Fazit
Die Forderung „Die Schöpfung bewahren“ zielt auf das ökologische und politisch- soziale christliche Handeln. In ihr verbinden sich das Engagement für die Um- und Mitwelt und für die nächsten wie fernsten Menschen. Ihre Umsetzung kann in der pastoralen Praxis ganz vielfältige und kreative Formen annehmen.
Der Satz „Das funktioniert doch nicht!“ ist wahr und falsch zugleich. Er ist wahr. Denn auch wenn viele Menschen ihr Verhalten ändern würden – in der gesamten Klimabilanz macht das nur einen kleinen Teil aus. Zudem: Von einer radikalen Verhaltensänderung aller auszugehen ist illusorisch. Und: Von jetzt auf gleich lassen sich viele Veränderungen gar nicht realisieren. Zudem wirft verändertes Verhalten neue Fragen auf. Ein Beispiel: Wenn niemand mehr Tierprodukte kauft, was passiert mit den Tieren, die doch gerade dafür gehalten werden? Wovon leben Bauern und Landwirte? Was verändert sich in der Kulturlandschaft, wenn kaum noch Rinder und Schafe dort grasen?
Doch der Satz „Das funktioniert doch nicht!“ ist zugleich auch grundfalsch. Weil er jedes neue Handeln, jede Suche nach Alternativen, jede Innovation im Keim erstickt. Doch gerade die sind gesucht, denn die ökologisch-ethische Diskussion stellt keine einfachen Lösungen für individuelles und soziales Handeln bereit. Mit einfachen Regeln wie „Tu dies, lass das!“ lässt sich Schöpfung nicht bewahren. Ökologisches Handeln lebt vielmehr von der Suche nach den besten Antworten, braucht Kreativität, Skepsis und Widerspruch.
Was kann das für die konkrete Arbeit in Gemeinden vor Ort heißen? Ganz sicher das: Es gibt keine Patentrezepte, aber viele Ansatzmöglichkeiten. Das heißt auch: Eine erneuerte ‚ökologische‘ Pastoral kann die Welt nicht ändern oder gar retten, aber sie kann sich vor Ort in den Prozess der Schöpfungsbewahrung einbringen.
Um der Natur und des Menschen willen
Das nicht nur kirchlich besetzte Thema „Schöpfung bewahren“ könnte einseitig verstanden werden. Als wäre die Schöpfung, vor allem die Natur, bedürftig, und wir Menschen hätten die Aufgabe, ihr zu helfen. Die Schöpfung wird dann bewahrt, so könnte man denken, wenn eine Straße nicht gebaut wird, weil die geplante Trasse von geschützten Tieren bewohnt wird. Zwar ist das richtig: Schöpfung bewahren heißt auch, der Natur, heißt allem Lebendigen und Nichtlebendigen, einen Wert zuzuschreiben und es zu achten. Vergessen wird allerdings oftmals dabei, dass es auch das ureigene Interesse des Menschen ist, die Schöpfung zu bewahren.
In seinem Buch „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ (Frankfurt 2006) untersucht Jared Diamond Gründe für den Zusammenbruch von Gesellschaften. Seine These: Die Mayaund Aztekenreiche, die Gesellschaft der Wikinger, die Reiche Roms und Griechenlands, die Hochkulturen in Babylon und Ägypten, sie alle vergingen auch, weil sie Umweltschäden und Klimaschwankungen nicht bewältigen konnten. Um zu überleben, müssen Gesellschaften also auch auf das Klima reagieren können und ihren Umgang mit der Umwelt auf den Prüfstand stellen.
Auch die heutige Debatte um den sogenannten Klimaschutz weist in diese Richtung, denn der Begriff Klimaschutz suggeriert, dass das Klima oder insgesamt die Natur vor den Menschen und ihren Gesellschaften geschützt werden soll. Klimaschutz heißt aber auch, die Menschen und ihre Gesellschaften vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Auch deswegen sind Anstrengungen nötig, damit sich die Erde nicht noch schneller erwärmt. Schöpfung bewahren heißt so auch: Den Menschen und seinen Nachkommen gute Lebensbedingungen zu ermöglichen und zu hinterlassen.
Gottes Werk und der Auftrag des Menschen
Auch wenn es in der aktuellen Klimadebatte kaum thematisiert wird: Das Ringen um die Bewahrung der Schöpfung ist ein zentrales Moment christlichen Glaubens – und hat eine lange Tradition im Christentum. In der jüngeren Zeit ragen zwei kirchliche Dokumente heraus, die sich der Bewahrung der Schöpfung widmen.
Auf der Ökumenischen Weltversammlung von Seoul 1990 formulierten die Teilnehmenden Zehn Grundüberzeugungen christlichen Glaubens. Dort heißt es: „Da die Schöpfung von Gott ist und seine Güte die ganze Schöpfung durchdringt, sollen wir alles Leben heilig halten. Wir bekräftigen, dass Land, Wasser, Luft, Wälder, Berge und alle Geschöpfe in Gottes Augen ‚gut‘ sind. Wir bekräftigen, dass die Erde Gott gehört.“ Die Ökumenische Versammlung fasst den daraus resultierenden Auftrag weit: Der Mensch darf die Erde nur so nutzen, dass sie sich regenerieren kann. Mensch wie Tier sollen genug Raum zum Leben haben. Aber auch die Solidarität mit Urvölkern, Landarbeitern und armen Bauern wird gefordert, die in besonderer Weise von und mit der Erde leben. Die Bewahrung der Schöpfung wird somit nicht nur als ökologischer, sondern auch als politischer Begriff verstanden. Er umfasst die Rechte der Natur wie des Menschen. In den Blick kommen so all die, deren Lebensmöglichkeiten durch eine Missachtung der Schöpfung eingeschränkt werden.
In seiner Enzyklika Laudato si’ entwirft Papst Franziskus 2015 das Konzept einer ganzheitlichen Ökologie. Sie dient als Basis des gerechten Umgangs mit der Umwelt und dem Menschen. Ihr zentraler Gedanke: Ein Leben, das die Schöpfung bewahrt, ist nur das Leben, das allen zu Gute kommt. Die Aufgabe der Bewahrung der Schöpfung schreibt der Papst allen Menschen ins Stammbuch: „Alle können wir als Werkzeuge Gottes an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeiten, ein jeder von seiner Kultur, seiner Erfahrung, seinen Initiativen und seinen Fähigkeiten aus.“ (LS 14)
Die „Drachen der Untätigkeit“ und die Moral
Wie aber kann eine Pastoral aussehen, die sich der Bewahrung der Schöpfung widmet? Zunächst einmal: Es reicht nicht aus, wenn sie auf Appelle oder Normen baut. Denn zwischen dem Wissen um das richtige Handeln und seiner Umsetzung liegt ein breiter Graben. Darauf macht der kanadische Umweltpsychologe Robert Gifford mit seiner Rede von den Drachen der Untätigkeit aufmerksam. Auch Gifford weiß: Einzelne Menschen können wenig verändern. Weder am CO2-Ausstoß von Industrieanlagen noch an brennenden Regenwäldern oder der Methanproduktion von Kühen. Doch auch dort, wo Einzelne wirklich etwas tun können, wird nicht gehandelt. Woran liegt das? Gifford benennt sieben Gründe, sieben „Drachen“, warum Menschen nicht aktiv werden: 1) Menschen handeln weniger rational als erhofft, 2) sie hängen der Ideologie an, dass der freie Markt oder die Technik alle Probleme schon richten wird, 3) sie orientieren sich an anderen, die auch nichts machen, 4) sie sehen auf die Kosten und wollen deshalb nicht auf Dinge verzichten, 5) ihnen mangelt es an Überzeugung, dass konkretes Handeln überhaupt nützt, 6) sie scheuen das Risiko, das jede Verhaltensänderung mit sich bringt und 7) sie beschränken ihr Handeln auf wenige Änderungen, obwohl sie leicht mehr tun könnten. Wenn Pastoral hier ansetzen will, muss sie ein Verständnis dafür entwickeln, wie die psychologischen Barrieren im Umwelthandeln abgebaut werden können. Gifford bietet hierfür wiederum fünf Strategien. Sollen Menschen ihr Handeln ändern, dann braucht es (a) ein besseres Verständnis der Hindernisse, mit denen verschiedene Gruppen konfrontiert sind, (b) Information und Aufklärung der Menschen über die Wirksamkeit umweltbewusster Handlungsoptionen, (c) eine verbesserte Aufklärung über Umweltprobleme und deren effektivere Kommunikation, (d) die Entwicklung, Umsetzung und Bewertung besserer Maßnahmen und (e) eine enge Zusammenarbeit mit anderen Experten und politischen Entscheidungsträgern. Kurz: Statt moralischer Apelle ist auf allen Ebenen Information über und Empathie für ein Handeln gefordert, das die Schöpfung bewahren hilft.
Pastorale Konkretionen
„Die Schöpfung bewahren“ ist im kirchlichen Kontext eine alte und gewohnte Forderung, sie kann auf alte Traditionen zurückgreifen, die eine Bewahrung der Schöpfung beinhalten, auch wenn das oftmals nicht so genannt wurde. Und sie kann zudem innovative Konzepte für die Schöpfungsbewahrung entwickeln. Drei Beispiele können das verdeutlichen.
Fasten neu denken: Die Fastenzeiten der Kirche sind traditionelle Zeiten des Verzichts um der Selbstreflexion und der inneren Einkehr und Umkehr willen. Fasten heißt auch, über alltägliche Gewohnheiten nachzudenken. Dazu können auch Handlungsroutinen gehören, die auf die Schöpfung wirken. Und es lassen sich neue Verhaltensweisen erproben. Ich kann mich bewusster ernähren. Das heißt: Ich kann tierische Produkte reduzieren und herausfinden, wo ich regionale und saisonale Lebensmittel einkaufen kann. Das lässt sich auch in die Gemeinde übertragen. Warum fastet nicht auch die Kirchengemeinde? Warum wird nicht auf übliche Einkaufsroutinen bei Festen und Feiern verzichtet? Warum vermietet sie das Pfarrheim nicht nur mit der Auflage, fair gehandelten Kaffee auszuschenken? Nur ein Beispiel: In Augsburg hat eine Kirchengemeinde Baumwollbeutel für Obst und Gemüse an die Gottesdienstbesucher ausgeteilt und zum Verzicht auf Kunststoffe eingeladen. Nachhaltig wurden dann in den darauffolgenden Sonntagen jeweils ein „Tipp der Woche“ zum Plastikfasten an einer Stellwand in der Kirche angebracht.
Kirchen und Kirchtürme als Hort der Schöpfung: In vielen Kirchengemeinden wird von vielen unbemerkt und ganz praktisch die Schöpfung bewahrt. Über 700 Kirchtürme in Deutschland tragen das Projekt „Lebensraum Kirchturm“. In Kirchtürmen nisten Turmfalken und Fledermäuse, Schleiereulen und Dohlen und viele mehr. Es sind Nistplätze für bedrohte Arten. Ganz ähnlich ließe sich auch das Gelände rund um Kirchen verstehen. Hier lassen sich mit geringen Mitteln Zufluchtsorte für viele Tiere schaffen. Das Gras seltener mähen, Nisthilfen für Bienen und Insekten aufstellen, blühende Pflanzen statt Kirschlorbeer.
Nachhaltig predigen: Seit fast 15 Jahren gibt es das ökumenische Kooperationsprojekt „nachhaltig predigen“. Hier werden die sonntäglichen Bibelstellen der evangelischen und katholischen Gottesdienste gegen den Strich gebürstet. In doppelter Hinsicht. So fragen die Autorinnen und Autoren, was die Texte zum Thema Nachhaltigkeit beitragen. Zugleich aber geht es um die Nachhaltigkeit der Predigten, darum, ob sie auch nach dem Gottesdienst noch nachklingen. Und ob sie darüber hinaus Handeln in Gang setzen. Nachhaltigkeit kann so zu einem pastoralen Impuls werden. Ein Impuls, der deutlich macht, dass die Botschaft Jesu eine ist, die das Leben und Handeln von Menschen verändert. Nicht umsonst gilt als Kern der jesuanischen Botschaft der Satz: „Das Reich Gottes ist da! Kehrt um und vertraut auf das Evangelium!“ (Mk 1,15). Meinrad Limbeck hat ihn so übersetzt: „Hallo, liebe Leute, wartet nicht länger darauf, dass das Leben euch morgen oder übermorgen endlich die Chance zum Glück mitbringen wird. Sie ist heute schon da. Macht also nicht so weiter wie bisher.“ Nicht weitermachen wie bisher – auch das ist ein zentraler Gedanke, wenn es um die Bewahrung der Schöpfung geht.
Schöpfung bewahren interreligiös
Was in der Debatte um die Bewahrung der Schöpfung nur selten diskutiert wird: Der Umgang mit der Schöpfung besitzt auch eine interreligiöse Sprengkraft. Nicht nur christliche Gemeinden können hier Allianzen eingehen. Auch mit dem Judentum und dem Islam ist das Gespräch über die Schöpfung und ein gemeinsames Handeln möglich. 2015 wurde in Istanbul eine „Islamische Erklärung zum Klimawandel“ verabschiedet. Ähnlich dem jüdisch-christlichen Schöpfungsglauben geht der Islam davon aus, dass alles Leben, alles, was ist, von Gott bejaht wird. Umgekehrt preist nach muslimischem Glauben jedes Lebewesen Gott allein durch seine Existenz. Alles steht in Beziehung zu Gott. Wer in diese Beziehung eingreift, wer Wälder abbrennt, das Klima verpestet, Tiere willkürlich mästet und quält und die Meere vermüllt, der wendet sich gegen diese gute Schöpfung. Wie in den biblischen Schöpfungserzählungen findet sich auch im Koran die Vorstellung, dass Gott bzw. Allah den Menschen als „Statthalter Gottes auf Erden“ einsetzt. Hier könnten Gemeinden ansetzen und gemeinsam mit Christinnen und Christen anderer Konfessionen, mit Jüdinnen und Juden, mit Muslimas und Muslimen Ideen entwickeln, wie deutlich wird, dass der Mensch eine ganz besondere Aufgabe hat und ihm Verantwortung zukommt: Nämlich Sorge zu tragen für die ganze Erde.