Natürlich ist das Zentrum eines Filmfestivals erstmal das Wichtigste. Im „Berlinale-Palast“ am Marlene-Dietrich-Platz spielt fraglos das ganz große Kino. Hier werden die Wettbewerbsfilme gezeigt, hier findet das Schaulaufen der Promis auf dem roten Teppich statt, hier sind die Kameras, die Stars, die Fans, die Journalisten. Aber wer sich die Mühe macht, ein bisschen raus zu gehen, kann genauso Perlen im Programm entdecken. Weiter entfernt vom Zentrum, das bedeutet eben nicht automatisch: weniger Qualität.
Und so bin ich heute nach dem ergreifenden Biopic über Romy Schneider („3 Tage in Quiberon“ von Emily Atef) im Berlinale-Palast ein bisschen an den Rand gegangen. In der Reihe „Perspektive deutsches Kino“ habe ich mir, etwas abseits vom Rummel, einen Film von Felix Hassenfratz angesehen. Den Regisseur kennen Sie nicht? Kann gut sein, denn er ist noch ein junger Mann, Jahrgang 1981. Trotzdem hat er schon einige Duftmarken gesetzt. So war er zum Beispiel für die Fernsehserie „Schnitzeljagd im Heiligen Land“ verantwortlich, bei der Kindern die monotheistischen Weltreligionen erklärt wurden. Für dieses und andere Projekte hat Felix Hassenfratz einige Preise bekommen. Nach und nach wurden seine Arbeiten immer größer, bis er eben jetzt einen ersten Kino-Film zeigen konnte – und das gleich auf der Berlinale.
„Verlorene“, so der Titel, ist ein Stück über sexuellen Missbrauch in der Familie, dort wo dieses Verbrechen, diese furchtbare Sünde am häufigsten geschieht. Der Film kreist um ein verhängnisvolles Dreieck: Maria und Hannah leben nach dem Tod der Mutter allein bei ihrem Vater Johann. Regelmäßig vergeht der sich an der älteren Tochter, die sich – durch ihr „Opfer“ – wiederum schützend vor ihre jüngere Schwester stellen will. Zugleich zieht sie Hannah in eine Co-Abhängigkeit hinein.
Er habe die Schweigespirale beim Thema Missbrauch zum Thema machen wollen, erklärt Felix Hassenfratz. Das ist ihm überzeugend gelungen. Bemerkenswert ist zudem, was er über die Entwicklung des Filmprojekts sagt. Es sei als reine Tragödie angelegt gewesen. Doch während er am Drehbuch schrieb, wurde seine Tochter geboren. „Das hat mein Weltbild verändert … Das Thema begann mich tiefer zu betreffen. Zum ersten Mal empfand ich den Wunsch, meine Figuren zu beschützen.“
So wurde aus dem geplanten tragischen Film ein Drama mit hoffnungsvollem Ende (das hier freilich nicht verraten wird). Die „Verlorenen“ müssen jedenfalls nicht für immer verloren sei.