Wegweiser für die diakonische, gastfreie und menschenfreundliche KircheFrauen gestalten Kirche vor Ort

Die Frage spiegelt exemplarisch eine komplexe, teils widersprüchliche Situation, wie ich sie nicht selten erlebe: Frauen übernehmen ganz selbstverständlich liturgische Dienste, sie sorgen für die Einteilung und Organisation, und den fraglichen Gottesdienst am Karfreitag wird eine ehrenamtliche Frau leiten. Es ist keine Frage, die eigenen Kompetenzen selbstbewusst einzubringen: Auch der Kinderbibeltag, der Weltgebetstag und viele andere Projekte laufen zu hundert Prozent in Frauen-Regie, die beteiligten Frauen machen das gut, und sie wissen es. Aber an bestimmten Punkten lässt sie diese Selbstverständlichkeit im Stich - oft, wenn es um Dinge geht, die bisher traditionellerweise ein Priester wahrgenommen hat; oder wenn für Frauen-Projekte Geld benötigt wird. Dann erlebe ich Frauen oft wieder unsicher, zögerlich, sich selbst zurücknehmend. 

Dieser Beitrag reflektiert meine ganz persönlichen Erfahrungen. Mein Lebensraum ist eine ländlich geprägte, überwiegend katholische Region im Rhein-Main-Gebiet. Als Gemeindemitglied engagiere ich mich ehrenamtlich in meiner Pfarreiengemeinschaft; als Bildungsreferentin arbeite ich beruflich viel mit Frauen von der Kirchen-Basis. Was ich im Folgenden zu beschreiben versuche, ist daher auch nur eine ganz spezifische Perspektive, ein Ausschnitt aus dem bunten Feld des Engagements von Frauen in der Kirche vor Ort. 

Wer sind überhaupt die Frauen an der Basis, und wie leben sie? 

Keine Frage: Frauen leben, denken und engagieren sich heute anders als vor einer Generation. Meine Mutter ging dienstags um 9 Uhr zur „Müttermesse“. Die Hausfrauen hatten zu dieser Zeit bereits die erste Schicht Familienarbeit hinter sich, das Frühstück war gerichtet und wieder abgespült, die Betten gemacht; und rechtzeitig zum Kochen für das Familien-Mittagessen waren alle wieder daheim - so lautete damals die einleuchtende Argumentation. Und als die Gemeindekatechese eingeführt wurde, war meine Mutter wie viele andere selbstverständlich unter den „Tischmüttern“; allerdings mussten die Gruppenstunden vorbei sein, bevor der Mann von der Arbeit nach Hause kam! 

Die meisten Frauen heute sind fast durchgängig in ihrer Biographie berufstätig, wenn auch oft in Teilzeit und schlecht bezahlt. Dafür werden oft finanzielle Gründe genannt, aber es gehört einfach auch zum Selbstverständnis der Frauen, ihren Beruf auszuüben. Da sich die Rolle der Männer als Partner und Väter (noch) nicht in gleichem Maß gewandelt hat, gleicht für viele Frauen der mittleren Generation der Alltag dem beständigen Jonglieren mit mehreren, vielen, immer mehr Bällen: Kinder, Partnerschaft, Beruf, Pflege älterer Angehöriger, Haus und Garten, Kontakte mit Freundinnen, Sport und Gesundheit ... Und wie das beim Jonglieren so ist, läuft alles so lange rund, bis ein Ball mal aus der Bahn gerät! Die kirchliche Gemeinde als Raum, in dem man sich engagiert, Zeit verbringt, soziale Beziehungen lebt - das ist für viele weit in den Hintergrund getreten: „Das schaffe ich gar nicht!“ 

Gerade in unserer traditionell katholisch und ländlich geprägten Gegend fällt mir auf, dass die jüngeren Frauen vielfach bereits zur zweiten Generation gehören, die nicht mehr streng katholisch erzogen und traditionell kirchlich sozialisiert ist. Sonntags zur Kirche, freitags kein Fleisch, am Aschermittwoch fasten, an Ostern beichten?! Das kennen viele nicht einmal mehr aus ihrer eigenen Kindheit. Auf der einen Seite bleiben ihnen damit einige biographische Belastungen ihrer Mütter und Großmütter erspart, andererseits fühlen sie sich, wenn es um traditionelle kirchliche Formen, um Brauchtum und Gottesdienste geht, oft genauso fremd in der Kirche wie ihre Kinder, wenn sie z.B. gemeinsam zum Einschulungsgottesdienst kommen. 

Die religiöse Sprachlosigkeit und das Gefühl der Fremdheit und Distanz zur Kirche betreffen aber durchaus nicht nur die jungen Frauen. Auch ältere Frauen - traditionell die Stützen der Gemeinde! - gehen überraschend häufig auf Distanz. Manchen ist es einfach nicht mehr wichtig, andere werden im Alter von ganz grundsätzlichen Glaubenszweifeln überfallen; wieder andere kommen mit großer, lang aufgestauter Wut auf „die Kirche“ in die theologische Erwachsenenbildung. „Meine Freundinnen treten alle aus der Kirche aus, aber ich will es endlich einmal wissen“, so eine 70jährige Teilnehmerin bei der Anmeldung zu einem Bibelkurs. 

Frauen sind in der Gemeinde in erster Linie als Mütter engagiert 

Die meisten Frauen, denen ich in der Gemeinde begegne, sind Mütter. Und für viele gilt: Sie sind nicht primär aus eigener Motivation da, sondern eben in ihrer Rolle als Mütter. Wenn sie sich engagieren, so tun sie es für ihre Kinder. 

Denn für ihre Kinder tun Frauen (fast) alles: Babyschwimmen, Kinderturnen und musikalische Früherziehung, Ballett und Fußball ... alles mit hohem organisatorischem, zeitlichem und manchmal auch finanziellem Aufwand. Dazu kommen Termine bei Kieferorthopäden und Logotherapeuten, Sprechstunden bei den Lehrkräften und den vielen anderen Stellen, die für die optimale Entwicklung des Kindes sorgen sollen. Ob Elternabend in der Schule oder vor der Erstkommunion: Wenn es um ihre Kinder geht, sind die Mütter da! Und in erstaunlich hohem Maß dazu bereit, sich einzubringen, Zeit und Energie zu investieren. Für ihre Kinder bzw. mit ihnen besuchen Mütter den Gottesdienst am Sonntag, basteln stundenlang, putzen die Kirche und gehen sogar beichten, wenn es von ihnen verlangt wird (oder sie das denken) - erstaunlich! 

Meist sind die Präsenz und das Engagement dieser Frauen projektorientiert, manchmal auch auf die eigene Familie, die eigenen Kinder fokussiert. Ist das „Projekt“ (z.B. die Erstkommunion) vorbei oder mag die Tochter nicht mehr Ministrantin sein, endet damit auch das Engagement der Mutter. Viele Frauen praktizieren so eine spezifische Form von „Kasualienfrömmigkeit“: Für einen bestimmten Anlass oder für eine gewisse Zeit sind sie gern Gast und packen auch tatkräftig mit an, wo es etwas zu tun gibt. Danach aber nehmen sie sich auch die Freiheit, zu bleiben oder zu gehen, so lange und in der Form, wie es für sie passt. 

Einschränkend muss gesagt werden, dass diese Beobachtungen sich weitgehend auf Frauen aus der Mittelschicht beziehen; voll berufstätige Alleinerziehende, Frauen mit Patchwork-Familien oder aus prekären sozialen Verhältnissen haben oft große Schwierigkeiten, die „Anforderungen“ der Gemeinde z.B. für die Erstkommunionkatechese zu erfüllen. Aber auch viele von ihnen versuchen, für ihr Kind alles möglich zu machen, was nur eben geht. 

Frauensache Diakonie 

Beim Blick auf die Kirche vor Ort darf der ganze Bereich des sozialen Engagements nicht übersehen werden; auch das und gerade das ist Kirche - und meist fest in Frauenhänden. Das beginnt mit der tätigen Nächstenliebe in der Familie und Nachbarschaft: Selbstverständlich wird nach der gebrechlichen Nachbarin geschaut, morgens der Schnee für sie mit geräumt oder ein Medikament von der Apotheke geholt. Da geschieht vieles an „diakonischem Handeln“, das gar nicht als solches wahrgenommen wird. 

Dazu kommen die vielen ehrenamtlichen Dienste. Krankenbesuchsdienst oder Hausaufgabenhilfe, ein Café für Obdachlose oder ein Sprachkurs in der Asylbewerber- Unterkunft, Partnerschaften mit Projekten in Entwicklungsländern und Kindergarten-Trägerschaft: Viele dieser Gruppen arbeiten unter dem Dach der Kirche und integrieren eine große Zahl von Menschen, die sich mit viel Liebe, viel Zeit und viel Sachverstand um „ihre Sache“ kümmern. Und die meisten von ihnen sind weiblich! 

Auch die institutionalisierte und professionelle Caritas ist an der Basis überwiegend in Frauenhand. Krankenschwestern in Sozialstationen, Erzieherinnen in Kindergärten sind Teil des Auftrags der Kirche, für die Menschen da zu sein. Nimmt man die Aussage, Diakonie sei „Selbstvollzug“ der Kirche, wirklich ernst, so ereignet sich in all diesen Begegnungen und Handlungen Kirche, genauso wirklich und so wichtig wie in einem feierlichen Hochamt. Zudem sind viele dieser diakonischen Dienste Berührungspunkte, an denen auch Menschen Kirche erleben, die sonst keine anderen Kontaktstellen hätten; aber gute, professionelle und zugleich menschenfreundliche Arbeit unter diesem Dach schätzen auch sie (und haben oft hohe Erwartungen an „die von der Kirche“!). 

Der diakonische Auftrag der Kirche: Einfach da sein für Menschen, die es nötig haben; ihnen erfahrbar machen, dass Gott jede und jeden Einzelnen von ihnen glücklich sehen möchte - und das ganz ohne Hintergedanken und Vereinnahmung! Unzählige Frauen gestalten hier Kirche vor Ort. Mit und ohne offizielle Beauftragung! 

„Kognitive Dissonanz“ war gestern! 

Viele Frauen leben ihr „Privatleben“ nicht so, wie es das kirchliche Lehramt vorsieht. Partnerschaften Krankenbeund auch Elternschaft ohne Trauschein, Familienplanung, Wiederheirat nach einer Trennung - das alles sind beileibe keine neuen Themen. Auch frühere Frauengenerationen haben sich nicht immer an alles gehalten, was eigentlich vorgeschrieben gewesen wäre. Aber sie haben unter diesem Graben zwischen dem „Sollen“ und der Wirklichkeit gelitten, damit innerlich oder auch offen gekämpft, protestiert und gebeichtet. 

Jüngere Frauen und die Mädchengeneration, die heranwächst, arbeiten sich nicht mehr daran ab, so mein Eindruck. Sie tun, was sie für richtig halten (oder was die Peergroup oder die Medien vorgeben!). Dass „die Kirche“ manche dieser Verhaltensweisen eigentlich nicht gut findet, ist deren Problem - und nicht ihres. Sie leiden nicht zwischen der Spannung zwischen den eigentlich als gültig akzeptierten Normen und ihrem tatsächlichen Verhalten („kognitive Dissonanz“) oder schämen sich gar dafür. Sie haben gar nicht den Anspruch, dass ihre ganze Lebensführung mit den kirchlichen Normen übereinstimmen müsste, insbesondere im Bereich des „Privaten“ und der Sexualität. 

Dabei sind viele davon überzeugt, auch „so“ - als geschiedene und wiederverheiratete, als unverheiratet zusammenlebende, als verhütende Frauen - gute Christinnen sein zu können. Und, wenn sie wollen, engagieren sie sich auch in der Pfarrei, im Verband oder in einer kirchlichen Basisbewegung. Patchworkfamilienfrauen als Gruppenmütter in der Katechese sind längst keine Seltenheit und kein Tabu mehr. Der Ausschluss von der Kommunion ist freilich bei vielen ein Punkt, der Zorn und Schmerz hervorruft; hier greift noch die fühlbare und öffentlich sichtbare Stigmatisierung für abweichendes Verhalten, die die Einzelne nicht für sich und im unmittelbaren sozialen Nahfeld auflösen kann. 

Diese Dissonanz zwischen den Wertvorstellung der Kirchen und dem Verhalten einer breiten Mehrheit ihrer Mitglieder soll hier beschrieben, nicht bewertet werden. Natürlich muss sich auch das „Privatleben“ wie alles Tun und Lassen daraufhin befragen lassen, ob es mit dem Anruf Gottes an mich und meinem Glauben kompatibel ist oder nicht. Positiv kann man aber auch sagen: „Kirche“ und „Gemeinde“ werden zunehmend nicht Gemeinschaften von Menschen sein, die sich alle an die gleichen Regeln halten; sie werden eher Gemeinschaften von Suchenden sein, die sich für die gleiche Sache engagieren und aus ihrem Glauben an Gott heraus etwas miteinander teilen, verändern, gestalten wollen. 

Umwege gehören zum Leben und führen letztlich auch zum Ziel 

Menschen kommen zur Gemeinde oder auch zur Ortsgruppe des kirchlichen Verbands, sie engagieren sich und bleiben eine Weile - und viele bleiben dann irgendwann auch wieder weg. Weil sie weggezogen sind, weil sie einen neuen Partner oder eine neue Arbeit gefunden haben, weil sie sich für eine andere Sache engagieren möchten, vielleicht auch, weil sie enttäuscht sind. Neben denjenigen, die in der Gemeinde oder im Verband verwurzelt sind und dort dauerhaft ihre Heimat haben, gibt es immer mehr Menschen, für die die Kirche mehr wie eine Berghütte ist: Man kommt dort an - oft erschöpft nach einem langen, anstrengenden Weg -, findet dort Schutz und Geborgenheit und Gesellschaft, packt wohl auch mit an, wenn nötig. Aber irgendwann geht es weiter, es ist ja nur eine Herberge auf dem Weg! 

Gerade Frauen im mittleren Lebensalter sind spirituell viel unterwegs, so meine Beobachtung. Oft haben sie sich in der „Kinderphase“ recht intensiv in der Pfarrei engagiert, gute Erfahrungen dabei gemacht, aber auch verletzende und ernüchternde. Werden die Kinder erwachsen, gehen viele auf die Suche nach etwas Neuem. Nicht wenige lassen sich von Sinnangeboten ansprechen, die mehr oder weniger esoterisch eingefärbt sind. Heilmethoden und Therapien, Entspannungs- und Bewegungskurse, Ernährung oder Atmen - für alles gibt es neben den fachlich soliden auch die esoterischen Varianten, die mit allerlei Heilsversprechungen locken, die offenbar gerade die Sehnsüchte von Frauen aufgreifen.

In den letzten Jahren beobachte ich aber auch einen neuen Trend: Viele Frauen, die lange Distanz zur Kirche gesucht haben (oft aus guten Gründen) und/oder esoterisch unterwegs waren, kommen wieder zu niederschwelligen Angeboten der Gemeinde oder der Erwachsenenbildung. Sie suchen wieder neu nach dem, was früher einmal für sie wichtig war. Sie spüren, dass sie wieder an die eigenen Wurzeln anknüpfen wollen. Und sie haben eine große Sehnsucht danach, wieder dazuzugehören. Bei manchen bedeutet dies, dass sie ganz offiziell ihren Kirchenaustritt wieder rückgängig machen und wieder eintreten in ihre Kirche (oder auch in eine andere Konfession). Andere waren nie ganz weg, und es geht nur um eine Form der Zugehörigkeit, die jetzt für sie stimmig ist. 

Nicht ohne uns! Frauen gestalten die Kirche der Zukunft 

In den letzten drei Abschnitten habe ich Beobachtungen beschrieben, die für mich zugleich Spuren für die „Kirche von Morgen“ legen und so wegweisenden Charakter haben. Dabei stehen, anders als in meinen Eingangsbemerkungen, gar nicht so sehr das gottesdienstliche Leben und die Ämterfragen im Zentrum, so wichtig sie auch binnenkirchlich sein mögen. Die Kirche der Zukunft wird eine diakonische Kirche sein - eine Gemeinschaft von Menschen, die mutig, respektvoll und freundlich für andere da sind, besonders für die, die sonst niemand im Blick hat. Sie wird eine offene, gastfreundliche Kirche sein, in der man nicht mit allen Vorschriften konform gehen muss, um dazuzugehören. Und schließlich wird diese Kirche der Zukunft akzeptieren, dass es nicht nur den geraden Weg gibt; sie wird eine offene Tür und ein Dach über dem Kopf für alle haben, die manchmal verschlungene Wege gehen, sich aber doch immer wieder (oder zumindest irgendwann einmal) dort einfinden, wo ihr Herz Heimat findet. An dieser Kirche bauen viele Frauen mit - jetzt schon! 

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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