Die Adventszeit kann in uns die Hoffnung erneuern. Nicht einen leichtfertigen Optimismus, der die Augen vor der Wirklichkeit verschließt, sondern eine feste Hoffnung, die sich in Gott verankert und deren Zeichen wir in unserer Welt wahrnehmen können.
Das Kirchenjahr beginnt mit dem Advent, der Zeit der Erwartung. Warum? In ihr wird unser sehnliches Verlangen offengelegt und vertieft: die Sehnsucht nach endgültiger Geborgenheit, zu der sich jeder Mensch mit seinem ganzen Sein - Leib, Seele und Geist - hingezogen fühlt, den Durst nach Liebe, der vom Säugling bis zum Greis in jedem Menschen brennt, und den selbst größte menschliche Nähe nicht ganz stillen kann.
Wir erfahren diese Erwartung oft als Mangel oder beschwerliche Leere. Sie ist jedoch kein Gebrechen, sondern gehört zu unserem Menschsein. Sie ist ein Geschenk. Sie bewegt uns dazu, uns zu öffnen, sie richtet unser ganzes Sein auf Gott aus.
In uns brennt ein Durst. Hat Gott ihn nicht geweckt, damit wir uns ihm zuwenden? Wirtschaftlicher Fortschritt und materieller Wohlstand sind zwar unerlässlich, aber sie können unseren tiefsten Durst nicht stillen. Dieser Durst öffnet unser Herz für die Stimme des Heiligen Geistes, der Tag und Nacht in uns flüstert: „Du bist von jeher geliebt; und selbst die manchmal sehr harten Anfechtungen in deinem Leben können diese Liebe nicht auslöschen."
Gott wird niemals müde zu lieben
Wagen wir zu glauben, dass Gott die Leere füllen kann und dass wir schon jetzt voll Freude warten können! Augustinus schreibt in seinem Kommentar zum ersten Johannesbrief: „Das ganze christliche Leben ist ein heiliges Sehnen. Indem er uns warten lässt, macht Gott diese Sehnsucht weit, indem er uns sehnen lässt, macht er die Seele weit, indem er die Seele weit werden lässt, macht er uns fähig, zu empfangen … Wenn du dich danach sehnst, Gott zu schauen, hast du bereits den Glauben."
Frère Roger liebte dieses Augustinuswort und betete ihm gemäß: „Gott, du liebst uns: Wenn wir uns danach sehnen, deine Liebe zu empfangen, ist allein diese Sehnsucht bereits der Anfang schlichten Glaubens. Allmählich wird auf dem Grund unserer Seele eine Flamme entzündet. Sie kann ganz schwach sein, aber sie brennt immer."
Packend wird in der Bibel die gesamte Liebesgeschichte zwischen Gott und der Menschheit erzählt. Sie beginnt mit der Frische der ersten Liebe, dann treten Hindernisse auf, es kommt sogar zur Untreue von Seiten der Menschen. Gott wird aber niemals müde zu lieben; er sucht stets aufs Neue sein Volk. Die Bibel ist im Grunde die Geschichte der Treue Gottes. „Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen? Selbst wenn sie es vergessen würde: Ich vergesse dich nicht." (Jesaja 49,15).
Diese lange Geschichte kann in uns Verständnis für langsames Reifen wecken. Manchmal hätten wir gerne alles auf einmal, ohne den Wert von Reifezeiten zu sehen! Die Bibel dagegen erschließt uns einen anderen Blickwinkel: „In deiner Hand liegt meine Zeit" (Psalm 31,16).
Warten können … Einfach da sein, einfach so. Sich hinknien, und auf diese Weise - auch mit dem Körper - anerkennen, dass Gott nicht unbedingt nach unseren Vorstellungen handelt. Die Hände öffnen als Zeichen des Empfangens. Da der Advent uns auf Weihnachten vorbereitet, bereitet er uns darauf vor, zu empfangen. Auch wenn es uns nicht immer gelingt, unsere innere Sehnsucht in Worte zu fassen - es ist schon ein Ausdruck der Öffnung für Gott, wenn wir still werden.
Gott kommt in einer tiefen Stille
In der Adventszeit erinnern wir uns daran, dass Gott selbst in Bethlehem in einer tiefen Stille gekommen ist. Das Glasfenster der Verkündigung in der Kirche von Taizé zeigt die Jungfrau Maria gesammelt und offen für das, was kommt. Der Engel bringt ihr die frohe Botschaft. Sie ist still, in der Erwartung, dass sich das Versprechen des Engels erfüllt.
Wie die lange Geschichte vor Christus seine Ankunft auf der Erde vorbereitete, so können wir uns jedes Jahr im Advent ein wenig mehr für die Gegenwart Christi in Schwerpunktthema 6 uns öffnen. Jesus nimmt unsere Erwartung wahr, so wie er eines Tages die des Zachäus erkannte. Und er sagt auch zu uns: „Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein" (Lukas 19,5).
Lassen wir zu, dass auch uns die Freude des Zöllners Zachäus erfüllt. Dann wird sich unser Herz wie das seine für die Anderen öffnen. Er beschließt, die Hälfte seines Besitzes den Armen zu geben. Wir wissen heute nur zu gut, dass einem Großteil der Menschheit ein Mindestmaß an materiellem Wohlstand, Gerechtigkeit und Frieden vorenthalten wird. Gibt es konkrete Zeichen von Solidarität, die wir während der Adventszeit im Alltag setzen können?
In den Lesungen der Adventszeit ist von allumfassendem Frieden wie im Traum die Rede: „Großer Friede blüht auf, bis der Mond nicht mehr da ist" (Psalm 72,7), „ewiger Friede" (Jesaja 9,6), ein Land, „in dem der Wolf beim Lamm wohnt und es keine Gewalt mehr gibt" (Jesaja 11,1- 9). Es sind poetische Texte, sie wecken in uns eine Hoffnung. Und wir sehen, dass „Frieden auf Erden" im Vertrauen, mit dem Menschen aufeinander zugehen, und in Schritten der Versöhnung keimen kann.
Vertrauen ist wie ein Senfkorn, das wächst und nach und nach zum großen Baum des Reiches Gottes wird, mit dem der „Friede, der kein Ende hat" anbricht. Vertrauen auf Erden ist der Anfang des Friedens.
Gott zwingt seinen Frieden nicht auf
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, die er liebt!" (Lukas 2,14) Diesen Lobpreis verbunden mit dem Wunsch nach Frieden hören dann auch die Hirten auf dem Feld, als der Engel ihnen die Geburt Jesu verkündet. Seitdem dieser Gesang die Nacht der Hirten in Bethlehem erfüllt hat, wurde die Menschheit noch von vielen Kriegen, Ungerechtigkeiten und Gewaltausbrüchen heimgesucht.
Und die Weihnachtsgeschichte selbst wird vor einem tragischen Hintergrund erzählt. Kaiser Augustus beteuerte, er würde in seinem ganzen Reich Frieden herrschen lassen. Es war freilich nur ein vermeintlicher Frieden, der um den Preis unzähliger Unterdrückungsmaßnahmen erkauft war.
Dabei gehen mir Worte einer Jugendlichen aus Ruanda namens Clarisse nicht aus dem Sinn. Wir waren in Nairobi, in Kenia. Mit den Kirchen dieser Stadt bereitete unsere Communauté ein Jugendtreffen vor, eine afrikanische Etappe auf unserem „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde". Jugendliche aus 15 afrikanischen Ländern waren zusammengekommen.
Clarisse meinte damals: „Sagt in Europa, dass die Leute für die Jugendlichen in Ruanda beten sollen. Bei uns herrscht verheerende Arbeitslosigkeit. Und dazu kommt, dass viele, die in der Zeit des Völkermords Grausames erlitten haben, nicht mehr an Gott, ja nicht einmal mehr an das Leben glauben können."
Bei den Jugendlichen, die an dem Treffen teilnahmen, war Schmerz, aber auch Glück zu spüren. So erstaunlich es sein mag, in Afrika vertreiben die täglichen Schwierigkeiten die Freude nicht, Ernst und Tanz schließen einander nicht aus. Die Lebensfreude brach vor allem bei den Lobgesängen während der Gebete hervor. Von den 7000 Jugendlichen, die gemeinsam sangen, ging eine außerordentliche Kraft aus. Nach den Schriftlesungen wurde während einer langen Zeit der Stille eine Erwartung greifbar, die allen gemeinsam war, ob sie Kikujus, Luos, Massai, Kongolesen oder Ruander waren: Friede auf Erden!
Mit diesen jungen Afrikanern haben wir uns daran erinnert, dass das Evangelium mit der großen Hoffnung der Weihnacht beginnt. Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, damit sich nichts verändert. Seine Ehre im Himmel ist der Friede auf Erden. Diesen Frieden zwingt er aber nicht von oben her auf.
Gott kommt den Menschen unbegreiflich nahe
Das Evangelium erzählt, auf welch unerwartete, überraschende Weise Gott mit der Menschheit umgeht. Er kommt in Jesus und er bittet in jeder Generation immer wieder jeden Einzelnen, sich an seinem Versöhnungswerk zu beteiligen. Selbst in den dunklen Stunden wird die mit Weihnachten verbundene Verheißung den Menschen zur Ermutigung, die ausdauernd für den Frieden eintreten, wo er bedroht ist.
An Weihnachten begreifen wir, dass der Frieden eine Gabe Gottes ist und dass es zuerst darauf ankommt, ihn zu empfangen. Wenn wir uns dem Kind in der Krippe zuwenden, werden wir zu einer echten Verwandlung im Herzen gerufen. Ohne diese Änderung zutiefst in uns gibt es keinen wahren, sondern nur einen scheinbaren Frieden, wie den des Kaisers Augustus.
„Beginnt in euch das Werk des Friedens, so dass ihr, selbst befriedet, den anderen Frieden bringt", sagte Ambrosius. Wenn wir Weihnachten feiern, bringt Gott in uns den Frieden des Herzens zur Welt. Wir schöpfen ihn aus dem Vertrauen, dass Gott die Menschen liebt, alle Menschen ohne Unterschied.
Solche Worte über die Liebe Gottes erscheinen vielen Menschen freilich allzu leichtfertig. Nicht wenige suchen ernsthaft einen Sinn für ihr Leben, und können dennoch nicht an einen Gott glauben, der sie persönlich liebt. Versuchen wir auch die zu achten und zu verstehen, denen Gott unbegreiflich bleibt.
An Weihnachten feiern wir einen Gott, der uns nahe kommt, aber wir wollen nicht vergessen, dass er selbst für uns als Glaubende immer jenseits von allem bleibt, was wir begreifen können. Öffnen wir unser Herz und unseren Verstand weit für beide Dimensionen des Geheimnisses Gottes, für seine Nähe und für seine Transzendenz.
Es ist nicht allen Menschen gegeben, beide Dimensionen zu erfassen. Die einen werden von seiner nächsten Nähe angerührt, die sie nahezu im Herzen spüren können. Andere, wie Mutter Teresa, erfahren vor allem das Schweigen Gottes. Dennoch ist es möglich, gemeinsam in der Nachfolge Jesu voranzugehen: Er hat zugleich die große Nähe und das Schweigen Gottes erfahren.
Somit erscheint der christliche Glaube als ein Wagnis, als Kühnheit aus Vertrauen. Die ganze Bibel führt uns zu solchem Vertrauen: Der vollkommen transzendente Gott kommt und spricht uns in einer zugänglichen Sprache an.>/p>
Gott lässt sich auf einen Tausch ein
Die Nähe Gottes verweilend zu betrachten, die sich an Weihnachten offenbart, ruft immer Staunen hervor. Das Wort ist Fleisch geworden. Gott hat sich verwundbar gemacht. Augustinus betont: Sein Wort wird ein kleines Kind, das noch nicht sprechen kann. Von Geburt an gerät Jesus in allereinfachste Verhältnisse, in die ungefestigten Gegebenheiten eines Menschenlebens. Wenig später erleidet er mit Maria und Josef Verfolgung und Exil.
An Weihnachten zeichnet sich bereits der Schatten des Kreuzes ab. Indem Gott Mensch wird, entscheidet er sich letztlich dafür, die menschliche Zerbrechlichkeit anzunehmen. Er kommt und bewohnt unsere Zerrissenheit, unser Leiden. Christus erreicht uns auf dem Tiefpunkt, er wird Mensch wie wir, um uns die Hand reichen zu können.
Durch das Kommen Jesu lässt sich Gott auf einen wahren Tausch ein. Er nimmt unser Menschsein an. Im Gegenzug schenkt er uns sein Leben. Durch Marias Bereitschaft kann dieser Tausch stattfinden. Mit ihm ist der ganzen Schöpfung Versöhnung mit Gott angeboten.
Wagen wir es, in dem kleinen Kind in der Krippe die Gegenwart Gottes zu erkennen, empfangen wir seinen Frieden und mit ihm die Hoffnung auf Frieden für die ganze Welt! An Weihnachten sendet Gott uns aus, diesen Frieden in unsere Umgebung zu tragen. Unsere Welt braucht mutige Frauen und Männer, die mit ihrem Leben den Ruf des Evangeliums nach Versöhnung verkörpern.
Erinnern wir uns daran, dass manchmal nur einige wenige Menschen nötig waren, damit sich bei Konflikten die Waage zum Frieden hin neigte. Das Vertrauen und der Mut einer Frau, der Jungfrau Maria, reichten dafür aus, Gott in unsere Menschheit eingehen zu lassen. Lassen wir uns von diesem Vertrauen und diesem Mut bewegen. Und wir können in unserem Leben wie zu einem kleinen Licht der Weihnacht werden, das im Dunkel scheint, wenn es auch manchmal nur flackern mag.
Gott, der alles übersteigt,
was wir uns vorstellen können,
du wurdest arm,
damit wir dich lieben können.
In Jesus bist du einfach da,
ein verletzliches Kind.
So öffnest du unser Herz
für eine neue Hoffnung,
eine Hoffnung auf Frieden
für die ganze Menschheit.