Zufrieden als Priester alt werdenAll you need is love

Eine besonders große Herausforderung für Priester besteht oft darin, etwas dafür zu tun, um im Alter nicht allein zu sein, dafür, dass es im Alter Menschen gibt, die ihnen vertraut sind und zu denen sie eine innige Beziehung pflegen. Das trifft natürlich auch auf Personen zu, die nicht zölibatär leben und die ihren Partner, ihre Partnerin früh verloren haben. Aber Priester wissen, dass sie in der Regel auch im Alter niemanden zur Seite haben werden, der einem Lebenspartner vergleichbar ist. Es sei denn, sie haben auch bisher tiefe, innige Beziehungen zu Männern und Frauen unterhalten.

Fazit

In vielen Bereichen gilt für Priester das, was auch andere Frauen und Männer beachten müssen, um im Alter zufrieden zu sein: im begrenzten Umfang einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen; sich intensiver als vorher mit ihrer Endlichkeit auseinanderzusetzen; bewusster, entschiedener, ehrlicher zu leben; endlich ihr Lied zu singen; noch mehr im Augenblick zu leben und diesen auszukosten. Eine besonders große Herausforderung besteht oft darin, was sie tun können, um im Alter nicht allein zu sein.

Wilhelm E. ist inzwischen 91 Jahre alt. Er lebt jetzt schon seit fast 15 Jahren in einem Seniorenzentrum. Wenn ich ihn anlässlich seines Geburtstages anrufe, hinterlässt er den Eindruck eines zufriedenen Mannes. Er fühlt sich in dem Seniorenheim wohl, erhält dort die Unterstützung, die er braucht. Er muss sich nicht um das Essen kümmern, mit den Mitbewohner/-innen kommt er gut aus. Obwohl er stark sehbehindert ist, geht er ab und zu in die Stadt, auch auf den Markt, um sich mit Obst zu versorgen. Selbst seiner alten Leidenschaft, an theologischen Fortbildungen von Akademien teilzunehmen, kommt er zwei- bis dreimal im Jahr nach.
Zu seiner Zufriedenheit trägt auch bei, dass es in dem Seniorenzentrum, das von der Caritas unterhalten wird, eine Kapelle und einen Raum der Stille gibt. Dazu kommt, dass in diesem Haus auch eigens eine bestimmte Anzahl von Plätzen für Priester vorgesehen ist. So trifft er hier jeden Tag Kollegen, mit denen er sich über Gott und die Welt, den Zustand der Kirche usw. austauscht. Zudem kann er jeden Tag an einem Gottesdienst teilnehmen, der in der Kapelle stattfindet. Auch besteht die Möglichkeit, selbst eine Messe zu zelebrieren.
Als etwas ganz Besonderes erlebt es Wilhelm E., dass er an jedem zweiten Sonntag in einer nahegelegenen Gemeinde der Eucharistie vorstehen darf. Ein Gemeindemitglied holt ihn dazu ab. Er selbst nimmt sich während der Woche viel Zeit für die Vorbereitung der Predigt. Er hofft, diesen Dienst noch möglichst lange machen zu können.
Inzwischen wohnen auch sein Bruder und seine Schwester im gleichen Seniorenheim. Das ist ein Glücksfall, da er auf diese Weise sehr Vertrautes, Familiäres erfährt. Er erlebt emotionale Intimität, die ganz entscheidend dazu beiträgt, dass er sich an diesem Ort wohlfühlt.

Im Alter etwas von dem verwirklichen zu können, was bisher in unserem Leben Sinn vermittelte

Bei Wilhelm E. findet sich vieles, was für nicht mehr aktiv tätige Priester von Bedeutung ist, um sich auch im Alter wohlzufühlen. Da ist einmal die Möglichkeit, auch im fortgeschrittenen Alter eine Aufgabe zu haben. Bei vielen Priestern geschieht das in Form von Aushilfen. Es hat sich gezeigt, dass es zwar wichtig ist, sich von der bisherigen Arbeit zu verabschieden, also die Pfarrei, in der man tätig war, die spezielle Seelsorge, der man nachgegangen ist, sei es als Klinikseelsorger oder Religionslehrer, hinter sich zu lassen, damit endgültig abzuschließen. Das schließt aber nicht aus, trotzdem die eine oder andere Aufgabe, die mit dem, was man bisher getan hat, in Verbindung steht, weiterhin wahrzunehmen. Auf ihr sollte aber nicht das Hauptgewicht der Tätigkeit liegen. Vielmehr sollte sie einen überschaubaren Teil des Alltages ausmachen.
Es tut einfach gut, auch im Alter etwas von dem verwirklichen zu können, was uns bisher in unserem Leben Sinn vermittelt, Erfüllung und Freude bereitet hat. Ich erachte es als ein Privileg, auch im Alter noch psychologische oder spirituelle Gespräche führen zu können. Dabei mache ich die Erfahrung, dass ich diese noch mehr wertschätze und manchmal auch mit mehr innerem Engagement führe als vor der Rente. Es hängt von mir ab, wie viele Gespräche ich führe und mit wem. Früher war vieles vorgegeben und durchgetaktet. Jetzt gehe ich oft gelassener in ein Gespräch, weiß noch mehr zu schätzen, welch ein Privileg es ist, am Leben eines anderen Menschen auf eine so innige Weise teilhaben zu dürfen. Auch genieße ich es, wenn es mir gelingt, mich ganz einzubringen, den Schatz meiner gemachten Erfahrungen für die Person, die zu mir gekommen ist, nutzbar zu machen.
Ähnlich ergeht es den Priestern, die jetzt im Alter nach ihrem Tempo und so, wie es für sie passt, für andere da sind. Nicht dass sie das nicht auch vorher versuchten. Doch jetzt sind sie unabhängiger von dem äußeren Druck, der früher oft auf ihnen lastete und dazu beitragen konnte, dass sie ihren Dienst nicht mit der inneren Anteilnahme und Freude ausführen konnten, wie es ihnen jetzt möglich ist. Da bietet sich im Alter auch die Chance, gerade durch das Weniger, das Priester tun, endlich so priesterlich tätig zu sein, wie man es sich eigentlich immer gewünscht hatte. Also sich Zeit zu nehmen, den Menschen nahe zu sein, Seelsorge in Fülle zu erfahren.

Das Alter ist nicht nur ein Anhängsel

In vielen Bereichen gilt für Priester ansonsten auch das, was andere Frauen und Männer beachten müssen, um im Alter zufrieden zu sein. Es beginnt damit zu akzeptieren, dass sie jetzt alt sind. Die ihnen verbleibende Zeit begrenzt und überschaubar ist. Es verlangt von ihnen weiter, dem Alter ins Gesicht zu blicken, was auch heißt, ihre Endlichkeit und ihren Tod im Blickfeld zu haben. Das ist nicht immer leicht und geht mit einem Bedauern einher. Doch es kann und sollte sie dazu motivieren, bewusster, entschiedener, ehrlicher zu leben.
Es kann sie zu dem Wagnis anregen, das zu leben und so zu leben, wie es ihrer Überzeugung entspricht. Anzufangen, endlich ihr Lied singen. Das kann für Priester, die bisher in ihrem Leben große Rücksicht darauf genommen haben, nicht anzuecken, entsprechend dem Ideal, wie ein Priester zu sein hat, zu leben, die Chance sein, endlich mehr so zu leben, wie es für sie stimmig ist. Sie können Seiten von sich zulassen und ausleben, die sie bisher zurückgehalten oder nur bedeckt gelebt haben.

Vermehrte Erfahrung von Isolation im Alter

Eine besonders große Herausforderung besteht für Priester oft darin, was sie tun können, um im Alter nicht allein zu sein. Das gilt vor allem dann, wenn sie davon ausgegangen sind, dass zölibatär zu leben bedeutet, dass man keine innigen, tiefen Beziehungen unterhalten darf. Bei jenen Priestern, die das so verstehen und danach handeln, führt das oft zu einer Einsamkeit, die im Alter noch verstärkt wird. Ich habe mich daher immer schon dafür ausgesprochen, dass es für Priester von großer Bedeutung ist, in tiefen Beziehungen eine mit ihrem Amt und ihrem Auftrag in Einklang zu bringende legitime Form von Intimität zu erfahren. Für sich Formen von Beziehungen zu entwickeln, in denen sie ihr Bedürfnis nach Intimität stillen können. Sich Gedanken darüber zu machen, was sie tun können und müssen, um nicht zu vereinsamen.
Zunächst gilt auch für Priester, was für uns alle gilt. Je älter wir werden, desto häufiger wird uns der Blick in die unermessliche Isolation, die zu unserer menschlichen Wirklichkeit gehört, zugemutet. Wir machen die schmerzvolle Erfahrung, letztlich allein zu sein. Vieles, was uns vertraut war, fällt weg. Immer mehr Menschen, die zu der Welt, in der wir leben, gehören und die dazu beitragen, dass wir uns darin heimisch fühlen, sterben. Das Beziehungsnetz, das ein fester Bestandteil der Welt ist, die wir uns geschaffen haben, wird immer kleiner, neue intensive, innige Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen, wird für uns schwieriger.
Für Priester mag diese Erfahrung existentiellen Alleinseins bedingt durch die zölibatäre Situation schon früher zu den Erfahrungen zählen, die sie gut kennen. Das könnte es ihnen leichter als anderen Menschen machen, die verstärkte Erfahrung existentiellen Alleinseins im Alter zu verarbeiten und damit zurechtzukommen. Grundsätzlich kann man aber nicht davon ausgehen, da die vielen Kontakte, die in der Regel ein Priester unterhält, die Auseinandersetzung mit unserem existentiellen Alleinsein verhindern können, zumindest aber nicht nahelegen. Dieses Alleinsein meldet sich folglich erst dann stärker, wenn diese vielen Menschen um einen herum wegfallen.
Dann könnte das für einen Priester sogar bedeuten, dass er erst jetzt so richtig damit konfrontiert und ihm bewusst wird, wie schmerzlich es ist, wenn es im persönlichen Bereich keinen Menschen gibt, der ihm alles bedeutet oder für den er die wichtigste Person ist.

Die Bedeutung inniger Beziehungen im Alter

Gerade im Alter zeigt sich, wie wichtig es auch für Priester ist, von denen ein zölibatäres Leben gefordert wird, eingebunden zu sein in tiefe, bedeutungsvolle Beziehungen zu gleichaltrigen Männern und Frauen. Beziehungen, in denen sie das Gefühl haben, dazuzugehören und getragen zu sein. Sie die Erfahrung machen, geliebt zu werden und zu lieben. Sie brauchen solche Beziehungen, wie das für jeden anderen Menschen auch gilt. Es sind Beziehungen, in denen sie Intimität, Nähe, Annahme, Unterstützung erfahren. Beziehungen, in denen sie so sein dürfen, wie sie sind. Die sie aber auch herausfordern, in denen sie die Möglichkeit haben, in ihrer Beziehungs- und Intimitätsfähigkeit zu wachsen und sich verwundbar zu machen.
Es sind die Personen, mit denen wir Feste feiern, gemeinsame Unternehmungen planen und durchführen. Mit ihnen treffen wir uns, um über Gott und die Welt zu diskutieren. Mit ihnen tauschen wir uns aus, wie es uns mit dem Altwerden ergeht. Wenn Hilfe notwendig ist, unterstützen wir uns gegenseitig, sind wir füreinander da. Wir spenden uns Trost und machen uns Mut, wenn wir verzagt sind und nicht mehr weiterwissen. Es sind die Menschen, mit denen wir uns am meisten verbunden fühlen und die wir besonders lieben. Zu diesen Personen gehören unsere Lebenspartnerin, Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde.
Wir alle benötigen solche Menschen, deren Liebe wir erfahren dürfen und in deren Anwesenheit es uns warm ums Herz wird. Wir brauchen sie ein Leben lang und wir brauchen sie gerade auch im Alter. Im Alter, so Ingrid Riedel, zählen Beziehungen doppelt. Es gibt im Alter kaum etwas, das wichtiger ist als herzliche, innige Beziehungen.
Das heißt, zur Kunst des Altwerdens gehört, bereits in jüngeren Jahren ein Beziehungsnetz aufzubauen, das auch im Alter Bestand hat und tragfähig ist. Es beginnt damit, uns klarzumachen, dass Beziehungen nicht vom Himmel fallen, sondern initiiert, aufgebaut und gepflegt werden müssen, und das natürlich am besten, bevor wir alt werden oder alt geworden sind. Sie müssen ständig am Leben erhalten, mit Leben erfüllt werden, da wir nicht davon ausgehen dürfen, dass diese Beziehungen, sind sie einmal da, von allein und selbstverständlich weiterexistieren. Wir müssen uns bewusst dafür Zeit nehmen, im Alter, aber auch bereits vorher.

All you need is love

Wenn ich das auf die Situation von Priestern übertrage, kristallisiert sich heraus, dass ein Verständnis von zölibatärem Leben, das die Erfahrung menschlicher Intimität ausschließt, sich nicht nur in der aktiven Zeit als Priester als problematisch und oft nicht lebensfördernd erweist. Es kann gerade auch im Alter die Erfahrung von Isolation und Einsamkeit von Priestern fördern.
Ich kenne viele Priester, für die zölibatär zu leben nicht bedeutet, auf Freundschaften, auf innige, verlässliche, verbindliche Beziehungen verzichten zu müssen. Die vielmehr die Erfahrung machen, gerade auch durch solche Beziehungen, in denen sie menschliche Nähe erfahren dürfen, gute und zufriedene Seelsorger sein zu können. Sie haben Formen für sich gefunden, mit Menschen, die ihnen sehr viel bedeuten, auf eine erfüllende Weise zu leben und miteinander alt zu werden. Diese Personen können Verwandte, Freunde und Freundinnen, Partner und Partnerinnen sein. Es ist vor allem die emotionale Intimität, die sie in diesen Beziehungen erleben, die sie als tragend, stützend, lebensfördernd empfinden und die entscheidend zu ihrer Lebenszufriedenheit beiträgt. Es ist die Liebe, die sie dabei erfahren und durch die sich auch in ihrem Fall bestätigt, was für alle Menschen gilt: All you need is love.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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