Zwischen Lösung und AnnahmeKnoten lösen

Die Art und Weise, wie ich einen Knoten löse, kann mir zeigen, wie ich schwierige, knifflige Probleme löse und welche Möglichkeiten mir zur Lösung eines Problems zur Verfügung stehen. Bin ich zum Beispiel ein Macher, der ungeduldig und rücksichtslos die Lösung eines Problems erzwingt oder nehme ich mir Zeit, gehe ich behutsam vor und verlasse mich nicht nur auf meine Willenskraft, um ein Problem lösen zu können. Kann ich mich „einfach zurücklehnen und entspannen“, um dann plötzlich, wie es Hape Kerkeling in seinem Bestseller „Ich bin dann mal weg“ schreibt, „das Wesentliche zu kapieren“. Ja, gelingt es mir sogar, mich so sehr zurückzunehmen, dass ich die Lösung des Knotens nicht allein von meinem Können abhängig mache.

Fazit

Um Knoten lösen zu können, braucht man Geduld. Manchmal kann der Verzicht darauf, einen Knoten unbedingt lösen zu wollen oder die Bereitschaft, der Seele bei der Lösung die Führung zu überlassen, zur Problemlösung beitragen. Und es gibt Knoten, die man nicht lösen kann und vielleicht auch nicht lösen muss. 

Wer kennt nicht die Erfahrung: Die Schnürsenkel haben sich verknotet. Ungeduldig zupft man mal da, mal dort. Doch, statt dass der Knoten sich auflöst, verfestigt er sich. Nichts nützt. Ein letzter Versuch, das Ganze aufzu- dröseln. Doch alle Mühe ist umsonst. Wir geben auf. Die Schere muss her, ein Schnitt, die alten Schnürsenkel können entfernt, neue müssen eingezogen werden. Oder aber ich nehme mir Zeit. Untersuche den Knoten, versuche mal hier, mal dort, ob sich ein Schnürsenkel etwas bewegen lässt. Mal hat man Glück, dann wieder tut sich einfach nichts. Mit Fingerspitzengefühl und viel Geduld gelingt einem schließlich, Bewegung in den Knoten zu bekommen. Bis man merkt: jetzt habe ich es. Jetzt bin ich dabei, den Knoten aufzulösen. Jetzt ist es nur noch eine Sache von Sekunden und der Knoten ist gelöst. Da ich oft nicht die Geduld dazu aufbringe, reiche ich meiner Frau den Schuh und bitte sie, den Knoten aufzulösen. Sie nimmt sich dann während des Tages Zeit dafür und löst schließlich den Knoten auf. 

Manchmal löst sich ein Knoten von selbst 

Manchmal löst sich ein „innerer" Knoten von selbst auf. Was vorher verwirrend, undurchschaubar, anscheinend unerklärbar erschien, ist jetzt klar. Es ist dem vergleichbar, was beim Focusing, einer von Eugen Gendlin konzipierten Therapieform, geschieht. Die Ratsuchende konzentriert sich dabei auf ihr Hauptproblem und das Gefühl, das sie damit verbindet. Das Bild, das Wort oder der Satz, die dabei in ihr auftauchen, enthalten, so die Überzeugung bei dieser Methode, eine wichtige Nachricht über das Problem, wenn dadurch eine körperliche Reaktion ausgelöst wird, zum Beispiel in Form einer spürbaren Erleichterung. Etwas, was sich bisher in ihr wie ein Knoten anfühlte, der unauflösbar erschien, hat sich gelöst. Dahinter steht die Überzeugung, dass wir über einen biologischen Computer verfügen, der Daten speichert, die wir nicht nur über ein intensives Nachdenken, sondern wie im Falle des Focusing als gefühlten Sinn für die Lösung eines seelischen Problems einsetzen können. 

Bei der Traumarbeit sind es die Ressourcen des Unbewussten, die wir nutzen können, um einen inneren Knoten zu lösen. Im Traum, so der Psychotherapeut Lorenz Wachinger, gehe ich über eine Grenze: „Die Grenze zwischen dem Tag, wo ich arbeite und meine Ziele und Zwecke verfolgen muss, gespannt und einsatzbereit und in der Nacht, wo ich anders sehe und höre, wo ich mich nicht wehren kann und muss, bereit zu empfangen und das Andere wirken zu lassen". Ich lasse eine neue Sichtweise zu, vor allem aber unterbreche ich mein eigenes Bemühen, den Knoten lösen zu wollen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie mir als Junge in einem Traum die Stelle gezeigt wurde, an der ich die mit viel Liebe zusammengestellte Sammlung von Zeitungsausschnitten über die Pfahlbauten unserer Vorahnen wieder entdeckte: unter der Schublade im Esszimmerschrank. Ich hatte alles abgesucht, konnte mir nicht erklären, wohin die Sammlung geraten war. Die Auffindung erschien mir als ein unlösbares Problem. Und dann die Lösung, die befreiende Auflösung im Traum. Manche Erfindung oder Entdeckung geschah mit Hilfe eines Traumes. Es bedurfte dieses „anderen Zustandes", des „anderen Blickes", um zur endgültigen Lösung zu gelangen. 

Trau deiner Seele 

Vertraue ich mich dem Unbewussten an, der Seele, dann bin ich nicht länger darauf fixiert, dass ich unbedingt den Knoten lösen muss. Solange ich darauf fixiert bin, verspanne ich mich, bin ich gar nicht länger offen dafür und in der Lage, mir etwas zufallen zu lassen. Mir bei der Lösung des Problems von den Schichten in mir helfen zu lassen, die über ein bloßes Nachdenken hinaus einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten können. Dazu zählen neben dem Unbewussten auch meine Intuition und meine Fähigkeit, etwas zu erahnen. 

Wenn der Tiefenpsychologe C.G. Jung mit vernünftigen Überlegungen zur Lösung eines Problems nicht mehr weiterkam, schrieb er seiner Anima Briefe und überließ ihr die Führung und Lösung des Problems. Vertraute ihr. Wenn in einer psychotherapeutischen Sitzung der Eindruck entstand, dass man sich festgefahren hatte und nicht mehr weiterkam und die Ratsuchenden C.G. Jung drängten, definitive Antworten auf Fragen zu geben wie „Was raten Sie? Was soll ich tun?", pflegte er achselzuckend mit einem kurzen „Das weiß ich auch nicht" zu antworten. Er sagte ihnen weiter, dass es nur eine Sache gab, die gewiss war: dass sie lernen müssten, ihrer „unbewussten Psyche" zuzuhören, wenn sie tatsächlich aus diesem unerträglichen Stillstand wieder herauskommen wollten, in dem sie sich befanden. 

Im therapeutischen Prozess tauchen oft schwierige Probleme auf, die zunächst als unauflösbare Knoten erscheinen. Auch wenn eine therapeutische Begleitung nicht einem kriminologischen Unternehmen vergleichbar ist, bei der der Therapeut versucht, mit Hilfe von Ermittlungen eine Schicht nach der anderen abzutragen, um zu dem Kern des Geschehens zu gelangen, so ist es doch auch immer wieder notwendig, von verschiedensten Seiten her zu versuchen, den Knoten aufzudröseln und zu lockern. Dieses Vorgehen darf aber nicht auf Kosten der inneren Wachheit, des In-Kontakt-Bleibens mit der Rat suchenden Person gehen. Das Problem, der Knoten muss im Blick bleiben, er darf aber nicht plötzlich wichtiger werden als die Person. Das Problem, der Knoten, sie müssen im Kontext und aus dem Beziehungsgeschehen zwischen Ratsuchendem und Psychotherapeut „behandelt" werden. Auch hier wird wieder deutlich, wie sehr die Fähigkeit, in Abstand zu dem Knoten treten zu können, den Knoten aus der Ferne und im Kontext zu betrachten, eine wesentliche Voraussetzung sein kann, um das Problem, den Knoten lösen zu können. 

Den Knoten annehmen 

Das eine ist, in Abstand zu treten zu dem Knoten, zu dem Problem, um aus der Distanz heraus stärker die Möglichkeiten zu entdecken, die ich habe, dem Problem zu begegnen, das Problem und den Knoten lösen zu können. Manchmal kann die Lösung aber auch darin bestehen, dass ich mich mit dem Knoten identifiziere, selbst zum Knoten werde, um damit in Berührung zu kommen, dass ich es selbst bin, der sich verknotet, sich verwickelt. Ich schiebe das dann nicht länger auf die anderen. Auch das kann mir helfen, ein Problem zu lösen, weil ich dann akzeptiere, dass ich es selbst bin, der für den Knoten verantwortlich ist und dass es hier ein Problem gibt, das mir zu schaffen macht. Auch hier gilt die alte Weisheit, was nicht angenommen ist, kann nicht geheilt werden. Ein Knoten, der nicht als Knoten, als Knotung, als Verhärtung, als Verwicklung oder Verstrickung angenommen und akzeptiert wird, kann nicht gelöst werden. Es ist dann der Fall, wenn ich die Wirklichkeit und die Verantwortung, die ich dafür habe, erkenne und annehme. 

Bei Pfarrer M. versperrt in einem Traum ein riesiger Felsbrocken den Weg, so dass er dadurch im Weitergehen gehindert wird. Ich bitte ihn, für einen Augenblick dieser Felsbrocken zu sein. Das hilft ihm mit seiner eigenen Starrheit und Hartherzigkeit sich selbst und anderen gegenüber in Berührung zu kommen. Dann lade ich ihn dazu ein, mit seinem Herz in Berührung zu sein, ja sein Herz zu sein und als Herz in einen Dialog mit dem Felsbrocken in ihm zu treten. Zunächst scheint das Herz keine Chance zu haben, den Felsbrocken zu erweichen. Doch das Herz gibt nicht auf. Bis es schließlich doch eine Stelle im Felsbrocken findet - die erstarrte, gar nicht zugelassene, Trauer über den frühen Tod der Mutter -, die den unauflösbar erscheinenden Felsbrocken, der den Lebensweg versperrt, zumindest an einer Stelle „aufreißt". Es dauerte noch lange, bis der Weg tatsächlich frei wurde, aber der Anfang war gemacht. 

Wenn wir uns verknoten, in uns ein Knoten entsteht, dann fließt es nicht länger in uns. Es fließt auch nicht länger zwischen uns und den anderen und zwischen uns und Gott. Um den Knoten aufzulösen, bedarf es Zeit des geduldigen Hinschauens, der Auseinandersetzung mit uns selbst, der Aussprache mit der anderen Person. Oft würden wir lieber den einfachen Weg gehen, wie Alexander der Große den Gordischen Knoten einfach mit dem Schwert, also mit Gewalt, im Hauruckverfahren durchschlagen. Doch das wäre zu einfach, und vermutlich würde es auch nicht zur Lösung führen. 

In der Eheberatung bedarf es zum Beispiel zur Lösung eines sexuellen Problems oft vieler Stunden, in denen die Ehepartner mit Hilfe der Ehebegleiterin erst lernen müssen, offen und konstruktiv miteinander zu reden, bis eine Lösung des Problems sich anbahnt. Es bedarf des mühevollen Weges, der einhergeht, wenn Ehepartner sich wirklich das sagen, was sie bedrückt, was sie voneinander erwarten, worüber sie enttäuscht sind, um auf diese Weise überhaupt erst wieder eine Atmosphäre der Intimität zu ermöglichen, die Voraussetzung ist für eine auch befriedigende sexuelle Beziehung. Auf der anderen Seite kann manch- mal auch ein leidenschaftliches Sich-Lieben eine solche reinigende Wirkung haben, dass manches unlösbare Problem in der Kommunikation miteinander dadurch relativiert und tatsächlich aufgelöst wird. 

Denn der Knoten ist ja auch ein Symptom für etwas. In ihm zeigt sich, dass etwas nicht länger stimmt in uns oder in unseren Beziehungen. Das aber ist nicht mit einem Schlag aus dem Weg zu räumen. Dazu bedarf es zunächst der Bereitschaft, den Kno- ten ernst zu nehmen, zu akzeptieren, dass sich da etwas falsch entwickelt hat. Um sich schließlich daran zu machen, geduldig, vorsichtig, feinfühlig den Knoten aufzulösen. Je mehr er sich löst, desto mehr können wir entspannen, fließt es wieder in uns und zwischen uns, werden wir wieder lebendiger. Doch bis es soweit ist, kann es notwendig sein, die tieferen Ursachen, die für die Knotenbildung verantwortlich sind, in den Blick zu nehmen, dabei alle Möglichkeiten nutzend, die wir haben, um darin erfolgreich zu sein.

 

Knoten, die sich nicht lösen lassen 

Zunächst ist unser Ziel, einen Knoten lösen zu wollen. Doch manchmal kann auch ein Knoten Ausdruck von Zusammenhalt sein. So heißt es in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung über das 50jährige Bestehen des Saarlandes, die Spannung zwischen Frankreich hier, Deutschland dort ansprechend: „Das Hin- und Hergezerrtsein hat die Leute zusammengeschweißt. Man kann sich das vorstellen wie mit einem Seil, in dessen Mitte ein lockerer Knoten ist. An beiden Seiten des Seils steht nun jemand und zieht, doch weil beide gleichstark sind, bleibt als einziges Ergebnis ein Knoten, der so festgezogen ist, dass er enorme Stabilität entwickelt. Auflösen kann man ihn nicht mehr." 

Es gibt auch Knoten, die man nicht mehr auflösen kann und vielleicht auch nicht auflösen muss. So gibt es Verknotungen in unserer Lebensgeschichte, manchmal Verwicklungen, die an sich oder in ihren Auswirkungen nicht einfach aufgelöst werden können: traumatische Erfahrungen in der Kindheit, schmerzvolle Erfahrungen in Partnerschaften, tiefe Enttäuschungen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese Knoten bleiben uns erhalten, können jedenfalls nicht gänzlich aufgelöst werden. Sie können zu unserem Schaden gereichen, unser Leben manchmal zur Hölle machen, wenn wir uns ständig an ihnen reiben, so tun, als gäbe es sie nicht, um doch durch sie an unsere Grenzen erinnert zu werden. Sie können uns aber auch zum Segen werden, wenn wir sie als Realität in unserem Leben akzeptieren, in dem sich auch eine Lebenserfahrung verdichtet hat, die wir für uns und die Gestaltung unseres Alltags, unserer Beziehung fruchtbar machen können. Sie können uns an unsere Grenzen erinnern, da uns der Himmel auf Erden nicht versprochen worden ist, das Leben eher kompliziert ist und einfache Lösungen die Ausnahmen sind. 

Maria als Knotenlöserin 

Im Jahr 1700 malte Johann Melchior Schmidtner für die Kirche St. Peter am Perlach in Augsburg das Altarbild Maria als Knotenlöserin. Gestiftet hatte das Bild ein Ehemann, dessen befürchtete Scheidung von seiner Frau nach einem Gebet vor einem Bildnis Marias nicht stattfand. Maria hält auf diesem Bild das Band der Ehe in ihren Händen und berührt dabei zärtlich den Knoten, scheint ihn zu bewegen, bis er sich auflöst. Rechts und links von ihr sind Gestalten dargestellt, die das Band in ihren Händen halten. Sie wirken wie Assistentinnen. 

Ein Freund von mir, der als Zauberer Flamingo auftritt, führt einen Trick vor, bei dem er die Hand über den Knoten zweier miteinander verknoteter Seilstücke legt, seinen Zauberspruch spricht, dann die Hand öffnet und - man kann es fast nicht glauben - der Knoten aufgelöst ist, die beiden Seilstücke zu einem Seil geworden sind. Ich ziehe die Weise von Maria der Knotenlöserin vor. Sie hält das Band mit dem Knoten locker in den Händen. Dabei berührt sie und - so scheint es - streichelt sie zärtlich den Knoten. Der Knoten mag sich mit der Zeit dank der Geduld und der liebevollen Zuwendung Marias lösen. Er mag aber auch bleiben. Doch da Maria ihn liebevoll in ihren Händen hält, kann auch ich ihn aushalten und annehmen. 

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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