Wie der Beitrag von Anne Ferner-Steuer in diesem Heft darlegt, bietet gerade die Ministrantenarbeit eine große Chance, Kinder und Jugendliche zur Feier der Liturgie heranzuführen - und dies eben nicht nur auf rein kognitiv vermittelten Zugangswegen, sondern mit allen Sinnen, man könnte sagen: erfahrungsgesättigt. Wird dies allerdings nicht genutzt, dann verkommt dieser liturgische Dienst zur reinen Choreografie, zur liturgischen Staffage zur Erbauung des Gemütes und zur Hebung der Festlichkeit. Der Grundsatz des II. Vatikanischen Konzils, dass gerade auch Ministrantinnen und Ministranten als getaufte Christen einen „wahrhaft liturgischen Dienst" ausüben (Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium", Art. 29), gerät dann über die Frage der korrekten Handhabung des Weihrauchfasses und der Flambeaus schnell in Vergessenheit.
Was ist gemeint, wenn ich für eine mystagogische Form der Liturgiekatechese plädiere? Was bedeutet es, die Feier der Liturgie im Kontext der Ministrantenarbeit mystagogisch zu erschließen?
Besonders die frühe Kirche kennt die Tradition der so genannten „Mystagogischen Katechesen" - etwa von Bischof Cyrill von Jerusalem oder vom Hl. Johannes Chrysostomus. Dies sind Erklärungen der Liturgie, die in unmittelbarem Anschluss an die gefeierte Liturgie gehalten wurden. Die erwachsenen Täuflinge, um ein Beispiel zu wählen, hatten erst die eigene Taufe in der Osternacht erlebt, und nun wurde ihnen in der Osteroktav die Liturgie noch einmal vertiefend gedeutet und erklärt. Der Bischof, der diese katechetische Erklärung der Liturgie im Regelfall vornahm, konnte dabei auf den Erfahrungen mit der Liturgie aufbauen.
Mystagogische Liturgiekatechese
Das Anliegen dieser Form der Katechese war es, diejenigen, die die Liturgie bereits mitgefeiert hatten, immer tiefer in das Mysterium, das „Geheimnis" der Gottesbegegnung im Gottesdienst einzuführen. Nun ist das hier gemeinte Mysterium freilich nichts Mysteriöses. Der Ausdruck meint hier vielmehr im Sinne des biblischen Verständnisses (griech.: mysterion) das Heilshandeln Gottes in und durch Jesus Christus. Dieses Handeln Gottes in und durch seinen Sohn feiern wir in der Liturgie. Weil es um eine Einweisung in das Mysterium des Handelns Gottes an uns Menschen geht, erhält diese Form der Erklärung der Liturgie die Bezeichnung „Mystagogie" von = griech.: Unterweisung/Hinführung im/in das Mysterium.
Wenn wir diese Form der Erschließung der Liturgie heute wieder aufgreifen, setzen wir damit einen neuen Akzent: Wir erklären die Liturgie nicht in einer Art „Trockenschwimmkurs" vorab, sondern setzen bei der Erfahrung mit der gefeierten Liturgie an. Ministrantinnen und Ministranten bringen eine Fülle eigener Erfahrungen mit der Liturgie mit. Liturgische Bildung im Kontext der Ministrantenpastoral heißt dann, die gefeierte Liturgie sichten, analysieren und deuten lernen. Die konkrete gottesdienstliche Erfahrung ist im Nachhinein mystagogisch zu erschließen. Liturgische Bildung, die sich solchermaßen als Mystagogische Katechese versteht, basiert auf den Schritten:
- wiederholte Annäherung,
- wiederholter Mitvollzug,
- Wachstum in aktiver Teilnahme.
Ziel ist die Befähigung zur vollen, tätigen und bewussten Teilnahme am Gottesdienst der Kirche (SC,Art. 14).Und dies setzt bei den für die liturgische Bildung Verantwortlichen wie bei denjenigen, die der gottesdienstlichen Feier vorstehen, eben ein hohes Maß an fachlicher wie spiritueller Kompetenz voraus.
Liturgietheologische Grundlagen: Sinngestalt begreifen
Hilfreich für unsere Überlegungen ist die Unterscheidung zwischen Sinn- und Feiergestalt, die auf den Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Hans Bernhard Meyer zurückgeht. Die Sinngestalt der Liturgie ist das lobpreisende Gedächtnis für das Heil, welches uns Gott in Jesus Christus geschenkt hat. Diese grundlegende Sinngestalt, man könnte auch von der theologischen Grundgestalt sprechen, drückt sich in unterschiedlichsten Riten und liturgischen Vollzügen der Feiergestalt aus.
Wie wir noch sehen werden, scheint ein Problem der gegenwärtigen Ministrantenarbeit darin zu bestehen, dass zwar die äußere Feiergestalt trainiert wird (z. B. wann wird Weihrauch verwendet?). Die Sinngestalt, die Frage: „Warum wird Weihrauch verwendet?" aber, kommt demgegenüber zu kurz.
Der Begriff der Sinngestalt als lobpreisendes Gedächtnis ist noch weiter zu präzisieren. Lobpreisendes Gedächtnis der Heilstaten Gottes drückt sich darin aus,
- dass wir gemeinsam beten und singen, dass wir das Wort der Schrift hören und darauf in Lobpreis und Bekenntnis antworten.
- dass wir die Gaben als Zeichen unserer eigenen Hingabe zum Altar bringen.
- dass wir in der Taufe Christus das Licht empfangen haben, und dieses Licht weitergeben, es auch im Gottesdienst vor Gottes Angesicht tragen. Wer einmal in der Taufe ministriert hat, und wem sich das ausdeutende Zeichen des Überreichens der Taufkerze erschlossen hat, der ahnt zumindest, welche Funktion die Ministranten mit Flambeaus beim Eucharistischen Hochgebet um den Altar haben: Sie sind Lichtträger, sie tragen Christus, das Licht, und im Lateinischen heißen sie auch genau so: Luciferar.
- dass etwa in der Altarinzensation das Psalmwort sinnlich erfahrbar wird: Wie Weihrauch steige mein Gebet, mein Lobpreis, aber auch: mein Klagen, mein Flehen, vor Gottes Angesicht (vgl. Psalm 141). Wieso erklären wir den liturgischen Dienst am Weihrauchfass nicht mit Hilfe dieses Psalms?!
Es gilt also mystagogisch durch die Feiergestalt genau ebendiese Sinngestalt zu erschließen. Denn: Die Liturgie ist die „Didaskalie der Kirche", so J.A. Jungmann, die Schule der Kirche; oder mit den Worten einer italienischen Bischofssynode: Liturgie ist Katechese in actu.
Lotsenarbeit für die mystagogische Erschließung
Das Konzil schärft uns ein, dass die Liturgie als Feier des Glaubens der Kirche auch belehrend wirkt, unseren Glauben vertieft und fortbildet (SC, Art. 33) und auch die jüngste Instruktion stellt Liturgie als wahre Ausübung des Glaubens und der Taufwürde dar (Redemptionis Sacramentum, Art. 37). Allein, das Glaubenswissen, das der Liturgie zugrunde liegt, ist kein rein kognitiv zu vermittelndes Wissen. Liturgie wirkt aus sich selbst heraus, wenn wir sie „erlebnisstark" feiern, und ist gleichsam von selbst belehrend.
Es geht bei Mystagogie nicht um eine Liturgiedeutung, die ein Vorsteher der Liturgie meint, als schulende Information in den gottesdienstlichen Ablauf einfügen zu müssen. Sondern es geht darum, die Liturgie wirken zu lassen, sie nicht zu-zutexten, auch nicht mit wohlmeinender Didaktik, mit ausufernden Erläuterungen und Erklärungen. Dies, so das II.Vatikanische Konzil, hat Liturgie gar nicht nötig!
Für die mystagogische Vertiefung der gefeierten Liturgie bedarf es freilich liturgischer, mystagogischer Lotsenarbeit. Und dabei sind alle gefordert, alle, die die Liturgie kompetent als getaufte und gefirmte Christen feiern. Für eine solche Lotsenarbeit sehe ich ein noch weitgehend brachliegendes und neu zu entdeckendes Aufgabengebiet etwa auch für die Liturgieausschüsse in den Pfarrgemeinden. Mystagogische Lotsenarbeit ist mehr als ein oftmals relativ willkürliches „Gestalten" von Gottesdiensten. Die Liturgie ist ja bereits gestaltet - es gilt also vielmehr sie zu entdecken, in sie einzuführen, das Wissen um ihren Sinngehalt zu vertiefen. Dann käme es freilich darauf an, engstens zusammenzuarbeiten, die Kräfte aller, die in der Liturgie mitwirken, zu bündeln. Und hier bräuchte es dann auch thematische, inhaltliche Schulungen und Fortbildungen.
Das Ziel mystagogischer Ministrantenarbeit
Was wollen wir eigentlich? Wollen wir gut dressierte, choreografierte Ministranten? Geht es um eine ästhetische Benutzeroberfläche? („Es soll ja schön aussehen …", „Der Gottesdienst soll reibungslos ablaufen …"). Geht es um reines Wissen? (Welcher Teil der Messe kommt wann? Wer wird, wie, inzensiert? Wann mache ich eine einfache und wann eine doppelte Kniebeuge?)
Ich denke, um all das geht es auch. Erschließung der Sinngestalt des christlichen Gottesdienstes hat auch zunächst etwas mit Vermittlung von Glaubenswissen zu tun. Aber es geht auch noch um etwas anderes, tiefer liegendes: Es geht um unsere Beziehung zu Gott und darum, wie wir diese Beziehung zu Gott in der Liturgie feiern. Es geht darum, dass uns in der Ministrantenarbeit ein hohes Gut anvertraut ist:Wir sollen junge Menschen, qua Liturgie, in ihrer Gottesbeziehung anleiten.
Gerade weil in unseren Breiten die kirchlichen Strukturen in einem bislang unvorstellbaren Maß wegbrechen, bleibt oftmals nur die Liturgie als Chance des Kontaktes mit christlicher Gemeinde. Liturgie ist hier eine Möglichkeit, in Kontakt mit christlichem Glauben überhaupt zu treten. Liturgie ist aber zugleich eine Höchstform des Glaubensvollzuges: denn Liturgie ist, so das II. Vatikanum, eine besonders intensive Möglichkeit, in den Dialog zwischen Gott und Mensch einzutreten.
Mystagogie gibt sich nicht mit dem Stand der Beziehung mit Gott zufrieden, denn auch unsere Beziehung zu Gott braucht Beziehungspflege! Insofern reden wir hier - wenn es um die Frage geht: „Was erreichen wir mit einer mystagogisch orientierten Ministrantenarbeit?" - von einem ganz zentralen Punkt der individuellen Glaubensbiographie.