Fazit
Seelsorger und Seelsorgerinnen können Ostern erleben, wenn sie ausgeglichen leben, das heißt ihren physischen und psychischen Bedürfnissen in einer angemessenen Weise Rechnung tragen. Sich auch in seiner Unvollkommenheit anzunehmen, sich der Wirklichkeit des Lebens zu stellen, kann weiter eine Voraussetzung dafür sein, um Ostern erleben zu können. Ganz entscheidend dafür ist aber, immer wieder zu werden wie die Kinder, die staunen können und im Staunen sich selbst vergessen können.
Ich bin inzwischen vielen Menschen, unter ihnen vielen Seelsorgern und Priestern begegnet, die Ostern aus ganzem Herzen heraus erleben, die in sich ein großes Glücksgefühl spüren, wenn sie von Freude erfüllt in der Osternacht singen „Alleluja, Jesus lebt, Jesus lebt, Alleluja, Jesus lebt". Andere wieder bleiben innerlich unberührt. Sie feiern Ostern, als Priester sprechen sie die liturgischen Texte des Tages und singen die Lieder mit. Allein, es bleibt bei einem äußeren Vollzug. Ihr Herz und ihre Seele schwingen nicht mit.
Ein Grund dafür mag sein, dass diese Priester in sich keinen Platz, keinen Raum mehr haben, in dem sich ihre Gefühle ausbreiten und leben können. Sie sind so zugedeckt von der Arbeit, von den auch religiösen Verrichtungen, dass sie einfach froh sind, wenn sie die ‚ganze Geschichte' gut über die Bühne bekommen. Unsere Psyche kann nicht ständig in religiösen Gefühlen leben oder schwelgen. Sie verlangt nach Ausgleich. Bei Männern und Frauen, für die die spirituelle Dimension in ihrem Leben besonders wichtig ist, kann die Gefahr bestehen, dass das Religiöse, die Beschäftigung damit, das Eintauchen in religiöse Gefühle so viel Platz in ihrem Leben und in ihrem psychischen Haushalt einnehmen, dass die vorhandenen Kräfte völlig davon aufgebraucht werden und andere lebensnotwendige Bereiche dabei zu kurz kommen. Die Folge davon kann dann sein, dass die Betreffenden zunehmend unausgeglichen, mitunter ungenießbar werden. Sie haben keine Freude und keine Lust mehr an ihrem Dienst, den sie immer mehr nur als Last erleben.
Dann gibt es Seelsorger und Priester, die in ihren religiösen Gefühlen aufgehen, doch ihre Gefühle sind ganz absorbiert vom heiligen Vollzug. Im Augenblick scheinen sie ganz erfüllt zu sein von dem frohen Erleben, dass Christus auferstanden ist, doch das Leben davor, daneben und danach hat da wenig Platz. Es riecht bei ihnen, so der verstorbene Pastoraltheologe Josef Goldbrunner, „gefühlsmäßig nach Weihrauch. Das drückt einem die Luft ab. Es geht eine solche Unlust von diesen so genannten Frommen aus, das man meint, der Welt um sie herum fallen langsam die Zähne aus ... Schlechte Laune sei ja auch das Laster der Frommen, sagt C.G. Jung". Ihre Osterfreude wirkt nicht nach, Sie wirkt sich nicht auf ihre Umwelt und ihren Alltag aus. Sie können sie daher auch nicht auskosten.
Ich erinnere mich an einen Priester, der erzählte, wie sehr er an Hochfesten in der Feier der Eucharistie aufgehe, er ganz erfüllt sei von den feierlichen und erhabenen Gefühlen, die dabei in ihm erweckt werden. Es ist für ihn als bewege er sich in dieser Zeit in einer himmlischen Sphäre. Kaum sei er aber nach dem Gottesdienst in der Sakristei, raste er fast aus, wenn Ministranten laut sind und ihn in seiner feierlichen Stimmung störten und schlechte Laune trete an die Stelle der gerade noch so tiefen, feierlichen Gefühle. Dieser Pfarrer hat sich seit dem Aufstehen nur mit Beten befasst, war ständig eingetaucht in die spirituelle Sphäre. Er hat sich kaum Zeit gelassen für das Frühstück, bei dem er seine Haushälterin angeschwiegen hat, geschweige denn, dass er sich erlaubt hätte, für zehn Minuten nach draußen zu gehen, um frische Luft einzuatmen oder ein paar Schritte zu gehen.
Will ich Ostern erleben, müssen meine Gefühle mit einbezogen werden. Der Resonanzboden in mir, der für Gefühle empfänglich ist, muss dafür bereitet sein. Er darf nicht zugestellt sein durch zu viel Nachdenken, Analysieren, Theoretisieren. Alles hat seine Zeit, auch das Nachdenken und Analysieren. Hans Küng spricht viel davon, wie wichtig es sei, vernünftig zu glauben. Das bedeutet mir viel. Was uns aber oft fehlt, ist die angemessene Berücksichtigung der Gefühlsseite.
Dann findet meine Auferstehung statt
Manchmal scheitert das Erfahren von Ostern, weil ich an der Oberfläche bleibe, weil ich den Gang in die Tiefe bisher vermieden habe, weil ich dachte, ich könne den Himmel jetzt schon kosten, ohne den Vorgeschmack der Hölle erfahren zu haben. Es befremdet mich, wenn ich einen bekannten Schlagersänger singen höre, dass er sich nach der Liebe pur sehnt. Ich weiß nicht, was er sich darunter vorstellt. Ich fantasiere aber, dass er die heile Liebe meint, die nur zärtlich, wohltuend, erhaben ist, die Schmerz, Trauer, Enttäuschung, Verzweiflung nicht kennt. Das erinnert mich an Seelsorger oder Psychotherapeuten, die den Eindruck erwecken, dass ein spiritueller Weg, ein psychotherapeutischer Prozess eine sanfte Angelegenheit sei, bei der man sich die Hände nicht schmutzig macht, wo es möglich ist, direkt, unmittelbar Glückseligkeit zu erfahren oder den Himmel zu erreichen. Menschen, so der amerikanische Philosoph und Psychotherapeut Rollo May, erreichen den Himmel nur über die Hölle. Selbst für einen rein weltlichen Himmel gilt das. Die Agonie, das Erschrecken, die Traurigkeit sind notwendiges Präludium für die Erfahrung von Auferstehung. Ostern geht der Karfreitag voraus, der Erfahrung von Auferstehung geht der Tod, die Erfahrung von Sterben voraus.
Schließlich können auch Vollkommenheitsansprüche oder Allmachtsphantasien mich davon abhalten, echte Freude zu empfinden, Ostern wirklich auszukosten. Die felix culpa, die glückliche Schuld, von der im Exultet der Osternacht die Rede ist, gestehe ich mir dann selbst nicht zu. Solange ich mir aber die Annahme meiner selbst verweigere, mich nicht so wie ich bin, anzunehmen vermag, auch in meiner Unvollkommenheit, bleibt etwas in mir tot. Erst wenn ich mich bedingungslos annehmen kann, öffnet sich das Grab, in das ich mich selbst, mein Innerstes, eingesperrt habe. Dann werde ich befreit. Dann findet meine Auferstehung statt. Dann spüre ich, dass ich wertvoll, liebenswert bin. Dann vernehme ich in mir einen vielstimmigen Chor, der mindestens so wunderbar klingt wie Händels Messias. Dann erlebe ich Auferstehung, dann erfahre ich Ostern.
Es ist ein Gefühl, das jener Schratt, ein alter, geiziger Mann, in der Geschichte Christmas Carol von Charles Dickens erfährt, der sich von der Welt enttäuscht zurückgezogen hat. Alle Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen, unterbindet er, bis er im Traum Szenen aus seiner Vergangenheit begegnet. Da bricht etwas in ihm auf. Ihm wird schlagartig bewusst, wie sehr er in den letzten Jahren am Leben vorbeigegangen ist.Wie sehr er seine Bedürfnisse nach menschlicher Nähe, Liebe zu erhalten, Liebe zu schenken, unterdrückt hat. Zunächst denkt er, tot zu sein. Doch dann stellt er fest: ich lebe ja noch. In diesem Moment kommt der totale Durchbruch. Er tanzt und springt im Bewusstsein: Jetzt kann ich ja wieder anfangen zu leben. Er geht zu seinen Enkeln und Verwandten und beschenkt sie und lässt sich beschenken. Er hat die Isolation überwunden. Er hat eine innere Auferstehung erlebt, die ihn vor Freude jauchzen und tanzen lässt.
Werden wie die Kinder
Um Ostern erfahren zu können müssen wir wieder werden wie die Kinder, sonst bleibt uns der Himmel verschlossen, sonst bleibt uns die Erfahrung von Ostern verschlossen. Kinder haben sich noch nicht solche Fettpolster angelegt, die den Zugang zu einer unmittelbaren Erfahrung verhindern. Sie können noch einfach staunen und im Staunen sich selbst vergessen. Im Staunen aber schließen wir uns dem Himmel an, betreten wir eine andere Welt.
Mir fällt eine Begebenheit mit unserem Sohn Thomas Morus ein, als er etwa fünf bis sechs Jahre alt war. Thomas klingelt Sturm. Er ist ganz aufgeregt. Er hatte sich auf die Bank vor unserem Haus gesetzt, und da ging, er konnte es nicht fassen - die Oma Käthe am Haus vorbei. Oma Käthe war vor einem halben Jahr gestorben. „Mama, Mama!", ruft er, „die Oma Käthe lebt. Ich habe sie gesehen!" Meine Frau bittet ihn ins Haus zu kommen und spricht mit ihm darüber. Sie sagt ihm, dass es nicht Oma Käthe gewesen sein kann. Dass sie gestorben sei. Er hatte sie sicher mit einer anderen Person, die ihr ähnlich sieht, verwechselt. Thomas ist enttäuscht. Er ist nicht bereit, sich mit dieser Auskunft zufrieden zu geben, und hält seiner Mutter entgegen: „Vielleicht ist sie auferstanden." „Wenn ihr nicht werdet wir die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen." Auch wenn Thomas Oma Käthe nicht gesehen hat, war für einen Augenblick seine Sehnsucht nach ihr erfüllt worden. Er hat für einen Moment geglaubt: Das ist die Oma. Die Oma lebt. Ja, sie ist auferstanden.
Er hat wirklich an ihre Auferstehung geglaubt. Er kann an die Auferstehung glauben, darf alle Erfahrungen durchleben, die ich mache, wenn eine Mensch, den ich liebe und den ich verloren habe oder glaubte verloren zu haben, plötzlich wieder da ist. Seine Freude und sein Glückseligkeit entspringen dem gleichen, tiefen, inneren Impuls,wenn wir an Ostern ausrufen können: „Er ist auferstanden! Er ist wahrhaft auferstanden!"
Der anglikanische Theologe Philipp Newell berichtet von einer Geschichte, in der ein kleines Mädchen die Eltern bat, eine Weile mit ihrem Bruder, der noch ein Baby war, alleine sein zu dürfen. Die Eltern erlaubten es schließlich und fasziniert ob eines solchen Wunsches lauschten sie an der Tür. Das kleine Mädchen sagte zu seinem Bruder: „Erzähl mir, wie Gott ist, ich beginne es zu vergessen." Es gibt eine jüdische Tradition, nach der wir Gott im Mutterschoß erkennen, diese Fähigkeit aber uns mit der Zeit wieder abhanden kommt. Bis wir schließlich wieder auf sie stoßen, unsere Sehnsucht danach den Weg in die Tiefe führt, um ihr dort zu begegnen. Oder wir erlauben ihr einfach wieder, sich bemerkbar zu machen, Teil unseres Lebens zu werden.
Staunen nur kann ich und staunend mich freuen
Wer sich die Fähigkeit zum Staunen erhält, kann die grundsätzlich schönen Dinge des Lebens mit Lust, voller Bewunderung sogar ekstatisch erfahren. Für einen solchen Menschen ist jeder Sonnenuntergang so schön wie der erste, jede Blume von atemberaubender Lieblichkeit, auch, nachdem er eine Million Blumen gesehen hat. Das Staunen kann übergehen in das Ergriffensein bis hin zur Erfahrung von Ekstase, wenn wir aus uns heraustreten. Das meint 23 ja die deutsche Übersetzung des aus der griechischen Sprache stammenden Begriffes Ekstase. Solche Erfahrungen werden uns geschenkt. Entscheidend wird es sein, dass wir offen sind dafür und das tun, was wir tun können, um für solche Erfahrungen empfänglich zu sein.
Ich erinnere mich an eine wunderbare Erfahrung bei einem Aufenthalt in Jerusalem. Bei den syrischen Orthodoxen in Jerusalem bei ihrer Osterliturgie wird an einer Stelle der Bischof samt Stuhl, auf dem er sitzt, unter dem Aufjauchzen der Gottesdienstteilnehmer in die Höhe gehoben, fast geworfen. Das erinnert mich an eine alte Darstellung, auf der Jesus auf einer Schaukel schaukelnd dargestellt wird.Hier wird äußerlich sichtbar, was innerlich geschieht, wenn wir Ostern aus ganzem Herzen heraus erleben und in einem schieren Zustand der Ekstase aus uns heraustreten, können wir es doch kaum fassen, können wir doch nur staunen, „staunen nur kann ich und staunend mich freuen", betroffen und getroffen von der Erkenntnis und Wahrheit, dass ER auferstanden ist.