Als in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts das priesterlich dominierte „katholische Milieu" ziemlich spektakulär erodierte, konnte die deutsche katholische Kirche mit einer überraschenden Strategie reagieren: mit professioneller Expansion. Das „personale Angebot" wurde massiv ausgebaut und professionalisiert. Das meint: Man gab und forderte von seinen Mitarbeiter/innen eine spezialisierte, geregelte und hochwertige Ausbildung, definierte spezifische pastorale Berufsfelder und dafür notwendige Handlungskompetenzen und stellte die an Fachhochschulen oder Universitäten Ausgebildeten „pastoralen Profis" auch tatsächlich ein. Wesentliche Teile des von der Kirche in Deutschland und Österreich beschäftigten Personals, etwa in den Bereichen Diakonie, Aus-, Weiter- und Erwachsenenbildung oder auch im Religionsunterricht, werden von professionell ausgebildeten, professionell entlohnten und auch professionell arbeitenden Menschen gestellt, die allermeisten von ihnen „Laien".
Dieser Professionalisierungsprozess etablierte an der Basis der Pastoral eine konkurrierende, nichtpriesterliche Personalstruktur neben der weiterhin in vielen Bereichen letztentscheidenden priesterlichen Hierarchie. Das aber setzte nun seinerseits die Priester unter pastoralen Professionalisierungsdruck und schuf damit eine nicht leicht aufzulösende Spannung zum klassischen, nachtridentinischen und vor allem amtstheologisch- sakramental fundierten, also gerade nicht professionell-funktional geprägten Priesterbild.
Der Professionalisierungs- und Differenzierungsprozess der deutschen und, etwas reduziert, auch der österreichischen katholischen Kirche folgte dabei der allgemeinen Linie einer funktionalen Differenzierung ehemals integrierter gesellschaftlicher Handlungsbereiche. Hinter diesen Entklerikalisierungs- und Professionalisierungsprozessen steckte freilich kein pastorales Gesamtkonzept, das wesentlich über das Reagieren auf konkrete Herausforderungen nach Mustern hinausginge, wie sie die moderne Gesellschaft selbst zur Verfügung stellt.
Dieses konzeptionelle Defizit holt nun die Kirche in Zeiten der Ressourcenknappheit recht nachdrücklich ein. Denn angesichts der anstehenden Prioritätenentscheidungen treten die Ambivalenzen der Professionalisierung im Zuge der anstehenden Gesamtanalyse der Lage sehr offen zu Tage. Das allein freilich wäre noch nicht das Problem. Das liegt vielmehr darin, dass es offenbar schwer fällt, mit diesen mehr oder weniger unvermeidbaren Ambivalenzen produktiv umzugehen. Noch befindet man sich im Stadium ihrer erstaunten Analyse.
Die Ambivalenzen der Professionalisierung
Dass pastorale Professionalisierung ein ambivalenter Prozess ist, das scheint mir unbestreitbar. Drei solcher Ambivalenzen sind unübersehbar: eine personale, eine gesamtpastorale sowie eine amtstheologische. Alle drei signalisieren anstehende und noch weitgehend ungelöste Basisprobleme der katholischen Kirche in entwickelten Gesellschaften.
Relativ bewusst ist die personale Ambivalenz. Sie wird im Zusammenhang der Professionalitätsthematik auch oft angesprochen. Explizit christliches Handeln, das bezahlt, gelernt und beruflich ausgeübt wird, scheint irgendwie zweitrangig, ja fast defizitär gegenüber christlichem Handeln, das unbezahlt, spontan und ganz jenseits beruflicher Rollenmuster einfach aus der Forderung der Situation heraus geschieht. Der Effektivitätsgewinn und der Zuwachs an Sachgerechtigkeit, die Professionalität normalerweise bedeuten, sie werden, so meint man häufig, bezahlt, zu teuer bezahlt mit dem Authentizitätsdefizit bloß gelernten, gut bezahlten Berufshandelns.
Die gesamtpastorale Ambivalenz hingegen ist bislang eher weniger ins kirchliche Bewusstsein gedrungen, so drängend sie für die deutsche und österreichische Kirche etwa zurzeit auch sein mag. Professionalisierung der Pastoral bedeutete nämlich fast immer auch Aufbau eines Handlungsbereichs außerhalb der traditionellen kirchlichen Basisstruktur, der Pfarrei; so geschehen etwa in der Diakonie oder im Bildungssystem, inklusive Religionsunterricht. Die deutsche katholische Kirche teilt sich denn auch gegenwärtig in eine schwächelnde „Gemeindekirche", eine davon zu unterscheidende Ritenkirche und einen um diese beiden herum gelagerten Kranz von professionalisierten kirchlichen Handlungssektoren (schulische und außerschulische Bildung, Kategorialpastoral, Caritas, Werke der Mission und Entwicklungszusammenarbeit et cetera ...). Diese Differenzierung, unabdingbare Begleiterscheinung des Professionalisierungsprozesses, führt jenseits der Oberhoheit des Bischofs und seiner Behörden vor Ort zu einer weitgehenden Desintegration der ehemals durch den Klerus integrierten kirchlichen Handlungsstruktur. Dem Differenzierungsgewinn steht ein deutlicher Zusammenhangsverlust gegenüber.
Die amtstheologische Ambivalenz des pastoralen Professionalisierungsprozesses ist vor allem an der Schwierigkeit ablesbar, die klassische, nach-tridentische Amtstheologie und diesen Professionalisierungsprozess der Pastoral konzeptionell zu verbinden und somit zu verhindern, dass sich „Professionalität" und „Weihe" rivalisierend auf unterschiedliche Handlungsgruppen der Kirche verteilen. Diese katholische Weihe-Amtstheologie, zumal in ihrer ontologisierenden Zuspitzung, hatte nicht pastorale Handlungskompetenz, sondern die (Weihe-)Gnade in den Mittelpunkt der priesterlichen (Berufs-)Rolle gerückt und als deren Pendant auf Seiten des Priesters persönliche Heiligkeit und Tugend, nicht aber unbedingt pastorale Professionalität angesetzt, zumindest offiziell. „Weihe" oder „Professionalität" geraten dann plötzlich in einen merkwürdigen Gegensatz: „Professionalität" wird für die angestellten Laientheolog/innen leicht zum Ersatz für die fehlende „Weihe" und „Weihe" für die Priester zum Ersatz für potentielle Professionalitätsdefizite. Der Kompetenzgewinn der Professionalität wird zum Rivalitätsort gegenüber der Sakramentalität des Priestertums.
Pastoral und Professionalisierung
Die Ambivalenzen des pastoralen Professionalisierungsprozesses sind eine Realität - und eine große Versuchung. Diese Ambivalenzen verbieten es, die Entwicklung für selbstverständlich zu halten und einfach als Normalität zu betrachten. Das ist sie weder weltkirchlich noch kirchengeschichtlich, aber eben auch von ihrer sachlichen, inneren Struktur her nicht.
Die Versuchung aber besteht in einer falschen Alternative: entweder diesen Ambivalenzen entfliehen zu wollen, indem man sie leugnet und unkritisch auf pastorale Professionalisierung setzt, so als ob sie das Allheilmittel für die Konstitutionsprobleme der Kirche wäre. Oder, indem man, konträr, die Professionalisierung der Pastoral denunziert und versucht, sie zurückzunehmen. Letzteres wäre der Weg zurück in vormoderne, entdifferenzierte kirchliche Gemeinschaftsformen. So etwas gibt es aber nach den Differenzierungsprozessen der Moderne nur in drei, allesamt problematischen Varianten: als romantische Kleingruppeninszenierung, als eventhafte, also punktuelle Großereignisinszenierung oder, am schrecklichsten, als Ergebnis zwanghafter Disziplinierung in geschlossenen, homogenisierten Gruppen.
Die Aufgabe wäre aber, in diesen Ambivalenzen zu bestehen. Das kann nur bedeuten, die potentiell negativen Konsequenzen dieser Ambivalenzen zu minimieren und die potentiell positiven Folgen zu maximieren. Insofern diese Ambivalenzen unvermeidbar sind, darf man sie auch nicht als Alternativen, sondern muss sie als Polaritäten verstehen, die unabweisbare Forderungen an uns stellen, Forderungen, wirklich Neues zu versuchen.
Freilich muss es ein Kriterium außerhalb dieser Polaritäten, also außerhalb der Professionalisierungsthematik selber geben, das anzeigt, ob wir diesen Forderungen gerecht werden. Dieses Kriterium gibt es auch, es steckt in nichts anderem als dem Pastoralbegriff des II. Vatikanums. Denn dann wird erkennbar: Professionalität, wie überhaupt alle Institutionalität der Kirche, ist kein Selbstzweck, sondern ist alleine dazu da, dem Zweck der Kirche zu dienen: der Pastoral.
Dann aber gilt: Die personale Ambivalenz von Effektivitätsgewinn versus Authentizitätsverlust im Professionalisierungsprozess der deutschen katholischen Kirche fordert einen differenzierten Blick auf das, was jeweils notwendig ist. Natürlich müssen die pastoralen Akteure bei aller Professionalität auch an ihrer pastoralen Authentizität arbeiten, denn sie ist recht verstanden Teil ihrer Professionalität. Sie ist aber auch ein Geschenk, eine Gnade und damit nur bedingt einzufordern. Allein von den pastoralen Akteuren die Bearbeitung der Polarität von Effektivitätsgewinn und Authentizitätsverlust zu verlangen, verlagert einseitig strukturelle Probleme auf die einzelnen, wie es innerkirchlich freilich, etwa auch bei den Schwierigkeiten mit der Glaubensweitergabe, leider immer wieder geschieht.
Notwendig wäre die Reflexion darauf, was an welchen Orten prioritär ist. Zu entwickeln wäre eine „pastorale Topologie" als Lehre, wo Spontaneität und hohe persönliche Authentizität, wo eher Professionalität und Sachgerechtigkeit im Vordergrund stehen sollten. Niemand käme auf die Idee, die Professionalität des Operateurs gegen die tröstende Hand der mitfühlenden Angehörigen auszuspielen, beides braucht der Kranke, beides an seinem Ort und beide, Operateure wie Mitleidende sollen sich schätzen und respektieren im Interesse des Kranken.
Das gilt aber auch für die gesamtpastorale Ambivalenz von Differenzierungsgewinn versus Zusammenhangsverlust im Professionalisierungsprozess der deutschen katholischen Kirche. Diese Ambivalenz fordert Kommunikation, Anerkennung der pastoralen Unverzichtbarkeit des und der anderen, Überwindung einer Kultur des Ressentiments als Versuch der Selbstkonstitution durch Fremdabwertung. Diese Ambivalenz fordert den Blick auf das, was der/die andere hat, ich aber nicht und ich von ihm/ihr daher potentiell geschenkt bekomme. Diese urchristliche Haltung der Überwindung jedes pastoralen Konkurrenzdenkens, der Anerkennung der anderen und der Neugierde auf ihre spezifischen Kompetenzen, sie ist gefordert wie selten in der Geschichte der Kirche. Denn nur mit dieser Haltung können wir den potentiellen Zusammenhangsverlust, den die pastorale Professionalisierung bedeutet, auffangen, damit der Gefahr des neointegralistischen Gegenschlags entgehen und gleichzeitig den Effektivitäts- und Sachgerechtigkeitsgewinn der Professionalisierung sichern.
Seinen eigentlichen Lakmustest aber wird der Professionalisierungsprozess der Kirche in der Frage der Rivalität zum sakramentalen Priestertum zu bestehen haben. Denn diese Ambivalenz fordert von beiden Seiten viel, von den professionellen pastoralen Laien wie von den Priestern. Sie fordert von den Laien die Überwindung ihrer angesammelten Kränkungserfahrungen sowie der damit verbundenen kompensatorischen Rivalitätsimpulse und von den Priestern die Entwicklung von Realisationsformen ihres Priestertums jenseits seiner Machtgeschichte der letzten Jahrhunderte und auf der Basis allein seiner gnadentheologischen Legitimation und jenseits aller Ersatz- Identitäten. Das ist noch ein weiter Weg. Die Kirche jedenfalls braucht beides: die Zusage der unverdienten und ungeschuldeten Gnade jenseits aller Professionalität und die Gnade professionellen Handelns an jenen, die leiden an Seele und Leib.
Die pastorale Professionalisierung ist, wie alle grundlegenden Veränderungsprozesse im institutionellen Gefüge der Kirche, eine große Herausforderung. Denn mit ihr locken zwei konträre Versuchungen: Man kann sie als Allheilmittel für die Konstitutionsprobleme der Kirche in der späten Moderne missverstehen oder als Teil des Problems selber, das es nach rückwärts zu überwinden gälte. Beides ist falsch. Die erste Meinung übersieht den Dienstcharakter der Professionalisierung und leugnet ihre Ambivalenzen, die zweite übersieht ihren Fortschrittscharakter und leugnet die Chance gesteigerter Sachgerechtigkeit pastoralen Handelns. Überwunden werden können diese Straßengräben aber nur im Blick auf die pastorale Grundaufgabe der Kirche und mit einer Spiritualität pastoraler Demut, die weiß, dass all unser pastorales Tun ohne die anderen nicht viel und ohne Gottes Beistand eigentlich gar nichts ist.