Vom Umgang mit KinokunstÜber Filme reden?

Kunstwerke, auch Kinofilme, sollen möglichst für sich selber stehen. Das heißt nicht, dass Hintergrundinformationen nicht hilfreich wären.

Nach jedem Wettbewerbsfilm, ich hatte es bereits erwähnt (https://bit.ly/2Dyxi3b), gibt es eine Pressekonferenz mit dem jeweiligen Regisseur, den Schauspielern und Produzenten. Dazu zieht das Gros der Journalisten vom Berlinale-Palast über die Straße ins Pressezentrum. Heute habe ich dabei folgende Szene mitbekommen: Zwei Kollegen gingen vor mir her, als einer der beiden plötzlich abbog. „Gehst du denn nicht zur Pressekonferenz?“, fragte der andere verwundert. „Nein, nie“, meinte der daraufhin schmunzelnd: „Der Film muss für sich selber sprechen.“

Nun lässt sich nicht ausschließen, dass die smarte Antwort nur ein Vorwand war, um die Schlangen an den Essensständen zu vermeiden. Oft ist bei der Berlinale ja alles so eng getaktet, dass kaum Zeit für einen Mittagssnack bleibt. Dennoch lohnt es sich, über die Aussage nachzudenken. Sie berührt ja tatsächlich etwas Tiefes.

Grundsätzlich gebe ich dem „Puristen“ recht. Ein Kunstwerk, also auch ein Film, sollte aus sich heraus „sprechen“, wirken. Wenn man zuviel erklären muss, stellt sich durchaus die Frage der Qualität. Dass ein Betrachter erst nach vielen Worten versteht, worauf der Künstler hinaus wollte, ist jedenfalls kein gutes Zeichen. Schlimmstenfalls muss man sagen: Es hat dann halt nicht geklappt, das Werk ist misslungen.

Aber so eindeutig ist es dann auch wieder nicht. Von den Führungen, die ich zusammen mit Kunsthistorikern im Freiburger Augustinermuseum mache, weiß ich: Man sieht nur das, was man kennt. Wie viel wäre mir in den Bildern entgangen, wenn mich die Experten nicht darauf hingewiesen hätten! Aus diesem Grund gehe ich eben auch gerne auf Pressekonferenzen. Ich bin dankbar für die ergänzenden Informationen aus erster Hand. Ob ich sie zu Rate ziehe, ob ich sie in meine Bewertung des Films einfließen lasse, ist ja immer noch meine Sache.

Aufschlussreich fand ich zum Beispiel, was François Ozon über die Dreharbeiten zu „Grâce à Dieu“ (Gelobt sei Gott) erzählt hat. Der Film zeichnet den Kampf von Opfern sexuellen Kindesmissbrauchs gegen die langjährige Vertuschungspraxis in der Erzdiözese Lyon nach. Weil dort die Kirche und die politischen wie wirtschaftlichen Akteure nach wie vor eng miteinander verbunden sind, bekam er keinerlei Unterstützung für seinen Film, berichtete Ozon. Die Außenszenen wurden deshalb weitgehend in Belgien gedreht.

Pressekonferenzen können aber auch einfach Ausbrüche purer Freude sein. So war es bei „Gospod postoi, imeto i´e Petrunija“ (Gott gibt es. Sie heißt Petrunija). In dem Film wird erzählt, wie sich eine junge Frau gegen die patriarchalen Traditionen ihrer Heimat stellt, selbst wenn diese unter dem Denkmantel einer religiösen Begründung daherkommen. Die Crew des mazedonischen Films zog unter dem Beifall der Journalisten in den Pressesaal ein, ließ sich feiern, veranstaltete eine regelrechte Party. Die ganze Erleichterung war zu spüren, dieses Projekt im Sinne der Gleichberechtigung von Frauen realisiert zu haben – hier gegen den ausdrücklichen Widerstand der orthodoxen Kirche. Ich bin froh, dass ich da dabei sein durfte.

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