In der Frühzeit der Reformation wurde Magdeburg „Unseres Herrgotts Kanzlei“ genannt. Das galt dem Eifer und der Disputierfreude der Theologen, die in einer wahren Flut von Streitschriften ihre verästelten Positionen in Sachen Luther darzulegen suchten. Heute gehört die Stadt zu den am stärksten „säkularisierten“ Gegenden Deutschlands (wäre es allzu kühn, das auch im Weltmaßstab anzunehmen?). Knappe zehn Prozent der Einwohner gehören der evangelischen, fünf Prozent der katholischen Kirche an. Da bleibt ein ganze Menge übrig. Auch in Wittenberg, so lese ich, sehen die Zahlen ähnlich aus. Hier haben die beiden deutschen Diktaturen ganze Arbeit geleistet. Die allgemeine, östliche wie westliche Religionsskepsis kommt dazu.
So „passt“ es ins Magdeburger Kirchenbild, wenn neben dem mächtigen Dom, der freundlichen Kathedralkirche Sankt Sebastian und etlichen anderen Gotteshäusern, von denen ein Teil freilich als Kulturstätte dient, auch Kirchen „en miniature“, als winzige Kopien der Originalbauten, zu entdecken sind. Die sozialistischen Herren sprengten sieben Kirchen, die ihnen nutzlos erschienen. Zu ihnen gehörten auch die für die Reformatoren bedeutende Ulrichskirche oder auch die Heiliggeistkirche, in der Georg Philipp Telemann getauft wurde. Diesen Kirchen begegnet man jetzt nur noch als Miniaturkopien an ihren ehemaligen Standorten. Man ist versucht - auch angesichts der kontroversen Debatten um die Idee, die Ulrichskirche aufzubauen -, dies als ein Symbol zu sehen. Das Christentum ist in Magdeburg durchaus präsent, wer sucht, der findet genügend Zeugnisse und Angebote. Doch es sind nicht volkstümliche Ausprägungen, es sind Miniaturen.
Am Rande:
Auch im Magdeburger Dom gibt es ein Portal mit klugen und törichten Jungfrauen. Wie üblich verweilt man länger bei den törichten. Ein klassisches, „danteskes“ Dilemma: Das Böse scheint dem Künstler merklich mehr Facetten zu bieten als das Gute.
Vorabendmesse. Der Pfarrer zitiert Ida Friederike Görres, die von „karierten Christen“ spricht. Es ist offensichtlich pejorativ gemeint. Freilich genügt ein bisschen Lebenserfahrung, um zu wissen, dass es ein reines Christentum nicht geben kann. Dafür ist unsere Wirklichkeit zu komplex. Kleinkariert sollte es aber auch nicht sein.