Im Alltag von Journalisten ist es höchst selten, dass bei Pressekonferenzen geklatscht wird. So etwas passt auch nicht zu den jeweiligen Rollen und Interessen. Auf einem Podium sprechen ja immer die, die etwas „in die Medien“ bringen wollen – am liebsten natürlich nur genau so, wie sie es selber im Kopf haben. Unten dagegen sitzen diejenigen, die das nicht kümmern sollte. Journalisten sind in erster Linie Anwälte ihrer Leser. Sie bewerten das Gehörte kritisch und ordnen es ein, auswählend und kommentierend. Deshalb entsteht, selbst bei grundsätzlichem Wohlwollen füreinander, eine natürliche Distanz.
Bei der Berlinale ist es auffällig anders. Als sich kurz vor der Festival-Eröffnung die internationale Jury der Weltpresse zeigte, brandete erstmal Applaus auf. Vonseiten der Journalisten, wohlgemerkt! Und zwar bevor die Promis auf dem Podium auch nur ein schlaues Wort gesagt hatten! Was ist da los? Wollen sich die Medienmenschen anbiedern, mit den Stars gemein machen, etwas von ihrem Glanz abkriegen? Nein, das ist es nicht. Vielmehr gibt es hier anscheinend das verbreitete Gefühl, sich verbunden zu wissen, irgendwie zusammenzugehören. Regisseure, Schauspieler, Produzenten und Filmhändler sowie, ja, auch die Kinokritiker sehen sich letztlich derselben „Mission“ verpflichtet: die Filmkunst zu verteidigen und voranzubringen.
Wenn man mal darauf achtet, hat das durchaus religiöse Züge. Alle, die im Pressebereich zusammenkommen, gehören irgendwie zur Priester-Klasse der Cineasten. Ihre liturgische Kleidung ist dezent: das orangene Band mit der Zugangsberechtigung, das um jeden Kragen baumelt. Alle duzen sich, sind Mitbrüder, Mitgeschwister. Man pilgert zu den „heiligen Orten“, von Kinosaal zu Kinosaal …
Und dann noch die „Predigt“! Juliette Binoche, die Jurypräsidentin, wurde gefragt, nach welchen Kriterien sie ihre Rollen auswählt. Das sei „Berufung“, antwortete sie, keine reine Kopfsache. Jenseits des Verstandes spüre man, ob man „zu einem Film gehört“. Und trotzdem sei es immer ein Wagnis. Man müsse letztlich „springen“, wie sie es ausdrückte. Als Theologe denke ich dabei - Déformation professionnelle – an Lessing und Kierkegaard, wie sie vom Glauben sprachen.
Nun ist das „Hochamt“ der Kinogemeinde jedenfalls eröffnet. Etwa vierhundert Filme suchen in den nächsten anderthalb Wochen ihr Publikum. Mit „The Kindness of Strangers“ (Die Freundlichkeit von Fremden) wurde ein wundervoller Introitus angestimmt: ein hoffnungsvolles Loblied auf das Verbindende, auf die Menschlichkeit. So kann es weitergehen!