Kunst als Baustelle des HimmelsPlädoyer für eine kunstoffene Kirche

Baustellen des Himmels - so lautet der Titel eines Lesebuchs für Entdecker und Träumer, das der Sankt Michaelsbund zum hundertjährigen Jubiläum herausgegeben hat. Den Titel „Baustellen des Himmels“ könnte man über das künstlerische Schaffen des Menschen setzen. Denn jegliche Kunst - sofern sie dies auch wirklich ist - ist so etwas wie eine Baustelle des Himmels.

Was aber ist Kunst? Eine Begriffsbestimmung und auch noch nicht einmal eine Grenzbestimmung dürfte möglich sein, da sich zum einen heute die bildende Kunst nicht nur in von Menschen hervorgebrachten Werken präsentiert, sondern auch objets trouvés (also natürliche Fundstücke) mit einbezieht. Sicherlich besteht Kunst aus einem Bezugssystem, das innerweltliche Grenzen übersteigt und das nicht mit Worten vollständig erklärbar oder ausdeutbar wird. Kunst enthält eine verschlüsselte Botschaft, die in einer wahrnehmbaren Gestalt existiert und über sich selbst hinausweist. Eben weil Kunst immer den engen Horizont der Geschöpflichkeit durchbricht und in den geistigen Raum Gottes hineinreicht, ist Kunst auch immer eine Baustelle des Himmels. 

Ursprung der Kunst 

Kunst ist im sakralen Umfeld des Menschen erwachsen. Die Funde der Höhlenmalereien in Südfrankreich machen gleichermaßen wie die Höhlenmalereien der Aborigines am Ayers Rock in Australien die menschliche Sinnsuche und Lebensbewältigung vor mehr als 20.000 Jahren deutlich. Diese im sakralen Umfeld entstandene Kunst überstieg sinnenhafte Erfahrung, Vorstellungen, und berührte Göttliches. 

Kunst in der Kirche 

Von Anfang an hat die Kirche nicht nur die künstlerischen Betätigungen geschätzt, sondern auch Kunst integriert. Anstelle der alleinigen Gottespräsenz im Text (Heilige Schrift) tritt im Christentum der Glaube an die Gottespräsenz in der Inkarnation: „Das Wort ist Fleisch geworden". Nachdem auf dem Konzil von Ephesus im Jahre 431 die Frage der Darstellbarkeit Gottes mit dem Hinweis auf die Menschwerdung Christi positiv entschieden war, blühte in der ganzen Kirche die Kunst auf. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Kirche zur Heimat der Künste. Ein Blick in die europäische Kulturlandschaft zeigt die fundamentale Bedeutung christlicher Kunst. Was wäre Europa ohne seine Kirchen und Kathedralen, Klöster und Universitäten, ohne seine christlich motivierte und inspirierte Musik und Literatur? 

Schon Nikolaus von Kues (1401- 1464) formulierte: „Schöpfertum und Kunst, die einer Seele im Glücksfall zukommen, sind zwar nicht jene wesensgemäße Kunst, die Gott ist, aber sie sind Mitteilung und Teilhabe an ihr". Im 20. Jahrhundert postulierte Richard Seewald: „Der Anfang der Kunst liegt in ihrer Bestimmung, Schwerpunktthema 6 religiöse Glaubensinhalte sichtbar zu machen, und zwar durch die Wiedergabe sichtbarer Dinge". Dies erklärt, warum der Kunst in der Kirche ein so großer Stellenwert zukommt. 

Autarkie der Kunst 

Mit dem Beginn der Neuzeit löste sich im Abendland die Kunst - wie auch die Philosophie - aus ihrer kirchlichen Beheimatung. Sie wollte nicht länger „Dienerin der Theologie" sein. Ein weiterer Sprung ergab sich im 19. Jahrhundert, als sich die Kunst aus dem selbst gewählten Elfenbeinturm des Akademismus löste und auf die Straße ging, um von den Menschen verstanden zu werden. Mit dem Impressionismus, dem Expressionismus und den anderen neuen Kunstrichtungen brach aber eine Kluft des Unverständnisses auf, die das Verstehen des Kunstwerkes so erschwerte, dass de facto oft ein zeitlicher Generationenabstand nötig ist, damit breite Kreise ein Kunstwerk wirklich annehmen können. Diese durchaus im autonomen Kunstverständnis beheimatete Problematik fällt in unsere Zeit und verbindet sich oft mit der Rede von einer Krise zwischen Kirche und Kunst. Diese kann nicht ohne weiteres geleugnet werden. Aber die so viel beschworene Krise erfasst nicht nur das Verhältnis der beiden zueinander, sondern zunächst auch die in die Kunstentwicklung eingebettete Problematik der Autarkie der Kunst, in der - wie Jean-Paul Sartre in einem Aufsatz über Wols schreibt, „Scheitern des Lebens und Kunst zu einem verwirrenden Knäuel zusammen(fallen)". Dennoch bleibt die Suche nach dem Absoluten bestehen und damit die Suche nach dem Wahren, Guten und Schönen - wenn auch manches Mal auf dem Weg einer verlorenen Ethik. 

Der Mensch im Focus der Kirche und der Kunst 

Die sich oft als sperrig, herausfordernd und widersprüchlich darstellende Kunst hebt seismographisch gesellschaftliche Entwicklungen in das Bewusstsein, die beunruhigen mögen, deren Erfassen aber nicht nur einigen Fachleuten zukommen darf, sondern sehr wohl auch eine Herausforderung an den Heilsauftrag der Kirche darstellt. 

Denn mit dem II. Vatikanischen Konzil rückt die Sorge um den Menschen mehr in den Blick. Er muss in seiner Lebenswirklichkeit abgeholt werden. Der Theologie kommt die Aufgabe zu, den Menschen mit seinen Fragen, Sorgen und Ängsten im Blick auf sein Heil abzuholen und in den Raum Gottes zu führen. Kunst - in welcher Form auch immer - soll nicht museal im Kirchenraum behandelt werden. Sie soll vielmehr in ihrer Eigenwirklichkeit erkannt und gefördert werden. Das Kunstwerk hat - anders als das Wort - eine eigene prägende Kraft, die die Glaubensbotschaft auf die je eigene Weise vermitteln kann. 

Bedeutung der Kunst für die Kirche 

Leider entwickelte sich im letzten Jahrhundert die Kunst in der Kirche oft in einer bestürzenden Belanglosigkeit, so dass in weiten Bereichen kunstschaffender oder kunstinteressierter Kreise die Aufmerksamkeit für die zeitgenössische Kunstentwicklung im kirchlichen Raum geschwunden ist. 

Papst Benedikt wird - wie sein Vorgänger Papst Johannes Paul II. - nicht müde, zu einer Begegnung zwischen Theologen, Kunsthistorikern und Künstlern einzuladen. Bei seinem ersten Deutschlandbesuch 1980 sagte Papst Johannes Paul II. vor den Künstlern und Publizisten im Münchener Herkulessaal: „ Wenn die Kirche auf das ‚Aggiornamento' bedacht ist, auf das Heutigwerden des christlichen Glaubens, seiner Weisungen und Verheißungen, dann ist zu sagen: Nirgends wird die Situation, das Lebensgefühl, aber auch der Fragehorizont des heutigen Menschen so eindrucksvoll dargestellt wie in der heutigen Kunst und Publizistik. Darauf ist die Kirche verwiesen und angewiesen. Wenn der christliche Glaube als Wort und als Antwort für die Menschen vermittelt werden soll, dann müssen die Fragen dazu genannt und bewusst gemacht werden. - Die Kirche braucht die Kunst." 

Der frühere Präsident des Päpstlichen Rates für Kultur, Paul Kardinal Poupard, hatte in seinem Grußwort zu dem am Ende des zweiten Jahrtausends in Berlin abgehaltenen Kongress „Autonomie und Verantwortung - Religion und Künste am Ende des 20. Jahrhunderts" zum Dialog zwischen Kirche und Kunst eingeladen: „Mit der Entstehung einer weithin säkularisierten Gesellschaft ist auch die Kunst in eine Krise ihres Selbstverständnisses geraten, die auch die Künstler erfasst hat, deren Stellung und Aufgaben in der Gesellschaft kontrovers und unklar geworden sind. … Sie (die Kirche) lädt sie dazu ein, in einem offenen Gespräch gemeinsam die tiefsten Quellen der Kunst neu zu entdecken: die Begegnung mit der umfassenden Wirklichkeit der menschlichen Erfahrung, die tiefsten Fragen und Sehnsüchte des menschlichen Herzens, das Drama seiner individuellen und sozialen Existenz, kurz, das tiefe Geheimnis des Menschen, in dem das Geheimnis Gottes selbst verborgen und gegenwärtig ist." 

Solche Begegnungen waren von Seiten der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken 1998 mit jungen Künstlern in Magleas bei Kopenhagen, 1999 mit den Literaten in Telgte, kurze Zeit später mit den Kunsthistorikern in Bad Honnef, mit den Musikern und Komponisten auf Schloß Hirschberg und kürzlich erst mit den Theaterleuten 2010 in Weingarten erfolgreich ausgerichtet worden. Es wäre aber auch sehr wünschenswert, dass die einzelnen Gemeinden mit Künstlern in Kontakt treten - was dankenswerter Weise ja auch schon oft geschieht. Über 600 Gemeinden in Deutschland haben einen Kontakt zur zeitgenössischen Kunstszene. 

Die Künstler, die ein wirkliches Interesse am Dialog haben, müssen den kirchlichen Raum als einen Ort erfahren, in dem Gott den Menschen und die Menschen Gott begegnen. Wenn sie sich in ihrem künstlerischen Schaffen - bei aller notwendigen Freiheit - auf dieses Erleben der Gläubigen einstellen können, kann ein Prozess in Gang kommen, der zu wirklich großer Kunst innerhalb der Kirche führt. 

Hervorragende Beispiele sind die kirchlichen Räume, die Heinz Mack im Neußer Collegium Marianum, in Kaiserlauten und Mettmann geschaffen hat. Die Pax Christi Kirche in Krefeld hat unter der kunstsinnigen Leitung von Pfarrer Maasen bedeutende zeitgenössische Kunst integriert. Die Würzburger Neumünsterkirche vereinigt alte und neue Kunst. Hann Trier, Gerhard Richter, Markus Lüpertz und viele andere haben sich in den Kirchenraum eingebracht. 

Das Kunstspektrum in der Kirche 

In der Kirche gibt es nicht nur das Andachtsbild als Kultbild, sondern es gibt auch berechtigte narrative Schilderungen biblischer Themen. Hier kann auf eine lange Tradition verwiesen werden. Es ist wichtig, dass das Andachtsbild (oh- ne künstlerische Bewertung) seinen angemessenen Ort in der Kirche hat und der Verehrung des Dargestellten dient. Wir brauchen solche Fenster zum Himmel. Es ist gut, dass auch in Historienbildern oder narrativen Gemälden das Leben Jesu Christi und der Heiligen ausgeschmückt wird. Aber es gibt darüber hinaus in der Kirche auch eine Kunst, die nicht als Andachtsbild und Historienbild dient, sondern die als Verleiblichung des Schönen etwas von der Fülle des christlichen Schöpfungsideals birgt, das nicht unbedingt an ein biblisches Thema gebunden ist. Wir kennen schon aus vielen Barockkirchen im Überschwang der Formen und Farben den Versuch, etwas von der unsichtbaren Schönheit des Himmels in die Sichtbarkeit der Schöpfung zu transportieren. Warum soll nicht auch der heutige Mensch in einer Kunst, die nicht explizit ein Andachtsthema wiedergibt oder gar abstrakt gestaltet ist, etwas von der Fülle der Schönheit des Lebens wieder auffinden können? 

Die zeitgenössischen Künstler gehen in ihrem Einfallsreichtum oft auch neue Wege, die zunächst dem Kirchenbesucher fremd erscheinen. Ich kann mir nicht denken, dass bestimmte Materialien für den kirchlichen Raum nicht geeignet wären. Es kommt auf das Objekt an, auf die Stringenz und die Durchsichtigkeit des künstlerischen Tuns. Natürlich macht nicht die Wahl unbekannter neuer Materialien ein Objekt zum Kunstwerk, aber wegen ungewöhnlicher Materialien braucht ein solches Werk nicht eo ipso abgelehnt zu werden. Wichtig ist das vorausgehende Gespräch mit den Gläubigen - und wenn möglich mit dem Künstler - über dessen Intention und Gestaltungsweise. Wir dürfen die Menschen, die in eine Kirche kommen um zu beten und Gottesdienste zu feiern, nicht überfordern. Aber wir sollten sie auch nicht unterfordern. Wenn sie einbezogen und ihnen Verständnishilfen gegeben werden, dann können ihnen auch Kunstwerke auf dem Weg des Glaubens markante Zugänge schaffen. 

Anstehende Aufgaben 

In der Arbeitshilfe „Kunst und Kultur in der theologischen Aus- und Fortbildung" werden wesentliche Ansatzpunkte für ein Kultur- Engagement des Klerus und der kirchlichen Mitarbeiter geliefert. Die Empfehlungen dieser Leitlinien sollten nicht unbeachtet bleiben. Vor allem sollten sie in der Priesterausbildung beherzigt und umgesetzt werden, „denn die Priester von heute und morgen wirken in einer ästhetisch sensiblen Zeit und müssen deshalb selbst ästhetisches Qualitätsbewusstsein entwickeln." Wir sollten den kairós, den es zur Zeit im Blick auf die Kunst gibt, nicht verschlafen! Die Re-Evangelisierung, auf die Papst Benedikt XVI. mit Recht großen Wert legt, geht auch über Kunst und Kultur in der Kirche. Sie stellt eine zu bewältigende Herausforderung dar. 

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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