Von Werder nach Potsdam sind es nur ein Dutzend Kilometer. Ich wollte am frühen Vormittag da sein. Dann wurde es merklich später, und es war letztlich die Havel, die mich aufgehalten hat.
In Geltow ergaben sich an der Baumgartenbrücke großartige Ausblicke auf den Schwielowsee, Ausblicke, die ich bis vor wenigen Tagen eher der Bodenseeregion, vielleicht noch der Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern zugetraut hätte. Aber ja, man muss nicht Fontane heißen, um zu erleben, dass man erst „in der Fremde“ seine Heimat kennenlernt.
Die Brücke ist heute stark befahren. Dennoch lohnt es sich stehenzubleiben. Aus historischen Gründen, wenn man will - denn die Vorgängerinnen sahen hier manche Truppenansammlung während der Befreiungskriege gegen Napoleon. Auch rollten hier Postkutschen auf dem Weg „zwischen Königsberg und Kleve“. Doch prächtig ist auch die Sicht auf das neugotische, in rotem Backstein mit grünglasierten Formziegeln ausgeführte Kirchlein. Das Gotteshaus war geschlossen. Die freundliche Küsterin, die gerade die Grünanlagen pflegte, schloss mir auf, machte gar den kronenförmigen Leuchter an. Und so erfuhr ich nebenbei, dass Pfarrstellen nicht nur in der katholischen Kirche etwas holprig besetzt werden, dass es auch in der Schwesterkirche dazu mancherlei Fragen und Geschichten aus dem wahren Leben gibt. Die Gemeinde aber wachse, erzählte sie. Seit einigen Jahren gäbe es auch ein Taufangebot in und an der Havel.
Überhaupt die Küster und Küsterinnen - bilden sie nicht in vielen Pfarrgemeinden ein kaum beachtetes Kontinuum?
Dann das Hinweisschild auf Caputh, zwei Kilometer entfernt, mit der Fähre über die Havel, dort das Sommeridyll von Albert Einstein. Ich konnte nicht widerstehen, lief das Stückchen und löste einen Fährschein für fünzig Cent. Das Holzhaus war an diesem Tag nur von außen zu besichtigen. Doch mitten im Ort, im Bürgerhaus, gibt es eine gute Ausstellung zu dem epochemachenden Physiker und dem Haus, das er und seine Gattin Elsa das „Paradies am Havelsee“ nannten, das sie freilich nur gut zwei Jahre, zwischen 1930 und 1932, bewohnen konnten.
„Sei ein gutes faules Tier,
Streck alle Viere weit von Dir.
Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt
Und auf Papa, wenn Dirs gefällt.“
Das reimte Papa Einstein an seinen Sohn Eduard im Jahr 1931. Doch auch das nachdenkliche „Glaubensbekenntnis“ Einsteins, das er in demselben Jahr in Caputh verfasst hat, ist in der Ausstellung zu finden. Gedanken über das Privileg, ja die „Gnade“, sich der Forschung hingeben zu dürfen, über das Geheimnisvolle unseres kurzen irdischen Aufenthalts, über unsere Pflichten. „Im täglichen Leben fühlen wir nur, dass der Mensch um Anderer willen da ist, solcher, die wir lieben und zahlreicher anderer ihm schicksalsverbundener Wesen.“ Und: „Oft bedrückt mich der Gedanke, in welchem Maße mein Leben auf der Arbeit meiner Mitmenschen aufgebaut ist, und ich weiß, wieviel ich ihnen schulde.“
Am Rande:
Als ich mit den beiden netten Damen der Einstein-Ausstellung ins Gespräch komme und mein „Köln-Königsberg“-Projekt erwähne, bekomme ich den Ratschlag: „Dann müssen Sie aber auch durch Köpenick gehen!“ Nicht schlecht!
„Dieser Stadtplan kostete einen Euro“, sagt die Dame in der Potsdamer Touristeninformation zu einem Jugendlichen. Dieser nimmt sein smartes Mobiltelefon und fotografiert den Plan ab. Ist das schon unhöflich - oder nur jugendliche Unbekümmertheit?
„Sie brauchen jetzt nicht zu erschrecken!“, sagt mir die Dame an gleicher Stelle, als sie mir sechs Seiten „Geschäftsbedingungen“ in die Hand drückt. Dabei habe ich nur eine Übernachtung gebucht.