Zusammenfassung / Summary
Die intertextuellen Anspielungen zwischen Judg 19,1-30 und Gen 19,1-29 sind wohlbekannt. Dennoch gibt es trotz der thematischen und lexikalischen Anspielungen einige Unterschiede zwischen diesen beiden Erzählungen. So wird Gott in Ri 19,1-30 im Text implizit als stiller Beobachter herabgewürdigt. Ebenso schweigt der Erzähler in Ri 19,15-25 über Gottes Stimme und Perspektive, anders als in Genesis 19. Solche Abweichungen erfordern eine weitere Befragung: Was könnte die Schreibergilden dazu veranlasst haben, Gen 19,1-29 aufzugreifen und die israelitische Gottheit als stummen Beobachter zu degradieren? Ausgehend von der Auseinandersetzung der Judäer mit der assyrischen Philosophie der göttlichen Verlassenheit und der Kontinuität des Lebens im Gebiet Benjamins nach dem babylonischen Exil, bietet dieser Beitrag eine alternative Lesart von Ri 19,15-25 als propagandistische Mythenbildung (literarisches Konstrukt) inmitten der Konflikte zwischen den zurückkehrenden Mitgliedern der babylonischen Golah und dem Stamm Benjamin.