Die Frage nach der Gestalt einer synodalen Kirche wurde durch die Stärkung der Bischofssynoden, die „eines der wertvollsten Vermächtnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils“ darstellen, von Papst Franziskus wiederholt aufgeworfen (Episcopalis Communio 1). Synodalität („syn-hodos“) bezeichnet ein gemeinsames Vorangehen der Kirche als Volk Gottes auf dem Weg, der ein klares Ziel benötigt. Es wird wesentlich durch die Methode („met-hodos“ – den Weg zu etwas hin) mitbestimmt. Die Erzählung der Emmausjünger (Lk 24,13–35) bildete auf der Jugendsynode 2018, an der ich teilnehmen durfte, den zentralen methodischen Hintergrund, der sich im Instrumentum Laboris, im Ablauf der Synode und in der Relatio finalis wiederfand, und hier als Leitmotiv aufgegriffen wird. Wie die Jünger, die sich zuerst vom Ort der Offenbarung und der Gemeinschaft entfernt hatten, am Ende des Weges Christus begegnen, ist die Synodalität kein Selbstzweck, sondern steht unter dem Primat Evangelisierung, wie Papst Franziskus an verschiedenen Stellen hervorhebt (u. a. EG 119, 120; Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland 2019, Nr. 7). In den folgenden Überlegungen möchte ich drei Aspekte zur Synodalität herausgreifen: das konkrete Miteinander des Volkes Gottes, den Methodos des Synodos und schließlich das Zueinander von Synodalität und Evangelisierung.
Quod omnes tangit …
Die zwei Emmausjünger unterhalten sich unterwegs über das, was sich ereignet hat, als Jesus hinzutritt, ihnen eine Frage stellt (V. 17), zuhört, nachfragt (V. 19) und wiederum Wahrnehmender ist (V. 19–24). Erst im Anschluss an das geduldige und demütige Zuhören ergreift er das Wort (V. 25–27). Eine synodale Kirche ist gemäß dieser Vorzeichnung zunächst eine des Wahrnehmens und des Zuhörens, was weder eine pädagogische Maßnahme noch partizipative Beschäftigungstherapie darstellt.
Die Synodalität beginnt im Hinhören auf das ganze Volk Gottes, wie es auch das von Papst Franziskus zitierte altkirchliche Prinzip zum Ausdruck bringt: „Quod omnes tangit ab omnibus tractari debet – Was alle angeht, muss von allen besprochen werden“. Der Konzilstheologe Yves Congar befasste sich ausführlich mit dieser Maxime, die noch um das „et approbari – und angenommen“ ergänzt werden kann. Sie stammt aus dem römischen Kaiserrecht, einem Gesetz Justinians von 531, und wurde seit Papst Innozenz III. (1161–1216) in der Kanonistik über das 13. Jahrhundert hinweg ausgearbeitet. Papst Bonifaz VIII. (1230–1303) veröffentlichte sie im Anschluss an den „Liber Sextus“, der Codex von 1917 griff sie in Can. 101, §1,2 auf und der CIC von 1983 in Can. 119. Ausgehend von diesem Grundsatz sind hierarchische Struktur und konkrete Zustimmung des Volkes ineinander verwoben aufzufassen (vgl. Congar). Es verbietet sich, so Papst Franziskus, starr zwischen Ecclesia docens und Ecclesia discens zu unterscheiden, „weil auch die Herde einen eigenen ‚Spürsinn‘ besitzt, um neue Wege zu erkennen, die der Herr für die Kirche erschließt“. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei den Armen, die nicht nur Ziel unserer sozial-caritativen Bemühungen sein dürfen, sondern unsere Lehrmeister sind, da sie den leidenden Christus kennen: „Es ist nötig, dass wir alle uns von ihnen evangelisieren lassen“ (EG 198).
War es in vorangegangenen Zeiten auch aus praktischen Gründen schwer möglich, gemäß dem jesuanischen Vorbild der Emmaus-Erzählung genau zuzuhören und Ängste und Sorgen wahrzunehmen (vgl. GS 1), ja das ganze Volk Gottes einzubeziehen, eröffnen die modernen Kommunikationsmittel diese Gelegenheit, wie die Vorbereitung der Synoden zur Familie und zur Jugend gezeigt haben. Dabei ist besonders herauszustellen, dass die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Online-Befragung der Jugendsynode weder aus Westeuropa noch aus Australien, sondern aus Uganda kamen, eine Beteiligung an einem Ort erfolgte, der zuvor selten eingebunden war. Auch die Versammlung der Vorsynode, an der 300 junge Menschen aus aller Welt und unterschiedlichen Konfessionen im März 2018 teilnahmen, war ein unverzichtbarer Beitrag zum Gelingen. Nicht zuletzt waren junge Menschen auch auf der Jugendsynode selbst zugegen. In dieser synodalen Erfahrung hatte die Kirche ein Rendezvous mit ihrer Zukunft. Eine Einbeziehung des ganzen Volkes Gottes ist heute also möglich und geboten. Und der Papst betonte, dass der gesamte Prozess zur Synodenwirklichkeit gehört!
Methode: (Geistliche) Unterscheidung
Das Mitgehen Jesu auf dem Weg nach Emmaus ist ein Urbild der geistlichen Begleitung und Unterscheidung. Papst Franziskus bezeichnete die Synode in seiner Eröffnungsansprache zur Jugendsynode als „kirchlichen Akt der Unterscheidung“, der sich durch „Direktheit im Sprechen und Offenheit im Zuhören“ auszeichnet. Da Kirche und Synode Synonyme sind, betrifft die Methode der Unterscheidung nicht nur das Instrumentarium der Bischofssynode, sondern den Weg der Kirche als ganzer. Auf allen kirchlichen Ebenen und in allen unseren Strukturen gilt es, den Dreischritt der Unterscheidung – Wahrnehmen, Interpretieren, Wählen – und damit Formen der Partizipation einzuüben. Diese innere synodale Haltung muss in einem konkreten synodalen Leben in unseren Pfarreien und Diözesen Ausdruck finden. Sie gründet in der Überzeugung, dass Gott in der Geschichte, in den Ereignissen des Lebens, in den Personen, denen der Mensch begegnet, am Werk ist.
Wahrnehmen
Bemerkenswert am Zuhören Jesu auf dem Weg nach Emmaus ist, dass er ihre Sorgen nicht nur registriert, wie eine weitere E-Mail, die man auch archivieren könnte. Seine Grundhaltung, die durch die ersten Verse dieser Erzählung dringt, ist die des liebenden Blicks, den er Petrus im Augenblick des Verrats zuwarf (Lk 22,61). Christus liebt sich in den tiefsten Grund der Hoffnungslosigkeit der Jünger hinein und antwortet ihnen von dort her ganz nah und nicht einfach oberflächlich mit erlernten Sätzen. Wie Jesus den Weg mitgeht, sind wir gerufen, die Wege mitzugehen, auf die Gott uns gestellt hat. Er überfordert uns nicht. Der erste Schritt der Synodalität bedeutet, die Zeit, in die Gott jeden von uns gestellt hat – und wir dürfen doch wohl annehmen mit vollster Absicht –, nicht nur zu registrieren, sondern zu lieben. Die Zeit, in der wir stehen, gilt es zu lieben! Nur der liebende Blick wird sie verändern.
Das wirkliche Wahr-Nehmen des und der Anderen setzt eine innere Haltung der Offenheit, der ignatianischen Indifferenz, voraus. Sie reicht bis hin zum Zutrauen, dass die Rede des Anderen Perspektiven Christi eröffnen könnte, die dem Wahrnehmenden selbst bisher unbekannt und unzugänglich waren. Synodalität setzt die Bereitschaft zur Selbstevangelisierung und das grundlegende Vertrauen aller Beteiligten zueinander voraus, sich gegenseitig Zeuginnen und Zeugen des Wirkens des Geistes sein zu können. Die Offenheit des Zuhörens fordert als Gegenstück, so wie Papst Franziskus in seiner Eröffnungsansprache zur Bischofssynode 2015 ausgeführt hat, die freimütige Rede, die Parrhesia, in der Weise, wie die Emmausjünger ihre Enttäuschung kundtun oder wie auf dem Apostelkonzil der Konflikt um die Heidenchristen offen angesprochen wurde. Etymologisch kennzeichnet die „pan resis“ in der attischen Demokratie das Recht des Vollbürgers öffentlich „alles zu sagen“, was in der Septuaginta als Merkmal des Freien gegenüber dem Sklaven beschrieben wird (Lev 26,13). Sie meint jedoch nicht nur das unbefangene Sagen der eigenen Meinung, sondern trägt, wie es in der großen Gestalt des Apostels Paulus deutlich wird, in sich den Charakter des Wagnisses, da sich der Sprecher mit seiner Existenz an das Gesagte bindet und sein Wort mutig bereit ist, auch in eine feindliche Umwelt zu stellen: „Er verkündete das Reich Gottes und lehrte über Jesus Christus, den Herrn – mit allem Freimut (parrhesia), ungehindert“ (Apg 28,31). Solchen Freimut erlangt der Mensch nicht von sich aus, sondern dieser wird vom Geist geschenkt (Phil 1,19f.). Der erste Schritt der synodalen Methode, der freimütige, hörende, offene, nicht schwätzerische Dialog, setzt also als Fundament das gemeinsame Hören aller auf den Geist voraus; oder in den Worten Karl Rahners: „Damit das wahre Redenkönnen sich nicht in die falsche, leichtfallende und gottlose Beredsamkeit des Schwätzers und Managers eines Unternehmens verwandle, das sich selbst und nicht mehr Gott meint, muss es immer aufs Neue kommen aus der Sendung, aus dem betenden Schweigen. Wer nicht lieber schweige und wer Gottes Schweigen nicht aushalten kann, der rede nicht“.
Interpretieren
Auf dem Weg legt Jesus den Jüngern im Anschluss an das Zuhören den Sinn der Schriften dar (V. 27) und gibt sich im Brechen des Brotes zu erkennen (V. 30f.). Das Wahrgenommene gilt es im zweiten Schritt der synodalen Methode also unter der Maßgabe des „salus animarum“ (CIC, can. 1752) zu deuten und den Glauben der ganzen Kirche von der öffentlichen Meinung zu unterscheiden. Synodalität meint nicht die Durchsetzung unseres Willens, sondern die Unterscheidung und Erkenntnis des Willens Gottes für seine Kirche. Es geht nicht um den Mehrwert aus uns selbst heraus, vielmehr um den größeren, den der Geist schenkt (so auch Hermann Josef Pottmeyer im Rückgriff auf Kardinal Christoph Schönborn).
In der alten Kirche galt die Annahme der Synodenbeschlüsse durch das Volk als ein Zeichen des Wirkens des Geistes. Diese Tradition wurde in der Jugendsynode aufgegriffen und ein nachsynodales Treffen mit jungen Menschen aus aller Welt im Juni 2019 in Rom durchgeführt, das die Rezeption des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens Christus vivit zum Ziel hatte. Es ist die erstmalige praktische Umsetzung dessen, was die neue Ordnung der Weltbischofssynoden formuliert: „Auf diese Weise wird sichtbar, dass der synodale Prozess nicht nur seinen Ausgangs- sondern auch seinen Zielpunkt im Volk Gottes hat, auf das sich die mittels der Versammlung der Hirten gewährten Gnadengaben des Heiligen Geistes ergießen sollen.“ (Episcopalis Communio 7) Wenn das Ergebnis einer synodalen Versammlung keinerlei Annahme im Volk hervorruft, müsste man sich auch nicht treffen. Eine Synode kommt nicht zur Produktion von Papieren, sondern zur stärkeren Bezeugung des Reiches Gottes in dieser konkreten Zeit zusammen.
Wählen
Nachdem die Jünger offen gesprochen haben und ihnen das Herz entbrennt, wählen sie den Aufbruch zurück nach Jerusalem zu später Stunde (V. 33). Das Wählen steht am Ende des geistlichen Prozesses. Die an einem synodalen Prozess Beteiligten, sei es an einer Diözesansynode, einem Partikularkonzil oder der Bischofssynode, sind nicht mit politischen Repräsentanten zu verwechseln, die gleichsam parlamentarisch agieren, sondern sie sind cum et sub petro zuerst Zeugen des Wirkens des Heiligen Geistes, das sich unter ihnen ereignet hat. Deshalb ist das gemeinsame Voranschreiten auf dem Weg auch kein heute technisch-verstandener Fortschritt, vielmehr dient das Zusammenspiel von freimütiger Rede (Parrhesia), Hören und Schweigen dem vertieften Verständnis der Botschaft und Person Christi. Synodalität ist aber auch nicht einfach eine Hinnahme einer hierarchischen Verordnung, sondern ein offener Prozess, in dem zuvor nicht bekannt ist, wie er ausgeht. So wurde auch zu Beginn des II. Vatikanischen Konzils die vorgefertigte Ordnung geändert und ereignete sich ein wirkliches Aufreißen der Fenster für Christus.
Papst Franziskus versteht Synodalität als eine konstitutive Dimension von Kirche. Daher ist sie auf allen Ebenen, angefangen bei der Pfarrei, der geeignete Weg, um aus der Selbstbezogenheit auszubrechen und die heute drängende Frage zu beantworten, die Papst Franziskus jungen Menschen im Hinblick auf ihre Berufung stellt und die ich auf uns als Christinnen und Christen in unserem Land applizieren möchte: Für wen sind wir da?
Deshalb ist Synodalität nicht nur gegeben, wenn eine Bischofssynode stattfindet, sondern ist ein konstitutives Element des ganzen kirchlichen Lebens. So soll auch der Synodale Weg, auch wenn er kein eigentliches Partikularkonzil sein will, geprägt sein – so beten und hoffen wir – von dieser synodalen Spiritualität und sollte auch die notwendigen Schritte eines solchen Weges im Blick behalten.
Synodalität und Evangelisierung
In der soeben aufgeworfenen Frage wird deutlich, dass Synodalität kein Selbstzweck ist, sondern im Dienst am missionarischen Aufbruch der Kirche steht. Die Erfahrung drängt die Emmausjünger, im Kreis der anderen davon zu erzählen (V. 35), und die Urkirche öffnet das Tor für die Heiden. So soll die Synodalität ein Kanal im Leben der Kirche werden, der mehr und mehr der Evangelisierung dient. „Das innerste Ziel der Synode als Instrument der Umsetzung des II. Vatikanums kann nur die Mission sein.“ (Kardinal Christoph Schönborn) Auch die Internationale Theologische Kommission betont in ihrem Schreiben zur Synodalität, dass diese „von der Kirche im Dienst der Sendung gelebt“ wird.
Nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Prozess der Synodalität selbst ist bereits Evangelisierung. Die Themen werden in ihm wirklich wahrgenommen, im Licht des Glaubens gedeutet und dann gewählt. Themen synodal anzugehen, ist Evangelisierung. Die Synodalität vermag, alle Glieder des Volkes Gottes, welches „in credendo“ unfehlbar ist (vgl. EG 119), zu einem gemeinsamen Vorangehen zu aktivieren und damit die von Papst Franziskus gewünschte missionarische pastorale Neuausrichtung umzusetzen: „Jeder Getaufte ist, unabhängig von seiner Funktion in der Kirche und dem Bildungsniveau seines Glaubens, aktiver Träger der Evangelisierung, und es wäre unangemessen, an einen Evangelisierungsplan zu denken, der von qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt würde, wobei der Rest des gläubigen Volkes nur Empfänger ihres Handelns wäre“ (EG 120). Und deshalb ist eine „synodale Kirche“ nur denkbar unter Einbeziehung des Volkes Gottes. Hier will der Synodale Weg Zeichen setzen für die Zukunft.