„Für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden“, lautet ein geflügeltes Wort. Der Gedanke dahinter: Zu gut kennt der Diener seinen Herren, um von ihm etwas Großes oder Edles zu erwarten, ganz gleich, ob er ihm gerade die Schuhe oder den Champagner reicht. Nichts Neues gibt es unter der Sonne.
Diesem Gedanken gab der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel eine frappierende Wendung. Ja, für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden, aber nicht darum, „weil dieser kein Held ist, sondern weil jener ein Kammerdiener ist“.
An diese Pointe habe ich unterwegs häufiger gedacht. Wenn Wanderroutine drohte, wenn ein Hotel zu sehr dem anderen glich, ein Dorf scheinbar nichts zu bieten hatte und „eine weitere“ Backsteinkirche oder ein Stadttor zu besichtigen waren. Hüte dich vor dem Kammerdienerblick, sagte ich mir dann. Nicht der Ort ist reizlos, dein Blick ist müde. Suche nach einem Fragment, das für dich, für diese Strecke, entscheidend sein wird.
Die Orte öffneten sich, erzählten aus ihrer meist verwickelten Geschichte, zeigten etwas, worauf sie stolz waren.
Ähnlich bei Begegnungen und Gesprächen, die in der Regel keine „tiefen“ waren und sein konnten. Sie entsprangen dem Augenblick, dem Zufall wenn man so will, und natürlich wiederholten sich manche Inhalte, manche Anschauungen und Interessen. Doch auch hier gilt: Jeder hatte sein einzigartiges Detail, seine Weltsicht, seine Wunderlichkeit. Schaue auf das Original, den heiligen Funken. Das ist die Herausforderung. Nahm ich sie an, gab es den einen Moment, der bleibt und dankbar macht.
Vielleicht geht es letztlich um den heiteren Blick: auf Menschen und Orte, auf Wunder und Vergeblichkeiten. Der heitere Blick ist nicht naiv. Was herrisch ist, pöbelhaft oder unreif, was unter seinen Möglichkeiten bleibt, das wird er wahrnehmen und abstoßend finden. Doch bleibt er wachsam gegenüber der Kritikroutine, wachsam seinen eigenen Vorurteilen, seinem Missmut gegenüber.
Es ist nicht einfach, heiter zu bleiben, doch es ist entscheidend, so meine Köln-Königsberg-Erfahrung, damit die Gewohnheit und „das eigene Maß“ nicht die Oberhand über die bunte, über die komplexe Wirklichkeit gewinnen.
Ich wanderte nach Nordosten, weil ich, in Deutschland wie in Polen, eher im Südwesten zu Hause bin. Den Weg erfragte ich zumeist bei den Menschen und nicht im Computer, weil der „Mehrwert“ des menschlichen Wortes und Blickes kostbar ist. Und ich meditierte, in Ost und West, die Flüsse, weil sie ein ganz anderes Zeitmaß vertreten, weil sie nichts von unseren Aufgeregtheiten wissen, weil sie mir Ruhe schenkten.
Kurz: Mühen und Seligkeiten gab es genug.
So will ich heiter bleiben.
Am Ende:
Mein letztes russisches Bild ist ein Ruf: „Piroschki! Piroschki! Mit Kartoffelfüllung, mit Kraut oder Pilzen!“ Es ist früh und herbstlich und sehr dunkel. Die Stelle am Kaliningrader Busbahnhof ist bar jeder romantischen Anmutung. Die Verkäuferin an ihrem fahrbaren Stand aber ruft unermüdlich ihre Botschaft den Passagieren zu. Ich höre zu, fasziniert und gerührt. Dieser Ruf ist ihr Alltag.
Ich kaufe vier „Piroschki“ für unterwegs, steige in den Bus und kehre jetzt in meinen Alltag zurück.