Gerade auch Menschen, die die Beziehung zu einer Gemeinde längst verloren haben, sie angesichts der Erstkommunion aber punktuell aktualisieren, treten an den Tisch des Herrn. Menschen, die der Gemeinde schon lange den Rücken gekehrt haben, lassen sich auf religiöse Lernprozesse ein. Menschen, die sich längst aus den Augen verloren, sich vielleicht nie im Blick gehabt haben, begegnen einander in der sakramentalen Mitte des Glaubens. Um den Altar versammelt sich eine Gemeinschaft, die meist sehr viel bunter ist als die ‚normale‘ Gottesdienstgemeinde: ein jährlicher Blick über den Tellerrand, der Appetit machen könnte auf mehr!
Ein Erfolgsmodell? Die Wahrnehmung ist oft eine andere. Für Gemeinden und vor allem diejenigen in ihnen, die haupt- oder ehrenamtlich mit der Katechese und der Organisation und Feier der Erstkommunion betraut sind, ist dieser festliche Begegnungsraum nicht selten eine als überfordernd erlebte Herausforderung. Treffen sie in ihm doch nicht nur auf Kinder, die erstmals zum Tisch des Herrn treten wollen oder sollen, meist ohne genau zu wissen, um was es da gehen soll, sondern immer auch noch auf deren Eltern. Und auch sie fremdeln mit Liturgie und Kirche. Sie sind es jedoch meist, die das Familienfest der Erstkommunion ausrichten, vorbereiten und gestalten, sie sind es, die ihren Kindern die Teilnahme an den vorbereitenden Katechesen ermöglichen und die dafür oft notwendigen Umstrukturierungen des Familienkalenders in Kauf nehmen. Sie sind es, die die Elternabende besuchen, unter Umständen anfallende Kosten tragen, sogar als Katechetin oder Katechet umfangreiche Verpflichtungen übernehmen. In der Biographie der Kinder schließlich sind sie die bislang wichtigsten Bezugspersonen. Erstkommunion, wie wir sie kennen, geht nicht ohne Erstkommunionkinder, sie geht aber auch nicht ohne deren Eltern.
Ohne Eltern geht es nicht
Diese Einsicht ist angesichts zahlloser möglicher Konfliktfelder durchaus unbequem, und dennoch ist sie unbedingt bedeutsam: Schon pädagogisch ist klar, dass ohne, gar gegen die Eltern katechetisches Bemühen wenig erfolgversprechend ist. Theologisch gilt, dass Eltern dem, was das 2. Vatikanische Konzil als Hauskirche bezeichnet hat (LG 11), maßgeblich Gestalt geben und sie deshalb in die zentrale Feier der Kirche einbezogen werden müssen. Die ganze Familie feiert Erstkommunion - das Konzept der Familienkatechese beispielsweise geht von dieser Einsicht aus.
In der Praxis sieht das oft anders aus: Erwartungen und Ansprüche prallen aufeinander, die von Terminüber Gestaltungs- bis hin zu Kleiderfragen reichen und oft genug für Unmut sorgen, aber geklärt werden müssen. Elternabende, an denen über den Ablauf von Katechese und Kommunionfeier gesprochen wird, sind deshalb unabdingbar. Neben diesem Minimalkontakt sind Begegnungsformen unterschiedlichster Intensität denkbar, folgenlos zu bleiben scheinen sie alle, nimmt man als Kriterium der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit die Bereitschaft zu dauerhafter Bindung der Familien an die Gemeinde bzw. das Selbstverständnis von Familien, Teil der Gemeinde und damit Teil der Kirche zu sein. Erfolg sieht irgendwie anders aus.
Kein einfaches Verhältnis: Kirche und Familie
Schuldzuweisungen oder Resignation helfen jedoch ebenso wenig weiter wie die nüchterne Feststellung, dass sich Gemeinde und Hauskirche eben in einer Art Schisma befinden. Ein kurzer Blick auf die Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Familie ist dagegen aufschlussreich: Das Christentum ist ja nicht unbedingt eine familienfreundliche Religion. So sind schon von Jesus Aussagen überliefert, die die Bedeutung familiärer Bindungen klar relativieren (vgl. z.B. Mk 3,31-35). Ähnlich sollte die Praxis der jungen Kirche, Neugetauften Paten zu geben, die Loslösung der jungen Christen aus der Familie unterstützen. Und dann sind da - bis heute von schmerzlicher Tragweite - die Kommunikationsprobleme in Sachen Sexualität. In der Neuzeit emanzipieren sich Familien von gesellschaftlichen und kirchlichen Vorgaben, seit dem 19. Jahrhundert gilt der Innenraum der Familie als eine Art Heiligtum, das von äußeren Einflussnahmen abgeschottet wird. Parallel dazu entdeckt die katholische Kirche zwar das Ideal der Heiligen Familie - es bleibt für die meisten realen Familien allerdings ein wenig attraktives Leitbild. Dass es Familie und Kirche schwer miteinander haben, hat also Gründe, die älter sind als alle, die heute Brückenschläge versuchen! Und es ist nicht zuletzt diese Problemgeschichte, die einem sinnstiftenden Kontakt zu Eltern und Familien im Wege steht.
Brückenschläge, keine Dressur
Und trotzdem sind Brückenschläge bitter notwendig. Es ist die in dieser Hinsicht ausgesprochen unbequeme Sinnmitte der christlichen Gemeinde selbst, die dazu auffordert: das Sakrament der koinoniaschlechthin, die Eucharistie, verlangt und begründet koinonia, also Gemeinschaft, von und mit allen, die sich ihm zuwenden. Gemeinschaft aber kann unter Getauften (und Katechumenen) niemals ein Unterordnungsverhältnis meinen. Gemeinschaft gründet vielmehr in der Gnade und in der mit ihr geschenkten, katechetisch bedeutsamen Wahrheitsfähigkeit aller. Aus ihr gründet sich Gemeinde als Lern-Gemeinschaft der auf Gott und aufeinander Hörenden.
So verbietet sich - gerade angesichts der problembeladenen Geschichte von Kirche und Familie - jede defizitorientierte Sicht auf Erstkommunikanten und ihre Eltern schon aus theologischen Gründen; pädagogisch wäre sie fatal. Wer nur sieht, was Lernenden fehlt, wird kaum in der Lage sein, das, was sie sind und mitbringen, wertzuschätzen. Dazu gehört auch der immer noch notwendige Hinweis, dass es sich verbietet, Kindern zuzumuten, ihre von der Eucharistie ausgeschlossenen, weil „irregulär“ lebenden Eltern als Sünder zu disqualifizieren, die vom Erbarmen Jesu irgendwie ausgeschlossen seien. Wer Andere nur oder vor allem als defizitäre Objekte der Belehrung sieht, nimmt sie gar nicht wirklich in den Blick.
Das bedeutet nicht, dass es in der Katechese nichts zu lernen gebe, ganz im Gegenteil. Doch Lernen, das mehr, nein: das etwas völlig anderes ist als bloße Dressur für die reibungslose Feier des Erstkommuniongottesdienstes mit genau einstudierter Choreographie und auswendig gelernten Antworten, Lernen kann nur gelingen, wo es gewollt, wenigstens grundsätzlich bejaht ist. Ohne innere Zustimmung der Lernenden geraten Lernprozesse zur bloßen Abrichtung, die dem Geist des Evangeliums widerspricht.
Gesucht: eine neue katechetische Lernkultur
Katechetisches Lernen ist freiwilliges Lernen und auf die innere Zustimmung zum Lernen angewiesen - wie diese innere Zustimmung gerade der Eltern gewonnen werden kann, ist damit alles andere als klar. Das Ansinnen, Eltern stärker in die Katechese zu integrieren, kann durchaus als Zumutung, als unzulässiger kirchlicher Übergriff in den familiären Binnenraum oder die persönliche Lebens- und Freizeitgestaltung empfunden werden. Die Überwindung solcher Barrieren kann kaum von Eltern, sondern muss von der evangelisierenden Gemeinde erwartet werden. Die Katechese und die Einbeziehung der Eltern kann sich deshalb nicht auf den klassischen Elternabend beschränken: eine hoch ritualisierte Form von Gemeinschaft mit eigenen, ungeschriebenen und für die Beteiligten oft undurchschaubaren, dafür aber äußerst wirksamen Regeln, die echte Kommunikation eher behindern als fördern. Elternabende eignen sich für rasche, effiziente und ggf. durch Nachfragen präzisierte Informationsvermittlung. Der katechetische Prozess dagegen beginnt schon vorher, nicht ganz so bequem, hinter der Haustüre: dem Entdecken der Lebensräume der Hauskirche, die ihre Beziehung zur Gemeindekirche intensivieren will, indem sie um die Erstkommunion anfragt. Dabei kann der Hausbesuch nicht Ausdruck einer kontrollierenden, die Lebensumstände der Besuchten hinterfragenden, sondern nur Gestalt einer suchenden, die Lebenserfahrung wertschätzenden Haltung sein. Sie erst ermöglicht das, was „Katechese in veränderter Zeit“ (2004) eine differenzierte Katechese nennt: ein Eingehen auf die besonderen Umstände jeder Erstkommunionfamilie, milieu-, mehr noch: heterogenitätssensibel und inklusiv von Anfang an. Möglicherweise wäre der weitere katechetische Prozess von hier aus zu gestalten: von der Wahrnehmung der Lebenssituationen her und dem ehrlich artikulierten Interesse an den Interessen Anderer, die sich ja in irgendeiner Weise auf die in der Eucharistie ihre Quelle und ihren Höhepunkt findende Glaubensgemeinschaft beziehen.
Elternarbeit: womöglich unbequem …
Wie sich die mit den Hausbesuchen beginnenden Unbequemlichkeiten dann fortsetzen, lässt sich nicht allgemeingültig bestimmen, nur dass sie sich fortsetzen müssen, liegt zumindest da auf der Hand, wo gängige Modelle seit Jahren, gar Jahrzehnten unhinterfragt wiederholt werden (die „alte Rechtschreibung“ in manchen Arbeitsblättern spricht für sich). Katechese ist dagegen zuerst Zeitgenossenschaft, nicht unkritisch, aber grundsätzlich solidarisch mit denen, die sich dem Prozess aussetzen und der religiösen Kompetenz der Katechetinnen und Katecheten anvertrauen - und geht als solche nicht spurlos an der katechetisierenden Gemeinde vorbei. Das nicht zuerst deshalb, weil plötzlich die Eltern der Erstkommunikanten (und nicht nur diese) die sonntäglichen Kirchenbänke füllen - gut, wenn das gelingt, erwartbar hingegen ist das nicht, schon gar nicht, wenn die feiernde Gemeinde sich sonst von den Hinzukommenden nicht berühren lässt. Sondern wenn und weil die Gemeinde Wege sucht und vielleicht sogar findet, die sie selbst näher an die zeitgenössischen menschlichen „Gottesbilder“ (vgl. Gen 1,26f) bringen und so Gott selbst neu entdecken helfen.
… aber nicht orientierungslos
Im Unbequemen und noch Ungegangenen braucht es jedoch Orientierungshilfen. Diese lassen sich finden. Mögliche Orientierungspunkte sind der Anlass der Katechese, also der Erstkommunionfeier selbst, sowie die Adressaten der Katechese, ferner die Bipolarität von Hauskirche und Gemeinde und, vor allem, die Eigenart des Lernprozesses selbst, der mittels Interventionen und Instruktionen (‚Erziehungshandeln‘) auf die Selbstbildung der Lernenden zielt:
Zu füllen wäre dieses Raster durch konkrete Angebote, die in regionaler Zusammenarbeit und in Kooperation mit weiteren Trägern religiöser Bildung, etwa Schulen und Kindergärten, Familienbildungsstätten, Bildungshäusern usf. entwickelt werden. So könnte unterschiedlichen Bedürfnissen von Familien entsprochen, könnten neue Kontakte und Gemeinschaft über den Tellerrand der eigenen Gemeinde hinaus ermöglicht werden. Wie weit diese Gemeinschaft geht, bleibt den Familien selbst überlassen. Für die Gemeinde wäre es möglich, die große spirituelle und diakonische Ressource, die Familien heute durchaus, wenn auch losgelöst von Sprache und Leben der Gemeinde, darstellen, für sich und Andere zu erschließen: In Familien muss mit Freude und Hoffnung, Trauer und Angst umgegangen werden, sie sind Orte der Erfahrung von Not und Bedrängnis und der Suche nach Sinn, Erscheinungsformen von Kirche im Kleinen. Dies neu zu lernen wäre dann nicht der geringste Erfolg des „Erfolgsmodells“ Erstkommunion!