Etwa in der Mitte des Weges zwischen Osno Lubuskie und Sulecin überholen sie mich, zwei Fahrradfahrer in schwarzer Radlerkluft und mit vollbepackten Seitentaschen. Zwanzig Minuten später sehe ich sie wieder. Sie haben sich gerade ein lichtes Plätzchen gesucht, was gar nicht so einfach ist, denn die dichten Bäume „überdachen“ praktisch die ganze Straße. Zudem riecht es nach Regen. „Gestern ein Ventil, jetzt einen Platten“, stöhnt der Mann, dennoch scheint er gut gelaunt. Das Paar kommt aus Potsdam, hat vor wenigen Wochen geheiratet. Jetzt radelt es nach Bydgoszcz/Bromberg, um mit dem Teil der Familie, der nicht nach Deutschland kommen konnte, ein wenig nachzufeiern. „Mala poprawka“, eine kleine, heitere Nachbesserung, sagt die Frau, die aus Bydgoszcz stammt und ihren Mann bei der Arbeit kennengelernt hat. Beide sind Altenpfleger. „Die Alten in Polen sind genauso einsam wie in Deutschland, vor allem in den Städten, und häufig sind die Kinder fort, weil sie in Deutschland oder Holland arbeiten“, sagt die Frau. Dann schreibt sie mir die Adresse einer Tante in Bydgoszcz auf. Die Stadt liegt zwar nicht exakt auf meinem Weg, doch auch nicht allzu weit entfernt. Und da beide von der Altstadt schwärmen, werde ich hoffentlich Tante und Stadt besuchen können.
Seit zwei Tagen staune ich über die Farbe in der Provinz. Nicht, dass jedes orangene Haus oder buntgescheckte Geschäft wirklich von letzter Stilsicherheit Zeugnis ablegte, oder in mancher Villa, die vom Mittelmeer oder gar Hollywood erzählen möchte, nicht etwas Groteskes stecken würde. Aber immerhin erzählen diese Gebäude vom Willen zum Wandel, von Menschen, die realisieren, dass es die klassischen Dörfer und das dazugehörende Dorfleben eben nicht mehr gibt. Das Grell-Bunte mag da eine Zwischenstufe der Identitätsfindung sein.
Und so sehe ich in kleinsten Städtchen Läden mit „italienischer“ oder „englischer“ Mode, trete in Buchhandlungen oder Cafés ein, die ihre Schilder in Lila gestalten oder „Da Franco“ heißen, gehe an Plattenbauten vorbei, die nun ganz unerhörte, manchmal aber auch gelungene Farbkombinationen tragen.
Ob die polnischen Gegenwartsdörfer und Kleinstädte schon ihren Soziologen, besser wohl: ihren Erzähler, gefunden haben?
Am Rande:
Ob in Städten, Dörfern, auf Fahrradwegen oder im scheinbar weglosen Gelände: Permanent stoße ich auf Schilder, die davon künden, dass „diese Investition“ grundlegend von der Europäischen Union mitgetragen wird. Dazu passt ein Artikel in der „Gazeta Wyborcza“ mit dem durchaus selbstbewussten Titel: „Polska mistrzem brania kasy“, also: „Polen ist Meister des Geldempfangs“. So sollen zwischen 2014 und 2020 weitere rund 100 Milliarden Euro nach Polen fließen. Davon sollen gut 31 Milliarden der Regionalentwicklung zukommen. Polen wisse eben zu überzeugen, so heißt es im Artikel, lege gut vorbereitete Projekte vor. Kurz: „Es erwarten uns fette Jahre bis 2020.“