Es war in der Osternacht. Ich war als Messdiener eingeteilt, hatte aber den Übungstermin verpasst und sah mich in der Sakristei einem ziemlich angesäuerten Kaplan gegenüber: „Wer nicht geübt hat, braucht auch nicht dienen. Da ist die Tür! Frohe Ostern!“ Ein trauriger Tiefpunkt schon am Anfang meiner Messdiener-Karriere. Von „frohen Ostern“ konnte für mich keine Rede mehr sein. Ich weiß noch, wie ich in der Kirche saß – „im Volk“ – und mir geschworen habe: „Den Altarraum betrittst Du nie wieder von vorn.“ – Es grenzt schon an ein kleines Wunder, dass ich damals, auch wenn ich erst vierzehn Jahre alt war, nicht mit allem gebrochen habe: Kirche, Glaube, Gott … Zutiefst gedemütigt und enttäuscht wäre es eigentlich die natürliche Reaktion gewesen, und es bedurfte wohl einer besonderen Gnade dabeizubleiben.
Auch nach vielen Jahren ist mir diese Szene immer noch gegenwärtig und lässt mich darüber nachdenken, wie lebensprägend der persönliche Umgang von Priestern mit Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld ist – positiv wie negativ. Eine unbeherrschte Reaktion, eine unbedachte Äußerung, womöglich gar eine übergriffige Handlung, die sich noch dazu mit der Aura des Sacrum umgibt: hier die Sakristei, da der Beichtstuhl …: ganze Glaubensbiographien können so zerstört werden.
Dass ich dann doch „dabei“ geblieben bin, verdanke ich vor allem der Gemeinschaftserfahrung, die mich tief geprägt hat. Damals gab es noch Gruppenstunden, aber auch Projekte, in denen man – abseits liturgischer Dienste und Übungen – Fußball spielte, Fahrten organisierte oder sich für soziale Projekte in Afrika oder vor der eigenen Haustür engagierte … Das dürfte heute nicht viel anders sein. Für mich war bei all dem auch wichtig, mich für die Jüngeren einzusetzen, und dass man mir zutraute, Verantwortung zu übernehmen. Dass dabei die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben nicht außen vor blieb, versteht sich von selbst. Denn wenn man so unmittelbar in die Feier der Eucharistie einbezogen ist, in Katechese und Verkündigung, in Momente des Gebets und der Anbetung, dann führt das zwar nicht eo ipso zum Glauben, bietet aber die Gelegenheit zum Fragen, Nachdenken und gegenseitigem Austausch. Solch ein Ministrantendienst ist viel mehr als eine Disziplinierungsmethode oder Beschäftigungstherapie für Kinder und Jugendliche und auch mehr als eine willkommene Assistenz beim Gottesdienst. Die gottesdienstliche „Indienstnahme“ ist – im Idealfall – gewissermaßen der Modus der Beheimatung in der Gemeinde und eine Chance für junge Menschen, in den Glauben der Kirche hineinzuwachsen, mit allen Höhen und Tiefen.
Das ist zugegeben ein ziemlich idealisiertes Bild der Ministrantenpastoral, noch dazu mit Anleihen bei meiner eigenen Glaubenssozialisation. Aber es zeigen sich m. E. daran doch einige Strukturelemente, die es – mutatis mutandi – neu mit Leben zu füllen gilt. Das bedeutet zunächst die Absage an eine liturgische Engführung des Ministrantendienstes oder dessen Beschränkung auf funktionale Aspekte; das würde dem geistlichen Gehalt liturgischer Assistenz nicht gerecht. Und erst recht darf Ministrantenpastoral, wie in der Vergangenheit oft geschehen, nicht verkürzt werden als Instrument zur Rekrutierung des geistlichen Nachwuchses bzw. für den pastoralen Dienst (was durch die Einführung der Messdienerinnen natürlich eine neue Dimension bekommen hat).
Ministrantenpastoral ist – im besten Fall – nicht nur Modelllernen an menschlich und geistlich überzeugenden Vorbildern, sondern zunächst auch Gemeinschaftserfahrung und graduelles Hineinwachsen in eine persönliche Gottesbeziehung wie eine sozial und gesellschaftsrelevante Glaubenspraxis: im Zusammenspiel von Jüngeren und Älteren, in der Symbiose von praktizierter Frömmigkeit, von Ernsthaftigkeit und fröhlicher Ausgelassenheit. Das beschreibt im Grunde einen katechumenalen Weg der Hinführung in die Tiefe des Glaubens ebenso wie in die Weite christlicher Weltverantwortung. Und welchen Weg die so angelernten Ministranten später einmal einschlagen, beruflich wie privat: Es wäre ihnen – und uns allen – zu wünschen, dass sie auch dann weiterhin „Minister“ sind: Menschen, die es gelernt haben und denen es aus tiefster Glaubensüberzeugung heraus ein Anliegen ist zu „dienen“, an welcher Stelle und in welcher Position auch immer.