Was für eine kinderfreundliche Pastoral wichtig ist„Religion to go“

Damit Kinder in der Kirche eine Heimat finden, muss die Kirche offen sein für die Lebenssituation der Familien, in denen die Kinder aufwachsen. Perspektiven solch einer kinder- und familienfreundlichen Pastoral werden im folgenden Beitrag aufgezeigt.

Fazit

Familienpastoral steht und fällt mit der Kommunikation auf Augenhöhe und dem besonderen Augenmerk für brüchige Familiensituationen. Familienpastoral lebt von einer „Religion to go", von der Anleitung zu einer einfachen und bekömmlichen Alltagsspiritualität, die Familien aus dem Kontakt mit Kirche - sei es bei einer Kasualie, sei es bei einer anderen Gelegenheit - in ihren Alltag mitnehmen können.

Als einige Wochen vorüber waren, wurde das Kind auf den Namen getauft, den die Eltern schon vor der Geburt ausgesucht hatten. Dann kam für sie der Tag der Erstkommunion, wie er in der katholischen Kirche vorgesehen ist. Sie brachten das Kind zur Kirche ihres Wohngebiets, um es dem Herrn zu weihen. Sie wollten Gott darstellen, was aus dem Kind geworden ist, das ihnen vor neun Jahren anvertraut worden war. Sie wollten Gott zeigen, was sie geschafft hatten, auch was sie geopfert hatten, dass das Kind wachsen und gedeihen konnte. In der Pfarrkirche waren auch die Großeltern des Kindes, die zum Fest der Erstkommunion geladen waren. Als der Großvater sah, wie seine Kinder neben ihm saßen und das Enkelkind in die Kirche einzog, dachte er bei sich: Nun lässt du, Herr, mich erleben, wovon ich immer geträumt habe: dass meine Kinder Kinder bekommen und dass ich sehen darf, wie meine Enkelkinder ihren Weg ins Leben finden. Jetzt kann ich in Ruhe auf mein Lebensende zugehen. 

Die Eltern des Kindes staunten, was in dieser Stunde vor sich ging. Sie erlebten, wie ihr Kind am Tisch des Herrn teilnehmen durfte, und spürten: Mit Gottes Hilfe wird dieses Kind seinen Weg ins Leben finden, ein wichtiger Schritt auf diesem Weg der Eingliederung in die unübersichtliche Welt ist getan. 

Als die Eltern alles getan hatten, was Familien im Rahmen der Erstkommunion tun, verabschiedeten sie ihre Verwandten, die sich an diesem Tag überzeugen konnten, dass die feiernde Familie ihren Platz im Leben gefunden hatte. Die Kleinfa milie blieb allein in ihrer Wohnung zurück und war voller Hoffnung, dass das Kind den Anforderungen des Lebens gewachsen war und dass Gottes Segen auf ihm ruhte. (nach Lk 2,21-40) 

Eine Pastoral der Augenhöhe 

„Nur ein Familienfest", „Die wollen doch nur eine schöne Feier", „die waren doch seit der Taufe nicht mehr in der Kirche" ... Eine familiengerechte Pastoral steht und fällt mit der Überwindung des „defizitären Blicks". Familien, die nicht am Leben der Kirche teilnehmen, aber zum Beispiel eine Kasualie wünschen, werden oft von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern/innen gering geschätzt. Ihr Handeln wird als defizitär betrachtet, weil sie in den Augen der Kirchenaktiven etwa zu wenig fromm, zu wenig kirchlich aktiv und zu wenig religiös geschult sind. Natürlich sagt das kaum jemand den Familien direkt ins Gesicht, aber atmosphärisch ist es spürbar. Deshalb haben Familien, die schon länger nicht in einem Gottesdienst waren, Angst, sich im Kontext von Kirche zu blamieren. Sie schämen sich im Gottesdienst, weil sie nicht mehr wissen, was man dort tut. In meiner Kommuniongruppe vergangenes Jahr war ein Kind, dessen Mutter sich schämte, während der Vorbereitungszeit zu den Gottesdiensten zu kommen. Sie war geschieden, wiederverheiratet und hatte Kinder von verschiedenen Männern. Ihre ganze Erscheinung unterschied sich von den Menschen der Bürgerlichen Mitte, die sonst die Kirchenbänke füllten. In einer Kleinstadt musste sie damit rechnen, dass die Banknachbarn im Gottesdienst genau wussten, „wer sie war". Es könnte entdeckt werden, dass sie den Ablauf des Gottesdienstes nicht verstand und etwas falsch machte. In den ersten Wochen nannte sie verschiedene Gründe, warum sie nicht kommen könnte, dann wollte sie ihre Nachbarin schicken und erst sechs Wochen vor dem Erstkommuniontermin schaffte sie es selbst, ihren Sohn in den Gottesdienst zu begleiten. 

Eine Kasualie „zu haben", die Familien wollen, kann kirchliche Mitarbeiter/innen dazu verleiten, Macht auszuüben, vielleicht auch den kirchlichen Machtverlust in der Gesellschaft durch einen Machtkampf auf diesem innerkirchlichen Feld auszugleichen. Doch dies geschieht auf Kosten der Augenhöhe und auf Kosten der Familien. Doch Familien kehren einer Kirchengemeinde spätestens nach dem Sakramentenempfang den Rücken, wenn sie zwischen den Zeilen den defizitären Blick wahrnehmen, wenn sie den Eindruck gewinnen, hier wird mit ihnen nicht auf Augenhöhe kommuniziert. 

Eine Pastoral des Augenmerks 

„Nicht wir distanzieren uns von der Kirche, sondern die Kirche distanziert sich von uns." (Sinus-Milieu-Studie) 

Die Kasualien Taufe, Erstkommunion und Firmung, aber auch die anderen Übergänge in der Familienbiographie, die teilweise kirchlich begleitet werden, wie Eintritt in den Kindergarten, Einschulung, Tanzkursabschluss und Schulentlassung, sind für Familien wichtige Schlüsselereignisse. Sie markieren und stabilisieren eine Familienbiographie und stiften Sinn, indem sie eine Familie in den Horizont des Gültigen und sinnvoll Vorgegebenen einordnen. Was aber, wenn diese Ereignisse dadurch besonders kritisch sind, dass sie die Brüchigkeit und Instabilität einer Familie manifestieren und öffentlich machen? Wenn die Familie bei der Erstkommunion den Angehörigen nicht zeigen kann, dass sie es geschafft hat, sich in der Gesellschaft zu etablieren? Wenn sie keine guten Berufe, kein Haus und keine solide Kleinfamilie präsentieren kann, stattdessen bei der Feier zum Beispiel zwei verschiedene Väter, drei Omas und Opas und eine Menge ungeklärter Vergangenheit an den Tisch setzen muss? Die Großmutter, die die Schuld der Scheidung auf sich nimmt, weil sie selber geschieden ist; der Vater, der das geerbte Kind immer noch nicht akzeptieren kann - nur zwei Möglichkeiten schwelender Krisen, die an solchen Schlüsselereignissen eklatant werden. Ob solche Familien ohne Vorbehalte vor den Altar treten können, um sich und ihr Kind dem Herrn darzustellen, zu weihen? Ob sie glauben können, dass Gott gerade sie willkommen heißt und annimmt? Wahrscheinlicher bewegt sie eine große Scham vor der Kirche und damit auch vor Gott. 

Deshalb lebt eine familiengerechte Pastoral auch von dem Augenmerk für die brüchigen und „in den Augen der Welt" gescheiterten Familien. An den Kontaktstellen zur Kirche - sei es bei einer Kasualie, sei es aber auch im Umgang mit Kirchenmitgliedern im Alltag - sollen diese Familien spüren können, dass Gott ein Herz besonders für sie hat. Ihnen gilt der Kirche besonderes Augenmerk. Dann kann auch ihre Kasualie zu einem Fest werden, das gerade die Chance bietet, dass „Parteien" wieder an einem Tisch sitzen, die bisher zerstritten waren oder lange nicht miteinander redeten. 

Natürlich ist dies leicht gesagt. Der besagte Junge in meiner Kommuniongruppe mit gefärbten Haaren und geringer Lesekompetenz hat alle Bilder in mir geweckt, die ich über die Unterschicht in mir gespeichert hatte. Es wäre fatal, diese inneren Prozesse nicht zuzugeben. Im Zusammenhang mit der Studie zu den religiösen und kirchlichen Orientierungen in den Sinus- Milieus hat das zuständige Institut Fragebögen entwickelt, die all diese schlummernden Empfindungen ans Licht rücken wollen. Fragen lauten zum Beispiel: Welchem Milieu fühle ich mich überlegen, welchem unterlegen? Mit wem möchte ich zu tun haben, mit wem eher nicht? Nur die Dämonen, die man kennt, kann man bezwingen. Im Rückblick muss ich sagen, dass der Haupterfolg meiner Kommuniongruppe darin bestand, dass dieser Junge sich von mir und den anderen Jungs in der Gruppe angenommen fühlte, weil zum Beispiel niemand mehr lachte, wenn er las. 

Eine Pastoral des Stärkens 

„Weißt du, wen ich am allerbesten lieb hab'? Den Tilman, die Familie und den Gott." (Amelie, 6 Jahre) 

Die grundlegende Perspektive einer familiengerechten und kinderorientierten Pastoral ist Familien und Kinder zu unterstützen und zu stärken - und zwar durch Religion. Religion, spirituelle Praxis und christliche Symbolik sind die Mittel, auf die sich Kirche versteht und die ihr spezifisches Produkt ausmachen - nicht Politik, nicht allgemeine Bildung und Pädagogik, nicht Freizeitbeschäftigung. In diesen Bereichen sind andere entweder besser und schneller oder die Kirche in ihrer Rolle als Partnerin gefragt. Dann geht es darum, wer aus der Kirchengemeinde, aus dem Kirchengemeinderat (Pfarrgemeinderat) oder dem Familienausschuss Kirche vor Ort vertritt und mögliche kirchliche Ressourcen einbringt. Kerngeschäft der Pastoral aber ist Familienunterstützung durch Religion, Lebensförderung durch praktizierbare Spiritualität. Was Pastoral braucht, sind Orte der Anleitung, wie in einer Familie Religion gelebt und geübt werden kann. Was Pastoral braucht, sind Orte der Ermutigung, wo Eltern erfahren, dass religiöse Erziehung erstens nicht schwierig ist und zweitens Religiosität das Familienleben bereichert, stabilisiert, ihm eine Mitte gibt und sogar in Krisenzeiten nützlich ist. Was Pastoral braucht, sind Orte des spirituellen Übens - seien es Kinder- und Familiengottesdienste, seien es religiöse Angebote für Kinder, wie Bibelnachmittage oder Kinderbibeltage, seien es spirituelle Übungswege für Mütter und Väter. Es kommt aber nicht auf die Fülle der Angebote an, mit denen die Haupt- und Ehrenamtlichen schnell überfordert sind. Es kommt auf die Grundperspektive an, Familien durch das Angebot praktizierbarer Religiosität unterstützen zu wollen und darauf, inwieweit diese Angebote „Hilfe zur Selbsthilfe sind", „Religion to go", die man wie heute den Kaffee mit nach Hause nehmen und zu Hause anwenden kann. Weder geht es darum, mit Religion und Spiritualität hinter dem Berg zu halten und nur noch Familiensozialpastoral zu betreiben, noch geht es darum, die Latte der Religion so hoch zu halten, dass keine Familie mehr dieser Norm entspricht. Familien brauchen eine bekömmliche Alltagsspiritualität für den Jahreslauf und für die geprägten Zeiten und eine biographiebezogene Kasualpraxis, die ihren Möglichkeiten und Grenzen entspricht. Sie brauchen ferner ein haupt- und ehrenamtliches Personal, das den ein- fachen und punktuellen Anleitungen für eine „Religion to go" traut und das vor allem den Familien vertraut, dass sie das für sie Richtige und Wichtige daraus machen. So würde ich eine Kindertaufvorbereitung nicht dafür nutzen, die Taufe und ihre Symbole zu erklären, sondern für die spirituelle Anleitung eines einfachen Abendrituals, das ab sofort mit dem kleinen Täufling gemacht werden kann. Einen Kindergottesdienst würde ich nicht zur biblischen Nachhilfestunde verkommen lassen, sondern ich wollte eine Atmosphäre schaffen, die ein Gespür für Gottesgeborgenheit weckt, das mit den Kindern geht, wenn sie wieder gehen. Glauben lernen heißt für mich nicht, etwas auswendig lernen, womöglich ein Pensum, das einem bestimmten Standard entspricht. Glauben lernen heißt, sich einüben in den Raum Gottes, in dem wir alle leben, sich einspüren in Gottes Geborgenheit, die ins Leben ruft. Die Institutionen der Kirche haben ihren Zweck erfüllt, wenn sie Menschen zu diesem Grundgefühl anleiten und wenn sie ihnen zeigen, wie man dieses Grundgefühl im Alltag lebendig hält, „übt". Dann dürfen sie getrost die ihnen anvertrauten Menschen an ihre Lebensorte wieder zurückkehren lassen. Das ist die Sendung, die der Kirche heute ansteht. 

Eine Pastoral der Priorität 

„Die Kirche interessiert sich für Erwachsene mehr als für Kinder." (Tilman, 8 Jahre) 

Schwerpunktsetzung ist ein magisches Wort in der Debatte um die zukünftige Gemeindepastoral geworden. Aufgrund knapper werdender Ressourcen bei gleichzeitig steigenden Erwartungen kann eine Konzentration auf bestimmte Schwerpunkte ein Ausweg sein. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, Schwerpunktsetzungen lebensraumorientiert vorzunehmen und damit im Blick auf das vorhandene Klientel passgenauer zu reagieren. 

Familien und Kinder sind auf den ersten Blick für alle Kirchengemeinden eine Priorität. Garantieren sie doch, so die Hoffnung, den Fortbestand einer Gemeinde über die ältere Generation hinaus. Allerdings ist zweierlei zu beachten. Erstens: Es gibt Kirchengemeinden, in deren Parochie kaum Familien mit Kindern wohnen. Diese Gemeinden müssen sich andere Schwerpunkte überlegen, wollen sie sich nicht ständig frustrieren. Darüber hinaus spielen auch räumliche und personelle Gegebenheiten eine Rolle, ob ein Schwerpunkt in der Kinder- und Familienpastoral sinnvoll ist. Ich plädiere dafür, die eigenen Ressourcen genau zu prüfen, bevor sich eine Gemeinde für einen familienorientierten Schwerpunkt ausspricht. 

Zweitens: Die familienorientierte Schwerpunktsetzung auf den ersten Blick erweist sich auf den zweiten oft als Halbheit: Man will zwar Kindergottesdienste, aber man stellt für die Bestuhlung des entsprechenden Raumes keinen Mesner oder Hausmeister zu Verfügung. Man will einerseits die Kommunioneltern spezifisch ansprechen, andererseits soll die Gemeindereferentin diesbezügliche Experimente als Überstunden einbringen. Familien sollen Vorfahrt haben, aber die Erhaltung der eigenen Gemeinde bildet das versteckte Motiv. 

Ich halte es für notwendig, dass Kirchengemeinden mit der entsprechenden lebensraumorientierten Gegebenheit, mit räumlich und personell günstigen Bedingungen und in Absprache mit den Nachbargemeinden tatsächlich Familien und Kinder zu ihrer pastoralen Priorität erklären. Doch dies ohne wenn und aber. Das heißt dann zum Beispiel, 

  • dass die für Familien beste Gottesdienstzeit für Familien- und Kindergottesdienste reserviert wird,
  • dass pastorale Konzepte in liturgischen und katechetischen Bereichen mit Familien gemacht werden, so dass sie ihre Möglichkeiten und Grenzen einbringen können,
  • dass personelle, räumliche und finanzielle Ressourcen für die Familienpastoral zur Verfügung stehen - Mesner, Hausmeister, Sekretärin, pastorale Dienste; Kirche, Gemeindehaus, Garten, Materialien, Fortbildungen, Aufwandsentschädigungen, etc.
  • dass Familien „Raum und Rahmen" erhalten, um sich unvereinnahmt unter dem Dach der Kirchengemeinde solidarisieren und vernetzen zu können,
  • dass Kirchengemeinde teilnimmt an den Runden Tischen im Lebensraum, wo Soziales und Politisches für Familien getan wird.

Den Familien und Kindern Priorität in diesem Sinn zu geben, muss vor allem die Atmosphäre einer Gemeinde prägen, muss die Seele dieser Gemeinde ausmachen, die hinter den konkreten pastoralen Aufgaben und Aktionen atmet. Ob sich dann Familien einlassen und in dieser Kirchengemeinde einen Schutzraum suchen oder einfach (immer) einmal „vorbeischneien", das muss offen bleiben. Es ist keine Sache der pastoralen Planung, sondern des Risikos. Die Botschaft dieser Kirchengemeinden an die Familien aber lautet: Für euch riskieren wir viel.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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