Der Philosoph aus Königsberg

Königsberg/Kaliningrad könne, schrieb Immanuel Kant, der Erweiterung der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis dienen. CIG-Autor Christian Heidrich, nach mehr als zehn Wochen Wanderung dort angekommen, entdeckt die Spuren des großen Gelehrten.

Der Philosoph aus Königsberg
© Christian Heidrich

Es war Immanuel Kant (1724-1804), der wirkmächtigste Sohn der Stadt, der Königsberg das schönste Sprachdenkmal ausgestellt hat:

„Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem sich die Landescollegia der Regierung desselben befinden, die eine Universität (zur Kultur der Wissenschaften) und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Inneren des Landes sowohl, als auch mit angrenzenden entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten einen Verkehr begünstigt, - eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zu Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden, wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann.“

Wenn man so will, stellte sich Kant mit diesen Sätzen auch ein Selbstzeugnis aus. Denn es ist mehr als nur eine Fama, dass der Verfasser der drei „Kritiken“ die Stadtgrenze kaum jemals verließ. Am ehesten noch geschah das in seinen frühen Berufsjahren, in denen er als Hauslehrer wirkte. Folgt man Kant, dann muss man nicht die Welt bereisen, um ein Mann von Welt zu werden - vorausgesetzt, man wohnt in einer Stadt wie Königsberg. Ihre Größe - im 18. Jahrhundert dürfte sie an die 55000 Einwohner gehabt haben - schützte vor Provinzialität. Die Organe der Regierung und die Universität glichen die ostpreußische Randlage aus. Die Handelswege, die von und nach Königsberg führten, und die Menschen, die aus den benachbarten Ländern, aus Litauen oder Russland, nach Königsberg kamen, brachten Wohlstand in die Stadt und natürlich auch andere Sitten und Weltanschauungen.

Genug Inspiration also zum Studium des Menschen und der Welt. Kant vermochte dies so originell und konsequent durchzuführen, dass man sein Werk als die „Kopernikanische Wende“ in der Philosophie bezeichnen konnte. Das ist hintergründig genug, denn auch der Mann aus Königsberg zeigte letztlich, dass sich der Mensch zu bescheiden habe. Er analysierte nicht so sehr die Gegenstände als die Vernunft selbst und wies nach, dass keine hochfliegende Metaphysik als „Wissen“ gelten könne, denn dieses sei an Erfahrung gebunden. „Metaphysik ist ein uferloses Meer…“

Doch macht es die Größe Kants aus, dass er nicht nur eine unüberwindbare Grenze aufzeigte, sondern - „In allen Grenzen ist auch etwas Positives“ - auch unsere Kraft und noch mehr unsere Pflicht. Der „kategorische Imperativ“ ist bekannt. Auch über den „moralischen Gottesbeweis“ lohnt es sich nachzudenken. Beides hängt durchaus zusammen.

Wer mehr als 200 Jahre nach Kants Tod im heutigen Königsberg/Kaliningrad nach greifbaren Spuren seines Lebens sucht, wird sie finden. Die Stellen sind bezeichnet, wo er geboren wurde, wo er wohnte - auch wenn sie angesichts der katastrophalen Zerstörungen der Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges und auch noch danach als Vermutungen gelten müssen. An der Außenseite des zumindest äußerlich wiederhergestellten Domes findet sich Kants Grabmal, im Innern des Domes ein Kantmuseum. Und, am schönsten: Vor der Universität, in einem kleinen Park, steht eine Kopie des Kant-Denkmals von Christian Daniel Rauch von 1864. Das neue-alte Denkmal ist dem Engagement von Marion Gräfin Dönhoff zu verdanken und wurde 1989 aufgestellt. Der Himmel ist strahlend blau, als ich vor dem Denkmal stehe, das nicht zuletzt den eleganten Kant zeigt, der er tatsächlich auch war.

Und ja: Am Leninskij-Prospekt, einer zentralen Einkaufsstraße der Stadt, dort, wo dem Konsumgott auf vielfältigste Weise gehuldigt wird, ist eine unscheinbare Tafel angebracht. In deutscher und russischer Sprache gibt sie die wohl bekannteste Sentenz des Königsberger Denkers wieder: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Am Ende eines langen Weges darf man wieder zu der schlichten Wahrheit, zur Weisheit, zurückkehren.

Am Rande:
Verblüffend die Panik, die die Kaliningrader, Jung und Alt, erfasst, wenn noch so rudimentäre Fremdsprachenkenntnisse gefragt sind. Verblüffend auch, wie Schulen, wie Lehrer versagen können.

Der alte Siegried & Roy-Trick hilft wieder: Es gibt keine Karten für eine Theateraufführung von „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow mehr. Ein Schild tut es kund. Ich stelle mich dennoch an. Vielleicht hat jemand gerade eine Karte zurückgegeben. Und in der Tat, als ich an der Kasse nachfrage, gibt es noch eine, zudem ist der Platz harascho, ein guter. Das erste Mal funktionierte der „Trick“ beim Anstehen in Las Vegas für die Show der berühmten Illusionisten. Auch die alltägliche Wirklichkeit, so sagt er mir, hat häufig einen doppelten Boden.

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