Als ich am Sonntagmorgen das angenehme Roncalli-Haus verlasse - Roncalli ist der bürgerliche Name von Papst Johannes XXIII. -, um nach Burg zu kommen, ahne ich nicht, dass es ein äußerst anregender, vor allem ein wasserreicher Tag werden würde. Klar, ein Stückchen auf dem Elberadweg wandern und dann käme das „Wasserstraßenkreuz Magdeburg“. Viel mehr wusste ich nicht.
Der Radweg entpuppte sich dann als ein Boulevard der Fahrradträume. Breitangelegte Wege, schöner Verlauf mit Blick auf die Elbe. Dementsprechend waren schon morgens Radler unterwegs, von denen aber, dem schmalen Gepäck nach zu urteilen, die wenigsten, wie das Paar aus Graz, „von Dresden bis Hamburg“ fuhren. Die Überholvorgänge untereinander waren meist friedlich, aber auch hier schien mir die alte Autobahnregel gültig: „Egal, wie viele du überholst, es wird sich immer einer finden, der noch schneller ist als du.“
Am Wasserstraßenkreuz dann ein Faszinosum, und ich brauche ein paar Augenblicke, bis ich es wirklich verstehe. Denn ich steige hoch zu einer langen Brücke, die über der Elbe angelegt ist - und diese Brücke ist selbst ein Wasserweg, ein Kanal, auf dem langsam Lastkähne schippern.
„Call me naïve…“, wie es so nett im Englischen heißt, aber mir stockt der Atem.
Die Informationstafeln künden dann, dass es eine „Kanalbrücke“ ist, passend auch „Trogbrücke“ genannt, die hier den Mittellandkanal fortführt. Dieser vereinigt sich sogleich mit dem Elbe-Havel-Kanal und verkürzt die Wege für die Schifffahrt erheblich. Das erstaunliche Werk der Ingenieurs- und Baukunst ist mit 918 Metern die längste Kanalbrücke Europas und wurde zwischen 1998 und 2003 erbaut.
Auf dem Fahrradweg geht es weiter entlang des Elbe-Havel-Kanals an mehreren Schleusen vorbei - die teilweise etwas kompliziert benannt sind. Hinter der Ortschaft Niegripp bis nach Burg wandere ich auf einer der bisher schönsten Strecken. Ich bin fast allein, hin und wieder ein Fahrradfahrer oder ein Angler. Dafür sind die Transportschiffe zum Greifen nahe. Sie tuckern leise, man kann die Schiffsführer grüßen. Einer ist offensichtlich ein treuer Fan der polnischen Fußballnationalmannschaft, die es freilich ihren Fans in den letzten Jahren (oder sind es schon Jahrzehnte?) nicht gerade leicht gemacht hat.
Kleine und große Vögel, Kormorane und Reiher wohl, lassen sich in den Nachmittagsstunden sehen. Man könnte fast von „paradiesisch“ sprechen, wenn man vergäße, wie viel Technik, wie viel menschliche Arbeit diesen geraden Weg möglich gemacht hat. Andererseits: Ich bin hier im Jerichower Land.
Am Rande:
In der FAZ vom Samstag ein kenntnisreiches Gespräch zwischen dem französischen Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt und dem Kafka-Biografen Reiner Stach über den nie endenden Versuch, Kafka zu entziffern. Von Goldschmidt stammt ein Großessay mit dem Titel „Meistens wohnt der, den man sucht, nebenan - Kafka lesen“. Natürlich bringt mich der erste Teil des Titels ins Grübeln, auch wenn er „nur“ ein altes Märchenmotiv variiert. Warum reisen wir, wenn das Glück womöglich gleich um die Ecke wohnt? Doch zugleich: Was wären wir ohne die Umwege unseres Lebens?