Bis zum II. Vatikanischen Konzil war klar, was und wer Kirche ist. Im allgemeinen katholischen Bewusstsein war unbestritten, dass die Ordensleute, Pfarrer, Bischöfe und der Papst rechte Christen sind. Deren Aufgabe bestand darin, die in der Welt lebenden Laienchristen immer wieder an ihr Christsein, ihr christliches Leben, manchmal auch an ihre missionarische Aufgabe zu erinnern. Gewiss, bei näherem Hinschauen entdecken wir, wie sehr die Kirche immer wieder durch die Gläubigkeit und das Engagement der sogenannten Laien gelebt und überlebt hat. Auch das Zweite Vatikanische Konzil wäre ohne die wesentlich von Laien mitgetragenen Bewegungen so nicht denkbar.
Kopernikanische Wende auf dem Konzil
So hat das jüngste Konzil eine kopernikanische Wende eingeleitet: Kirche wird nicht mehr in der Abstufung „Papst - Einzelbischof - Priester - das Volk der Laien" verstanden. Freilich wird diese Pyramide auch nicht einfach auf den Kopf gestellt, als ginge nun „alle Gewalt vom Volke aus". Es ging nicht um die Alternative „Hierarchie oder Demokratie" (was in Bezug auf die Kirche dringend zu erläuternde Begriffe wären!). Vielmehr wollten die Konzilsväter von der gemeinsamen Berufung und Sendung aller ausgehen, von der „wahren Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi" (Kirchenkonstitution Lumen gentium 32).Überwunden wird die Trennung von Klerus und Laien, alle zusammen bilden das pilgernde Gottesvolk. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist freilich bis heute nicht selbstverständlich, dass „die Kirche" alle Getauften sind. Ist dies auch ein Zeichen dafür, dass das Erscheinungsbild der Kirche hinter den Vorgaben des Konzils zurückbleibt?
Alle haben Anteil an den Ämtern Christi
Bei der Erarbeitung der Dogmatischen Konstitution über die Kirche wurde gegen anhaltenden Widerstand einzelner Bischöfe jede Abschwächung der gemeinsamen Berufung und Sendung aller Gläubigen zurückgewiesen. Es war offenbar für manche Konzilsväter gewöhnungsbedürftig, dass die Positionen und Funktionen nicht mehr strikt aufgeteilt waren, z.B. in Spender und Empfänger der Sakramente, in lehrende und hörende Kirche, in Befehlende und Gehorchende, in Dienst in der Kirche und Aufgaben in der Welt. Alle haben je auf ihre Weise Anteil am Leben und an der Sendung des Volkes Gottes. Die gemeinsame Berufung steht vor der Unterscheidung der Dienste und Ämter. Um dies zum Ausdruck zu bringen, greift die Kirchenkonstitution die Rede von den drei Ämtern Christi auf: Er ist Lehrer (Prophet), Priester (Heiliger) und Hirte (König). Die besagte kopernikanische Wende bedeutet, dass nun nicht nur Bischöfe und Priester an diesen Ämtern Anteil haben, sondern alle Gläubigen. Deshalb spricht das Konzil vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen und von der Teilhabe des ganzen Gottesvolkes am prophetischen Amt Christi. Wie ungewohnt diese Auffassung war, zeigt sich daran, dass die Teilhabe aller an dem Hirtenamt Christi kaum zur Ausführung kommt. Bis heute wird in kirchenoffiziellen Verlautbarungen betont, dass Leitung ausschließlich mit dem priesterlichen Dienst verbunden sei.
Das gemeinsame und das durch Ordination übertragene Priestertum
Missverstanden wird bis heute außerdem die Formulierung in Lumen gentium 10, dass sich „das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen und das Priestertum des Dienstes oder hierarchische Priestertum dem Wesen und nicht bloß dem Grad nach unterscheiden". Ist mit dieser Formulierung nicht doch wieder ein grundlegender Unterschied zwischen Klerus und Laien eingeführt worden? Nein: Das Konzil will sagen, dass alle Gläubigen, zu denen auch die Ordinierten (Geweihten) gehören, Anteil haben am Priestertum Jesu Christi. Freilich: „Je auf besondere Weise", und diese Weise unterscheidet sich wesenhaft. Das heißt: Das Priestertum derer, die wir herkömmlicherweise Priester nennen, ist keine Steigerung des Priestertums aller Gläubigen, so als wären sie die rechten, richtigen, eigentlichen Priester. Vielmehr hat ihr Priestertum eine wesentlich andere Funktion als die, die dem priesterlichen Gottesvolk zukommt. Alle Getauften (und Gefirmten) sind dazu berufen, „die großen Taten dessen zu verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat", wie es im 1. Petrusbrief (2,9) heißt. Und das bezeugen sie „in allen Werken eines christlichen Menschen". Priester sein heißt also nach dem Neuen Testament, auf das sich das Konzil beruft: In der Nachfolge Jesu Christi - von Gott her - für die Menschen im Leben da sein. Die Kirchenkonstitution legt Wert darauf, dass dieses Priestertum aller Gläubigen als „gemeinsames" bezeichnet wird; die Rede von einem „allgemeinen" Priestertum wird als zu vage („irgendwie auch ein Priestertum") abgelehnt. Bedauerlicherweise ist inzwischen wieder vom „allgemeinen" Priestertum die Rede, dem dann das „besondere" der („eigentlichen") Priester gegenübergestellt wird. Deshalb verwundert es nicht, wenn „Laien" fragen, was das Besondere des „besonderen Priestertums" sei. Die konziliare Unterscheidung lautet aber: gemeinsam - Dienst- oder hierarchisches Priestertum.
Kirche ist kein hierarchisches Gebilde
Wir spüren die Verlegenheit der Konzilsväter, wenn sie die von ihnen vollzogene kopernikanische Wende in theologische Begriffe fassen wollen. Wenn wir vom Hohenpriester Jesus Christus und vom priesterlichen Gottesvolk sprechen, wie können wir dann das Spezifische derer, die wir „Priester" nennen, bezeichnen? Mit dem ersten Ausdruck - Priestertum des Dienstes - sagt das Konzil, dass die Priester im Dienst des priesterlichen Gottesvolkes stehen. Mit dem zweiten - hierarchisches Priestertum - sagen sie, dass dieses Priestertum in der hierarchischen Gemeinschaft der Priester mit dem Bischof ausgeübt wird. Es ist also ein Missverständnis, wenn die Kirche als Ganze als ein hierarchisches Gebilde gezeichnet wird, es sei denn damit ist gemeint: 1. Es gibt eine Hierarchie als heilige Ordnung (so die wörtliche Übersetzung), die aber gerade von der gleichen Würde aller Getauften ausgeht und keine Zweiklassengesellschaft meint; die „heilige Ordnung" besteht also in der Gemeinschaft, in der jede und jeder entsprechend der jeweiligen Geistesgabe Christsein in der Kirche als Organisation auch Arbeitsverhältnisse von Vorgesetzten und Mitarbeiter/innen, also hierarchische Beziehungen in einem soziologischen Sinn.
Das Zeugnis des prophetischen Gottesvolkes
Der unlängst selig gesprochene Kardinal John Henry Newman hat in der theologischen Debatte um die Unfehlbarkeit der Kirche und des päpstlichen Lehramtes an „das Zeugnis der Laien in Fragen der Glaubenslehre" erinnert: „Es ist nicht wenig bemerkenswert, dass, historisch gesprochen, das 4. Jahrhundert zwar das Zeitalter der Kirchenlehrer ist, geziert durch die Heiligen Athanasius, Hilarius und Augustinus (und dass alle diese Heiligen bis auf einen Bischöfe waren), dass aber trotzdem gerade in jenen Tagen die der unfehlbaren Kirche anvertraute göttliche Tradition weit mehr durch die Gläubigen als durch den Episkopat verkündet und aufrechterhalten wurde" (Ausgewählte Werke, Bd.4, Mainz 1959, 271). Damals ging es um das rechte Bekenntnis zu Jesus Christus und zur Dreieinigkeit Gottes. Heute ginge es darum, den Zeitgenossen eine Gottesbeziehung zu erschließen und die Botschaft Jesu als „Weg, Wahrheit und Leben" (vgl. Joh 14,6) aufzuzeigen. Das Evangelium darf nicht in den Schutzräumen der Kirche bleiben, sondern ist allen Menschen zu verkünden. Dass dies in einer immer weniger selbstverständlich „christlichen Gesellschaft" zur Aufgabe aller wird, sollte nicht als eine aus der Not heraus geborene „Seelsorgeplanung" missverstanden werden. Es handelt sich lediglich um ein weiteres Beispiel dafür, dass die Kirche (und zwar alle in ihr) immer wieder einmal durch geschichtliche Konstellation an ihr Ureigenes erinnert werden muss.
"Laie" und „Ehrenamt" - irreführende Bezeichnungen
Dass wir in kirchlichem Zusammenhang von „Laien" sprechen, ist eine reine Verlegenheit. Das war nicht immer so: Vor 150 Jahren fand man im Kirchenlexikon beim Stichwort „Laie" den Eintrag: „siehe Klerus". In diesem Verständnis trifft sich ein klerikalistisches Kirchenbild mit der Bedeutung von „Laie" in der Alltagssprache. Das Kirchenrecht dagegen bezeichnet mit „Laien" die Getauften, die nicht zum Bischof, Priester, Diakon geweiht sind. Diese negative Abgrenzung kann leicht als Abwertung missverstanden werden. Dogmatisch, das heißt: von der Theologie der Kirche her gesehen, ist „Laie" ein Unwort. Können wir uns angewöhnen, von Christen/Christinnen bzw. Gläubigen zu sprechen und damit alle Getauften zu meinen und darüber hinaus Christenmenschen nach ihrem Dienst/Amt zu bezeichnen? Also statt negativ abgrenzend von Laien als „Nicht-Amtsträgern" positiv von Christ/innen zu sprechen, und dann Berufs-/Amtsbezeichnungen hinzufügen? Also addieren statt subtrahieren? Immer fragwürdiger wird mir auch die Rede vom Ehrenamt. Was damit im gesellschaftlichen Zusammenhang gemeint ist, trifft im Wesentlichen auf Kirche nicht zu. Die Christ/innen tun nicht ehrenamtlich, was „eigentlich" Hauptamtliche bzw. Hauptberufliche tun müssten. Gewiss kann es das im Ausnahmefall auch geben. Der theologische Normalfall ist freilich so zu beschreiben: Alle Getauften haben das Amt, die Großtaten Gottes durch ihr Lebenszeugnis zu verkünden. Das macht ihre „Ehre" aus, wie LG 15 in ökumenischer Perspektive formuliert: „Mit jenen, die durch die Taufe der Ehre des Christennamens teilhaft sind …" „Amtsträger" sind nicht nur die Hauptamtlichen oder gar nur die ordinierten Hauptamtlichen. Soziologisch und kirchenrechtlich können alle Christ/innen ein Amt übernehmen, nämlich eine öffentlich wahrzunehmende und zu verantwortende Aufgabe. In allen diesen Ämtern übt das Volkes Gottes sein „Grundamt" aus - durch Verkündigung, Diakonie und Liturgie. Dem Dienst des priesterlichen Gottesvolkes dient das durch Ordination (Herabrufung des Heiligen Geistes, Gebet der Gemeinde, Handauflegung durch den Bischof bzw. Bischöfe) übertragene Amt des Diakons, Priesters, Bischofs, das als solches unverzichtbar und nicht zu ersetzen ist.