Fazit
#OutInChurch fordert das bestehende kirchliche System zur Veränderung heraus. Hierbei kann die Kirche viel gewinnen: Ein Mehr an Gerechtigkeit, Weite und Glaubwürdigkeit und darin eine größere Nähe zum Reich Gottes. Verantwortlich dafür sind nicht allein Kirchenleitende, sondern alle in der Kirche. Ob diese Veränderung nachhaltig gelingt, wird sich erst noch weisen müssen.
People of Color fehlen auf sämtlichen Ebenen, in allen Berufen und Ehrenämtern. Es fehlen uns die selbstverständlichen Alltagsgeschichten der Menschen, die nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft angehören“, schreibt die evangelische Theologin Sarah Vecera in ihrem im Jahr 2022 erschienenen Buch „Wie ist Jesus weiß geworden“. Ein Grundgedanke des Buches ist ihre Feststellung, dass weniger als ein Drittel der weltweiten Christenheit weiß ist, sich aber dennoch auch in den weltweiten Kirchen „eine weiße Vorherrschaft bis hin zum weißen Gottesbild“ hält.
Bis zum 24.01.2022 fehlten auch weitestgehend die Alltagsgeschichten queerer Menschen in der römisch-katholischen Kirche, zumindest all jener, die in einem kirchlichen Arbeitsverhältnis stehen. Öffentlich hörbar und erzählbar waren bis dahin nur die Geschichten von cis-geschlechtlichen und heterosexuellen Mitarbeitenden in der Kirche. Die Initiative #OutInChurch und die begleitende ARD Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ haben damit gebrochen. Zunächst 125 Menschen haben sich in der Initiative #OutInChurch geoutet und fordern eine Kirche ohne Angst, eine Kirche, in der Vielfalt und Vielfarbigkeit gelebt werden bis in die obersten Etagen hinein.
Es geht um Repräsentanz
Wo Mitarbeitende incl. Priester in der Kirche nur cisgeschlechtlich und heterosexuell sein dürfen, fühlen sich queere Menschen nicht vertreten. Mehr noch – sie werden ausgeschlossen.
Natürlich gab es auch vor #OutInChurch schwule Priestergruppen, ein Netzwerk katholischer Lesben, katholische oder ökumenische LGBTIQ+ Bündnisse und vertrauensvolle Austauschgruppen queerer Katholik*innen. Einige von ihnen vernetzten sich im Katholischen LSBT+ Komitee (http://katholisch-lsbt.de). Doch viele queere Katholik*innen, insbesondere Personen, die hauptberuflich bei der Kirche arbeiten, konnten sich oft nur im Verborgenen mit anderen LGBTIQ+ Personen austauschen. Die Angst vor möglichen negativen Konsequenzen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes war zu groß. Besonders innerkirchlich, z. B. in den Bistümern, wurde und wird das Thema vielfach totgeschwiegen. Die Gruppen und Netzwerke konnten nicht beworben werden, sie tauchten und tauchen auf keiner Webseite der Bistümer auf.
Was man nicht sieht, gibt es nicht! Und wie lange es das nicht sichtbar Gewordene schon gibt und mit ihm das Leben in Angst, entdeckt und verraten zu werden, den Arbeitsplatz zu verlieren oder die große Anstrengung, die (von der Kirche als nicht geordnet eingestufte) Veranlagung durch starke Loyalität und Linientreue einzumauern und zu schützen …
Von #ActOut zu #OutInChurch
Wie gut und wichtig also, dass sich am 05.02.2021 „plötzlich“ 185 queere Schauspieler*innen in der SZ outeten: #ActOut. Vielleicht brauchte es diese Initialzündung wie eine „Fremdprophetie von außen“, um Ähnliches in der Kirche zu versuchen. Dass sich Einzelne in der Kirche schon vorher irgendwie öffentlich oder halböffentlich geoutet hatten, konnte – wie üblich – irgendwie verschwiegen und bischöflicherseits nicht weiter beachtet werden. Bis heute ist die Reaktion von Bischöfen auf das Coming-out schwuler Priester: „Aber es gilt der Zölibat!“, eine Äußerung, die signalisiert: Ich will mich mit dem Thema gar nicht auseinandersetzen. Was aber, wenn es eine große Initiative gäbe, Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen? Hörbar, sichtbar in einem Auftreten, an dem man nicht vorbeikommt? Was wäre, wenn sie sagen würden: „Es gibt uns, wir verstecken uns nicht länger und das ist gut so!“?
„Jetzt reden wir selbst!“
Das ist nicht umsonst die Einleitung und zugleich ein Kerngedanke des Manifestes von #OutInChurch, denn wir wollten und wollen endlich selbst hör- und sichtbar werden, unsere Glaubensgeschichten erzählen, aber ebenso auch unsere Angst- und Diskriminierungsgeschichten: Für uns selbst, aber auch für diejenigen, die noch nicht so weit sind. Und schließlich auch für die Menschen, für die #OutInChurch Jahre oder Jahrzehnte zu spät kommt.
Dass wir eine solche Aufmerksamkeit erregten, dass gleichzeitig eine eigene Fernsehdokumentation und ein Buch entstanden, hatten wir nicht zu träumen gewagt. Wir haben zu Beginn nur die Kanäle genutzt, die wir hatten: Freund*innen eingeladen, die o.g. Netzwerke angeschrieben, Menschen kontaktiert, denen wir vertrauten, um gemeinsam in vielen Onlinekonferenzen zu überlegen, wie wir unser gemeinsames Vorhaben angehen und verwirklichen könnten.
Bei den ersten digitalen Treffen schauten wir vor allem in leere Kacheln. Die Teilnahme von Menschen ohne Klarnamen und Bild machte unmittelbar greifbar, wie groß die Angst in unserer Kirche ist. Mit großer Ernsthaftigkeit wurden einzelne Worte bei der Entstehung des Manifestes (https://outinchurch. de/manifest/) und der sieben Forderungen abgewogen, damit alle mitgehen konnten. Nach und nach wuchs Vertrauen, Menschen erlebten die Onlinetreffen zunehmend als Safe Space, Kameras wurden angeschaltet.
Willkommen und gewollt – wirklich?
Es flossen viele Tränen während dieser Zeit und auch in den Wochen nach dem 24.01.2022. Denn vieles kam bei Einzelnen wieder hoch. Wunden, die vernarbt schienen, brachen wieder auf. Nichtbinär oder nicht heterosexuell zu sein in einer Kirche, die offiziell nur das binäre Menschenbild kennen will und nur die Heterosexualität als gottgewollt sieht, lässt viele Menschen immer außen vor und lässt sie verstummen in dem, was sie doch so wesentlich prägt und ausmacht.
Als dann recht bald schon die ersten Stimmen mancher Generalvikare kamen, die betonten, dass natürlich queere Menschen in der Kirche willkommen seien, nahmen wir das zwiespältig auf, bis heute. Denn: Warum erfolgten die Äußerungen nicht schon vor #OutInChurch? War und ist es am Ende der mediale Druck, der zum Reagieren, zum Beschwichtigen führt?
Und was heißt: „Willkommen“? Etwa „Ja, ich weiß es, aber rede nicht darüber?“ Willkommen und geduldet mit einem Makel? Oder sind LGBTIQ+ Personen wirklich willkommen und gewollt mit dieser von Gott geschenkten Veranlagung, einer Gabe, die – eingebracht in die Kirche und das Miteinander von Menschen – bereichert? Und heißt „Willkommen“ dann nicht auch, dass die kirchliche Lehre verändert werden muss? Dass Kirche endlich den Menschen ihr Empfinden glaubt, ihr Leben und Lieben schätzt? Das zu fordern hören wir nicht auf. Und längst sind wir nicht mehr 125 Menschen, sondern inzwischen mindestens 600, die bei #OutInChurch dabei sind, ganz abgesehen von den vielen Gruppen, Verbänden und Institutionen, die sich solidarisieren.
„Was habt ihr denn inzwischen erreicht?“
Für eine Zwischenbilanz gilt es zwei Ebenen zu unterscheiden: Da ist zum einen die kirchenpolitische Ebene, die #OutInChurch als Kampagne in den Blick nimmt. Diese verbindet unsere sieben Forderungen (https://outinchurch. de/forderungen) mit einer starken medialen Berichterstattung und einer breiten öffentlichen Wahrnehmung. Zum anderen eine Ebene, die eher eine personale ist. Dabei geht es um das Empowerment einzelner Personen. Für die 125 Menschen, die sich gemeinsam geoutet haben, macht dieser Schritt einen großen Unterschied. Es gibt ein „Davor“ und ein „Danach“. In den Monaten vor dem Start der Kampagne ging es immer auch darum, die eigene Angst zu spüren, sie ernst zu nehmen und dennoch ein Wagnis einzugehen. Das gilt selbst für diejenigen aus der Gruppe, die auch schon vorher „out“ gelebt haben. „Spür die Angst und mach es trotzdem!“, war ein Schlüsselsatz für viele von uns. Ein Kollege aus diesem Kreis brachte es bei einer internen Zoomfeier am Tag nach Ausstrahlung der ARD-Dokumentation auf den Punkt: „Heute ist der erste Tag in meinem Leben, an dem ich keine Angst mehr habe. Dass ich dafür erst 57 werden musste…!“
Es gibt 125 solcher Befreiungsgeschichten, die nichts weniger sind als wirkliche Exodus- und Auferstehungserfahrungen. Menschen stehen auf, sie erheben sich und lassen sich nicht weiter ausgrenzen, demütigen, entwürdigen oder vor die Tür schicken. Sie stehen zu sich und zu ihrem Gewordensein. Sie sagen: „Hier bin ich als queerer und glaubender Mensch.“ Und sie beanspruchen ihren Platz mitten in der Kirche. #OutInChurch ist also auch das: Ein spirituelles Ereignis, eine Vergegenwärtigung des Evangeliums, ein Ereignis und Wachstum von Kirche.
Die sieben Forderungen im Check – erste Erfolge und ausstehende Desiderate
Besonders die grundlegende erste, die zweite, sowie unsere sechste Forderung richten sich an alle in der Kirche. Das Engagement gegen Queerfeindlichkeit und Diskriminierung lässt sich nicht einfach nur an Bischöfe delegieren. In diesem Zusammenhang freuen wir uns über zahlreiche Einladungen zu Workshops, Vorträgen, Austauschformaten usw., zu denen wir innerkirchlich wie darüber hinaus eingeladen werden.
Besondere Aufmerksamkeit hat unsere 3. Forderung nach der Änderung des kirchlichen Arbeitsrechtes bekommen. Hierbei sind wir eng verbunden mit vielen anderen Reformbewegungen bis hin zum Synodalen Weg, die ebenfalls entsprechende Änderungen einfordern. Tatsächlich lassen sich hier erste Reaktionen feststellen, bis hin zu einem konkreten Entwurf zur Änderung des Arbeitsrechtes. (Siehe hierzu genauer der Beitrag von Christoph Simonsen, S. 37–40 in diesem Heft.)
Bei unseren anderen Forderungen, wie die notwendige Änderung der kirchlichen Lehre zu LGBTIQ+, einschließlich der Forderung nach Segenshandlungen und dem Zugang zu allen Sakramenten für LGBTIQ+ Personen, stehen wir nach der Vierten Synodalversammlung vor einem Scherbenhaufen. Dass der Grundtext des Forums IV, mit dem eine theologisch gut fundierte Erneuerung der katholischen Sexualmoral hätte angestoßen werden können, durch eine Sperrminorität der Bischöfe zum Scheitern gebracht wurde, ist ein Desaster. Hiermit wurde nicht einfach nur ein Text abgelehnt, sondern queere Menschen erneut diskriminiert. Dass einige der Handlungstexte mit großer Mehrheit angenommen wurden, löst eher Fragen und Zweifel aus. Auf welchem Fundament sollen diese Handlungsschritte denn erfolgen? Es braucht umso mehr eine Koalition der willigen Bischöfe, die den von der Mehrheit der Synodalversammlung mit gut 83 Prozent Zustimmung verabschiedeten Grundtext für ihr Bistum als verbindlich erklären.
Anerkennung und Wertschätzung
So mühsam und verletzend das innerkirchliche Engagement für Reformen ist, so wohltuend und bestärkend sind Resonanzen von ganz anderer Seite: Im Juli 2022 gab der Verein Hamburg Pride e. V. bekannt, dass die Initiative #OutInChurch den Ehren-Pride-Award erhält. Mit dem Preis werden Personen des öffentlichen Lebens und bundesweite Kampagnen gewürdigt, die Vorbildcharakter für die LGBTIQ+ Community und die Gesellschaft haben. In der Begründung von Hamburg Pride e. V. heißt es: „Die Initiative hat der Öffentlichkeit die unhaltbaren und erschütternden Zustände in der Katholischen Kirche in Bezug auf die Diskriminierung queerer Mitarbeitenden offengelegt, und damit auch all den Menschen eine Stimme gegeben, die tagtäglich Angst, Anfeindungen und psychischem Druck innerhalb der Kirche ausgesetzt sind. Von #OutInChurch geht das Signal für einen dringend erforderlichen Veränderungs- und Modernisierungsprozess in der Katholischen Kirche aus – mit dem Potenzial, den Alltag aller Homo-, Bi- und Trans*menschen in der Kirche zu verbessern. Wir hoffen sehr, dass dies auch die Katholische Kirche in Gänze erkennt und entsprechend handelt.“
Diese Anerkennung aus der queeren Community hat eine besondere Bedeutung. Eine zunehmend säkulare und plurale Gesellschaft kann es nicht einfach hinnehmen, dass eine gesellschaftliche Instanz und Körperschaft öffentlichen Rechts für sich in Anspruch nimmt – gegen geltende europäische Antidiskriminierungsstandards – weiterhin Menschen auf Grund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren. Und eine andere Dimension wird ebenfalls deutlich: Aus einer queeren Perspektive wäre es ebenso berechtigt zu fragen, warum LGBTIQ+ Personen weiterhin in dieser Kirche bleiben, die sie doch ausgrenzt und diskriminiert.
Dass die Verantwortlichen von Hamburg Pride e.V. in der Initiative #OutInChurch auch einen Vorbildcharakter für die queere Community erkennen, unterstreicht noch einmal, dass es hier um weit mehr als ein rein kircheninternes Thema geht. In zahlreichen Nachrichten, Mails und Kommentaren schrieben andere queere Menschen oftmals eine ähnliche Resonanz: „Wenn ihr als Kirchenmenschen euch traut euch zu outen, dann gibt mir das auch Mut, an meinem Arbeitsplatz und in meinem Alltag sichtbarer zu werden!“ Auch im Jahr 2023 ist das für viele LGBTIQ+ Menschen längst keine Selbstverständlichkeit, nicht nur im Kontext der römisch-katholischen Kirche.