Kirchen als Ort des Feierns entdecken und gestaltenDem Gottesdienst Raum geben

Den Kirchenraum ereilt oft ein Schicksal, das im Bereich der Liturgie gar nicht so selten ist: Man meint, ein bestimmter Kirchenraum müsse so und so aussehen, weil unbewusst der Maßstab dessen angelegt wird, was man faktisch als den Regelfall erlebt hat. Und da der Liturgie in katholischer Sichtweise auch immer etwas Normatives anhaftet, geht man schon einmal schnell davon aus, dass auch die erlebte gottesdienstliche Praxis so sein müsse.

Fazit

Kirchenräume sind gewachsene Räume. Eine Besinnung darauf, wie sie zu verstehen und auch gegebenenfalls zu gestalten sind, sollte bei dem ansetzen, was ihr Sinn und Zweck ist, nämlich dem Gottesdienst Raum zu geben. Die Liturgie als die eigentliche „Bauherrin“ ernst zu nehmen, hilft, Kirchenräume und ihre liturgischen Orte zu verstehen und auch richtig zu „inszenieren“.

Das führt hinsichtlich des Kirchenraumes dazu, dass man bisweilen das als normativ annimmt, was man in der Regel beobachtet: vorne der Altar, oftmals ein paar Stufen erhöht, die Gläubigen in Bankreihen davor. Es gilt schon als innovativ, wenn die Bänke nicht wie im Bus in Fahrtrichtung in Reih und Glied stehen, sondern im Halbrund um den Altar angeordnet werden. Muss das so sein? Sollte das so sein?

Die Liturgie als Bauherrin des Kirchenraums

Hilfreich ist es, ein Kriterium zu haben, um diesen Fragen nachzugehen. Dieses Kriterium findet sich in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum concilium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils: Texte und Riten sollen „so geordnet werden, dass sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, dass das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann“ (Nr. 21). Damit gilt für die Liturgie insgesamt: Das Äußere der Liturgie, ihre gesamte Feiergestalt – und dazu zählt der Kirchenraum – ist weder Selbstzweck noch an sich heilig, sondern dient dem Ziel, das zu erschließen, was in der Liturgie gefeiert wird.
Was würde demnach der oben beschriebene Kirchenraum mit abgetrenntem oder hervorgehobenem Altarraum und den davor aufgereihten Gläubigen zum Ausdruck bringen? Salopp ausgedrückt: Vorne spielt die Musik! Nicht umsonst gleicht die Anordnung einem Theater mit Bühne für die Darbietung und einem Zuschauerraum. Was theologisch dabei gut zum Ausdruck kommen kann, ist die gemeinsame Ausrichtung der Gläubigen auf den Bereich des Heiligen, also letztlich auf Gott. Das ist ohne Frage ein wesentlicher Aspekt gottesdienstlichen Feierns. Doch ist dies die einzige Anforderung, die an einen gottesdienstlichen Raum zu stellen ist?

Die Kirche als Feierraum der versammelten Gemeinde

Es überrascht, wie nüchtern zunächst das Messbuch selbst über den Ort des heiligen Geschehens der Eucharistie spricht. So heißt es in der Allgemeinen Einführung: „Zur Feier der Eucharistie versammelt sich das Volk Gottes in einem Kirchenraum; steht keiner zur Verfügung, kann ein anderer Raum gewählt werden, der eine würdige Feier gewährleistet. Auf jeden Fall müssen die Räume für den Vollzug der Liturgie geeignet sein und die tätige Teilnahme der Gläubigen gewährleisten. Die Gottesdiensträume und alles, was dazu gehört, sollen in jeder Hinsicht würdig sein, Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeit.“ (AEM 253)
Drei wichtige Aspekte werden hier hinsichtlich des liturgischen Raumes betont: (1.) die generelle Notwendigkeit eines Ortes für die liturgische Feier, (2.) die funktionale Eignung des Raumes, besonders im Hinblick auf die tätige Teilnahme der Gläubigen, (3.) die Zeichenhaftigkeit des Raumes. Demzufolge ist der Raum zunächst einmal eine äußere Notwendigkeit für die Versammlung zur liturgischen Feier. Doch ist es auch wichtig, dass das übergreifende Raumkonzept das theologische Verständnis der feiernden Gemeinde als gegliederte Einheit wiedergibt.
Insofern wäre es wichtig, dass der Kirchenraum den Versammlungscharakter zum Gottesdienst erlebbar macht. Bezeichnenderweise lautet der erste Satz in der offiziellen Beschreibung des Ablaufs der Messfeier im Messbuch nicht: „Der Priester tritt an den Altar“ (das ist erst der zweite Satz), sondern: „Die Gemeinde versammelt sich.“ In dieser Versammlung konstituiert sich Kirche als Leib Christi. Somit wäre nicht nur die Ausrichtung im Kirchenraum der Gemeinde auf Gott ein wichtiger Gesichtspunkt, sondern auch die Möglichkeit, die Gemeinschaft zu erfahren. Mit anderen Worten: Für den Kirchenraum als Versammlungsort der gottesdienstlichen Gemeinde gilt nicht nur, dass er die Gemeinde äußerlich umschließen, sondern auch deren Gemeinschaft bestärken soll. Dabei spielt etwa die Größe des Raumes eine Rolle: Ist er zu groß, fühlen sich die Feiernden verloren, ist er zu klein, bewirkt das ein Gefühl der Beengung. Hat der Raum jedoch die richtige Größe, kann er zugleich Halt und Geborgenheit vermitteln sowie befreiend und erhebend wirken. Aus diesem Grund wird in manchen Kirchen vom Hauptschiff in das Seitenschiff gewechselt oder gar ein ganzer Bereich der Kirche abgetrennt, wenn die Feiergemeinde klein ist.
Zur Versammlung gehört freilich auch die- oder derjenige, die oder der den Gottesdienst leitet. Daher muss der Platz der Leiterin bzw. des Leiters des Gottesdienstes zunächst ganz pragmatisch eine gute Leitung ermöglichen, also die Person sichtbar und gut verstehbar sein. Eine besondere Form der Leitung ist gegeben, wenn der Priester der Eucharistiefeier vorsteht, weil er auch Christus im Gegenüber zu Gemeinde repräsentiert. Dennoch gilt laut Messbuch auch für den Priestersitz: „Der Sitz darf nicht die Form eines Thrones haben.“ (Einleitung, Nr. 271) Die liturgischen Bücher denken hier weniger hierarchisch, sondern vom Vollzug der Feier her, und bestimmen daher an erster Stelle auch ganz sachlich, dass der Sitz des Priesters dessen „Aufgabe, das Gebet zu leiten, gut erkennbar zu machen“ hat. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man sich bei der Gestaltung des Kirchenraums weniger von eigenen Kirchenbildern leiten lassen sollte, um dann mittels der Liturgie die mehr oder weniger theologisch abgesicherten Vorstellungen transportieren zu wollen. Vielmehr ist es lohnend zu fragen, was die Liturgie feiert, um danach die Kirchenräume zu gestalten.

Die liturgischen Orte müssen funktionieren – und haben eine Botschaft

Das gilt nicht nur für den Kirchenraum insgesamt, sondern auch für die liturgischen Funktionsorte, von denen eigens der Altar und der Ambo beispielhaft als zentrale Orte angesprochen seien. Von hervorgehobener Stellung ist – nicht nur traditionell, sondern auch theologisch – der Altar: Er ist in der Eucharistiefeier, also in dem theologisch zentralen und liturgisch vielschichtigsten Gottesdienst, der Ort, an dem Christus den versammelten Gläubigen Anteil an seiner Lebenshingabe gibt. Hier verdichtet sich das Geheimnis des Glaubens: der Tod Jesu, den wir verkünden, und die Auferstehung Christi, die wir feiern – bis er wiederkommt in Herrlichkeit. Daher sagt man zugespitzt: „Der Altar ist Christus.“ Das will sagen, dass hier zwei zentrale Dinge geschehen: Hier wird das Kreuzesopfer sakramental gegenwärtig, und um ihn versammelt erhalten die Gläubigen im eucharistischen Mahl Anteil, Gemeinschaft, Kommunion mit Christus. Was heißt das für die Gestaltung des Altares? Es soll ein würdiger Ort sein, in der Regel feststehend mit einer Tischplatte aus Stein. Insofern wird er sich vom heimischen Esstisch unterscheiden, doch ist er auch ein Tisch, um den man sich zum Mahl versammelt. Das sollte nicht nur erkennbar, sondern auch möglich sein. In der konkreten künstlerischen Ausstattung besteht aber, wie bei allen liturgischen Orten, große Freiheit.
Selten hat man die Gelegenheit, grundsätzlich den Altar neu zu gestalten. Doch in der konkreten Feier lassen sich sehr wohl noch deutlich Akzente setzen: Ist der Altar Ablage für alles Mögliche, oder ist er so frei, dass die zentralen Zeichen – Brot und Wein – in den Vordergrund rücken? Verstellen die Kerzen den Blick auf das Geschehen am Altar, oder hätten sie auf höheren Leuchtern nicht besser ihren Platz neben dem Altar? Erinnert der Blumenschmuck an den heimischen Ess- oder Wohnzimmertisch, oder unterstreicht er den Feiercharakter besser vor dem Altar? Wird der Altar als allgemeiner Sprechort des Zelebranten genutzt, oder findet hier wirklich nur das eucharistische Geschehen mit Gabenbereitung, Hochgebet und Kommunion statt?
Was oft weniger im Bewusstsein ist: Die Liturgie kennt einen zweiten Tisch – den Tisch des Wortes. Gemeint ist der Ambo als Verkündigungsort der Heiligen Schrift. So wie vom Altar das Brot des Lebens in Gestalt des Herrenleibes gereicht wird, empfangen die Gläubigen am Ambo das Brot des Lebens in Gestalt des Gotteswortes – als „Wort des lebendigen Gottes“. Damit wird der Ambo zum zweiten Bezugspunkt in enger Verbindung zum Altar. Das bringt in manchen Kirchenräumen die Verwendung desselben Materials für Altar und Ambo und eine ähnliche künstlerische Gestaltung zum Ausdruck. Der Ambo selbst muss als Verkündigungsort gut „funktionieren“, das heißt, er muss die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Schriftlesungen müssen sichtbar und verständlich vorgetragen werden können. Doch weil der Ambo aufgrund seiner theologischen Bedeutung so viel mehr ist als ein Lesepult, sollte er möglichst nur für die Schriftverkündigung und deren Auslegung genutzt werden. Eröffnung, Tagesgebet und allgemeine Ansagen haben hier eigentlich nicht ihren Platz. Sogar die Fürbitten gehören hier theologisch gesehen nicht hin, denn sie machen den Ambo vom Tisch des Wortes zu einem Sprecherpult. (Wenn Fürbitten aufgrund der Versteh- und Sichtbarkeit nicht aus den Reihen der Gläubigen gesprochen werden können, bräuchte man einen eigenen Platz mit zusätzlichem Mikrophon.) Schließlich kann vor dem Ambo eine große Kerze brennen, die ähnlich wie die Altarkerzen den Ort hervorhebt und auf Christus hinweist.
Die Verwiesenheit der beiden Tische von Altar und Ambo realisieren manche Kirchenräume, indem sie diese beiden liturgischen Orte durch ihre Positionierung einander zuordnen, nämlich als die zwei Brennpunkte einer Ellipse, um die sich die Gemeinde versammelt (die dann die eigentliche Ellipse bildet). Neben der theologischen Zuordnung von Wort Gottes und Eucharistie lässt dieses Modell die Mitte bewusst für Gott offen; und es ermöglicht die gegenseitige Wahrnehmung der Feiernden. Ein anderes Modell stellt die sogenannte „Orientierte Versammlung“ dar. Hier stehen Altar und Ambo auf der Hauptachse des Raumes. Die Gläubigen versammeln sich von drei Seiten um den Altar, gegebenenfalls bei einem längsgerichteten Raum in Form eines U, während der Ambo die offene, vierte Seite einnimmt. Diese Anordnung wird den verschiedenen kommunikativen Handlungen während der Eucharistiefeier gerecht: Beim Wortgottesdienst herrscht eine Ausrichtung auf den Ambo, der sichtbar vor der Gemeinde steht. Die Gemeinde kann sich „unter das Wort“ stellen. Während der Eucharistiefeier am Altar ist der Kreis nicht geschlossen, so dass deutlich wird, dass die Gemeinde über sich hinaus verwiesen und Gott der erste Adressat des Dankgebetes in diesem Teil der Gottesdienstfeier ist. Der Priestersitz kann angemessenerweise gegenüber dem Ambo seinen Platz haben, bei einer U-Form im Scheitelpunkt, was die Bedeutung der priesterlichen Vorsteherfunktion hervorhebt.
Diese letzten beiden Modelle sind Beispiele dafür, dass Gottesdiensträume beginnen, ganz anders auszusehen, wenn man von der Feier der Liturgie ausgeht anstatt sich an Bekanntem zu orientieren. Allerdings muss man auch klar sagen, dass man theoretisch richtige theologische Ideen nicht gegen den Raum umsetzen kann. Doch oft ist mehr möglich, als man meint.

Orte des privaten Gebets und Gedenkens

Zum Erstaunen vieler Gläubigen spielt der Tabernakel in der Liturgie keine zentrale Rolle. Obwohl er der Ort der Aufbewahrung für das Allerheiligste ist, ist er innerhalb des Gottesdienstes als solcher eher von praktischer Bedeutung. Der Ort soll zwar würdig sein, aber seinen Platz in einer separaten Kapelle oder zumindest im Seitenbereich finden. Dort ist dann auch die private Anbetung gut möglich. Dass der Tabernakel hingegen oft in der zentralen Achse des Kirchenschiffes platziert ist, ist geschichtlich zu erklären. Doch nach heutigem Verständnis dient der Kirchenraum insgesamt nicht in erster Linie der Anbetung des in den eucharistischen Gaben bleibend gegenwärtigen Herrn, sondern der Feier der Liturgie. Daher sollte man ggf. die Möglichkeit prüfen, den Tabernakel im Hochaltar nicht mehr zu nutzen, um einen würdigen Ort der Anbetung mit eigenem Tabernakel in einem gesonderten Bereich zu etablieren.
Solche Orte des Gebets oder auch des Gedenkens kann es – wenn möglich – mehrere in der Kirche geben. Sinnvoll ist z.B. ein Ort für das Gebet vor einer Marienfigur oder -ikone mit der Möglichkeit, Kerzen zu entzünden. Gleiches ist denkbar für einen besonderen Heiligen, etwa den Kirchenpatron. Vielleicht können an solchen Orten auch Fürbittbücher bereitliegen, auf die man bei den Fürbitten im Sonntagsgottesdienstzurückgreift. Bereichernd ist es auch, einen Ort des Totengedenkens zu haben; hier könnte ein Buch mit den Namen der Verstorbenen liegen und ebenfalls die Möglichkeit zum Anzünden von Kerzen bestehen.

Mystagogische Raumgestaltung

Welchen Bereich des Kirchenraums man auch näher in den Blick nimmt, um sich eventuell Gedanken über Umgestaltungen zu machen, leitend sollte die Überlegung sein, wie der Raum und dessen Gestaltung die Gläubigen zu dem hinführen kann, was als Geheimnis der Liturgie gefeiert wird. Dazu nur ein Beispiel: Weihwasserbecken sind fester Bestandteil in katholischen Kirchen. Sie sollen die Gläubigen an ihre Taufe erinnern, durch die sie zum Glied des Leibes Christi wurden, und als solches nun Gottesdienst feiern. Daher ist es umso schöner, wenn diese Weihwasserbecken manchmal am Taufstein selbst angebracht sind, der in der Nähe des Kircheneingangs steht. In Zeiten der Corona-Pandemie mussten aufgrund der Infektionsgefahr die Weihwasserbecken leer bleiben; stattdessen haben sich mancherorts Weihwasserspender etabliert. Führen die zu dem hin, was das Bekreuzigen mit Weihwasser als kleine Tauferinnerung eigentlich besagt? Oder erinnern sie nicht vielmehr durch ihr Aussehen und die Bedienweise an die in der Pandemie allgegenwärtigen Desinfektionsspender? Und was schwerer wiegt: Fördern sie damit nicht das Missverständnis eines mit besonderen Kräften aufgeladenen Wassers, das man bei sich anwenden müsse, um Schutz zu erlangen? Jedenfalls an Taufe erinnern die Weihwasserspender kaum. Das hingegen zu tun, wäre „mystagogisch“.

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