann und fähig wird zu kreativen Lösungen. Wir brauchen in unserem Alltag kleine Auszeiten, in denen wir spüren: Ich lebe selbst, anstatt gelebt zu werden. Und wir brauchen größere Auszeiten, damit unsere Seele sich zu Wort meldet und uns sagt, was für unser Leben und für unseren Dienst gut ist. Die Auszeiten sind nicht nur für uns ein Segen, sondern wir werden durch sie auf Dauer auch ein Segen sein für die Menschen, denen wir als Seelsorger und Seelsorgerinnen dienen wollen.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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