Missionare auf Zeit

Keine Organisation und kein Unternehmen, die am Markt bestehen wollen, kommen heute ohne ein Mission Statement aus: Wer sind wir? Was wollen wir? Wie wollen wir unsere Ziele erreichen und unsere Aufgabe erfüllen? Und vor allem: mit wem? Da reicht es nicht, dass Konzernzentralen wohlfeile Leitbilder auf Hochglanzprospekte drucken, wenn sich die Mitarbeitenden nicht mit den Unternehmenszielen identifizieren und sich nach Kräften mit ihren Kompetenzen dafür einsetzen.

Das gilt nicht minder auch für die Kirche, selbst wenn sie schon auf eine 2000-jährige Geschichte zurückblicken kann. Ja, gerade dann, wenn eine Institution in die Jahre gekommen ist, zeigen sich nicht selten Ermüdungserscheinungen, drohen Verfestigung und Erstarrung. Doch wie gelingt es, das einst so stolze, wenngleich ramponierte Schiff der Kirche wieder flottzumachen? Denn „Verstimmung, Apathie, Bitterkeit, Kritiksucht sowie Traurigkeit sind keine guten Zeichen oder Ratgeber“ (Papst Franziskus). Nicht lähmende Resignation und selbstfixierte Angststarre angesichts allgegenwärtiger Traditionsabbrüche sind angesagt, sondern geistbewegter Neuaufbruch in der Rückbesinnung auf den heiligen Ursprung und den Sendungsauftrag des auferstandenen Christus: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ (Mk 16,15). Doch wie soll das gehen im 21. Jahrhundert, wenn vielerorts die Menschen den Glauben an die „rettende Botschaft“ und insbesondere an die Integrität und Glaubwürdigkeit ihrer „Botschafter“ verloren haben? Was bleibt von unserer Vision, der Vision Jesu? Hat sich das Mission Statement der Kirche nicht selbst zerlegt in unseren Tagen?

Es ist bezeichnend, dass Papst Franziskus sich in dieser Situation insbesondere an die Urenkel-Generation (aus seiner Sicht) wendet und bei ihr auf offene Ohren und bereite Herzen trifft. Mit einer Leidenschaftlichkeit, die man einem Mann in seiner Position und seinem Alter wohl kaum zugetraut hätte, spornt er die jungen Menschen zu tatkräftigem Engagement an: „Liebe junge Menschen, verzichtet nicht auf das Beste an eurer Jugend, beobachtet das Leben nicht von einem Balkon aus. Verwechselt das Glück nicht mit einem Sofa und verbringt nicht euer ganzes Leben vor einem Bildschirm. […] Lasst lieber eure Träume aufblühen und trefft Entscheidungen. Setzt etwas aufs Spiel, auch wenn ihr Fehler machen werdet. […] Lasst von euch hören! Werft die Ängste, die euch lähmen, über Bord, damit ihr euch nicht in jugendliche Mumien verwandelt. Lebt! Widmet euch dem Besten des Lebens! Öffnet die Käfigtür und fliegt hinaus!“ (Christus Vivit, 143)

Und tatsächlich: Nicht wenige lassen sich auf das Abenteuer ein und „fliegen“. Während viele Zeitgenossen zumindest auf unserem Kontinent die altehrwürdige Institution Kirche dahinsiechen sehen und ihre Ansichten für antiquiert und überholt halten, sich in Strukturdebatten (die zweifellos ihre Berechtigung haben) verlieren und scharenweise die Kirche verlassen, sind vor allem sie es, die sich von jenem Ideal begeistern lassen und etwa als „Missionare auf Zeit“ oder Volonteers kostbare Lebenszeit investieren, um eine lebensprägende weltkirchliche Erfahrung zu machen – und diese dann in das kirchliche Leben der entsendenden Gemeinde oder Gemeinschaft einbringen. Es ist beeindruckend, wenn sie von ihrem Engagement etwa auf einer Missionsstation in Kenia berichten, von ihrer Arbeit mit Kindern auf den Philippinen oder auf einer Krankenstation in Kolumbien. Für viele von ihnen, die etwa in einem Pfarrhaus mitleben oder in die Kommunität von Schwestern eingebunden sind, wird diese Auszeit zu einer lebensprägenden geistlichen Erfahrung. Das bekommen auch die Familien, ihre Freunde und Peer-Groups zu spüren, mit denen sie ihr Leben teilen, verbunden über WhatsApp oder Skype. Ihr Idealismus, ihre Lebensund Glaubensfreude, aber auch ihr gereifter Ernst, mit dem sie sich für die Armen engagieren, ist nach ihrer Rückkehr eine kostbare Ressource, ein Schatz, den viele hierzulande noch viel zu wenig zu schätzen wissen. Es liegt an uns, von den weltkirchlichen Erfahrungen jener zu lernen, die „auf Zeit“ ausgezogen sind und in denen Gottes Mission ihre Spuren hinterlassen hat.

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