Priesterlicher Lebensstil als Lebens-AufgabeWo wohnst du?

Zeig mir, wie du wohnst, und ich sag dir, wer du bist.“ Nicht erst seit die Sinus-Milieustudie die Wohnzimmer ihrer Probanten entdeckt und sie zum Indikator unterschiedlicher Geschmacksmilieus gemacht hat, weiß man, dass es keineswegs nebensächlich ist, wie man sich im Leben einrichtet.

Als Regens, der je und je die Sesshaftwerdung der Neupriester mitverfolgt hat, ist mir immer wieder aufgefallen, wie wichtig dem einzelnen die je persönliche Note war, die etwas über ihn aussagte - und auch aussagen sollte! Die Einrichtung in den Pfarrhäusern, in denen ich bei Diakonatsbesuchen etwa zu Gast war, sprach oft Bände, was für ein Geist dort herrschte. Denn dass das Äußere immer auch Indikator für das Innere ist und innere, auch geistige und geistliche Prozesse ihre Außenseite, eben entsprechende Ausdrucksformen haben, weiß man nicht erst seit Freud und der modernen Psychologie; schon Thomas von Aquin kannte den unlösbaren Zusammenhang von Form und Inhalt, Handeln und Sein. 

War das Priesterideal früherer Generationen vielleicht stärker von Anspruchslosigkeit geprägt, Ausdruck eines selbstlosen Seelsorgeideals, allen alles zu werden (vgl. 1 Kor 9,22), sind Priester heute unter dem Eindruck ständiger öffentlicher Präsenz und gesellschaftlicher Repräsentanz, ganz zu schweigen von dem Hoch-, manchmal auch Übermaß pastoraler Beanspruchung, stärker auf den Schutz- und Rückzugsraum ins Private angewiesen. Habitare se- cum - bei sich selbst „zu Hause" sein, im vordergründig wohnlichen wie im spirituell-existentiellen Sinn, - nannte die klassische Aszetik diese Lebensaufgabe, mit sich selbst identisch, im Reinen zu sein. Wer es bei sich selbst nicht aushalten kann, der kann auch anderen kein „Obdach der Seele" geben, ihnen im eigenen Denken, Fühlen, Beten keinen Raum geben. Doch wo der Rückzug zu Abkapselung und Abschottung, zum Privatisieren führt (cocooning), verflüchtigt sich das Proprium des Priesterlichen, die Transparenz auf das Göttliche im Weltlichen. 

Verfügbar und erreichbar 

Bei sich sein, um aus sich herausgehen zu können. In Zeiten zunehmender Anonymisierung muss jedoch auch personale Zuwendung organisiert werden - schon der Be griff ist manchem ein Graus. Während bei älteren Priestern in der Regel noch die Haushälterin die Türen öffnet (im doppelten Sinn des Wortes) und in den meisten Pfarrhäusern immerhin die Sekretärin, zumindest während der Bürozeit, auf den Summer drückt, ist die Tür der jüngeren Priester, die ihren Haushalt in der Regel allein oder mit einer Stundenkraft (der „Zugehfrau") versehen, in der Regel verschlossen. Selbständigkeit hat ihren Preis. 

Dass Priester heute weniger erreichbar sind, hat allerdings gerade mit ihrer Verfügbarkeit, ihrem seelsorglichen Auftrag in größeren pastoralen Räumen zu tun, darüber hinaus auch mit einer veränderten Grundeinstellung und Seelsorgestrategie. Wenn sich die Komm-her-Pastoral zu einer Gehhin- Pastoral gewandelt hat - was von den Gläubigen ja doch immer verlangt wurde -, dann darf man eben nicht erwarten, dass der Priester zu Hause sitzt und wartet, dass jemand bei ihm anschellt. Zumal in einer Zeit des Zusammenwachsens der Gemeinden zu größeren pastoralen Einheiten ist insbesondere der mobilere Klerus gehalten, Kontakte zu knüpfen, Verbindung zu halten, Netzwerke aufzubauen: von katechetischen und liturgischen Einsätzen bis hin zu Begleitungsgesprächen, Gremienarbeit und Eventpastoral. Insofern ist die Chance, den Kaplan oder Pfarrer in seiner Wohnung anzutreffen, eher gering, es sei denn, man hat einen Termin vereinbart. 

Doch zum Glück gibt es in unserem Kommunikationszeitalter das Telefon, das in Abwesenheit des Priesters immerhin Raum für eine aufzusprechende Nachricht hinterlässt. Kann man erahnen, wie viel Disziplin es dem Priester abverlangt, wenn er müde, hungrig oder frustriert (zum Glück nicht immer) abends die Wohnung betritt, zunächst noch den Anrufbeantworter beziehungsweise die Mobilbox „abzuarbeiten" und E-mails zu bearbeiten: Termine notieren, Absprachen weitergeben, Rückrufe (oft ebenfalls auf Mobilbox) erledigen. Wenn er dann noch, um guten Willen zu demonstrieren, zu einer Gemeindeveranstaltung geht, vielleicht abgehetzt und verspätet, und ihm dort ein freundlich-vorwurfsvolles „Sie sind ja nie da" entgegenschallt, braucht es schon eine hohe Frustrationstoleranz oder geistlich erkämpfte Gelassenheit, sich ausgerechnet in der Kerngemeinde für seinen pastoralen Dienst entschuldigen und rechtfertigen zu müssen. 

Der Priester, qua Amt im Idealfall jederzeit für jedermann zu sprechen, und zwar persönlich und unvertretbar, ohne Ansehen der Person und ohne Rückgriff auf einen Mitarbeiterstab im Pastoralteam, mit denen pastorale Aufgaben geteilt werden können, ist vielleicht am unmittelbarsten von dem postmodernen Phänomen der Beschleunigung betroffen: Briefe, die früher mehrere Tage Laufzeit hatten, sind als E-Mail im weltweiten Netz im selben Moment des Sendens schon beim Empfänger; persönliche Ansprachen, die früher den Gang zum Pfarrhaus nötig machten, landen unmittelbar auf der Mobilbox des gewünschten Teilnehmers. Von der normalen Post, den Stößen an Anfragen, Einladungen, Angeboten ganz zu schweigen. Hier geht es darum, in möglichst kurzer Zeit gleichwohl verantwortlich auszuwählen - anzunehmen, weiterzugeben, auszusortieren. Wer sich da beschwert, dass Priester Managerqualitäten haben müssen, weiß nicht, wovon er spricht. 

Zeitmanagement und Selbstorganisation 

In der Tat ist die Flut an Ansprachen und Ansprüchen nur durch eine umsichtige Büroorganisation und durch ein gehöriges Maß an Selbstorganisation und Selbstdisziplin zu bewältigen, die für den Priester letztlich nur geistlich gelebt werden kann. Das klingt widersprüchlich, ist aber äußerst realistisch. Das Zauberwort heißt Zeitmanagement, und der größte Krisenfall tritt bereits ein, wenn der Terminkalender verlegt oder verloren ist. Wer sich aufgrund seines priesterlichen Selbstverständnisses in dem Vielerlei der Aufgaben in Anspruch nehmen lassen will, der muss einen Weg finden, die verschiedenen Verpflichtungen zu koordinieren. (Man straft sich, wenn man gut arbeitet; denn jedes gute Gespräch, jedes erfolgreiche pastorale Engagement hat mindestens zwei Folgetermine.) Und wer nicht nur emotionslos seinen seelsorglichen Pflichtenkatalog abarbeitet, sondern aus innerer Überzeugung und mit pastoraler Leidenschaft dafür lebt, dass Gott bei den Menschen ankommt und Gottes Reich sich ausbreitet, auch durch das eigene priesterliche Wirken, der muss früher oder später strategisch vorgehen: er muss auswählen, Prioritäten und - was ungleich schwieriger ist - Posterioritäten setzen und konsequent den Tag, die Woche, das Jahr strukturieren, um auch entsprechende Zeiten für Gebet und Erholung, sportlichen Ausgleich und kulturelle und berufliche Bildung et cetera einplanen. Beten nach Kalender: das klingt wenig spirituell und ist doch keine technokratische Errungenschaft der Neuzeit; seit Jahrhunderten hat sich diese Zeiteinteilung etwa in der benediktinischen Tradition bewährt. Wenn die Glocke ruft, soll dem Gebet nichts vorgezogen werden - Selbstorganisation als geistliche Tugend, zugleich Überlebensstrategie, um nicht in der Flut von Terminen und Verpflichtungen zu ertrinken und sich vor der eigenen, auch pastoralen Hyperaktivität zu schützen. 

Das Ringen um eine Balance zwischen persönlicher Lebensgestaltung und öffentlicher Präsenz beziehungs weise Wirksamkeit berührt noch eine andere Dimension priesterlicher Lebensform: jene der Erkennbarkeit. 

Auskunftsfähig und erkennbar 

War Priesterkleidung bis in die 70er-Jahre ungefragt Standard, reduzierte sich die Erkennbarkeit des Priesters in den darauf folgenden Generationen oft auf ein kleines Kreuz am Revers - dem Anliegen geschuldet, die Aura des Klerikalen und Weltfremden abzustreifen und dem geistlichen Amt den Charakter des vermeintlich Zeitlosen beziehungsweise Ewig-Gestrigen zu nehmen - was mit dem Wechsel der Kleidung allein allerdings nicht notwendig gegeben war. Diese Entwicklung ist gegenwärtig unter dem Desiderat der Profilschärfung wieder gegenläufig, insbesondere unter den jüngeren Priestern. Dabei geht es natürlich nicht um äußerliche Kosmetik, ein trotziges Pfeifen im Wald gegen die dunklen Mächte einer feindlichen Welt, sondern um eine vertiefte Selbstvergewisserung priesterlicher Identität, die im Geheimnis Christi gründet und sich ihres in der Weihe vermittelten Sendungsauftrags bewusst ist. Wer seiner Umwelt durch sein Äußeres und erst recht durch sein Verhalten signalisieren will, dass es ihm um Gott und sein Reich geht, ist anderen damit ein Zeichen, ob er will oder nicht: den einen ein Vorbild (vgl. 1 Kor 11,1), anderen ein Zeichen des Widerspruchs (vgl. Lk 2,34). Das ist weder ein Grund, sich wichtig zu nehmen, noch sich entschuldigen zu müssen. 

Die neue Sichtbarkeit des geistlichen Amtes garantiert allerdings noch nicht bessere Zugänglichkeit zur Person des Priesters und seiner Botschaft. Die Priesterkleidung hatte einst durchaus eine Schutzfunktion, die vor Tabubruch bewahrte, oft allerdings um den Preis der Unnahbarkeit. Doch die Zeiten, als man Hochwürden artig die Hand gab (oder vorsichtshalber die Straßenseite wechselte), sind lange vorbei. Dagegen neigt der Zeitgeist heute zu ungenierter Kritikfreudigkeit und offenbart eine Lust zum offenen Widerspruch wie zur Unbekümmertheit völligen Unverständnisses. Das verlangt dem Priester mehr als früher kommunikative Fähigkeiten ab: Kontaktfreudigkeit, Konfliktfähigkeit, Auskunftsbereitschaft, nicht nur auf der lehramtlichen, sondern auch auf der persönlichen Ebene. Das richtungweisende, aber auch anspruchsvolle Wort Papst Pauls VI., die Welt höre mehr auf Zeugen als auf Lehrer (EN 21; 41), fordert vom Klerus heute mehr denn je, in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche zu den eigenen Überzeugungen zu stehen und auch zu ungebührlich klingenden Anfragen Stellung beziehen zu können - selbst in Lebenswelten, in denen man ein Interesse an Kirche und Glaube, Beruf und Berufung am allerwenigsten vermuten würde. Da kann es einem zum Beispiel passieren, dass man als Priester auf dem Frankfurter Flughafen im Vorübergehen angesprochen wird, ob man katholischer Priester sei und ob das stimme, dass man keinen Sex haben dürfe: Das sei doch nicht normal. - Je nach Charakter und Schlagfertigkeit wird der eine darin eine pastorale Chance wittern, ein anderer sich mit einem flotten Spruch aus der Affäre ziehen, ein dritter schließlich peinlich berührt das Weite suchen. 

Letzte und vorletzte Einsamkeit 

Es wäre ein eigenes Thema, auf den Zölibat, die ehelose Lebensform des Priesters einzugehen, die sich natürlich ganz nachhaltig auf sein Lebensgefühl und seinen Lebensalltag auswirkt. Das müsste in einem eigenen ausführlichen Beitrag angemessen besprochen werden. Aber selbstverständlich provoziert eine solche - freiwillig gewählte und zugleich kirchlich vorgegebene - Lebensform in einer Zeit, in der sexuelle Freizügigkeit und Permissivität zum Lebensgefühl des Zeitgenossen gehören. Da ist keiner davor gefeit, im öffentlichen Raum, in der Fußgängerzone ebenso wie in der U-Bahn oder im Konzerthaus, persönlich, aber auch indiskret oder respektlos auf seine priesterliche Lebensform angesprochen zu werden. Selbst in kirchlich sozialisierten Kreisen, im Binnenraum der Gemeinde, erntet der Priester mit seinem Lebensentwurf und den von ihm vertretenen kirchlichen Überzeugungen oft Unverständnis, insbesondere in Fragen der Sexualmoral, Bioethik, Kirchenstrukturen et cetera. War die Kerngemeinde einmal eine sichere Domäne unhinterfragten Einverständnisses in Glaubensfragen und Moralvorstellungen, ist sie heute weniger Rückzugsbasis als Missionsgebiet, wo der Priester sich ebenfalls erklären, rechtfertigen, verteidigen, für Glaubensinhalte und kirchliche Positionen werben muss. 

Doch wenn es selbst im Binnenraum der Gemeinde für den Priester kaum noch Refugien ungeteilter Zustimmung zu den von ihm vertretenen kirchlichen Positionen (fundamentaler noch: zu seiner Person) gibt und anderen das Verständnis für die geistliche Dimension seines Auftrags und seiner daraus resultierenden Lebensweise abgeht, wird es schnell einsam um den Priester. Vor der letzten Einsamkeit, in der jeder Mensch, auf seine nackte Existenz reduziert, vor Gott steht, auch in den Aporien des Lebens, gibt es jene vorletzte Einsamkeit, da man keinen Menschen hat, dem man sich persönlich mitteilen, mit dem man teilen kann, was für einen selbst lebensbestimmend ist. Das Fehlen eines verstehenden und mittragenden Gegenübers ist im Übrigen oftmals die viel tiefer gehende Anfechtung eines zölibatär Lebenden als eine ihm in der Regel von außen unterstellte sexuelle Unerfülltheit. Hier ist der Priester zutiefst auf seine eigenen geistlichen Wurzeln zurückgeworfen: eine lebendige und personale Christusbeziehung, aus der heraus er Kraft und Rückgrat für seine Sendung erfährt - und auch Erfüllung. Den meisten Gemeindemitgliedern bleibt diese Dimension geistlicher Existenz verschlossen. Da ist es ein Glücksfall, dass sich - vor allem bei jüngeren Priestern - die Einsicht in die Notwendigkeit regelmäßiger geistlicher Begleitung durchgesetzt hat: ein vertrauensvolles Gegenüber (früher sprach man vom „Seelenführer"), mit dem man sich je und je beraten kann. 

Geistlich verbunden und menschlich vertraut 

Wer in Gemeinde und Gesellschaft eine so exponierte Stellung hat, braucht einen geschützten personalen Raum, wo er sich der eigenen Berufung vergewissern kann und zu jener inneren Ruhe findet, die ihm Kraft gibt in den täglichen An- und Überforderungen. Nichts Anderes hat Jesus selbst seinen Jüngern bereits nahegelegt: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen." (Mk 6,31) Seitdem hat sich an den Rahmenbedingungen, so scheint es, für die Jünger Jesu wenig geändert. Auch das letzte Konzil hatte eindringlich dafür geworben, dass die Priester, „in inniger sakramentaler Bruderschaft miteinander verbunden, … sich gern und mit Freude treffen, um sich zu erholen, … damit sie besser in ihrem Dienst zusammenarbeiten können und vor Gefahren geschützt sind, die vielleicht dem Einsamen drohen, soll das gemeinsame Leben oder eine Art Lebensgemeinschaft unter ihnen gefördert werden" (Presb Ord. 8). Doch selbst da, wo die Konzilsväter konkrete Formen der Vita Communis vorschlagen: sei es „ein Zusammenwohnen", „ein gemeinsamer Tisch oder wenigstens ein häufiges und regelmäßiges Zusammenkommen" (ebd.), finden diese Anregungen bis heute, jedenfalls im deutschsprachigen Raum, wenig Resonanz. Im Gegenteil. Der Priester von heute ist weithin auf sich allein gestellt. 

Dazu mag der viel beschworene Priestermangel beitragen (wobei Mangel ja eine relative Größe ist), denn bei geringerer Priesterdichte wird das Netz der Pfarreien beziehungsweise pastoralen Einheiten großmaschiger. Doch fällt im deutschsprachigen Raum - im Unterschied zu den meist von mehreren Priestern bewohnten Pfarrhäusern im amerikanisch-angelsächsischen Raum wie in den romanischen Ländern - eine starke Tendenz zur Individualisierung auf. Junge Priester stehen in vielen Diözesen vor der (nicht nur finanziellen) Herausforderung, sich an ihrer Neupriesterstelle auch häuslich einzurichten. Nicht dass ihnen dies - in der Regel jedenfalls - unangenehm wäre. Im Gegenteil! Nach der langen Ausbildungszeit in Gemeinschaftsunterkünften, in Theologenkonvikten und Priesterseminaren, sehnen sie sich meist danach, endlich in den eigenen vier Wänden zu wohnen, sich nach dem eigenen Geschmack einzurichten - um allerdings, oft erst nach Jahren, festzustellen, dass sie tatsächlich auch „endlich allein" sind: dass ihnen keiner beim Frühstück gegenübersitzt, sie abends keiner erwartet und ihnen zuhört, wenn sie sich den Tag über geärgert oder gefreut haben, und dass auch keiner da ist, der mit ihnen das Stundengebet betet. Versuche priesterlicher Wohngemeinschaften sind, von wenigen Ausnahmen in Priestergemeinschaften (wie Fokolar, Schönstatt, GCL, Jesus Caritas) abgesehen, weithin wieder eingestellt worden, oft nach innerer Zerrüttung und schweren menschlichen Enttäuschungen. Während die Öffentlichkeit sich eingehend und neugierig um das Sexualleben des zölibatären Priesters (übrigens immer des Weltpriesters, nie des in der Regel kommunitär lebenden Ordenspriesters) sorgt, sind es primär die normal-menschlichen Kommunikationsformen, die nach einer Revision seiner alltäglichen Lebenspraxis verlangen. Dabei braucht es den Raum der Begegnung, des mitbrüderlichen Austauschs, der gegenseitigen Unterstützung, und dies nicht nur in Krisenfällen, sondern als alltagstaugliches Strukturelement, und sei es der vom Konzil zitierte sprichwörtliche Mittagstisch. 

Wohnen und bleiben 

„Rabbi, wo wohnst du?" (Joh 1,38) Es ist bezeichnend, dass der Nachfolgeweg der Jesus-Jünger mit der Wohnungsfrage beginnt. Wer einen anderen in den Intimraum seiner Privatsphäre einlädt, der gibt ihm Raum auch in seinem persönlichen Leben. Insofern ist die Frage nach dem Lebensraum Jesu keineswegs von marginaler Bedeutung. - Doch eigentlich sind die Johannesjünger, die sich an die Fersen Jesu heften, nicht an einer Wohnungsbesichtigung interessiert. Wörtlich lautet ihre Frage „Wo bleibst Du?" [pou meneis]: Wo ist Deine Bleibe? Und auf die Einladung Jesu: „Kommt und seht" heißt es lapidar: „Da gingen sie mit und sahen, wo er blieb [pou menei], und sie blieben bei ihm [par auto e-meinan]" (Joh 1,39). 

Die Einladung zur Nachfolge ist eine Hineinnahme in den Lebensstil Jesu - ohne Risikominimierung angesichts aller Unwägbarkeiten und Unübersichtlichkeiten („Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann." [Mt 8,20]). Für den Weltpriester ist die konstitutive Spannung von Geistlichem und Weltlichem unauflösbar: weder zu einer verbürgerlichten Existenz hin, die äußerlich und innerlich sesshaft geworden ist und ihre spirituelle Kraft weithin eingebüßt hat; noch zu einer in spiritueller Selbstgenügsamkeit entarteten Weltfremdheit, die in ihrer Wirklichkeitswahrnehmung ebenfalls gestört ist und der Welt ebenfalls nichts mehr zu sagen hat. Die Priester haben - wie seinerzeit die Johannesjünger -Beheimatung: miteinander - in der Lebenswirklichkeit des Herrn, in der personalen Freundschaft mit Jesus Christus selbst, im Johannesevangelium durchgängig im Bild der Bleibe ausgedrückt: „Bleibt in mir [meinate en emoi], dann bleibe ich in euch, denn getrennt könnt ihr nichts vollbringen." (Joh 15,4) Die Bleibe in Christus, das Eintreten der Jünger Jesu in dessen Lebenswirklichkeit, wird damit zum Charakteristikum des priesterlichen Lebensstils:„Bleibt in meiner Liebe" (Joh 15,9). 

So steht am Ende nicht die Frage, wie die Priester ihre Wohnung, sondern wie sie ihr Leben eingerichtet haben, einsehbar und nachvollziehbar für alle, die sich dafür interessieren. Dann kann es passieren, dass andere von ihrem Lebensstil fasziniert sind und ihnen hinterherrufen: „Wo wohnst du?" Es wäre mein Wunsch an uns Priester, dass wir dann gleichfalls dazu bereit sind, anderen an unserem Leben Anteil zu geben und sie dorthin mitzunehmen, wo wir selbst unsere Bleibe haben: „Kommt und seht!" 

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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