Fazit
Eine Spiritualität der Auferstehung ist eine wesentlich kirchliche Spiritualität, denn Christus ist auferstanden und zum Vater heimgekehrt, um in seiner Kirche zu leben, „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Die Kirche ist der fortlebende Christus, von der er sich niemals trennt, sondern in ihr durch sein Wort spricht und durch seine Sakramente innerlich wirkt. Es geht seelsorglich darum, Jesus dort zu suchen, wo er seit Ostern gefunden und erfahren werden möchte, nämlich „in seiner Kirche“, in der er, wie es im zweiten Gesetz des Trostreichen Rosenkranzes heißt, „lebt und wirkt“.
Als Maria Magdalena am frühen Ostermorgen zum Grab geeilt ist, findet sie es leer und weint, denn sie vermutet den teuren Leichnam Jesu, den sie mit kostbarem Öl salben will, in den Händen Unwürdiger (vgl. Joh 20,1–2.11). Dann erscheint ihr der Auferstandene selbst und spricht sie mit ihrem Namen an, so dass sie Jesus erkennt und ihm zu Füßen fällt (vgl. Joh 20,14–15; Mt 28,9). Jesus löst dann diese Umarmung mit den Worten: „Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen“ (Joh 20,17).
Die Erfahrung Maria Magdalenas – Der Auferstandene lebt in seiner Kirche innerlichsakramental
Damit sagt Jesus, dass nach der Vollendung des österlichen Mysteriums mit seiner Heimkehr zum Vater die Zeit kommt, in der man den Auferstandenen nicht mehr leiblich wie zuvor, sondern geistig durch den Glauben berührt. Jesus muss zum Vater heimkehren, um künftig in seiner Kirche auf eine geistige und innerliche Weise bei uns sein zu können. Diese neue Gegenwart ist tiefer als jedes äußere Sehen und jede leibliche Umarmung. Auf diese noch größere Nähe des Auferstandenen, mit der er sogar in den Herzen seiner Gläubigen wohnen wird, hat Jesus mit den Worten „Halte mich nicht fest“ (Joh 20,17) vorausgewiesen. Durch die Zurückweisung der irdischen Nähe neben sich hat der Auferstandene in Maria Magdalenas Seele den künftigen Raum seiner neuen Gegenwart in ihr und damit in uns allen eröffnet. So hat Jesus mit seinen Worten an Maria Magdalena angekündigt, dass er von nun an in der Verborgenheit der Sakramente und im inneren Wirken des Heiligen Geistes den Seinen noch näher als zuvor sein wird, nämlich nicht mehr sichtbar neben ihnen, sondern sakramental sogar in ihnen. Als liebend suchende Jüngerin gehört Maria Magdalena zu den Ersten, die das neue, innerlich sakramentale Dasein des zum Vater erhöhten Herrn in seiner Kirche erfahren hat.
Die Erfahrung der Emmausjünger – Die Gegenwart des Auferstandenen in Wort und Eucharistie
Die neue Gegenwart des Auferstandenen erfahren auch die beiden Emmausjünger, die am Ostertag von Jerusalem aufbrechen (vgl. Lk 24,13). Als sich Jesus zu ihnen auf den Weg gesellt, erkennen sie ihn nicht, weil sie „wie mit Blindheit geschlagen“ (Lk 24,16) sind. Obwohl sie in ihrer Trauer noch keinen Glauben haben, genügt für Jesus das bloße Reden der beiden Jünger über die vergangenen Ereignisse, um zu ihnen zu kommen und mit ihnen zu gehen (vgl. Lk 24,15). So hat Jesus erstmals in der nachösterlichen Zeit seine Verheißung wahrgemacht, die nun in seiner Kirche gilt, in der er lebt und wirkt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Auf dem Weg legt Jesus den Jüngern das in der Heiligen Schrift verheißene Erlöserleiden des Messias dar (vgl. Lk 24,25–27). Indem er ihnen die Schrift auslegt, wird deutlich, dass der Auferstandene in seiner Kirche auch in seinem Wort gegenwärtig ist, denn sein „Worte werden nicht vergehen“ (Mt 24,35). Auf ihrem Weg nach Jerusalem wird ihnen dann bewusst werden, wie sehr ihnen das Herz gebrannt hat, als ihnen Jesus mit seinem Wort den Sinn der Schrift erschlossen hat (vgl. Lk 24,32).
Als sie am Abend Emmaus erreichen, geht der Auferstandene aufgrund der Bitte der beiden Jünger in die Herberge (vgl. Lk 24,28–29), „um bei ihnen zu bleiben“ (Lk 24,29). Jesus setzt sich mit den Jüngern an den Tisch und vollzieht vor ihren Augen den eucharistischen Brotritus (vgl. Lk 9,16; 22,19), durch den sie Jesus erkennen. In dem Augenblick, als sie ihn erkennen, entzieht sich Jesus ihren Blicken (vgl. Lk 24,30–31), denn die innerliche Gegenwart des eucharistischen Christus ist sogar noch größer, als wenn man ihn äußerlich mit den Augen sehen würde. Jesus braucht nicht mehr sichtbar neben den Jüngern am Tisch zu sitzen, weil er ihnen von nun an sogar innerlich gegenwärtig sein wird. So hat Jesus in Emmaus seine neue sakramentale Gegenwart in seiner Kirche geoffenbart, die so tief ist wie niemals zuvor, weil sie innerlich-sakramental ist. Wer Christus eucharistisch in sich trägt, wird innerlich verwandelt, so wie die Emmausjünger, die sogleich nach Jerusalem zurückkehren, um den anderen Jüngern die Botschaft vom Brotbrechen, von der neuen sakramentalen Gegenwart Christi, mitzuteilen (vgl. Lk 24,35). Für die Seelsorge gilt es festzuhalten, wie gut es ist, dass sich der auferstandene Herr von nun an in der Eucharistie verbirgt, weil er durch die Kommunion sogar in uns leben kann, während man einen für die Augen sichtbaren Christus in seiner ganzen Herrlichkeit noch nicht ertragen könnte.
Die Erfahrung des Osterabends – Der Auferstandene vergibt in seiner Kirche
Am Abend des Ostertages erscheint der Auferstandene den Jüngern und schenkt ihnen den Frieden und zeigt ihnen seine Hände und seine Seite (vgl. Joh 20,19). Mit diesen Worten kündigt Jesus an, dass seine neue Gegenwart in der Kirche in einem barmherzigen und vergebenden Wirken bestehen wird. Mit seinem Frieden hat Jesus seinen Jüngern vergeben, die ihn bei seiner Passion bis hin zu Verleugnung und Verrat verlassen haben. Seine Vergebung unterstreicht er dadurch, dass er ihnen die Nagelwunden an den Händen und seine durchbohrte Seite zeigt (vgl. Joh 20,20). Auf diese Weise erkennen die Jünger nicht nur den Gekreuzigten als den Lebenden, sondern auch den Preis der Erlösung, den er zur Vergebung der Sünden auf sich genommen hat (vgl. 1 Kor 6,20). Weil er seinen Jüngern vergeben hat, braucht er auch keine neuen Ersatzjünger, sondern bestätigt die von ihm Berufenen, indem er ihnen nochmals seinen Frieden zuspricht (vgl. Joh 20,21) und sie von Neuem sendet: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21).
Da sie selbst die Vergebung erfahren haben, sind sie nun fähig, im Namen Jesu und in der Kraft des Heiligen Geistes den Menschen die Sünden nachzulassen. Deshalb haucht Jesus sie an und spricht: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20,22). Durch die Einsetzung der sakramentalen Sündenvergebung wahrt der in seiner Kirche wirkende Auferstandene sein Recht, den von ihm erlösten Menschen selbst als der barmherzige Hirte begegnen zu können, um ihnen selbst durch den Dienst seiner Priester die Sünden zu vergeben. Der Impuls für die Pastoral besteht darin, den Gläubigen das Ostergeschenk der sakramentalen Sündenvergebung wieder neu vor Augen zu führen, besonders den am Barmherzigkeitssonntag, dem Weißen Sonntag, zum Gottesdienst versammelten Gläubigen, denn auch die Gläubigen haben das Recht, im Bußsakrament direkt ihrem Erlöser zu begegnen und aus dem Mund seines Priesters Jesus selbst mit seinem Vergebungswort zu hören: „Ich spreche dich los von deinen Sünden.“
Die Erfahrung des Thomas – Selig, die den Auferstehungszeugen glauben!
Da Thomas bei der Erscheinung am Osterabend nicht dabei gewesen ist, will er sich von der leiblichen Auferstehung des Gekreuzigten durch das Sehen und Berühren der Wundmale Jesu selbst überzeugen (vgl. Joh 20,25). Als Jesus ine Woche später den Jüngern noch einmal erscheint und Thomas dabei ist, fordert er den ungläubigen Apostel auf, seine Hände und seine Seite zu berühren (vgl. Joh 20,27), um „nicht ungläubig, sondern gläubig“ (Joh 20,27) zu sein. In diesem Augenblick kommt Thomas zum Glauben und bekennt mit dem Ausruf: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28) Jesus als den wahrhaft vom Tod auferstandenen Sohn Gottes. In seiner Antwort auf dieses Bekenntnis betont Jesus, dass Thomas durch das Sehen zum Augenzeugen der Auferstehung geworden ist: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du“ (Joh 20,29). Dann preist Jesus die kommenden Generationen der Gläubigen selig, die ihn künftig nicht mehr sehen können, aber auf das Zeugnis seiner apostolischen Augenzeugen hin in seiner Kirche an ihn glauben werden: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29).
Für die Seelsorge bedeutet dies, dass unser christlicher Glaube auf dem sicheren Fundament der Augenzeugen steht, die den Auferstandenen gesehen, gehört und berührt haben, so dass jeder, der jetzt noch den apostolischen Glauben der Kirche verweigert, jene Zeugen missachtet, die für die Überzeugung, dass der Gekreuzigte auferstanden ist, bis ans Ende der damaligen Welt gegangen und ihr Leben bis zum Martyrium hingegeben haben, Thomas als besonders qualifizierter Zeuge bis nach Indien.
Die johanneische Erfahrung – Von der Güte der neuen innerlich-sakramentalen Christusgegenwart
Im Johannesevangelium ist die Erfahrung überliefert, die beim Abschied Jesu die Jünger gemacht haben, als der Herr ihnen angekündigt hat, dass er nach seinem Erlösungswerk zum Vater heimkehren wird und dass dies gut ist: „Ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe“ (Joh 16,7).
Jesus muss den begrenzten historischen Raum seines irdischen Wirkens verlassen, um als Auferstandener vom Himmel her in seiner Kirche durch seinen Heiligen Geist (vgl. Joh 16,7) und durch seine innerlich erfahrbaren Sakramente wirken zu können. So ist es gut, dass Jesus den Raum der Sichtbarkeit verlässt und den neuen kirchlichen Raum der unbegrenzten Innerlichkeit eröffnet, denn auf Erden könnte Jesus immer nur neben einigen wenigen Menschen gehen, seit er aber auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, kann er im Raum seiner Kirche universal wirken und sogar in uns leben. Selig sind wir, weil wir glauben, dass der erhöhte Christus uns keineswegs als Waisen zurücklässt (vgl. Joh 14,18), sondern uns noch näher werden will als je zuvor.
Die Erfahrung der Christen – Der Auferstandene lebt in seiner Kirche
Die Frage nach einer pastoral fruchtbar werdenden Spiritualität der Auferstehung bedeutet, sich für das seelsorgliche Handeln von der geistlichen Erfahrung der Auferstehungszeugen inspirieren zu lassen. Ein spirituell aus dem Ostermysterium lebender Christ blickt mit Maria Magdalena, den Emmausjüngern und den Aposteln auf den in seiner Kirche innerlich-sakramental gegenwärtigen auferstandenen Herrn. Der Christ ist selig, weil er aufgrund des sicheren apostolischen Zeugnisses an die Gegenwart des Auferstandenen glaubt. Er begreift, dass es gut ist, dass der auferstandene Herr den sichtbaren Raum der Geschichte verlassen und den kirchlichen Raum der Innerlichkeit aufgetan hat, um uns näher zu sein als je zuvor, denn alles, was an Christus sichtbar gewesen ist, ist übergegangen in die Sakramente seiner Kirche (vgl. Leo der Große, Sermo 74,2).
Der große Zeuge der neuen innerlichen Gegenwart Christi in seiner Kirche ist der Apostel Paulus, der Jesus nicht mehr gesehen hat, aber innerlich so sehr von ihm erfüllt ist, dass er nur noch sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20).