Zur Prävention von körperlicher und seelischer KrankheitDie Sorge um uns selbst

Von den Beduinen wird gesagt, sie tragen dafür Sorge, dass das Lagerfeuer am Abend nicht zu groß angelegt ist, die Flamme klein gehalten wird, damit das Feuer lange anhält. Damit das Feuer, die Energie eines Seelsorgers, nicht ausgeht, die Lust und die Freude an der Arbeit anhalten, müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass ihm das Feuer nicht ausgeht, es immer wieder neu brennen kann. Aufgabe einer gesunden Lebenskultur eines Seelsorgers kann es daher sein, mit dafür Sorge zu tragen, dass ein Seelsorger die Bedürfnisse seines Leibes und seiner Psyche ernst nimmt, um seelisch und körperlich fit und gesund zu bleiben und zu verhindern, körperlich oder seelisch krank zu werden.

Ich begegne immer wieder Seelsorgern, unter ihnen auch Priestern, die sich selbst für sehr spirituell halten, die ich aber, wenn ich ihnen begegne, aufgrund ihres körperlichen Erscheinungsbildes und dem, was sie ausstrahlen, als wenig überzeugend erlebe. Ich spüre intuitiv, was sie sagen oder predigen passt nicht zusammen mit dem, wie sie auf mich wirken: ungepflegt, unmäßig im Essen, im Trinken und Rauchen, gebeugt einhergehend, freudlos und griesgrämig dreinblickend usw. 

Geister ohne Körper werden niemals spirituelle Menschen sein 

Irenäus von Lyon schreibt: „Geister ohne Körper werden niemals spirituelle Männer und Frauen sein“. Und der Dichter Johann Peter Hebel stellt nüchtern fest: „Wir sind Pflanzen, die - wir mögen’s uns gerne gestehen oder nicht - mit den Wurzeln aus der Erde steigen müssen, um im Äther blühen und Früchte tragen zu können“. Ob Seelsorger Frucht tragen zur rechten Zeit oder ob ihre Blätter welken, das hängt auch davon ab, welche Einstellung sie ihrem Leib gegenüber haben, inwieweit sie ihren Leib und ihre Bedürfnisse würdigen. Nur wenn ihre Wurzeln tief in die Erde reichen können, wenn die Lebenskräfte und Lebenssäfte, die Voraussetzung dafür sind, dass sie Lust, Energie und Freude spüren und erfahren können, ihnen zur Verfügung stehen, sind sie wie ein Baum, der tief verwurzelt in der Erde sich nach oben strecken kann, wirklich dastehen kann, sich zeigen kann, ohne sich dabei zu verrenken. 

Bei der Sorge um uns selbst als einer Form von Prävention, die verhindert, dass wir körperlich und sich um ein genuin spirituelles Geschehen. Eine angemessene Sorge um uns selbst ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass Seelsorger ihren Dienst gerne tun, er sie erfüllt und zufrieden macht und die, für die sie da sind, erfüllt und zufrieden macht. Vernachlässigen sie dagegen die Sorge, die Fürsorge und Vorsorge, hat das zur Folge, dass ihnen ihr Dienst mit der Zeit immer weniger Freude bereitet und sie unzufrieden werden mit ihrer Arbeit. Immer häufiger treten dann depressive Stimmungen und Depressionen auf sowie körperliche Beschwerden wie Probleme mit dem Kreislauf, Herzbeschwerden oder Schwindelgefühle. Andere wieder geraten in eine seelische Krise, die sie zwingt, ihre Arbeit zu unterbrechen oder gar ganz aufzugeben. 

Die Sorge um sich selbst ist nicht mit Egoismus gleichzusetzen 

Bei manchen mag das einen inneren Widerstand auslösen. Sie mögen sagen: Ich bin doch Seelsorger, Priester geworden, um für die anderen da zu sein, für sie zu sorgen, oder um es mit den Worten des hl. Paulus zu sagen, „allen alles zu sein“. Und das stimmt ja auch. Doch, genau weil sie das wollen, gilt es zu beherzigen, dass sie das auf Dauer nur dann tun können, wenn sie auch für sich da sind, die Sorge um sich selbst nicht vernachlässigen und damit dafür sorgen, dass ihnen ihre Arbeit auch auf Dauer Freude und Zufriedenheit verschafft, sie kreativ und fruchtbar bleiben. Sie nehmen dann ernst, was Bernhard von Clairvaux, der Gründer des Zisterzienserordens, dem damaligen Papst Eugen schrieb, den er gut kannte und von dem er den Eindruck hatte, dass er sich verausgabt: 

„Wie kannst du voll und echt Mensch sein, wenn du dich selbst verloren hast? Was würde dir aber nützen, wenn du - nach dem Wort des Herrn - alle gewinnen, aber als einzigen dich selbst verlieren würdest? Wenn also alle Menschen ein Recht auf dich haben, dann sei auch du selbst ein Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. Warum solltest eigentlich du selbst nichts von dir haben? Wie lange noch bist du ein Geist, der auszieht und nie wieder heimkehrt (...) Denke daran: Gönne dich dir selbst. Ich sage nicht: tu das immer, ich sage nicht, tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für dich selbst da, oder sei es jedenfalls nach allen andern.“ 

Oft verwechseln wir die Liebe zu uns selbst mit Egoismus, weil uns beigebracht worden ist, für sich selbst zu sorgen, sich selbst zu lieben, sei etwas Negatives, etwas Egoistisches, das es gelte zu überwinden. In Wirklichkeit verhält es sich gerade anders herum. Menschen, die sich selbst schätzen, die eine echte Liebe für sich empfinden, die in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, haben viel übrig für andere Menschen. Das wusste schon Meister Eckehart, wenn er sagt: „Hast du dich selbst lieb, so hast du alle Menschen lieb wie dich selbst“. Wenn wir uns selbst lieben können und einhergehend damit in einer angemessenen Weise für uns selbst sorgen, nehmen wir dem lieben Gott und unseren Mitmenschen viel Arbeit ab. 

Heiligkeit ist Gesundheit 

Der inzwischen verstorbene Pastoraltheologe Josef Goldbrunner sagte bereits vor über 50 Jahren in einem Vortrag mit dem Titel Heiligkeit und Gesundheit: „Der heilige Gott ist blühendes, strömendes Leben. Er ist heil, in ihm ist kein Makel der Krankheit (und nicht das Gift des Todes). In Gott ist unser Heil, in seiner Nähe werden wir geheilt an Leib und Seele. Streben nach gottgleichem Leben schafft Heil. Je mehr das Bemühen um Vollkommenheit Gott ähnlich ist, also heilig macht, umso mehr müssten wir gesunden an Leib und Seele: Heiligkeit ist Gesundheit.“ Josef Goldbrunner verweist damit auf die geistliche Dimension von Gesundheit. Wohl wissend um unsere menschliche Gebrechlichkeit, um Krankheit, Leid und Tod, die zum ganzen Leben gehören, ist es auch aus einer geistlichen Sicht unsere Aufgabe, das zu unterstützen, das zu hegen und das zu pflegen, was zu unserer Gesundheit beiträgt und das zu vermeiden, was uns krank macht. 

Wollen wir aber gesund bleiben, müssen wir etwas dafür tun. Wir können nicht einfach die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass das andere, darunter auch der liebe Gott, für uns erledigen. Es gilt, sosehr wir auch körperliche Krankheit und seelische Not als Teil des ganzen Lebens akzeptieren müssen, das Leben, die Gesundheit zu umarmen und alle Kräfte in uns zu mobilisieren, die einen Beitrag dazu leisten können, dass wir gesund bleiben oder wieder gesund werden, es also auch von uns abhängt, ob wir gesund bleiben oder krank werden. Wir müssen uns auf Schatzsuche machen, uns auf unsere Ressourcen besinnen, die uns dabei unterstützen können. Darum geht es beispielsweise bei der Salutogenese, die statt zu fragen, was macht uns krank, die Frage stellt, was macht uns gesund. Im Rahmen der Salutogenese kommt auch der Resilienz eine große Bedeutung zu, der Fähigkeit, sich in Stresssituationen elastisch und flexibel verhalten zu können. 

Zu unseren Ressourcen zählt auch eine gesunde, geerdete Spiritualität, die das ganze Leben im Blick hat und ihren Teil zu einem Leben in Fülle beitragen möchte. Es ist eine Spiritualität, die alle Aspekte unseres Seins und der Welt als Arena für Gottes Wirken betrachtet. Sie steht in Beziehung zu unserem Leib, unserer Psyche, unserer Seele, unseren menschlichen Beziehungen und zur Schöpfung. Sie will ihren Beitrag dazu leisten, dass wir uns wohlfühlen, gesund, ganz sind und leben. „Spirituelles Leben ist das Bewusstsein, das Fühlen, die Blüte und die Erfüllung menschlichen Lebens, nicht eine übernatürliche Tugend, die uns aufgestülpt wurde“, schreibt der Theologe Joseph Campbell. 

Den ganzen Menschen sehen 

Eine solche ganzheitlich ausgerichtete, integrative Spiritualität sieht den ganzen Menschen. Sie beginnt mit dem Leib. Essen und Trinken, körperliche Ertüchtigung und Rekreation, Hygiene, unser Umgang mit unserer Sexualität und unsere Einstellung gegenüber sinnlichen Erfahrungen, unser Schlafen und Träumen sind die Weisen, über die wir unser Leben ausbalancieren oder integrieren. „Heiligkeit ist Gesundheit“ im Sinne von Josef Goldbrunner bedeutet hier, unserem Leib mit Respekt zu begegnen. Nicht in dem Sinne: „Ihr Gott ist ihr Bauch“, als wäre das Essen das Wichtigste. Auch gibt es eine überzogene Konzentration auf den Körper. Das meine ich nicht. Es geht um die achtsame, von Respekt und Reverenz getragene Haltung gegenüber unserem Leib, die Konsequenzen hat wie die Pflege unseres Körpers, Körperhygiene, eine positive Einstellung zu unserer Sexualität, genug Bewegung, genügend Schlaf, Aufmerksamkeit für unsere Träume. 

Eine Spiritualität, die an unserer Gesundheit interessiert ist, trägt dazu bei, dass wir ausgeglichen leben. Sie will uns dazu motivieren, Ausgleich zu schaffen, das heißt uns eine Auszeit, eine Regenerationszeit zu gönnen. Eine Zeit, in der wir wieder auftanken können. Von einer solchen Spiritualität geht die Bereitschaft aus, auf die Signale unseres Körpers zu hören, achtsam, verantwortungsvoll mit unserem Körper umzugehen, ihn nicht wie einen Esel mit Fußtritten oder Peitschenhieben anzutreiben. Das aber tun wir, wenn wir versuchen, die vorhandene Unausgeglichenheit mit Kaffee, koffeinhaltigen Getränken, Rauchen und Alkohol zu beseitigen. 

Eine Spiritualität, die an unserer seelischen Gesundheit interessiert ist, will ihren Beitrag dazu leisten, dass wir uns seelisch wohlfühlen. Das aber tun wir, wenn unsere elementaren psychischen Kräfte, unser Verlangen nach Ausgleich, sinnlichen Erfahrungen, Freude, Lust ernst genommen werden, eine Platz in unserem Leben haben, da sie sich sonst rächen, indem sie uns seelisch krank werden lassen und, so Josef Goldbrunner, in unserer schlechten Laune, Gehemmtheit, Freudlosigkeit, inneren Leere, Sinn- und Rastlosigkeit, Skrupel und Zwangsgedanken, bis hin zu schweren seelischen Erkrankungen, wie Depressionen, Angstneurosen, Zwangsneurosen, Suchtneurosen, Phobien zum Ausdruck kommen. 

Eine Spiritualität, die an unserer seelischen und körperlichen Gesundheit interessiert ist, will also, dass wir gesund bleiben oder wieder gesund werden. Wir wissen heute, dass die entscheidenden Auslöser für den Tod vieler Menschen eine ungesunde Ernährung, Umweltverschmutzung und Stress sind. Wir wissen, dass körperliche und seelische Überforderung, ein ständiges Ausweiten des Arbeitsbereiches auf Kosten des privaten Lebensbereiches automatisch zu Burnout und in die Depression führen. Wollen wir daher gesund bleiben oder werden, kann das heißen, mit dem Rauchen aufzuhören, sorgfältig mit Alkohol umzugehen, uns gesund zu ernähren, genügend zu schlafen und uns regelmäßig, an unserer Gesundheit orientiert, körperliche zu bewegen: spazieren gehen, laufen, schwimmen usw., sowie Hobbys und tiefe Beziehungen zu pflegen. Wer als spiritueller Mensch das nicht ernst nimmt, muss sich fragen, welche Werte seine Spiritualität pflegt und fördert. 

Eine Spiritualität, die an unserem Wohlbefinden interessiert ist 

Wir entscheiden, welche Spiritualität wir pflegen und leben wollen. Eine Spiritualität, die unseren Leib, unsere Psyche und unsere Seele ehrt und damit zu unserer Gesundheit beiträgt oder eine Spiritualität, die uns krank macht. Eine Spiritualität, die zu unserer Gesundheit beiträgt, unterstützt und motiviert uns, rücksichtsvoll mit unserem Körper umzugehen, unsere psychischen Bedürfnisse zu würdigen und Beziehungen zu pflegen, die uns tragen und uns die Erfahrung von Verbundenheit ermöglichen. Eine Spiritualität, die an unserem Wohlbefinden interessiert ist, ist eine Spiritualität, die wir von innen heraus leben und die aus einer tiefen, innigen und lebendigen Beziehung mit Gott ihre Kraft schöpft. Sie hat die ganze Person - Körper, Geist, Seele, Beziehungen - im Blick, weiß, dass unsere Gesundheit nicht losgelöst von der ganzen Person erhalten oder wieder hergestellt werden kann. 

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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