Mit der Bibel durch die Fastenzeit im internationalen katholischen Jahr der BibelDie Kirche muss sich selbst evangelisieren

Die Fastenzeit steht an. Nicht nur bei Christinnen und Christen eine beliebte Zeit, um im eigenen Leben ein wenig aufzuräumen und „klar Schiff“ zu machen. Fasten, sich von ungesunden oder einengenden Gewohnheiten entlasten, den eigenen Lebensstil verändern – die Chancen und Wege dieser „Umkehrzeit“ sind vielfältig und werden kreativ genutzt.

Fazit

Die Fastenzeit 2020 könnte zu einem Kairos in der deutschen katholischen Kirche werden: Verschiedene Initiativen empfehlen zugleich, sich intensiv dem Lesen der Schrift zu widmen – sich zunächst einmal selbst zu „evangelisieren“. Das kann in einer Gruppe geschehen, aber auch jede/-r kann für sich diesen Weg gehen. Der Beitrag stellt verschiedene Initiativen für die Fastenzeit 2020 vor, die in das internationale katholische Jahr der Bibel eingebettet sind.

In der katholischen Kirche ist die österliche Bußzeit immer schon eine wichtige Zeit gewesen, um den Menschen Mut zur Veränderung zu machen und Formate der Umkehr anzubieten. Wie geht das aber, wenn die Kirche selbst in die Krise geraten ist und anscheinend vor allem erst einmal selbst der Umkehr bedarf? Wenn „die Menschen uns nicht mehr glauben“, wie es Kardinal Marx ausgedrückt hat? Papst Franziskus hat einen Brief an „das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ geschrieben, in dem er nicht müde wird zu wiederholen, was seiner Ansicht nach in dieser Situation zu tun ist: Zuallererst brauche die Kirche eine pastorale Bekehrung und Selbst- Evangelisierung, die neues Leben und einen echten, vom Evangelium inspirierten Geist entstehen lässt: „die Kirche, Trägerin der Evangelisierung, beginnt damit, sich selbst zu evangelisieren“ (Nr. 6–7). Diese Evangelisierung sei keine Taktik oder Retusche, sondern ein Weg der Jüngerschaft, der dazu führe, Freude wiederzugewinnen: die Freude am Evangelium und die Freude, Christ/Christin zu sein. (Nr. 7)
Wie könnte dieser Weg konkret aussehen?

Die Fastenzeit im katholischen Jahr der Bibel

Der Brief des Papstes trifft mit einer besonderen Zeit zusammen. Vielleicht haben es viele gar nicht mitbekommen: Das internationale katholische Jahr der Bibel kam ziemlich leise daher. Es wurde von der Katholischen Bibelföderation (www.c-b-f.org) anlässlich ihres 50. Geburtstags ausgerufen und begann am 1. Advent 2019. Das Ende dieses besonderen Jahres ist am 30. September 2020, dem 1600. Todestag des Hl. Hieronymus, des großen Übersetzers der Bibel ins Lateinische („Vulgata“). Von Dezember 2019 bis Ende September 2020 begehen also verschiedene Regionen und Länder in der katholischen Kirche ein Jahr der Bibel – je nach ihren Anforderungen und Möglichkeiten. In Deutschland gibt es zwei Initiativen: Die persönliche oder gemeinschaftliche Lectio Divina und die Aktion „Frauen verkünden das Wort“.
Die Fastenzeit ist ein schon über Jahre eingeübter und genutzter Zeitraum, in dem in vielen Gemeinden und Gruppen mit den Lectio-Divina-Leseprojekten des Bibelwerks gearbeitet wird. Jährlich erscheinen unter dem Motto „Die Bibel lesen mit Herz und Verstand“ neue Leseprojekte zu ausgewählten Texten der Bibel, die in dieser Zeit intensiv gelesen und verkostet werden. Es gab schon Materialien zu den Lesungen der Osternacht, zu den alttestamentlichen Lesungen der Fastensonntage, zu Psalmen oder anderen geeigneten biblischen Büchern wie Jona (vgl. https:// www.lectiodivina.de/alle- ausgaben). In einem immer wiederkehrenden und einfachen Ablauf wird die Heilige Schrift immer mehr zur vertrauten Gesprächspartnerin für das eigene Leben.
Was präsentiert das Bibelwerk nun für die Fastenzeit 2020? In diesem besonderen Bibel-Jahr gibt es drei besondere Buch- und Leseprojekte, die im Folgenden vorgestellt werden sollen.

Die Johannespassion – Das Lectio-Divina-Leseprojekt der Fastenzeit 2020

Die Johannespassion wird jedes Jahr am Karfreitag gelesen und in der Karwoche gern von Chören und Orchestern aufgeführt. Sie ist trotz ihrer Bekanntheit ein extrem schwieriger und oft missverstandener Text. Ganz besonders in Zeiten des wachsenden Antisemitismus in Deutschland klingen manche ihrer Textpassagen über „die Juden“ besonders in den Ohren. Das Leseprojekt bietet durch ein intensives Lesen der Johannespassion in mehreren Schritten (1 Textabschnitt pro Woche während der Fastenzeit) einen Weg zum vertieften Verständnis dieses großen Textes an.
„Mit Herz und Verstand“ wird das Textgewebe der Johannespassion zugänglich gemacht. Leseschlüssel- Fragen zum Text machen sensibel für die hohe theologische Erzählkunst und die Einordnung des Johannesevangeliums in die jüdische Schrift- und Debattenkultur ihrer Zeit. Dies bietet neue Möglichkeiten, die Texte zu hören – was gerade angesichts der antijüdischen Wirkungsgeschichte der Johannespassion hilfreich ist. Weitere Leseschlüssel-Fragen beleuchten das Heute: Was sagen die Texte mir für mein Leben, welche Botschaft enthalten sie für die Kirche und Gesellschaft? Besonders spannend ist, dass im Leseprojekt die Passionstexte mit dem Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1) ins Gespräch gebracht werden. So entstehen nochmals neue und fruchtbare Perspektiven. Also: Wer „Schwarzbrot“ kauen will, dem ist dieses Leseprojekt, das allein oder in der Gruppe durchgeführt werden kann, sehr zu empfehlen. Er/ sie wird reichlich genährt werden!

Die neue Lectio-Divina-Bibel Neues Testament

Beginnend zum innerkatholischen Jahr der Bibel ist im Verlag Katholisches Bibelwerk in Stuttgart die Lectio-Divina-Bibel Neues Testament mit dem Text der neuen Einheitsübersetzung erschienen. Sie erklärt, was Lectio Divina ist und wie dieses Lesen allein oder in der Gruppe ablaufen kann. Durch Lesehilfen und Fragen zu den einzelnen Büchern und konkreten Abschnitten kann jede/-r dann Schritt für Schritt ganze biblische Bücher lesen – oder auch gezielt bestimmte Texte aufsuchen, um diese in der Weise der Lectio Divina aufzunehmen. Für das katholische Jahr der Bibel könnte man sich so z. B. das Matthäusevangelium begleitend zum Matthäus- Lesejahr „erlesen“ – oder zu den Evangelien der Fastensonntage die entsprechenden Fragestellungen der Lectio- Divina-Bibel Neues Testament nutzen.
So könnte in der Fastenzeit ein Leseabenteuer beginnen, das über diese Zeit hinausreicht: Indem man das Neue Testament weiter auf diese Art und Weise liest oder indem man im Lesejahr die Sonntagsevangelien in der „ Lectio-Bibel“ immer wieder vorbereitend aufsucht. Und der AT-Band der Lectio- Divina-Bibel ist ja auch noch in Vorbereitung!

Innere Ruhe finden mit biblischen Worten

Die heutige Kirche scheint im Wesentlichen eine erschöpfte Kirche zu sein. Ob Hauptamtliche oder Ehrenamtliche in den Gemeinden – alle bekommen immer mehr Aufgaben aufgebürdet, da die Arbeiter/- innen im Weinberg des Herrn fehlen oder gehen. Katrin Brockmöller hat für alle Menschen, die im Hamsterrad der Aufgaben zu versinken drohen, eine Schatzkiste mit biblischen Texten vorbereitet, die vom Chaos zum Ruhen in der Gottesgegenwart führen wollen.
Das kleine Buch „Vom Segen der Stille. Innere Ruhe finden mit biblischen Worten“ kann verschieden genutzt werden. Man kann von vorn beginnen und sich Schritt für Schritt durch das Buch arbeiten. Man kann aber auch einzelne Abschnitte und Texte aufsuchen, die unmittelbar ansprechen und die eigene Lebenssituation treffen. Jedes Kapitel und alle Texte stehen für sich und können auch unabhängig voneinander genutzt werden. Am Anfang jedes Abschnitts stehen ein Bibeltext und drei Fragen, die zum Lauschen einladen. Meist sind die Fragen nicht einfach zu beantworten, mögen sogar verwirren oder irritieren. Und doch laden Sie ein, neu und intensiv auf die Texte zur hören und den folgenden Ausführungen zu folgen. Zu den Texten und den exegetisch-meditativen Erschließungen gibt Katrin Brockmöller Impulse, wie man mit dem biblischen Text weiter umgehen kann, um den Klang und die Botschaft der Worte noch intensiver zu nutzen.
Ich kann mir vorstellen, dass Menschen mit ganz unterschiedlichem Lesetempo an dieses Buch herangehen werden. Ich nehme mir vielleicht erst einmal einen Text für die Fastenzeit vor – mal schauen, wohin er mich führt ...

Frauen verkünden das Wort

Die Bibel ist voller Frauen, die das Wort verkündet haben: Mirjam, Hulda, Hanna, Maria von Magdala, Junia, Phöbe ... Von diesen Schwestern ermutigt lädt die Arbeitsstelle Frauenseelsorge der deutschen Bischofskonferenz Frauen in der katholischen Kirche ein, sich im katholischen Jahr der Bibel von den Vormüttern im Glauben inspirieren zu lassen. So sind alle Frauen eingeladen, in diesem Jahr die Gelegenheit zur Auslegung der Schrift zu nutzen: in Gottesdiensten, bei Andachten, bei Festen und sonstigen Anlässen. Bis zum 30. September 2020 kann das, was entstanden ist – eine Predigt, Katechese oder Andacht – eingesandt werden an: info@frauenseelsorge.de. Eine Jury wird aus allen eingesandten Texten eine Auswahl treffen, um ein inspirierendes Buch zu gestalten. Warum nicht die Fastenzeit nutzen, um bei dieser Aktion mitzumachen? Mehr Informationen gibt es bei www.frauenseelsorge.de.

Unsere Antwort

Vielleicht haben Sie ja spontan schon bei der ein oder anderen Aktion gedacht: Das wäre vielleicht etwas für mich oder für meine Gemeinde! Vielleicht hat das Herz da oder dort auch einen deutlichen Hüpfer gemacht und der Entschluss steht schon fast fest. Auf jeden Fall könnte es sein, dass die Kirche in Deutschland nach Ostern dem Papst eine kurze Antwort schreibt: „Wir haben tatsächlich angefangen zu lesen … es ist unglaublich spannend … es macht etwas mit uns … wir fühlen uns froher und leichter … und wir bleiben jetzt erstmal dabei. Alles andere wird sich einstellen. Danke für den Tipp!“

WAS BEDEUTET LECTIO DIVINA?

Für den lateinischen Ausdruck „Lectio Divina“ gibt es keine wirklich passende Entsprechung im Deutschen. Wörtlich übersetzt heißt er „göttliche Lesung“, womit ein Lesen der Heiligen Schrift gemeint ist, das sich ganz auf Gott ausrichtet. Oft wird auch vom „geistlichen“, „meditativen“ oder „betenden“ Bibellesen gesprochen. All diese Namen zeigen schon, dass Bibel so gelesen wird, dass das Gelesene auch etwas mit dem Leser/der Leserin selbst zu tun hat. Seit dem Mittelalter haben sich vier Schritte der Lectio Divina bewährt: Lectio/Lesen, Meditatio/ Nachsinnen, Oratio/Beten und Contemplatio/Verkosten.  

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