Wird viel spirituell geredet, aber wenig an Gott geglaubt?Nur Lippenbekenntnisse

Nein, zu wenig wird in der Kirche sicher nicht von Gott gesprochen. Kein Pastoralplan wird geschrieben ohne die Mahnung: Es geht nicht hauptsächlich um Strukturen, viel wichtiger ist die geistliche Mitte. Spiritualität gilt als pastorales Kerngeschäft. Angehenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Seelsorge wird ans Herz gelegt, den Menschen vor allem den Geschmack an Gott zu vermitteln. „Es ist Zeit, an Gott zu denken“, diese Devise scheint kirchliches Allgemeingut geworden zu sein. Nein, gesprochen wird viel von Gott. Heißt das aber auch, dass tief an Gott geglaubt wird? „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber sein Herz ist weit weg von mir“ (vgl. Jes 29,13-14), dieses Prophetenwort bleibt stets eine Mahnung zur Gewissenserforschung.

Fazit

Die Inflation der Worte hat auch das religiöse Reden erfasst. Dort ist es besonders folgenreich, denn es macht die Worte vom höchsten Gut wertlos. Sie werden nur dort aufgewertet, wo Worte durch ein entsprechendes Verhalten gedeckt sind.

Mit der religiösen Sprache ist es ähnlich wie mit dem Geld: Die Münzen klimpern verheißungsvoll, aber ihren Wert bestimmt nur das, was man damit machen kann. D. h. die Worte gewinnen ihre Bedeutung nicht bloß durch Definitionen, sondern durch ihre Folgen für das Verhalten. „Gott" sagen kann nur, wer auf die Knie fällt. Im Sessel und bei einem gemütlichen Glas Wein gesprochen, verliert das Wort rasch an Wert. Wie beim Geld, so gibt es auch beim religiösen Reden eine Inflationsgefahr: Je mehr die Wortmenge sich erhöht, umso geringer wird ihr Wert. Am Ende kursieren Millionen Gottesworte, aber sie reichen nicht aus, um auch nur einen einzigen Laib Brot für die Seele zu erwerben. Ja, dieses religiöse Wortgeklingel gibt es allenthalben. Ohne Luft zu holen bezeichnet man sich als Jünger Jesu, gemeinsam in seiner Nachfolge, verwandelt von seiner Gegenwart und in selbstlosem Dienst an den Nächsten und Fernsten. Wie flüssig kommen diese hohen Worte von den Lippen! So zu reden fällt wohl aus dem Grund so leicht, weil keines von ihnen durch ein entsprechendes Verhalten gedeckt sein muss. Verschlägt es jemandem noch die Sprache, dass Jünger Jesu diejenigen sind, deren Weg schnurstracks auf Golgota zuläuft? Hat Nachfolge nicht etwas mit dem Alles-Verlassen zu tun? Ist das Zittern abgeschafft, dass „kein Mensch mich sehen und am Leben bleiben kann" (vgl. Ex 33,20)? Ist man allen Ernstes bereit zu ehrlosem Sklavendienst ohne Dank und Anerkennung? Ob nicht auch die Neigung der gegenwärtigen Dogmatik, alles auf das tiefste Geheimnis Gottes zurückzuführen, nämlich die Dreifaltigkeit, diesem Gesetz zu verdanken ist: Je weniger die Münze religiöser Sprache wert ist, um so größere Münzen muss man gebrauchen? 

Für diesen Zusammenhang von christlichen Worten und Verhalten hat der hl. Robert Bellarmin (1542- 1621; Jesuit, Kardinal und Kirchenlehrer) in einer kraftvollen Predigt im belgischen Löwen über das Licht des Glaubens ein einprägsames Bild gefunden. Dabei geht er von der Mahnung Jesu aus: „Wandelt auf die Weise, solange ihr das Licht habt, dass die Finsternisse euch nicht ergreifen" (vgl. Joh 12,35). Dieses Glaubenslicht ist wie eine Laterne, die wir durch die windige Nacht tragen. Damit die Flamme nicht ausgelöscht wird, halten wir die Hand davor. Die Hand steht dabei für die Tat, also für die Werke, die dem Glauben entsprechen. „Bruder, willst du den Glauben an die Sakramente nicht verlieren? Dann ehre die Sakramente, gebrauche die Sakramente, tritt häufig und von ganzem Herzen zur Beichte und empfange die heiligen Geheimnisse! Willst du den Glauben an das Fasten [...] nicht verlieren? Dann liebe das Fasten [...]! Wie sollte man sich andernfalls wundern, wenn Gott es ansonsten zulassen würde, dass du im Glauben Schiffbruch erleiden würdest?" Ist es aber nicht vielmehr so - so der gelehrte Prediger weiter -, dass unsere Taten die Worte entleeren? Wir behaupten, die Eucharistie sei die Quelle der Gnade und alles Guten, aber dabei sind die Altäre vielerorts verstaubt und voll Spinnweben, Kelchwäsche und Kelche geradezu abstoßend schmutzig, und die Priester zelebrieren so rasch, unfromm und kalt, „dass sie allen offensichtlich zurufen, sie glauben weder an Christus noch an die Gegenwart der Engel. [...] Wenn das so ist, dann wundert euch nicht, wenn das Reich Gottes euch genommen und anderen gegeben wird, die in jüngster Zeit im Osten und im Westen und in der Neuen Welt zum Glauben gekommen sind! Denn Gott geht so mit uns um und spricht: Ihr verachtet die Beichte? Dann nehme ich euch das Sakrament der Buße weg! Ihr verachtet die Eucharistie? Dann nehme ich sie euch weg! Ihr verachtet die Priester? Dann nehme ich euch die Priester weg! Denn ihr verhaltet euch so, als ob all das nichts wäre, und ich lasse es zu, dass dann Leute kommen, die auch ausdrücklich behaupten, dies sei nichts. [...] Ich will das geringe Licht, das ihr in euch habt, auch noch auslöschen und es dulden, dass die Finsternisse euch ergreifen." 

Glaube und Umkehr sind die zwei Seiten derselben Münze

Eine solche Mahnpredigt aus der Zeit der Kirchenspaltung wirkt heute vielleicht ungewohnt. Die darin enthaltene Aussage aber ist zeitlos: Glaube erweist seine Echtheit an den Taten, die sich mit ihm verbinden. Schon die Verkündigung der Apostel verband das Kerygma Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen, mit der moralischen Paränese der zwei Wege: Gerade weil der Christ glaubt, kann er auch Geist und Fleisch, Gott und die Welt, Heiligkeit und die „sinnlose, von den Vätern ererbte Lebensweise" (vgl. 1 Petr 1,18- 19), unterscheiden. Darin folgten die Apostel treu der Reich-Gottes-Botschaft Jesu, die die Ansage des Reiches mit dem Umkehrruf verband: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium" (vgl. Mk 1,15). Bellarmin wiederum weist darauf hin, dass der Mensch immer dem am liebsten Glauben schenkt, was seinem Verhalten am ehesten entspricht: „Es fällt nicht schwer, Menschen der Lust und des Fleisches davon zu überzeugen, dass Priester verheiratet sein müssen, dass Keuschheit unmöglich, Fasten überflüssig und die Beschränkung auf bestimmte Speisen abergläubig sei. Es fällt bei Habgierigen nicht schwer, Wucherzins zu entschuldigen, bei Karrieresüchtigen die Simonie und bei Zügellosen die Unzucht." 

Nun ist aber die Gegenwart vom Grundgesetz des Konsums geprägt. Das, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist das Bedürfnis und seine Befriedigung. Längst hat dieses Gesetz über den materiellen Bereich hinaus auch auf zwischenmenschliche Beziehungen und selbst auf das Verhältnis zu Gott ausgegriffen. Bezeichnend ist darum, dass man lieber von „Spiritualität" im sehr weiten Sinn einer entgrenzenden Befindlichkeit als vom Gott Jesu Christi redet. Denn Spiritualität gilt als das, was der Mensch persönlich von der Transzendenz hat, was sein Erleben steigert und sein Wohlbefinden beflügelt, was ihn aufwertet, seine Persönlichkeit einmalig macht und ihr den Glanz der Ewigkeit verleiht. Gott, Glaubensbekenntnis, Sakramente, Gebet, Wallfahren und alles Religiöse unterliegen damit der Logik des Konsums: Welches Bedürfnis stillt es? „Das bringt mir was!", dieses Kriterium des Konsums verändert auch die religiöse Sprache: Sie gewinnt ihre Bedeutung nicht mehr aus der Wirklichkeit, die hinter den Worten steht und die ein entsprechendes Verhalten verlangt („Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden" [Ex 3,5]). Vielmehr bedeutet sie nur dann noch etwas, wenn sie spirituellen Lustgewinn verspricht. Diesen Befund könnte man freilich relativieren: So ist eben die Welt. In ihr gibt es frei floatierende Religiosität, die man nicht gleich mit dem Denzinger in der Hand zensieren sollte. Vielmehr gilt es, dieses spirituelle Suchen sympathisch wahrzunehmen und daraufhin gezielt pastorale Angebote zu machen. Umso mehr müssen sich aber auch diese Angebote befragen lassen: Ist nicht bei ihnen selbst schon „ihr Gott der Bauch" (Phil 3,19), also das Bedürfnis das Maß aller Dinge? Gelungenes Leben, Glück, Werte, Orientierung, Freiheit, das sind in der Regel die Versprechen, die die kirchlichen Worte von Gott machen. Sicher sind dies Wirkungen des Glaubens, dennoch gilt für ihn die Forderung: „Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben" (Mt 6,33). Natürlich wird die Seelsorge, eine missionarische Pastoral zumal, auf alle Menschen zugehen. Sie wird sich keine Wunsch-Menschen zurechtträumen. Aber sie wird diese stets zu dem Punkt führen, an dem sie erkennen: „Wenn das wirklich wahr ist, dann muss ich mein Leben ändern." 

Was suchen Seelsorger in ihrer Seelsorge? 

Zur Umkehr hinführen aber kann ein Seelsorger nur, wenn er selbst sein Leben geändert hat. In seiner berühmten Predigt „Über die Hirten" sah der hl. Augustinus die Gefahr, dass die Hirten von ihren Schafen nur Milch und Wolle erhalten wollen, also Lebensunterhalt und Anerkennung, dass sie aber ihre Verkündigung nicht mit der Hingabe ihres Lebens beglaubigen. Sollte Pastoral nicht vielmehr stets daran gemessen werden, ob sie zuerst bei sich selbst und dann auch bei den anderen Bewegung in das Verhalten bringt? 

  • Seelsorge wird es den Menschen zumuten, sich nach der Decke zu strecken. Jeder Mensch ist zum Himmel berufen. „Nach dem streben, was oben ist" (Kol 3,1f.), ist darum die wichtigste Dynamik in jeder Lebensgeschichte. Sie scheint zwar oft verschüttet, aber die Aufgabe der Seelsorge ist es dann, dieses Streben wieder freizulegen. Darum fragt sie nicht primär: „Welche Bedürfnisse haben die Leute?", sondern: „Welchen nächsten Schritt können sie in Richtung Himmel tun?"
  • Seelsorge wird es den Menschen zumuten, etwas anzupacken. Natürlich möchte man Kindern in der Katechese das Beten beibringen, die Liebe zum Gottesdienst, eine gute Kenntnis des Glaubens und ein Verhalten tätiger Gottes- und Nächstenliebe. Doch es bleibt merkwürdig folgenlos, dass keines dieser Ziele bei der Mehrheit der Heranwachsenden auch nur anfanghaft erreicht wird. Didaktisch legt sich die Vermutung nahe, dass vieles eben nur berührt, aber nicht wirklich angepackt wurde. Es bleibt sozusagen auf dem Buffet und geht nicht in Fleisch und Blut über.
  • Seelsorge wird es den Menschen zumuten, im wörtlichen Sinn auf die Knie zu gehen. Was aber geschieht häufig? Wie selbstverständlich nimmt man Platz und sitzt. Konkret: Bei Kirchenkonzerten baut sich das Ensemble meist im Altarraum auf, und vorsichtige Kirchenrektoren bringen vorher das Allerheiligste, sofern es sich dort befindet, in einen Sakristeitabernakel. So verwandelt sich der heilige Raum in eine anregende Kulisse. Im tiefsten Sinn des Wortes ist er entkernt. Wer nun zum Konzert kommt, setzt sich auf seinen Platz und harrt des Kunstgenusses. Man kann die Symbolik des Geschehens kaum überschätzen: Die Kirche macht Angebote, indem sie den gegenwärtigen Gott beiseiteräumt.

„Unbestimmte Gefühle wie flüchtige Schatten"? 

Der Schriftsteller Evelyn Waugh (1903-1966; „Tod in Hollywood", „Wiedersehen mit Brideshead") hat in seiner Biographie des Jesuiten und Märtyrers Edmund Campion seinem Glauben, der ihn anstelle einer Gelehrtenkarriere Verfolgung und Tod wählen ließ, den Glauben der Königin Elisabeth und ihrer Höflinge entgegengestellt: „Sie hatten keineswegs das Verlangen, den tugendreichen und begabten Mann zu töten, der einstmals ihr Freund war, einen Mann, der ihnen auch jetzt noch von großem Nutzen sein konnte. [...] Aber Elisabeth, Cecil und Dudley hatten sich immer der vorherrschenden Richtung angeschlossen; sie hatten ihren Rosenkranz gebetet, gebeichtet und kommuniziert und am Freitag Fisch gegessen. Ein Glaube, der so real und unzerstörbar war, ein so überirdisches Gut, daß neben ihm jeder andere Besitz einfach zur Last wurde, ein solcher Glaube war ihnen fremd; in seltenen Augenblicken der Besinnung huschten ihnen unbestimmte Gefühle wie flüchtige Schatten durch den Sinn: Stimmen des Gewissens oder der Furcht vor dem Unbekannten; ein paar Jahre hindurch förderte Leicester die Katholiken, wie er vorher ‚Die Familie der Liebe' gefördert hatte; Elisabeth griff einen Tag zum Kruzifix und am nächsten zu einem Talisman - Bibel und Geisterlehre lagen nebeneinander bei ihrem Bett. Was konnte diese Menschen, selbst dann, wenn sie es gut meinten, mit Campion verbinden?" Nicht das Vielreden von Gott hilft weiter, sondern die Beglaubigung jedes Wortes mit einer ihm entsprechenden Tat. 

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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